Enzyklika »Casti connubii«
Weltrundschreiben des Heiligen Vaters Pius XI. vom 31. Dezember 1930
Papst
Pius XI.
über die
christliche Ehe im Hinblick auf die gegenwärtigen Verhältnisse,
Bedrängnisse, Irrtümer und Verfehlungen in Familie und Gesellschaft
An die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe und
anderen Hirten, die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl
leben.
Erwürdige Brüder, Gruß und Apostolischen Segen!
Einleitung: Die Wiederherstellung der Ehe durch
Christus
Der reinen Ehe Hoheit und Würde leuchtet Uns,
Ehrwürdige Brüder, vor allem daraus entgegen, daß Christus der Herr, der Sohn
des ewigen Vaters, nach Annahme unserer gefallenen Natur, die Wurzel und
Grundlage der Familiengemeinschaft und damit der menschlichen Gesellschaft
überhaupt, nicht allein in den liebevollen Plan der allgemeinen
Wiederherstellung unseres Geschlechtes ganz besonders mit einschließen wollte,
sondern sie außerdem zur ursprünglichen Reinheit der Einsetzung durch Gott
zurückgeführt, zu einem wahren und »großen«1
Sakrament des Neuen Bundes erhoben und deshalb die Ordnung derselben und die
Sorge für sie ganz der Kirche, seiner Braut, anvertraut hat.
Die Notwendigkeit der Belehrung über die Ehe
Damit jedoch aus der Erneuerung der Ehe bei allen Völkern der ganzen Erde und
aller Zeiten die erhofften Früchte ersprießen, muß in den Menschengeist zunächst
die unverfälschte Lehre Christi über die Ehe hineinleuchten. Sodann ist es
Pflicht der christlichen Ehegatten, in ihrem schwachen Willen durch die Gnade
Gottes gestärkt, ihr ganzes Denken und Tun nach dem reinen und lauteren Gesetz
Christi zu gestalten, um so für sich und ihre Familie das wahre Glück und den
wahren Frieden zu finden.
Das Absinken der Ehemoral
Indessen müssen nicht allein Wir, wenn Wir von der hohen Warte Unseres
Apostolischen Amtes mit Vaterblick den gesamten Erdkreis überschauen, wahrnehmen
– auch Ihr, Ehrwürdige Brüder, seht es und empfindet es ganz gewiß mit Uns aufs
schmerzlichste, daß so viele Menschen das Gotteswerk der Wiederherstellung
vergessen haben und die erhabene Heiligkeit der Ehe entweder gar nicht mehr
kennen oder schamlos leugnen oder gar, von den falschen Grundsätzen einer neuen,
aber ganz verkehrten Sittenlehre ausgehend, aller Orten mit Füßen treten. Da
diese gefährlichen Irrlehren und verderbten Sitten sich auch unter den Gläubigen
breit zu machen begonnen haben und sich immer tiefer einzudrängen suchen, haben
Wir, da dies Unseres Amtes als Statthalters Christi auf Erden und obersten
Hirten und Lehrers ist, es für Unsere Pflicht erachtet, Unsere Apostolische
Stimme zu erheben, um die Uns anvertrauten Schafe von den vergifteten Weiden
abzuwehren und, soviel Wir nur können, unversehrt zu bewahren.
Inhaltsangabe des Rundschreibens
Wir haben deshalb beschlossen, zu Euch, Ehrwürdige Brüder, und durch Euch zur
ganzen Kirche Christi, ja zur gesamten Menschheit vom Wesen und von der Würde
der christlichen Ehe, dem aus ihr in die Familie und die ganze menschliche
Gesellschaft sich ergießenden Glück und Segen, den diesem gewichtigen Punkt der
christlichen Lehre entgegenstehenden Irrtümern, den Verfehlungen wider die
christliche Ehegemeinschaft und endlich den entsprechenden hauptsächlichsten
Heilmitteln zu reden. Wir treten dabei in die Fußstapfen Unseres Vorgängers Leo
XIII. seligen Angedenkens und machen Uns sein vor fünfzig Jahren erlassenes
Rundschreiben über die christliche Ehe »Arcanum«2
durch Unser vorliegendes Rundschreiben zu eigen und, indem Wir einige die
heutigen Verhältnisse betreffenden Punkte etwas ausführlicher behandeln,
erklären Wir ausdrücklich, daß jenes Schreiben, weit davon entfernt, veraltet zu
sein, vielmehr seine volle Kraft und Wirkung beibehält.
Kurze Übersicht über die kirchliche Lehre von der Ehe
im Anschluß an das Rundschreiben Leos XIII. »Arcanum«
Um mit dem eben erwähnten Rundschreiben zu beginnen, das sich fast nur damit
befaßt, die Einsetzung der Ehe durch Gott, ihre sakramentale Würde und ihre
lebenslängliche Dauer sicherzustellen, so muß zunächst als unverrückbare und
unantastbare Grundlage gelten: nicht von Menschen ist die Ehe eingesetzt und
wiederhergestellt worden, sondern von Gott. Nicht von Menschen, sondern vom
Urheber der Natur selbst, von Gott, und vom Wiederhersteller der Natur, Christus
dem Herrn, ist sie durch Gesetze gesichert, ist sie gefestigt und erhoben
worden. Diese Gesetze können also in keiner Weise dem Gutdünken von Menschen,
keiner entgegenstehenden Vereinbarung, auch der Gatten nicht, unterworfen sein.
Das ist die Lehre der Hl. Schrift3,
die ständige und allgemeine Tradition der Kirche, die feierliche Entscheidung
des Heiligen Konzils von Trient, das mit den Worten der Hl. Schrift selbst
verkündet und bekräftigt: das lebenslängliche und unauflösliche Eheband und
dessen Einheit und Festigkeit haben Gott zum Urheber.4
Wenn nun aber auch die Ehe ihrem Wesen nach von Gott stammt, so hat doch auch
der Wille des Menschen, und zwar in hervorragender Weise, seinen Anteil an ihr.
Denn die einzelne Ehe entspringt, sofern sie die eheliche Verbindung zwischen
diesem Mann und dieser Frau ist, dem freien Jawort der beiden Brautleute. Diese
freie Willensentscheidung, durch die jeder Teil das der Ehe eigentümliche Recht
gibt und nimmt5,
ist zu einer wahren Eheschließung derart notwendig, daß sie durch keine
menschliche Macht ersetzt werden kann.6
Diese Freiheit hat jedoch nur das eine zum Gegenstand, ob die Eheschließenden
wirklich eine Ehe eingehen und ob sie dieselbe mit dieser Person eingehen
wollen. Dagegen ist das Wesen der Ehe der menschlichen Freiheit vollständig
entzogen, so daß jeder, nachdem er einmal die Ehe eingegangen hat, unter ihren
von Gott stammenden Gesetzen und wesentlichen Eigenschaften steht. Denn der
Doctor Angelicus sagt da, wo er von der ehelichen Treue und der Nachkommenschaft
handelt: »Sie gehen in der Ehe aus dem Ehevertrag hervor, und zwar so, daß,
falls in dem Jawort, durch das die Ehe zustande kommt, etwas ihnen
Entgegengesetztes Ausdruck fände, überhaupt keine wahre Ehe vorläge.«7
Durch die Ehe werden also die Gatten innerlich verbunden und verschmolzen,
und zwar eher und inniger als dem Leibe nach, und nicht durch vorübergehende
Sinneserregung oder bloße Gemütsbewegung, sondern durch überlegten und festen
Willensentschluß: und aus dieser Verschmelzung der Seelen erwächst, so hat es
Gott bestimmt, das heilige und unverletzliche Eheband.
Das ist die unvergleichliche Eigenart des Ehevertrages. Sie unterscheidet ihn
himmelweit von den Verbindungen der vernunftlosen Lebewesen, die nur aus blindem
Naturtrieb erfolgen und in denen sich nichts von Verstand oder überlegtem Wollen
findet, wie auch von den haltlosen Verbindungen unter Menschen, die nichts an
sich haben von einer wahren und sittengemäßen Vereinigung der Willen und denen
jedes Recht auf Familiengemeinschaft abgesprochen werden muß.
Damit ist schon gegeben, daß die rechtmäßige Autorität zwar das Recht hat, ja
daß ihr sogar die Pflicht obliegt, die unehrbaren, vernunft- und naturwidrigen
Verhältnisse zu hemmen, zu hindern und zu bestrafen. Da es sich aber um etwas
handelt, was unmittelbar aus der Natur folgt, so gilt ebenso sicher die Mahnung,
die Unser Vorgänger Leo XIII. seligen Angedenkens offen ausgesprochen hat:8
»Bei der Wahl des Lebensstandes ist es zweifellos dem freien Belieben der
einzelnen anheimgestellt, welchem von beiden sie den Vorzug geben wollen: dem
Rat Christi folgend jungfräulich zu leben oder sich durch die Ehe zu binden.
Kein menschliches Gesetz vermag das naturhafte und ursprüngliche Recht zur Ehe
dem Menschen zu nehmen oder den von Gott im Anfang bestimmten Hauptzweck der Ehe
zu beschränken: ›Wachset und mehret euch‹9.«
So wird also die heilige Gemeinschaft der wahren Ehe gleichzeitig durch
Gottes und des Menschen Willen begründet: Aus Gott ist die Einsetzung der Ehe,
aus ihm sind ihre Zwecke, ihre Gesetze, ihre Segensgüter. Von den Menschen aber
stammt mit Gottes Hilfe und Gnade durch edelmütige Hingabe des eigenen Ich an
den andern für die ganze Lebensdauer die einzelne Ehe mit den von Gott gesetzten
Pflichten und dem von ihm verheißenen Segen.
I. Die wesentlichen Güter der Ehe
1. Die drei Güter der Ehe nach Augustinus
Wenn Wir nun, Ehrwürdige Brüder, Uns anschicken, die Segensgüter, die Gott in
die wahre Ehe hineingelegt hat, darzulegen, so kommen Uns die Worte des
gefeierten Kirchenlehrers in den Sinn, dessen fünfzehnhundertjährigen Todestag
Wir noch vor kurzem durch Unser Rundschreiben »Ad salutem«10
festlich begangen haben: »Das alles«, so sagt Augustinus, »sind Güter, um
derentwillen die Ehe selbst gut ist: Nachkommenschaft, Treue, Sakrament«.11
Inwiefern diese drei Worte eine klare und erschöpfende Zusammenfassung der
gesamten Lehre über die christliche Ehe bieten, setzt der heilige Kirchenlehrer
auseinander, wenn er schreibt: »Die Treue will besagen, daß nicht außerhalb des
Ehebundes mit einem anderen oder einer anderen Verkehr gepflegt werde. Die
Nachkommenschaft, daß das Kind mit Liebe entgegengenommen, mit herzlicher Güte
gepflegt und gottesfürchtig erzogen werde. Das Sakrament endlich, daß die Ehe
nicht geschieden werde und der Geschiedene oder die Geschiedene nicht einmal, um
Nachkommenschaft zu erhalten, mit einem anderen eine Verbindung eingehe. Das hat
als Grundsatz der Ehe zu gelten, durch das die naturgewollte Fruchtbarkeit
geadelt und zugleich das verkehrte Begehren in den rechten Schranken gehalten
werde.«12
2. Das erste Gut der Ehe: die Kinder
a) Die Fortpflanzung als natürlicher und übernatürlicher
Auftrag der Ehe
Die erste Stelle unter den Gütern der Ehe nimmt also das Kind ein. In der
Tat, so hat es der Schöpfer des Menschengeschlechtes, der sich in seiner Güte
zur Weitergabe des Lebens der Menschen als seiner Gehilfen bedienen wollte,
selbst gelehrt, indem er im Paradies bei der Einsetzung der Ehe zu den
Stammeltern, und in ihnen zu allen künftigen Gatten, sprach: »Wachset und mehret
euch und erfüllet die Erde.«13
In diesem Sinne erklärt der hl. Augustinus die Worte des hl. Apostels Paulus an
Timotheus14,
wenn er schreibt: »Daß die Ehe geschlossen wird, um neues Leben zu wecken, dafür
ist das Wort des Apostels Zeuge: Ich will, daß die jüngeren [Witwen] heiraten.
Und als ob ihm jemand entgegenhielte, warum denn?, fügte er sogleich bei: Um
Kindern das Leben zu geben, um Familienmütter zu sein.«15
Welch eine Wohltat Gottes und welch ein Ehesegen das Kind ist, erhellt aus
der Würde und dem hohen Ziel des Menschen. Der Mensch überragt ja schon durch
seine bloße Vernunft die ganze übrige sichtbare Schöpfung. Hierzu kommt noch,
daß Gott die Menschen werden läßt, nicht nur damit sie da sind und die Erde
erfüllen, sondern noch viel mehr, damit sie Verehrer des wahren Gottes seien,
ihn erkennen und lieben und sich dereinst im Himmel seines beseligenden Besitzes
ewig erfreuen. Dieses Endziel überragt infolge der wunderbaren Erhebung des
Menschen durch Gott in die Ordnung der Übernatur alles, was ein Auge gesehen,
ein Ohr gehört hat und in eines Menschen Herz gedrungen ist.16
Daraus erhellt also ohne weiteres, welch ein Geschenk der Güte Gottes, welch
ausgezeichnete Frucht der Ehe das Kind ist, das sein Dasein der Allmacht Gottes
und der Mitwirkung der Ehegatten verdankt.
Die christlichen Eltern mögen außerdem bedenken, daß es nicht nur ihre
Aufgabe ist, für die Erhaltung und Ausbreitung des Menschengeschlechtes auf
Erden zu sorgen, ja nicht einmal nur, irgendwelche Verehrer des wahren Gottes
heranzuziehen, sondern der Kirche Christi Nachkommenschaft zuzuführen, die
Mitbürger der Heiligen und die Hausgenossen Gottes17
zu mehren, damit das dem Dienste Gottes und unseres Erlöser geweihte Volk von
Tag zu Tag zunehme. Denn wenn nun auch die christlichen Eltern, so sehr sie
selbst im Gnadenstande sein mögen, die heiligmachende Gnade nicht an ihr Kind
weitergeben können, die naturhafte Weckung neuen Lebens im Gegenteil zum
Todespfand geworden ist, auf dem die Erbschuld auf die Kinder übergeht, so haben
sie doch etwas von der Ehe, wie sie ursprünglich im Paradiese war; denn ihre
Aufgabe ist es, ihr eigenes Kind der Kirche darzubringen, damit es von dieser
überaus fruchtbaren Mutter der Kinder Gottes durch das Bad der Taufe zur
übernatürlichen Gerechtigkeit wiedergeboren und ein lebendiges Glied Christi,
des unsterblichen Lebens teilhaft und endlich ein Erbe der ewigen Herrlichkeit
werde, nach der wir alle aus tiefster Seele verlangen.
Wenn das eine wahrhaft christliche Mutter beherzigt, so wird ihr klar werden,
daß von ihr in einem höheren und überaus trostreichen Sinne jenes Wort unseres
Erlösers gilt: »Sobald die Mutter ... das Kind geboren hat, gedenkt sie nicht
mehr ihrer Schmerzen vor Freude, daß ein Mensch zur Welt geboren ist.«18
Sie wird sich über alles Leid des Mutterberufes, über alle seine Sorgen und
Lasten emporheben und mit viel mehr Recht und in weit erhabenerem Sinne als jene
edle Römerin, die Mutter der Gracchen, sich im Herrn einer blühenden Kinderschar
rühmen. Und beide Gatten werden die Kinder, die sie bereitwillig und dankbaren
Herzens aus der Hand Gottes entgegengenommen haben, als ein ihnen von Gott
anvertrautes Talent betrachten, nicht um es zu ihrem eigenen Nutzen, noch auch
nur dem des irdischen Vaterlandes zu verwenden, sondern um es am Tage des
Gerichtes dem Herrn mit Gewinn zurückzustellen.
b) Der Auftrag der Erziehung
Mit der Schenkung neuen Lebens ist aber das Gut der Nachkommenschaft noch
keineswegs erschöpft. Ein anderes muß noch hinzukommen, nämlich die
erforderliche Erziehung des Kindes. Völlig unzureichend hätte ja der allweise
Gott für das neugeborene Kind und damit für das ganze Menschengeschlecht
gesorgt, wenn er nicht auch das Recht und die Pflicht der Erziehung denen
zugewiesen hätte, denen er die Fähigkeit und das Recht der Weckung des Lebens
gegeben hat. Es wird wohl niemand übersehen, daß das Kind weder im Bereich des
natürlichen und noch viel weniger in dem des übernatürlichen Lebens für sich
selber genügend sorgen kann. Es ist im Gegenteil für viele Jahre auf die Hilfe,
Unterweisung und Erziehung anderer angewiesen. Es ist aber klar, daß auf Geheiß
der Natur und damit Gottes das Recht und die Pflicht der Kindererziehung in
erster Linie denen zukommt, die das Werk der Natur durch die Weckung des Lebens
begonnen haben, denen es aber durchaus untersagt sein muß, das Angefangene
unvollendet liegen zu lassen und es so dem sicheren Verderben preiszugeben. In
der Ehe ist nun aber für die so notwendige Erziehung des Kindes aufs allerbeste
gesorgt. Denn in ihr stehen die Mühewaltung beider Eltern und ihre gegenseitige
Hilfeleistung stets bereits, da die Gatten durch ein unauflösliches Band
miteinander verbunden sind.
Da Wir aber über die christliche Erziehung der Jugend schon an anderer Stelle
ausführlich gehandelt haben19,
wollen Wir alles nochmals mit den Worten des hl. Augustinus zusammenfassen: »Die
Nachkommenschaft [will besagen], daß das Kind mit Liebe entgegengenommen ... und
gottesfürchtig erzogen werde.«20
Genau das gleiche drückt auch das kirchliche Gesetzbuch mit den entschiedenen
Worten aus: »Der Hauptzweck der Ehe ist die Zeugung und Erziehung des Kindes.«21
c) Die Zeugung des Lebens als ausschließliches Recht der
Ehe
Wegen der hohen Würde und Bedeutung des zweifachen Amtes, das den Eltern zum
Besten des Kindes übertragen ist, darf schließlich nicht mit Stillschweigen
übergangen werden, daß nach dem Willen des Schöpfers und dem Gesetz der Natur
jeder Gebrauch der Fähigkeit, die Gott zur Weckung neuen Lebens gegeben hat,
seine Sittengemäßheit vorausgesetzt, das ausschließliche Recht, und zwar ein
Vorrecht der Ehe ist und sich unbedingt innerhalb ihrer geheiligten Schranken
halten muß.
3. Das Gut der Treue
a) Die eheliche Treue als in Gott begründetes Band der
Zusammengehörigkeit
Das zweite Gut der Ehe, das der hl. Augustinus, wie Wir sagten, anführt, ist
die Treue. Sie besteht in der gewissenhaften Einhaltung des Ehevertrages durch
beide Gatten, so daß, was durch den vom göttlichen Gesetz besiegelten Vertrag
nur dem Partner zusteht, weder diesem verweigert noch einem Dritten zugestanden
und daß ferner nicht dem eigenen Gatten gestattet wird, was dem göttlichen Recht
und Gesetz zuwiderläuft, mit der ehelichen Treue unvereinbar ist und deshalb
niemals erlaubt sein kann.
b) Die aus dem Gut der Treue sich ergebenden
Forderungen
Die vollkommene Einehe
Daher verlangt die eheliche Treue an erster Stelle unbedingt die Einehe, wie
sie der Schöpfer in dem Urbild aller Ehen, der Ehe der Stammeltern, vorgebildet
hat. Sie war ja nach seinem Willen eine Ehe nur zwischen einem Mann und einer
Frau. Allerdings hat Gott später als oberster Gesetzgeber das Grundgesetz
zeitweilig in etwa gemildert. Indes besteht kein Zweifel, daß das Gesetz
Christi die ursprüngliche vollkommene Einehe in ihrer Unversehrtheit
wiederhergestellt und jegliche Dispens aufgehoben hat, wie dies die Lehre
Christi und die ständige Lehre und Praxis der Kirche mit voller Deutlichkeit
zeigen. Das Hl. Konzil von Trient22
hat also vollkommen recht, wenn es bekennt: »daß durch dieses Band nur zwei
vereinigt und verbunden werden, hat Christus der Herr nur zu deutlich in den
Worten gelehrt: ›Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.‹23«
Die Einheit im Denken und Wollen
Aber Christus der Herr wollte nicht nur jede Form der sogenannten Polygenie
und Polyandrie, der aufeinanderfolgenden wie der gleichzeitigen, verworfen
wissen und ebenso jedes andere unehrbare Tun, sondern er hat sogar, um das
umhegte Heiligtum der Ehe vor jeder Schändung zu schützen, auch alle
dahingehenden freiwilligen Gedanken und Begierden verboten: »Ich aber sage euch:
Jeder, der eine Frau mit begehrlichen Blicken ansieht, hat schon in seinem
Herzen die Ehe mit ihr gebrochen.«24
Diese Worte Christi des Herrn kann nicht einmal die Zustimmung des anderen
Gatten entkräften. Denn sie enthalten ein Gesetz Gottes und der Natur, das kein
Menschenwille jemals zu biegen oder zu brechen vermag.25
Die eheliche Keuschheit
Damit aber die Treue im vollen Glanz erstrahle, muß auch der vertraute
Verkehr der Gatten untereinander das Gepräge der Keuschheit an sich tragen. Die
Eheleute müssen sich also in allem nach den Normen des göttlichen Gesetzes und
des Naturgesetzes richten und sich bemühen, den Willen des allweisen und
allheiligen Schöpfers immer mit großer Ehrfurcht vor Gottes Werk zu
befolgen.
Gegenseitige Stützung in Liebe im Sinne des
christlichen Vollkommenheitsideals
Aber es gibt noch ein anderes, das in seiner Erhabenheit die Treue der
Keuschheit, wie sie vom hl. Augustinus so treffend genannt wird, leichter,
lieblicher und anziehender macht und ihr einen neuen Adel verleiht: die
Gattenliebe, die alle Pflichten des Ehelebens durchdringt und in der
christlichen Ehe sozusagen eine besondere Würde und Vorrangstellung einnimmt.
»Die eheliche Treue verlangt außerdem, daß Gatte und Gattin durch eine
besondere, reine, heilige Liebe miteinander verbunden sind; daß sie sich nicht
lieben wie solche, die keine Ehetreue kennen, sondern wie Christus seine Kirche
geliebt hat. Denn diese Norm hat der Apostel aufgestellt, da er sagte: ›Ihr
Männer, liebet eure Frauen, wie auch Christus seine Kirche geliebt hat.‹26
Er hat sie sicher mit einer unendlichen Liebe umfaßt, nicht um des eigenen
Nutzens und Vorteils willen, sondern weil er nur das Wohl seiner Braut im Auge
hatte.«27
Wir meinen also eine Liebe, die nicht nur auf körperlich bedingter, rasch
schwindender Sympathie, noch auf bloßen Schmeichelworten, sondern in der tiefen
Zuneigung der Seelen gegründet ist und sich auch im Werke erprobt, denn die
Erprobung der Liebe ist die Tat.28
Diese Tat bedeutet aber in der Familiengemeinschaft nicht nur die gegenseitige
Hilfeleistung. Sie muß auch, und zwar in erster Linie, darauf abzielen, daß die
Gatten einander behilflich seien, den inneren Menschen immer mehr zu gestalten
und zu vollenden. So sollen sie durch ihre Lebensgemeinschaft in den Tugenden
immer größere Fortschritte machen, vor allem in der wahren Gottes- und
Nächstenliebe wachsen, in der schließlich doch „das ganze Gesetz und die
Propheten bestehen.“29
Nun ist das allein gültige Vorbild aller Heiligkeit, das Gott für alle Menschen
hingestellt hat, Christus der Herr. Ihn können und müssen alle, gleichgültig,
wessen Standes und Berufes sie sind, nachahmen und mit Gottes Hilfe nach dem
Beispiel seiner Heiligen zum Gipfel der christlichen Vollkommenheit
gelangen.
Die gegenseitige innere Formung der Gatten, das beharrliche Bemühen, einander
zur Vollendung zu führen, kann man, wie der Römische Katechismus30
lehrt, sogar sehr wahr und richtig als Hauptgrund und eigentlichen Sinn der Ehe
bezeichnen. Nur muß man dann die Ehe nicht im engeren Sinne als die Einrichtung
zur Zeugung und Erziehung des Kindes, sondern im weiteren als volle
Lebensgemeinschaft fassen.
Die Liebe muß ebenfalls alle anderen Rechte und Pflichten des Ehelebens
beherrschen, so daß es nicht allein eine Rechtssatzung ist, sondern auch als
Norm der Liebe gelten möge, was der Apostel sagt: »Der Gattin leiste der Gatte
die Pflicht; in gleicher Weise aber auch die Gattin dem Gatten.«31
Die Hierarchie der Liebe, die notwendige Über- und
Unterordnung
In der Familiengemeinschaft, deren festes Gefüge so die Liebe ist, muß dann
auch die Ordnung der Liebe, wie es der hl. Augustinus nennt, zur Geltung kommen.
Sie besagt die Überordnung des Mannes über Frau und Kinder und die willfährige
Unterordnung, den bereitwilligen Gehorsam von seiten der Frau, wie ihn der
Apostel mit den Worten empfiehlt: »Die Frauen sollen ihren Männern untertan sein
wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie Christus das Haupt der
Kirche ist.«32
Die Unterordnung der Gattin unter den Gatten leugnet und beseitigt nun aber
nicht die Freiheit, die ihr auf Grund ihrer Menschenwürde und der hehren
Aufgabe, die sie als Gattin, Mutter und Lebensgefährtin hat, mit vollem Recht
zusteht. Sie verlangt auch nicht von ihr, allen möglichen Wünschen des Mannes zu
willfahren, die vielleicht unvernünftig sind oder der Frauenwürde weniger
entsprechen. Sie ist endlich nicht so zu verstehen, als ob die Frau auf einer
Stufe stehen sollte mit denen, die das Recht als Minderjährige bezeichnet und
denen es wegen mangelnder Reife und Lebenserfahrung die freie Ausübung ihrer
Rechte nicht zugesteht. Was sie aber verbietet, ist Ungebundenheit und
übersteigerte Freiheit ohne Rücksicht auf das Wohl der Familie. Was sie
verbietet, das ist, im Familienkörper das Herz vom Haupt zu trennen zu größtem
Schaden, ja mit unmittelbarer Gefahr seines völligen Untergangs. Denn wenn der
Mann das Haupt ist, dann ist die Frau das Herz, und wie er das Vorrecht der
Leitung, so kann und soll sie den Vorrang der Liebe als ihr Eigen- und
Sonderrecht in Anspruch nehmen.
Grad und Art der Unterordnung der Gattin unter den Gatten können sodann
verschieden sein je nach den verschiedenen persönlichen, örtlichen und
zeitlichen Verhältnissen. Wenn der Mann seine Pflicht nicht tut, ist es sogar
die Aufgabe der Frau, seinen Platz in der Familienleitung einzunehmen. Aber den
Aufbau der Familie und ihr von Gott selbst erlassenes und bekräftigtes
Grundgesetz einfachhin umzukehren oder anzutasten, ist nie und nirgends
erlaubt.
Das Verhältnis zwischen Mann und Frau drückt Unser Vorgänger seligen
Angedenkens, Leo XIII., mit folgenden Worten tiefer Weisheit aus: »Der Mann ist
der Herr in der Familie und das Haupt der Frau. Sie aber, da sie Fleisch von
seinem Fleisch und Bein von seinem Bein ist, soll dem Mann untertan sein und
gehorchen, nicht nach Art einer Dienerin, sondern einer Gefährtin. Dann wird die
Leistung des Gehorsams weder ihrer Ehre noch ihrer Würde zu nahe treten. In dem
aber, der befiehlt, wie in der, die gehorcht, in ihm als dem Abbild Christi, in
ihr als dem der Kirche, soll die Gottesliebe Maß und Art von Amt und Pflicht
beider bestimmen.«33
Zusammenfassung
Das ist es, was in der Ehetreue enthalten ist: Einheit und Keuschheit, Liebe
und Gehorsam, der ehrt und adelt. Soviel Namen, soviel Segensquellen für die
Eheleute und den Ehestand, aus denen dauernder Friede, Würde und Glück der Ehe
in reichstem Maße zuströmen. Kein Wunder daher, daß die Treue immer unter die
vortrefflichsten und der Ehe eigentümlichsten Güter gerechnet worden ist.
4. Das Gut des Sakramentes
Die Fülle dieser Wohltaten erhält aber ihre Vollendung und Krönung durch
jenes Segensgut der christlichen Ehe, das Wir mit dem hl. Augustinus „Sakrament“
genannt haben. Es bezeichnet die Unauflöslichkeit des Ehebandes und die Erhebung
und Weihe des Ehevertrages durch Christus zu einem wirksamen Zeichen der
Gnade.
a) Die Unauflöslichkeit der Ehe
Was zunächst die Unauflöslichkeit des Ehebundes betrifft, so betont sie
Christus selbst mit den eindringlichen Worten: »Was Gott verbunden hat, soll der
Mensch nicht trennen.«34
Und weiter: »Ein jeder, der seine Gattin entläßt und eine andere heiratet,
begeht Ehebruch; und wer die vom Gatten Entlassene heiratet, begeht Ehebruch.«35
In die Unauflöslichkeit der Ehe verlegt der hl. Augustinus mit klaren Worten
das, was er das Gut des Sakramentes nennt: »Das Sakrament [besagt], daß die Ehe
nicht geschieden werde und der Geschiedene oder die Geschiedene, nicht einmal um
Nachkommenschaft zu erhalten, mit einem andern eine Verbindung eingehe.«36
Die unantastbare Festigkeit eignet jeder wahren Ehe, wenngleich nicht allen
im gleichen und höchsten Grade der Vollkommenheit. Denn das Wort des Herrn: »Was
Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen«37,
ist von der Ehe der Stammeltern, dem Ur- und Vorbild jeder zukünftigen Ehe
gesagt und muß folgerichtig von allen wahren Ehen ohne Ausnahme gelten. Mag also
auch vor Christus die unnahbare Strenge des paradiesischen Gesetzes so sehr
gemildert worden sein, daß Moses sogar dem auserwählten Volk Gottes wegen seiner
Herzenshärte erlauben durfte, aus bestimmten Gründen einen Scheidungsbrief
auszustellen, so hat jedenfalls Christus kraft seiner höchsten
Gesetzgebungsgewalt die zugestandene größere Freiheit widerrufen und das
paradiesische Grundgesetz in seiner vollen Unversehrtheit wiederhergestellt
durch jene nie zu vergessenden Worte: »Was Gott verbunden hat, soll der Mensch
nicht trennen.« Darum sagt Unser Vorgänger seligen Angedenkens, Pius VI., in
seinem Schreiben an den Bischof von Erlau sehr weise: »Daraus erhellt ganz klar,
daß die Ehe schon im Naturzustand, also lange bevor sie zur Würde eines
eigentlichen Sakramentes erhoben wurde, von Gott so gestaltet war, daß sie ein
unauflösliches Band auf Lebensdauer in sich begreift, ein Band, das
infolgedessen durch kein weltliches Gesetz gelöst werden kann. Mag sich daher
auch die sakramentale Natur von der Ehe trennen lassen, wie z.B. bei den Ehen
zwischen Ungetauften, so muß doch auch bei einer solchen Ehe, die eine wahre Ehe
ist, die Verbindung auf Lebenszeit bestehen bleiben und besteht tatsächlich.
Denn sie ist von Urbeginn nach göttlichem Recht derart mit der Ehe verwachsen,
daß sie keiner weltlichen Gewalt unterliegt. Das ist so wahr, daß immer, wenn
von Eheabschluß die Rede ist, entweder so abgeschlossen wird, daß tatsächlich
eine wahre Ehe besteht: dann begreift sie aber auch jene nach göttlichem Recht
mit jeder wahren Ehe verknüpfte Bindung auf Lebenszeit in sich; oder man muß
annehmen, daß ohne jene Bindung auf Lebenszeit abgeschlossen wird: dann liegt
auch keine Ehe vor, sondern eine unerlaubte, dem göttlichen Gesetz innerlich
widerstreitende Verbindung. Eine solche darf man natürlich nicht eingehen und
erst recht nicht beibehalten.«38
Die Festigkeit des Ehebandes scheint nun freilich Ausnahmen zuzulassen, wenn
auch nur in ganz seltenen Fällen, wie z.B. in gewissen Ehen, die nur Naturehen
zwischen Nichtgetauften sind, oder in Ehen unter Christen, die geschlossen, aber
noch nicht vollzogen sind. Diese Ausnahmen leiten jedoch ihre Gültigkeit nicht
von Menschenwillen oder von irgend einem rein menschlichen, sondern vom
göttlichen Recht her, dessen ausschließliche Hüterin und Deuterin die Kirche
ist. Aber keine derartige Vollmacht wäre je aus irgend einem Grund anwendbar auf
die christlich geschlossene und vollzogene Ehe. Denn wie in ihr das eheliche
Verhältnis voll und ganz zur Auswirkung kommt, so spiegelt sie auch die von Gott
gewollte und durch keines Menschen Autorität zu lockernde unbedingte Festigkeit
und Unauflöslichkeit wider.
Wenn Wir, ehrwürdige Brüder, den inneren Grund des sich hier offenbarenden
göttlichen Willens in Ehrfurcht erforschen wollen, so finden Wir ihn unschwer in
der übernatürlich geheimnisvollen Bedeutung, die der christlichen Ehe zukommt
und sich in ihr, der christlichen und auch vollzogenen Ehe, ganz und vollkommen
bewahrheitet. Denn nach dem Zeugnis des Apostels in seinem schon am Anfang
angedeuteten Brief an die Epheser39
ist die christliche Ehe ein Sinnbild der vollkommenen Einheit zwischen Christus
und der Kirche: »Dieses Sakrament ist groß, ich sage aber in Christus und seiner
Kirche.« Diese Einheit kann, solange Christus lebt und durch ihn seine Kirche,
niemals durch irgendeine Trennung gelöst werden. Das sagen auch ausdrücklich die
folgenden Worte des hl. Augustinus: »Das ist in Christus und der Kirche
sichergestellt, daß sie, lebend mit dem, der in Ewigkeit lebt, durch keine
Scheidung von ihm getrennt werden kann. Die Ehrfurcht vor diesem Geheimnis ist
im Reiche unseres Gottes, d.h. in der Kirche Christi ..., so groß, daß auch in
den Fällen, wo die Frauen nur der Nachkommenschaft wegen heiraten oder
geheiratet werden, es nicht erlaubt ist, die unfruchtbare Gattin zu verlassen,
um eine andere, fruchtbare, zu heiraten. Wenn das aber doch jemand tut, dann ist
er des Ehebruchs schuldig, nicht zwar nach irdischem Gesetz (das erlaubt ja nach
vollzogener Scheidung straflos eine neue Ehe; und der Herr sagt, daß es auch
Moses den Israeliten wegen ihrer Herzenshärte erlaubt habe), wohl aber nach dem
Gesetz Christi, wie auch sie des Ehebruchs schuldig ist, wenn sie eines anderen
Gattin wird.«40
Welch ein reicher Segen aus der Unauflöslichkeit der Ehe erfließt, kann
niemandem entgehen, der auch nur flüchtig an das Glück der Ehegatten und Kinder
sowie an das allgemeine Wohl der menschlichen Gesellschaft denkt. Zunächst
besitzen die Gatten in der Festigkeit des Ehebandes ein sicheres Unterpfand
dauerhafter und bleibender Lebensgemeinschaft, und ein solches verlangt
naturhaft und dringend die edelmütige Hingabe der eigenen Persönlichkeit und die
innige Verschmelzung der Herzen. Denn die Liebe kennt keine Grenzen und kein
Ende.41
Dann wird durch die Treue in der Keuschheit gegen innere und äußere Verlockungen
zur Untreue eine starke Schutzwehr errichtet. Der ängstlichen Besorgnis, daß der
Gatte vielleicht doch beim Hereinbrechen von Unglück oder im Alter weggehen
werde, ist damit Tür und Tor geschlossen und an ihre Stelle tritt die Ruhe des
sicheren Besitzes. Ferner ist für die Menschenwürde der Gatten und für die
Aufgabe gegenseitiger Hilfeleistung aufs beste Vorsorge getroffen; denn das
unauflösliche und lebenslängliche Eheband erinnert sie ununterbrochen daran, daß
sie sich nicht vergänglicher Dinge wegen oder um den Sinnen zu dienen, sondern
um sich gegenseitig zu höheren und unvergänglichen Gütern zu helfen, die Hand
zum Ehebund gereicht haben, zum Ehebund, den nur der Tod auflösen kann. Auch der
Schutz und die Erziehung der Kinder, die ja viele Jahre beanspruchen, sind so
aufs beste gewährleistet; denn mit vereinten Kräften können die Eltern die
drückende und langwierige Last ihres Elternamtes leichter tragen. Nicht minder
wertvoll sind die Segensgüter, die der ganzen menschlichen Gesellschaft aus der
unerschütterlichen Festigkeit der Ehe erwachsen. Sie ist, das weiß man aus
Erfahrung, eine überreiche Quelle ehrbaren Wandels und reiner Sitte. Wo ihr
Bestand gesichert ist, da steht es auch gut um das öffentliche Wohl des
Gemeinwesens. Denn der Staat ist so, wie die Familien und Einzelmenschen sind,
aus denen er wie der Körper aus den Gliedern zusammengesetzt ist. Wer also die
unantastbare Festigkeit der Ehe mit Entschiedenheit verteidigt, erwirbt sich um
das Glück der Ehegatten und Kinder im einzelnen wie um das allgemeine Wohl der
menschlichen Gesellschaft die größten Verdienste.
b) Die Ehe als Quelle der Gnade
Außer der unlösbaren Festigkeit enthält jedoch das Gut des Sakramentes noch
viel erhabenere, durch das Wort „Sakrament“ sehr treffend bezeichnete Werte. Den
Christen ist das Wort ja kein leerer Name: Christus der Herr, »der Stifter und
Vollender der Sakramente«, hat die Ehe seiner Gläubigen zu einem wahren und
eigentlichen Sakrament des Neuen Bundes erhoben und sie in Wirklichkeit zum
Zeichen und zur Quelle der besonderen inneren Gnade gemacht, durch die er »die
ihr innewohnende natürliche Liebe vervollkommnen, die untrennbare Einheit
festigen und die Gatten heiligen wollte.«42
Und weil Christus gerade den gültigen Ehevertrag zwischen Gläubigen zum
sakramentalen Gnadenzeichen bestimmt hat, ist das Wesen des Sakramentes mit der
christlichen Ehe so innig verbunden, daß es zwischen Getauften keine wahre Ehe
geben kann, »die nicht zugleich Sakrament wäre.«43
Die Gläubigen öffnen sich deshalb von selbst dadurch, daß sie sich
aufrichtigen Sinnes das Jawort geben, die Schatzkammer der sakramentalen Gnade,
um daraus die übernatürlichen Kräfte zu schöpfen, die sie befähigen, ihre
Pflichten und Aufgaben treu, heilig und beharrlich bis zum Tode zu erfüllen.
In denen, die dem Sakrament der Ehe kein sogenanntes Hindernis
entgegenstellen, vermehrt es nicht nur das bleibende Prinzip des übernatürlichen
Lebens, die heiligmachende Gnade, es verleiht überdies besondere Gaben, Antriebe
zum Guten und Gnadenkeime, es erhebt und vervollkommnet die natürlichen Kräfte,
so daß die Ehegatten die Aufgaben, Zwecke und Pflichten des Ehestandes nicht nur
verstandesmäßig, sondern ebenso innerlich in seelischer Erfahrung erfassen,
beharrlich festhalten, ernstlich wollen und im Werk vollbringen können. Das
Sakrament verleiht ihnen endlich das Recht auf wirksame Gnadenhilfe, so oft sie
deren zur Erfüllung ihrer Standespflichten bedürfen.
Nun gilt aber in der übernatürlichen Ordnung das Gesetz der göttlichen
Vorsehung, daß die Menschen aus den Sakramenten, die sie nach erlangtem Gebrauch
der Vernunft empfangen, die volle Frucht nur bei persönlichem Mitwirken mit der
Gnade schöpfen können. Die Ehegnade wird deshalb zu einem großen Teil ein
ungenütztes, im Acker vergrabenes Talent bleiben, wenn die Ehegatten nicht die
übernatürlichen Kräfte in die Tat umsetzen und die in sie gelegten Gnadenkeime
pflegen und zur Entfaltung bringen. Wenn sie aber tun, was an ihnen ist, und mit
der Gnade eifrig mitwirken, dann werden sie die ehelichen Lasten tragen, ihre
Ehepflichten erfüllen können und durch das erhabene Sakrament innerlich stark,
geheiligt und in gewissem Sinne übernatürlicher Weihe teilhaftig sein. Wie
nämlich nach der Lehre des hl. Augustinus der Mensch durch die Taufe und
Priesterweihe zu einem christlichen Leben und zu den priesterlichen
Amtshandlungen bestimmt und befähigt wird und ihm die sakramentale Hilfe nie
fehlt – in beinahe derselben Weise (wenn auch nicht auf Grund eines
sakramentalen Charakters) können die durch das Eheband vereinigten Gläubigen der
sakramentalen Hilfe und Bindung nie mehr verlustig gehen. Ja sogar nach dem
Ehebruch, so fügt der genannte heilige Kirchenlehrer bei, tragen sie noch jenes
heilige Band, jetzt freilich nicht mehr als Ehrenmal der Gnade, sondern als
Schandmal der schweren Verfehlung, »geradeso wie die abtrünnige Seele, die von
der bräutlichen Vereinigung mit Christus zurücktritt, auch nach dem Verlust des
Glaubens das sakramentale Merkmal nicht verliert, das sie im Bade der
Wiedergeburt empfangen hat.«44
Die Ehegatten aber mögen, durch das goldene sakramentale Band nicht
gefesselt, sondern geschmückt, nicht gehemmt, sondern gestärkt, mit allen
Kräften danach streben, daß ihre Ehe nicht nur durch die Kraft und den
geheimnisvollen Sinn des Sakramentes, sondern ebenso durch ihre Gesinnung und
ihr tugendhaftes Leben immer ein lebendiges Bild der überaus fruchtbaren
Verbindung Christi mit der Kirche sei und bleibe, jener Verbindung, die in
Wahrheit das verehrungswürdige Geheimnis der Vollendung der Liebe ist.
5. Abschließende Würdigung der Güter der Ehe
Wenn man dies alles, Ehrwürdige Brüder, aufmerksam und mit lebendigem Glauben
erwägt, wenn die hehren und erhabenen Güter der Ehe: Nachkommenschaft, Treue,
Sakrament, lichtvoll dargetan werden, dann muß jeder Gottes Weisheit, Heiligkeit
und Güte bewundern, des Gottes, der für die Würde und das Glück der Ehegatten
wie für die Erhaltung und Fortpflanzung des Menschengeschlechtes einzig und
allein mittels der reinen und heiligen Gemeinschaft des Ehebundes überreichlich
Sorge getragen hat.
II. Die Verkennung der göttlichen Institution
der Ehe
1. Die zahlreichen Methoden der Herabwürdigung der Ehe
Wenn Wir so, Ehrwürdige Brüder, die ganze Erhabenheit der reinen Ehe erwägen,
dann muß sich Unser Schmerz um so mehr steigern, als Wir sehen, wie diese
göttliche Einrichtung gegenwärtig der Verachtung und Erniedrigung preisgegeben
ist.
Nicht mehr bloß im Geheimen und Dunkeln, sondern vor aller Öffentlichkeit,
ohne jedes Schamgefühl, in Wort und Schrift, in Schauspielen jeder Art, in
Romanen, Liebesgeschichten und Satiren, in Kinodarstellungen, in
Rundfunkvorträgen, kurz, mit allen Erfindungen der Neuzeit wird die Heiligkeit
der Ehe in den Staub gezogen oder der Lächerlichkeit preisgegeben.
Ehescheidungen, Ehebruch und die schimpflichsten Laster werden verherrlicht oder
wenigstens in schillernden Farben dargestellt, als ob sie von jeglicher Schuld
und Schande frei wären. Es fehlt auch nicht an Büchern, die in Wirklichkeit
nicht selten nur den äußeren Schein der Wissenschaft haben, die man aber
ungescheut als wissenschaftlich anpreist, damit sie um so leichter Eingang
finden. Die darin vertretenen Lehren werden als die höchsten Errungenschaften
des modernen Geistes angepriesen, jenes Geistes, der, einzig auf die Wahrheit
bedacht, sich von allen angeblichen Vorurteilen der Alten frei gemacht habe und
der dann unter diese veralteten Anschauungen auch die ererbte christliche Lehre
von der Ehe rechnet und sie dahin verweist.
Diese Lehren träufeln sie allen Menschenklassen ein, Reichen und Armen,
Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Gebildeten und Ungebildeten, Ledigen und
Verheirateten, Gottesfürchtigen und Gotteshassern, Erwachsenen und Jugendlichen,
ja den Jugendlichen an erster Stelle; denn da sie sich in ihrer Unerfahrenheit
am leichtesten umgarnen lassen, werden gerade ihnen die verfänglichsten
Schlingen gelegt.
Zwar lassen sich nicht alle Vertreter der neuen Lehren zu den letzten
Folgerungen einer ungezügelten Leidenschaft fortreißen. Einige suchen gleichsam
auf halbem Weg stehen zu bleiben und meinen, nur in gewissen Punkten des
Gesetzes Gottes und der Natur müsse man der heutigen Zeit einige Zugeständnisse
machen. Aber auch sie sind, mehr oder weniger bewußt, Sendlinge jenes
unerbittlichen Feindes, der Unkraut unter den Weizen zu säen sucht.45
Wir, die der Hausvater zu Wächtern seines Ackers bestellt hat mit dem heiligen
und dringenden Auftrag, zu verhüten, daß der gute Same von giftigem Unkraut
erstickt werde, Wir glauben jene ernsten Worte vom Heiligen Geist an Uns
gerichtet, mit denen der Apostel Paulus seinen geliebten Jünger Timotheus
ermahnte: »Du aber sei wachsam ... Tue, was deines Amtes ist! ... Predige das
Wort, dringe darauf, es komme gelegen oder ungelegen, halte die Wahrheit vor,
beschwöre, strafe in aller Geduld und Unterweisung.«46
Um aber die Fallstricke des bösen Feindes meiden zu können, ist es zunächst
nötig und nützlich, sie den Harmlosen aufzudecken und aufzuweisen. Obwohl Wir
diese Dinge nicht einmal nennen möchten, wie es sich für die Heiligen geziemt47,
so können Wir sie doch um des Heiles und Nutzens der Seele willen nicht völlig
mit Schweigen übergehen.
2. Die Quelle des Irrtums: die Auffassung der Ehe als rein
menschlicher Institution
Beginnen Wir mit dem Ursprung dieser Übel. Ihre Hauptwurzel liegt darin, daß
man behauptet, die Ehe sei weder von dem Schöpfer der Natur eingesetzt noch von
Christus dem Herrn zur Würde eines wahren Sakramentes erhoben worden, sie sei
vielmehr eine Erfindung der Menschen. Nach der Aussage einiger findet sich in
der Natur und in ihren Gesetzen nichts von einer Ehe, sondern nur die Fähigkeit,
Leben zu geben, und der heftige Trieb, sie mit Befriedigung zu betätigen. Andere
geben zu, daß sich in der menschlichen Natur Ansätze und Keime zu einer wahren
Ehegemeinschaft finden, insofern als für die Würde der Gatten und den
natürlichen Zweck der Erzeugung und Erziehung der Nachkommenschaft nicht
genügend gesorgt wäre, wenn die Menschen nicht durch ein dauerndes Band
zusammengehalten würden. Aber auch sie lehren, daß die Ehe selbst, weil über
diese keimhafte Anlage hinausgehend, nur vom Menschengeist erdacht, nur durch
den Willen der Menschen eingeführt worden sei, wenn dabei auch mancherlei
Ursachen mitgewirkt haben mögen.
Wie sehr sie alle jedoch irren und wie schmachvoll sie von dem, was ehrbar
ist, abweichen, erhellt schon zur Genüge aus allem, was Wir über den Ursprung
und die Natur der Ehe, über deren Zweck und die ihr innewohnenden Güter in
diesem Schreiben auseinandergesetzt haben. Aber die ganze Verderblichkeit dieser
Truggebilde erhellt erst recht aus den Folgerungen, welche ihre eigenen
Vertreter daraus ziehen. Da die Gesetze, Einrichtungen und Vorschriften zur
Regelung des Ehelebens ausschließlich durch den Willen des Menschen geschaffen
sind, sollen sie auch ihm allein unterstehen und können und müssen deshalb, nach
menschlichem Belieben und je nach den Zeitverhältnissen gegeben, geändert oder
ganz abgeschafft werden. Der Geschlechtstrieb aber, weil auf der Natur selbst
beruhend, sei etwas Unantastbares und erstrecke sich über die Ehe hinaus. Er
könne darum innerhalb und außerhalb der Ehegemeinschaft, auch ohne Rücksicht auf
die Ehezwecke, ausgeübt werden, gerade als ob die schimpfliche Ausschweifung der
Dirne fast gleichberechtigt wäre mit der keuschen Mutterschaft der rechtmäßigen
Gattin.
Aus diesen Gedanken heraus sind einige darauf verfallen, neue Verbindungen
auszudenken, die ihrer Meinung nach den heutigen Zeitverhältnissen besser
entsprechen und die sie als ebenso viele neue Ehearten betrachtet wissen wollen;
einige wollen eine „Zeitehe“, andere eine „Versuchsehe“, andere die
„Kameradschaftsehe“, der sie alle Rechte und Freiheiten der Ehe zuerkennen,
jedoch ohne unauflösliche Verbindung und mit Ausschluß von Nachkommenschaft, es
sei denn, daß beide Teile ihre Lebensgemeinschaft in eine vollberechtigte Ehe
umwandeln.
Es fehlt sogar nicht an solchen, die mit aller Macht auf gesetzliche
Anerkennung ihrer Wahngebilde oder wenigstens auf Berücksichtigung in den
staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen drängen. Dabei kommt ihnen
nicht einmal der Gedanke, daß all dies nichts gemein hat mit moderner Kultur,
deren sie sich so gerne rühmen, sondern nichts als verwerflichste
Sittenverderbnis ist, die auch ein Kulturvolk zu den barbarischen Sitten und
Gebräuchen gewisser wilder Völker zurückführen würde.
3. Die Verkennung der Ehe im Hinblick auf die Güter der Ehe
im einzelnen
a) Die Mißkennung des ersten Gutes, des Kindes
Der Ehemißbrauch
Aber treten Wir nunmehr, Ehrwürdige Brüder, an die Einzelheiten heran, mit
denen man gegen die Güter der Ehe angeht. Das erste dieser Güter ist das Kind.
Viele gehen so weit, die Nachkommenschaft eine beschwerliche Ehelast zu nennen
und den Rat zu geben, die Eheleute sollten das Kind nicht durch ehrbare
Enthaltsamkeit (die mit beiderseitigem Einverständnis auch in der Ehe erlaubt
ist), sondern durch Verkehrung des natürlichen Aktes fernhalten. Solche
verbrecherische Freiheit nehmen einige für sich in Anspruch, weil sie aus
Widerwillen gegen den Kindersegen die Last vermeiden, aber trotzdem die Lust
genießen wollen; andere, weil sie angeblich keine Enthaltsamkeit beobachten,
aber auch nicht den Kindersegen zulassen können, da es ihre persönlichen
Verhältnisse oder die der Mutter oder die schwierige Vermögenslage nicht
gestatten.
Aber es gibt keinen auch noch so schwerwiegenden Grund, der etwas innerlich
Naturwidriges zu etwas Naturgemäßem und sittlich Gutem machen könnte. Da nun
aber der eheliche Akt seiner Natur nach zur Weckung neuen Lebens bestimmt ist,
so handeln jene, die ihn bei seinem Vollzug absichtlich seiner natürlichen Kraft
berauben, naturwidrig und tun etwas Schimpfliches und innerlich
Unsittliches.
Es ist darum auch nicht zu verwundern, daß die Hl. Schrift bezeugt, die
göttliche Majestät hasse und verabscheue solch verwerfliches Tun, ja habe es
sogar schon mit dem Tode bestraft. Darauf macht auch der hl. Augustinus
aufmerksam, wenn er schreibt: »Unerlaubt und unsittlich ist der eheliche Verkehr
selbst mit der rechtmäßigen Gattin, wenn dabei die Weckung neuen Lebens verhütet
wird. Das hat Onan, des Judas Sohn, getan, und darum hat ihn Gott getötet.«48
Da nun noch vor kurzem einige in offenkundiger Abweichung von der in
ununterbrochener Folge von Anfang an überlieferten christlichen Lehre geglaubt
haben, amtlich und feierlich über solches Tun anders lehren zu sollen, erhebt
die katholische Kirche, von Gott selbst zur Lehrerin und Wächterin der
Unversehrtheit und Ehrbarkeit der Sitten bestellt, inmitten dieses
Sittenverfalls, zum Zeichen ihrer göttlichen Sendung, um die Reinheit des
Ehebundes von solch schimpflicher Makel unversehrt zu bewahren, durch Unseren
Mund laut ihre Stimme und verkündet von neuem: Jeder Gebrauch der Ehe, bei
dessen Vollzug der Akt durch die Willkür der Menschen seiner natürlichen Kraft
zur Weckung neuen Lebens beraubt wird, verstößt gegen das Gesetz Gottes und der
Natur, und die solches tun, beflecken ihr Gewissen mit schwerer Schuld.
Kraft Unserer höchsten Autorität und wegen der Uns obliegenden Sorge um das
Heil aller Menschen ermahnen wir daher die Beichtväter und die übrigen
Seelsorger, die ihnen anvertrauten Gläubigen über dieses schwer verpflichtende
göttliche Gesetz nicht im Irrtum zu lassen, noch mehr aber, sich selber von
derartigen falschen Meinungen freizuhalten und ihnen nicht aus Schwäche
nachzugeben. Sollte aber ein Beichtvater oder Seelenhirte, was Gott verhüte,
selber die ihm anvertrauten Gläubigen in solche Irrtümer führen oder durch seine
Zustimmung oder durch böswilliges Schweigen sie darin bestärken, so möge er
wissen, daß er dereinst Gott, dem höchsten Richter, ernste Rechenschaft über den
Mißbrauch seines Amtes wird ablegen müssen. Er möge sich das Wort Christi gesagt
sein lassen: »Blinde sind sie und Führer von Blinden. Wenn aber ein Blinder
einen Blinden führt, fallen beide in die Grube.«49
Was nun die Gründe betrifft, mit denen man den Ehemißbrauch verteidigt, so
werden – um von den unsittlichen ganz zu schweigen – nicht selten erdichtete
oder doch übertriebene vorgebracht. Nichtsdestoweniger kennt die heilige Mutter,
die Kirche, nur zu gut die wirklichen Gefahren für Gesundheit und Leben der
Mutter und fühlt sie tief mit. Wer könnte sie ohne inniges Mitleid überdenken?
Wer wird nicht von der höchsten Bewunderung ergriffen, wenn er sieht, wie eine
Mutter in wahrem Heldenmut sich dem fast sicheren Tode aussetzt, um dem Kind,
das sie unter dem Herzen trägt, das Leben zu erhalten? Was sie alles auf sich
nimmt, um allen ihren Mutterpflichten gerecht zu werden, das kann ihr allein der
reiche und erbarmungsvolle Gott vergelten und er wird ihr ihren Lohn sicherlich
nicht nur in vollem, sondern in überfließendem Maße zukommen lassen.50
Die heilige Kirche weiß ferner sehr gut, daß nicht selten der eine Eheteil
das sündige Tun nur leidet, nicht vollbringt, indem er aus gewichtigen Gründen
die Verkehrung der rechten Ordnung geschehen läßt, ohne sie selber zu wollen,
und daß er darum keine Schuld auf sich lädt, wofern er nur des Gebotes der Liebe
eingedenk bleibt und es nicht unterläßt, dem Ehegefährten von der Sünde
abzuraten und ihn davon zurückzuhalten. Auch jene Eheleute handeln nicht wider
die Natur, die in ganz natürlicher Weise von ihrem Recht Gebrauch machen, obwohl
aus ihrem Tun infolge natürlicher Umstände, seien es bestimmte Zeiten oder
gewisse Mängel der Anlage, neues Leben nicht entstehen kann. Denn es gibt in der
Ehe selbst wie in dem Gebrauch des Eherechts auch Zwecke zweiter Ordnung: die
wechselseitige Hilfe, die Betätigung der ehelichen Liebe und die Regelung des
natürlichen Verlangens, Zwecke, die anzustreben den Ehegatten keineswegs
untersagt ist, vorausgesetzt, daß die Natur des Aktes und damit seine
Unterordnung unter das Hauptziel nicht angetastet wird.
Tief erschüttern Uns auch die Klagen der Eheleute, die unter dem Druck
bitterer Armut kaum wissen, wie sie ihre Kinder aufziehen sollen.
Aber trotzdem muß man sich davor hüten, daß die verhängnisvolle Vermögenslage
Anlaß zu einem noch verhängnisvolleren Irrtum wird. Es kann keine
Schwierigkeiten geben, die die Verpflichtung des göttlichen Gebotes, Handlungen
zu unterlassen, die ihrer inneren Natur nach sündhaft sind, aufzuheben
vermöchten. Es sind keine Verhältnisse denkbar, unter denen die Gatten nicht mit
Hilfe der göttlichen Gnade ihrer Pflicht treu bleiben und die eheliche
Keuschheit von jener entehrenden Makel rein bewahren könnten. Denn fest bleibt
die Wahrheit des christlichen Glaubens, die das Trienter Konzil in seiner
Lehrentscheidung also ausgedrückt hat: »Niemand darf sich des verwegenen und von
den Vätern unter der Strafe des Bannes verbotenen Wortes bedienen: die Gebote
Gottes zu beobachten, sei dem Gerechtfertigten unmöglich. Denn Gott befiehlt
nichts Unmögliches; indem er befiehlt, mahnt er zu tun, was du tun kannst, und
um das zu bitten, was du nicht kannst, und er hilft, daß du kannst.«51
Die gleiche Lehre wurde von der Kirche wiederholt und feierlich bestätigt
gelegentlich der Verurteilung der jansenistischen Irrlehre, die sich gegen
Gottes Güte den blasphemischen Satz aufzustellen erdreistet hatte: »Einige
Gebote Gottes sind den Gerechten, auch denen, die ernstlich wollen und
versuchen, mit den Kräften, die sie gegenwärtig haben, unmöglich; es fehlt ihnen
auch die Gnade, durch die sie ihnen möglich würden.«52
Die Abtreibung
Aber noch ein anderes schweres Vergehen, Ehrwürdige Brüder, ist zu erwähnen,
das das Leben des Kindes im Mutterschoße bedroht. Es anzutasten soll nach den
einen erlaubt sein, wenn es Vater und Mutter so gefällt. Andere halten dies für
unerlaubt, falls nicht schwerwiegende Gründe hinzukommen, die sie mit den Namen
„medizinische“, „soziale“ und „eugenische Indikation“ bezeichnen. In bezug auf
die staatlichen Strafgesetze, wodurch die Tötung des Ungeborenen verboten wird,
verlangen alle diese Richtungen, daß die Strafgesetze die von ihnen vertretene
Indikation (nicht alle vertreten die gleiche) anerkennen und für straflos
erklären. Einige stellen sogar die Forderung, die öffentlichen Behörden sollten
zu diesen tödlichen Operationen ihre hilfreiche Hand bieten, was
verschiedenenorts, wie allgemein bekannt, nur zu oft geschieht.
Bezüglich der sogenannten „medizinischen und therapeutischen Indikation“
haben Wir schon erklärt, Ehrwürdige Brüder, wie sehr Wir es mitempfinden, daß
mancher Mutter aus der Erfüllung ihrer Mutterpflichten große Gefahren für die
Gesundheit oder gar das Leben entstehen. Aber was für ein Grund vermöchte jemals
auszureichen, um die direkte Tötung eines Unschuldigen zu rechtfertigen? Denn
darum handelt es sich hier. Mag man nun die Mutter oder das Kind töten, es ist
gegen Gottes Gebot und die Stimme der Natur: »Du sollst nicht töten!«53
Gleich heilig ist beider Leben, das zu vernichten selbst die Staatsgewalt keine
Befugnis hat. Ganz zu Unrecht wird diese Befugnis gegen Unschuldige aus dem
Recht der Gewalt über Leben und Tod gefolgert, die doch nur Schuldigen gegenüber
Geltung hat. Auch das Recht der gewaltsamen Verteidigung gegen einen ungerechten
Angreifer kommt hier nicht in Frage. (Wer wollte wohl ein unschuldiges Kind
einen ungerechten Angreifer nennen?) Und ein „Notstandsrecht“, das bis zur
direkten Tötung eines Schuldlosen reichte, gibt es nicht. Daß sich um beider
Leben, das der Mutter wie das des Kindes, gewissenhafte und erfahrene Ärzte
bemühen, verdient alles Lob und alle Anerkennung; dagegen würde sich des edlen
Namens und Lobes eines Arztes unwürdig erweisen, wer unter dem Vorwand,
Heilmaßnahmen zu treffen, oder aus falsch verstandenem Mitleid auf den Tod des
einen von beiden abzielte.
Diese Ausführungen stehen in Übereinstimmung mit den ernsten Vorwürfen, die
der Bischof von Hippo gegen entartete Gatten richtete, die die Empfängnis zu
verhüten suchen und, wenn ihnen das mißlingt, sich nicht scheuen, in sündhaftem
Tun die Frucht zu töten: »Zuweilen«, so sagt er, »gehen Leidenschaft und
Grausamkeit so weit, daß sie mit Gifttränken die Unfruchtbarkeit herbeizuführen
suchen und, wenn sie keinen Erfolg haben, auf irgend eine Weise die Frucht im
Mutterschoße vernichten und entfernen. Ihr Streben geht also dahin, die Frucht
zu vernichten, bevor sie noch zu leben beginnt, oder, wenn sie im Mutterschoße
schon lebte, sie zu töten, bevor sie geboren wird. Wenn beide Gatten so geartet
sind, sind sie in Wirklichkeit keine Gatten; und wenn sie von Anfang so geartet
waren, dann kamen sie nicht zur Ehe, sondern zur Unzucht zusammen. Sind aber
nicht beide so, dann wage ich zu behaupten: entweder ist sie die Buhlerin des
Gatten, oder er ist der Buhle der Gattin.«54
Der „sozialen und eugenischen Indikation“ sodann kann und soll mit erlaubten,
sittlich einwandfreien Mitteln und innerhalb der rechten Grenzen Rechnung
getragen werden; aber den Notständen, auf denen diese Indikationen aufbauen,
durch Tötung Unschuldiger abhelfen zu wollen, ist töricht und dem Gebot Gottes
zuwider, das der Apostel in die Worte kleidet: »Man darf nicht Böses tun, um
damit Gutes zu stiften.«55
Die Staatenlenker und Gesetzgeber endlich dürfen nicht vergessen, daß es
Sache der staatlichen Autorität ist, durch zweckmäßige Gesetze und Strafen das
Leben der Unschuldigen zu schützen, und zwar um so mehr, je weniger das
gefährdete Leben sich selber schützen kann. Und hier stehen doch an erster
Stelle die Kinder, die die Mutter noch unter dem Herzen trägt. Sollte jedoch die
öffentliche Gewalt diesen Kleinen nicht allein den Schutz versagen, sie vielmehr
durch ihre Gesetze und Verordnungen den Händen der Ärzte und anderer zur Tötung
überlassen oder ausliefern, dann möge sie sich erinnern, daß Gott der Richter
und Rächer unschuldigen Blutes ist, das von der Erde zum Himmel schreit.56
Die Frage der Eugenik
Zu verwerfen sind zum Schluß noch jene bedenklichen Bestrebungen, die zwar
zunächst das natürliche Recht des Menschen auf die Ehe, tatsächlich aber unter
gewisser Rücksicht auch das Gut der Nachkommenschaft angehen. Es finden sich
nämlich solche, die in übertriebener Sorge um die „eugenischen“ Zwecke nicht nur
heilsame Ratschläge zur Erzielung einer starken und gesunden Nachkommenschaft
geben – was der gesunden Vernunft durchaus nicht zuwider ist –, sondern dem
„eugenischen“ Zweck den Vorzug vor allen andern, selbst denen einer höheren
Ordnung geben. Sie möchten daher von Staats wegen alle von der Ehe ausschließen,
von denen nach den Gesetzen und Mutmaßungen ihrer Wissenschaft infolge von
Vererbungen nur eine minderwertige Nachkommenschaft zu erwarten ist, auch wenn
sie zur Eingehung einer Ehe an sich tauglich sind. Ja sie gehen so weit, solche
von Gesetzes wegen, auch gegen ihren Willen, durch ärztlichen Eingriff jener
natürlichen Fähigkeit berauben zu lassen, und zwar nicht als Körperstrafe für
begangene Verbrechen, noch auch um künftigen Vergehen solcher Schuldiger
vorzubeugen, sondern indem sie gegen alles Recht und alle Gerechtigkeit für die
weltliche Obrigkeit eine Gewalt in Anspruch nehmen, die sie nie gehabt hat und
rechtmäßigerweise überhaupt nicht haben kann.
Sie vergessen zu Unrecht, daß die Familie höher steht als der Staat und daß
die Menschen nicht an erster Stelle für die Zeit und die Erde, sondern für den
Himmel und die Ewigkeit geboren werden. Und in der Tat, es ist nicht recht,
Menschen, die an sich zur Eingehung einer Ehe fähig sind, aber trotz
gewissenhaftester Sorge voraussichtlich nur einer minderwertigen
Nachkommenschaft das Leben geben können, schon deshalb einer schweren Schuld zu
zeihen, falls sie in die Ehe treten, wenn ihnen auch oft die Ehe zu widerraten
ist.
Was nun die Obrigkeit angeht, so hat sie über die körperlichen Organe ihrer
Untertanen keine direkte Gewalt. Wo keine Schuld und damit keine Ursache für
körperliche Bestrafung vorliegt, kann sie die Unversehrtheit des Leibes weder
aus eugenischen noch aus irgendwelchen Gründen direkt verletzen oder antasten.
Das ist auch die Lehre des hl. Thomas von Aquin, der bei Erörterung der Frage,
ob der weltliche Richter zur Verhütung künftiger Schäden einem Menschen Übel
zufügen könne, dies zwar für gewisse Sicherungsmaßnahmen zugibt, es aber mit Fug
und Recht für jede Art von Körperverletzung verneint. »Niemals«, so sagt er,
»darf ein Schuldloser durch ein menschliches Gericht mit Körperstrafe belegt
werden, die in Tötung oder Verstümmelung oder Züchtigung besteht.«57
Der einzelne aber hat über die Glieder seines Leibes kein anderes
Verfügungsrecht, als daß er sie ihrem natürlichen Zweck entsprechend gebrauchen
kann. Er darf sie daher weder vernichten noch verstümmeln, noch auf irgend eine
andere Weise sich zu ihren natürlichen Funktionen untauglich machen, außer wenn
sonst für das Wohl des ganzen Körpers nicht gesorgt werden kann. So sagt es die
christliche Sittenlehre und das gleiche steht schon aus der Vernunft fest.
b) Die Mißkennung des Gutes der Treue
Die dreifache Verletzung dieses Gutes
Gehen Wir über zu einer zweiten Gruppe von Irrtümern, die sich auf die
eheliche Treue beziehen. Jede Sünde gegen die Nachkommenschaft ist in gewissem
Sinne auch eine Verfehlung gegen die eheliche Treue, da das eine Gut der Ehe mit
den andern verkettet ist. Aber davon abgesehen sind so viele Arten besonderer
Irrtümer und Verfehlungen gegen die Ehetreue aufzuzählen, als diese Treue
Tugenden des häuslichen Lebens umfaßt: die treu gehaltene eheliche Keuschheit
jedes Gatten, die ehrenvolle Unterordnung der Frau unter den Mann, die
unwandelbare und aufrichtige gegenseitige Liebe.
Der Ehebruch
Die Treue tasten zunächst jene an, die die Meinung vertreten, man müsse den
Zeitanschauungen über gewisse falsche und durchaus nicht harmlose Freundschaften
mit dritten Personen in etwa Rechnung tragen. Sie verfechten die Ansicht, man
müsse den Ehegatten hier nach außen eine größere Denk- und Bewegungsfreiheit
zugestehen, und das um so mehr, als nicht wenige von Natur eine so starke
Triebveranlagung hätten, daß sie sie innerhalb der engen Schranken der Einehe
nicht befriedigen könnten. Daher halten sie die strenge Anschauung ehrbarer
Gatten, die jede der Leidenschaft entspringende Zuneigung und Handlung mit einer
dritten Person verurteilt und zurückweist, für eine rückständige Enge des
Geistes und Herzens oder sehen in ihr unwürdige und verächtliche Eifersucht. Und
darum wollen sie auch, daß alle staatlichen Strafgesetze über die Wahrung der
ehelichen Treue wirkungslos seien bzw. für wirkungslos erklärt werden.
Edelgesinnte und keusche Gatten werden schon aus dem unmittelbaren
natürlichen Empfinden heraus all diese Dinge als eitel und schimpflich
zurückweisen und verachten. Und die Stimme der Natur erhält hier volle
Bestätigung und Bekräftigung durch das Gottesgebot: »Du sollst nicht
ehebrechen!«58
und durch das Wort Christi: »Wer immer ein Weib anblickt, um ihrer zu begehren,
der hat schon in seinem Herzen die Ehe mit ihr gebrochen.«59
Keine menschlichen Gepflogenheiten, keine verkehrten Beispiele, keine Art
angeblichen menschlichen Fortschritts können jemals die Verpflichtung dieses
Gottesgebotes entkräften. Denn gleichwie ein und derselbe »Jesus Christus
gestern, heute und in alle Ewigkeit«60,
so bleibt auch Christi Lehre immer die gleiche, »kein Jota von ihr wird
vergehen, bis alles geschieht.«61
Die sogenannte Frauenemanzipation
Alle diese nun, die so den Glanz der ehelichen Treue und Keuschheit zu
verdunkeln trachten, sind es auch, die als Lehrer des Irrtums den treuen und
ehrenvollen Gehorsam der Frau gegen den Mann gern erschüttern möchten. Einige
Verwegene gehen noch weiter und bezeichnen diesen Gehorsam als eine
entwürdigende Versklavung des einen Eheteils durch den andern. Beide Gatten,
sagen sie, besäßen völlig gleiche Rechte. Da diese Ebenbürtigkeit durch die
Sklaverei des einen Teiles verletzt werde, so rühmen sie sich stolz, eine
Befreiung der Frau vollzogen zu haben, oder fordern, daß sie in Bälde vollzogen
werde. Je nachdem es sich bei dieser Befreiung um die Leitung der häuslichen
Gemeinschaft oder die Vermögensverwaltung oder die Verhütung bzw. Tötung neuen
Lebens handelt, unterscheiden sie eine dreifache Emanzipation: eine soziale,
wirtschaftliche, physiologische. Die physiologische Emanzipation verstehen sie
dahin, daß es der Frau völlig frei stehen soll, die mit dem Beruf der Gattin und
Mutter verknüpften natürlichen Lasten von sich fernzuhalten (daß dies keine
Befreiung, sondern ein ruchloser Frevel ist, haben Wir schon zur Genüge
dargelegt). Die wirtschaftliche Emanzipation soll der Frau das Recht bringen,
ohne Vorwissen und gegen den Willen des Mannes ihr eigenes Gewerbe zu haben,
ihre Angelegenheiten und Geschäfte selbst zu betreiben, selbst die Verwaltung in
Händen zu halten, gleichgültig, was dabei aus Kindern, Gatten und der ganzen
Familie wird. Die soziale Emanzipation endlich will die Frau dem engen Kreis der
häuslichen Pflichten und Sorgen für Kinder und Familie entheben, um sie
freizumachen für ihre angeborenen Neigungen, damit sie sich anderen Berufen und
Ämtern, auch solchen des öffentlichen Lebens widmen kann.
Aber das ist keine wirkliche Befreiung der Frau; sie enthält nicht jene der
Vernunft entsprechende und gebührende Freiheit, wie sie die hehre Aufgabe der
Frau und Gattin fordert. Sie ist eher eine Entartung des weiblichen Empfindens
und der Mutterwürde, eine Umkehrung der ganzen Familienordnung, so daß der Gatte
der Gattin, die Kinder der Mutter, die ganze Familie und Hausgemeinschaft der
stets wachsamen Hüterin und Wächterin beraubt werden. Diese falsche Freiheit und
unnatürliche Gleichstellung mit dem Manne wird sich zum eigenen Verderben der
Frau auswirken; denn wenn sie einmal von der Höhe und dem Thron herabsteigt, zu
dem sie innerhalb der Familie durch das Evangelium erhoben wurde, wird sie bald
(vielleicht weniger dem äußeren Schein nach, wohl aber in Wirklichkeit) in die
frühere Sklavenstellung zurückgedrängt und wie im Heidentum zu einem bloßen
Werkzeug des Mannes werden.
Jene Rechtsgleichheit aber, die hier in so übertriebener Weise beansprucht
wird, besteht hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte und der Menschenwürde und
in dem, was dem Vertrag entspringt und der Ehe eigentümlich ist; hierin erfreuen
sich in der Tat beide Gatten gleicher Rechte und haben gleiche Pflichten, in den
übrigen Dingen aber muß eine gewisse Ungleichheit und Abstufung herrschen, wie
sie das Familienwohl und die notwendige Einheit und Festigkeit der häuslichen
Gemeinschaft und Ordnung fordern.
Sollte jedoch in einem Lande die soziale und wirtschaftliche Lage der
verheirateten Frau wegen der gewandelten Kulturverhältnisse eine Abänderung
benötigen, so ist es Aufgabe der Staatsgewalt, die bürgerlichen Rechte der
Gattin den Bedürfnissen und Forderungen der Jetztzeit anzupassen unter
Berücksichtigung der Eigenart der weiblichen Natur, der Sittlichkeit und
Ehrbarkeit und des Gemeinwohls der Familie; nur muß die wesentliche Ordnung der
Hausgemeinschaft unangetastet bleiben, da sie durch eine höhere als die
menschliche, nämlich die göttliche Autorität und Weisheit festgesetzt ist und
darum keiner Änderung durch Staatsgesetze oder durch das Gutdünken der einzelnen
unterliegen kann.
Die Ersetzung der sittlich geformten Liebe durch die
„Sympathie“
Die heutigen Feinde der Ehe gehen noch einen Schritt weiter. An Stelle der
echten und wahren Liebe, die das Fundament des Eheglücks und der innigsten
Seelengemeinschaft ist, setzen sie eine mehr triebhafte Übereinstimmung und
Zuneigung, die sie Sympathie nennen. Hört sie auf, so lockere sich, wie sie
behaupten, das Band, durch das allein die Gatten miteinander verbunden sind; ja
es werde völlig gelöst. Was heißt das anders, als ein Haus auf Sand bauen, das
nach dem Worte Christi beim ersten Ansturm der Wogen des Unglücks sofort ins
Wanken gerät und einstürzt? »Und es bliesen die Winde und stürmten wider jenes
Haus, es brach zusammen und sein Fall war groß.«62
Das Haus hingegen, das auf den Felsen der echten gegenseitigen Liebe der Gatten
gebaut ist, einer Liebe, die durch die klar gewollte und dauernde Eintracht der
Seelen gefestigt wird, kann durch kein Unglück erschüttert oder auch nur
schadhaft werden.
c) Die Mißkennung der Ehe als Sakrament
Die Leugnung des religiösen Charakters der Ehe
Bis hierhin, Ehrwürdige Brüder, galt Unsere Verteidigung den beiden ersten
Gütern der christlichen Ehe, denen die heutigen Umstürzler der
Gesellschaftsordnung nachstellen. Da aber das dritte Gut, das des Sakramentes,
die anderen übertrifft, darf es nicht wundernehmen, wenn die Feinde dieses Gut
noch viel heftiger bekämpfen. Zunächst lehren sie, die Ehe sei eine rein
weltliche und bürgerliche Angelegenheit, die keineswegs der
Religionsgemeinschaft, der Kirche Christi, sondern ausschließlich der
staatlichen Gesellschaft zu unterstellen sei. Ferner wollen sie den Ehebund von
jedem unlösbaren Bande befreit wissen; es soll die Trennung oder Scheidung der
Gatten nicht geduldet, sondern auch gesetzlich gutgeheißen werden. Infolgedessen
wird es dahin kommen, daß die Ehe ihres heiligen Charakters entkleidet und zu
den rein weltlichen und bürgerlichen Dingen gerechnet wird.
Als erstes stellen sie also auf, der bürgerliche Akt sei als der eigentliche
Ehevertrag anzusehen (sie nennen das die Zivilehe); der religiöse Akt hingegen
solle eine bloße Zutat sein, die man höchstens dem abergläubischen Volke
gestatten könne. Ferner soll es den Katholiken freistehen, anstandslos Mischehen
mit Nichtkatholiken einzugehen ohne Rücksicht auf die Religionsvorschriften und
ohne vorherige Erlaubnis der kirchlichen Obrigkeit. Das zweite betrifft die
völlige Ehescheidung: sie wird gerechtfertigt, und Staatsgesetze, die die Lösung
des Ehebandes begünstigen, werden gelobt und empfohlen.
Da der religiöse Charakter jeder Ehe und vor allem des christlichen
Ehesakraments in dem Rundschreiben Leos XIII., das Wir mehrfach erwähnt und Uns
ausdrücklich zu eigen gemacht haben, ausführlich behandelt und begründet wird,
so verweisen Wir hier darauf und wollen nur einige wenige Punkte
wiederholen.
Schon das Licht der bloßen Vernunft, die Geschichtsquellen des Altertums, die
stete Überzeugung der Menschheit, die Sitten und Gebräuche aller Völker bekunden
zur Genüge, daß sogar der Naturehe ein gewisser heiliger und religiöser
Charakter eignet, »nicht als etwas von außen an sie Herangebrachtes, sondern ihr
Angeborenes, nicht als etwas durch Menschenwillkür Angenommenes, sondern von der
Natur Hineingelegtes, weil die Ehe Gott zum Urheber hat und von Anfang an eine
Andeutung der Menschwerdung des göttlichen Wortes war.«63
Der geheiligte Charakter der Ehe, der mit der Religion und der Ordnung des
Heiligen in innigem Zusammenhang steht, ergibt sich: aus ihrem göttlichen
Ursprung, den Wir oben bereits erwähnt haben; dann aus ihrem Zweck, Kindern für
Gott das Leben zu schenken und sie für Gott zu erziehen sowie die Gatten auf dem
Wege christlicher Liebe und gegenseitiger Hilfe zu Gott zu führen; endlich aus
der Betätigung der ehelichen Naturaufgabe, die nach der Absicht Gottes, des
Schöpfers, Mittel zur Weitergabe des Lebens sein soll, so daß die Eltern
sozusagen als Gehilfen in den Dienst der Allmacht Gottes treten. Dazu kommt die
neue Würde, die die Ehe durch das Sakrament erhält. Sie erhebt die christliche
Ehe zum höchsten Adel und verleiht ihr eine Auszeichnung, daß sie dem Apostel
als ein »großes und überaus verehrungswürdiges Geheimnis« erschien.64
Der religiöse Charakter der Ehe, ihre erhabene Bedeutung als Abbild der
gnadenvollen Vereinigung zwischen Christus und der Kirche verlangt von den
Brautleuten eine heilige Ehrfurcht vor dem christlichen Ehestand und ein
heiliges und eifriges Streben, ihre eigene Ehe, die sie eingehen wollen,
möglichst nahe an das Vorbild Christi und der Kirche heranzubringen.
Die Mischehe
Schwer und oft nicht ohne Gefahr für ihr ewiges Heil fehlen hierin jene, die
leichtsinnig eine Mischehe eingehen, von der die mütterliche Liebe und Vorsicht
der Kirche ihre Kinder aus den gewichtigsten Gründen abhält. Das zeigt sich an
der großen Zahl von Äußerungen, die in dem Kanon des kirchlichen Rechtsbuches
zusammengefaßt sind, der bestimmt: »Aufs strengste verbietet die Kirche die
Eingehung einer Ehe zwischen zwei Getauften, von denen der eine katholisch, der
andere irrgläubig oder schismatisch ist. Falls bei einer solchen Ehe die Gefahr
des Abfalls für den katholischen Eheteil und die Nachkommenschaft besteht, ist
sie auch durch göttliches Gesetz verboten.«65
Wenn auch die Kirche zuweilen mit Rücksicht auf die Zeiten, Verhältnisse und
Personen eine Dispens von diesen strengen Vorschriften nicht verweigert
(unbeschadet jedoch des göttlichen Rechts, und unter möglichstem Ausschluß einer
Gefahr des Abfalls durch Aufstellen geeigneter Sicherungen), so läßt sich doch
nur schwer ein ernster Schaden des katholischen Teiles aus solcher Ehe
vermeiden.
Nicht selten kommt es bei Mischehen dazu, daß sich die Kinder in
beklagenswerter Weise von der Religion abwenden oder wenigstens, und zwar
überraschend schnell, dem sogenannten religiösen Indifferentismus verfallen, der
der Religionslosigkeit und völligen Gottentfremdung sehr nahesteht. Außerdem
gestaltet sich in den Mischehen jene lebendige Harmonie der Seelen viel
schwieriger, die das erwähnte große Geheimnis, die geheimnisvolle Verbindung der
Kirche mit Christus nachahmt.
Nur zu leicht wird auch die Einheit und Einigkeit der Herzen versagen, die,
wie sie Kennzeichen und Merkmal der Kirche Christi sind, so auch Kennzeichen,
Zierde und Schmuck der christlichen Ehe sein sollen. Denn das Band, das die
Herzen aneinander fügt, löst sich ganz oder lockert sich wenigstens, wenn in dem
Letzten und Höchsten, was dem Menschen heilig ist, nämlich in den religiösen
Wahrheiten und Anschauungen, sich Ungleichheit der Ansichten und Verschiedenheit
der Bestrebungen geltend machen. Daraus entsteht die Gefahr, daß die Liebe
zwischen den Gatten erkaltet, der häusliche Friede und das Familienglück
erschüttert werden, die ja in erster Linie aus der Herzenseinheit hervorwachsen.
Denn wie schon vor vielen Jahrhunderten das alte römische Recht gesagt hat, »ist
die Ehe die Vereinigung von Mann und Frau, völlige Lebensgemeinschaft und
Gemeinschaft göttlichen wie menschlichen Rechts.«66
Die Ehescheidung
Ein Haupthindernis jedoch, Ehrwürdige Brüder, gegen die von unserem Heiland
Jesus Christus gewollte Wiederherstellung und Vollendung der Ehe bildet die von
Tag zu Tag fortschreitende Erleichterung der Ehescheidung. Die Verfechter des
Neuheidentums setzen trotz der traurigen Erfahrungen ihren von Tag zu Tag
erbitterteren Kampf gegen die gottgewollte Unauflöslichkeit der Ehe und die zu
ihrem Schutz aufgestellten Gesetze fort. Ihr leidenschaftlich verfolgtes Ziel
ist, die Ehescheidung zu legalisieren und jene veralteten Gesetze durch
menschlichere zu ersetzen.
Der Gründe, die sie zugunsten der Ehescheidung vorbringen, sind viele und
verschiedenartige; solche, die von persönlicher Schuld und Verfehlung herrühren,
andere, die in der Sache selber liegen (die ersteren nennen sie subjektive, die
letzteren objektive Gründe), dann auch all das, was irgendwie das Zusammenleben
hart und schwer erträglich macht. Diese Gründe und die angestrebten Gesetze
suchen sie auf mannigfache Weise zu rechtfertigen. Zunächst mit dem Wohl beider
Gatten: ist der andere Teil unschuldig, so stehe ihm das Recht zu, von dem
schuldigen wegzugehen; ist er schwerer Vergehen schuldig, so müsse er aus der
Gemeinschaft, die für den andern unerträglich und erzwungen sei, ausgesondert
werden. Einen weiteren Grund sieht man in dem Wohl der Nachkommenschaft, die die
richtige Erziehung entbehren müsse und infolge der Zwietracht und anderer
Untugenden der Eltern nur allzuleicht Schaden leide und vom rechten Wege
abgedrängt werde. Einen letzten Grund erblicken sie im Gemeinwohl der
menschlichen Gesellschaft. Dieses verlange zunächst die völlige Auslöschung all
der Ehen, die doch nichts mehr taugen zur Erreichung dessen, was die Natur
beabsichtigt. Sodann sei den Gatten die Trennung gesetzlich zu gestatten zur
Vermeidung von Verbrechen, auf die man bei ihrem erzwungenen Beisammenbleiben
nur zu sehr gefaßt sein müsse, und damit nicht die Gerichte und das Ansehen der
Gesetze täglich mehr zum Gespött würden. Denn um das ersehnte Scheidungsurteil
zu erreichen, begingen die Gatten entweder absichtlich Verbrechen, auf die hin
der Richter kraft des Gesetzes das Eheband lösen kann, oder sie behaupten frech
mit Lüge und Meineid vor dem Richter, auch wenn dieser den wahren Sachverhalt
durchschaut, sie hätten sich solche Verfehlungen zuschulden kommen lassen. Unter
diesen Umständen müßten, so sagen sie, die Gesetze solchen Notlagen, den
veränderten Zeitumständen, der öffentlichen Meinung, den Verhältnissen und
Gepflogenheiten moderner Staaten angepaßt werden. Diese Gründe, besonders aber
alle zusammengenommen, seien ein augenscheinlicher Beweis für die Notwendigkeit,
aus bestimmten Ursachen die Ehescheidung zu gestatten.
Andere gehen in ihrer Verwegenheit noch weiter und wähnen: da die Ehe ein
bloßer Privatvertrag sei, so sei es, gleich wie bei den übrigen Privatverträgen,
dem Gutdünken und dem übereinstimmenden Willen der beiden Vertragschließenden
völlig anheimzustellen, die Ehe aus jedem beliebigen Grunde wieder zu lösen.
Schrift und kirchliches Lehramt verteidigen die
Unauflöslichkeit der Ehe
Allen diesen Torheiten steht, Ehrwürdige Brüder, unbeugsam und
unerschütterlich das eine göttliche Gesetz gegenüber, das Christus in seinem
vollen Umfang bestätigt hat. Ein Gesetz, das durch keine Menschensatzungen und
Volksbeschlüsse und kein Diktat der Gesetzgeber entkräftet werden kann: »Was
Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.«67
Trennt er gegen das Recht trotzdem, so bleibt sein Unterfangen wirkungslos.
Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, die Christus mit ausdrücklichen Worten
bekräftigt: »Ein jeder, der sein Weib entläßt und eine andere heiratet, der
bricht die Ehe: und wer eine vom Manne Geschiedene heiratet, der bricht die
Ehe.«68
Diese Worte Christi treffen auf jede Ehe zu, auch auf die bloß natürliche. Denn
jede wahre Ehe besitzt die Eigenschaft der Unauflöslichkeit, wodurch die Lösung
des Bandes dem Gutdünken der Parteien und jeglicher weltlichen Gewalt entzogen
ist.
Hier ist auch die feierliche Entscheidung des Trienter Konzils ins Gedächtnis
zurückzurufen, das unter Strafe des Bannes den Satz verwarf: »Wenn jemand
behauptet, das Eheband könne gelöst werden wegen Abfalls vom wahren Glauben,
oder weil das Zusammenleben zur Last geworden, oder wegen böswilligen
Verlassens, so sei er im Banne.«69
Und weiterhin: »Wenn jemand behauptet, die Kirche irre, wenn sie gelehrt hat und
noch lehrt, gemäß der Lehre des Evangeliums und der Apostel könne das Eheband
wegen Ehebruchs des einen Gatten nicht gelöst werden, und keiner von beiden,
auch der unschuldige nicht, der keine Ursache zum Ehebruch gegeben hat, könne zu
Lebzeiten des andern Gatten eine neue Ehe eingehen, und es begehe Ehebruch
sowohl der Mann, der nach Entlassung seiner ehebrecherischen Frau eine andere
heiratet, wie auch die Frau, die nach Entlassung ihres Mannes einen anderen
heiratet: so sei er im Bann.«70
Wenn aber die Kirche nicht geirrt hat und nicht irrt, indem sie dies lehrte
und lehrt, und wenn es darum sicher ist, daß das Eheband nicht einmal wegen
Ehebruchs gelöst werden kann, dann ist es offenkundig, daß die übrigen
schwächeren Gründe, die man zugunsten der Ehescheidung vorzubringen pflegt, noch
viel weniger Beweiskraft haben und übergangen werden können.
Einzige Möglichkeit: Trennung der Ehegatten
Übrigens lassen sich die oben erwähnten dreifachen Einwände gegen die
Festigkeit des Ehebandes leicht lösen. Alle jene Nachteile und Gefahren sind
unschwer zu beheben, wenn in den genannten äußersten Fällen den Gatten eine
unvollkommene Trennung gestattet wird, jene nämlich, die bei Wahrung des
Ehebandes das Kirchengesetz ausdrücklich in den Kanones über die Trennung von
Bett, Tisch und Hausgemeinschaft71
gewährt. Über die Gründe, die Bedingungen, die Art und Weise einer solchen
Trennung sowie über die Vorsichtsmaßregeln für die Erziehung der Kinder und das
Wohl der Familie und zur Vermeidung aller Nachteile, die dem Gatten, den Kindern
oder der staatlichen Gemeinschaft drohen, darüber Bestimmungen zu treffen, ist
Sache der kirchlichen Gesetze und zum Teil auch der bürgerlichen, soweit es sich
um bürgerliche Belange handelt.
Widerlegung der Ehescheidung aus natürlichen
Überlegungen
Dieselben Gründe aber, die zur Erhärtung der unauflöslichen Festigkeit der
Ehe angeführt werden und die Wir oben bereits erwähnt haben, können mit ganz dem
gleichen Recht als Beweise dafür gelten, daß es keine Notwendigkeit der
Ehescheidung und kein Recht dazu gibt, und daß keine Obrigkeit die Macht hat,
sie zu erlauben. So viele offensichtliche Vorteile für die Unauflöslichkeit der
Ehe sprechen, ebenso viele Nachteile zeigen sich auf der Seite der Ehescheidung,
Nachteile, die sich zum Schaden der einzelnen wie der gesamten menschlichen
Gesellschaft auswirken.
Um nochmals einen Ausspruch Unseres Vorgängers anzuführen, so läßt sich kaum
in Worte fassen, wie groß der Segen ist, den die Unauflöslichkeit der Ehe in
sich schließt, wie schlimm dagegen die Saat von Übeln und Schäden, die die
Ehescheidung in sich birgt. Hier, wo das Eheband unangetastet bleibt, erblicken
wir die Ehen in voller Sicherheit; dort, wo man Scheidung der Gatten vorschlägt
oder sie der Gefahr der Ehescheidung aussetzt, wird der Ehebund schwankend und
wandelbar oder Zweifeln und Verdacht ausgesetzt. Hier gegenseitiges Wohlwollen
und eine wunderbar gefestigte Gemeinschaft aller Güter; dort aber ist eben aus
der Möglichkeit der Scheidung diese Gemeinsamkeit in der traurigsten Weise
geschwächt. Hier die trefflichsten Mittel zum Schutze der ehelichen Treue und
Keuschheit, dort verderbliche Anreize zur Untreue. Hier wird das Kind gern
entgegengenommen, sein Schutz und seine Erziehung wirksam gefördert, dort wird
es den größten Schädigungen ausgesetzt. Hier sind der Zwietracht zwischen
Familien und Verwandten alle Zugänge verschlossen; dort ist dazu nur zu häufig
Gelegenheit geboten. Hier werden Streitigkeiten leichter unterdrückt, dort wird
der Same der Zwietracht weit und breit in reichster Fülle ausgestreut. Hier vor
allem wird die Würde und Stellung der Frau in der häuslichen wie in der
bürgerlichen Gesellschaft wieder voll zur Geltung gebracht, dort in unwürdiger
Weise herabgedrückt; denn die Gattinnen sind der Gefahr ausgesetzt, »verlassen
zu werden, nachdem sie der Leidenschaft des Mannes gedient haben.«72
Da zum Verderben der Familien, um mit den tiefernsten Worten Leos XIII. zu
schließen, »und zum Umsturz der Staaten nichts so sehr beiträgt wie die
Sittenverderbnis, so ist leicht ersichtlich, daß die größte Feindin der
Wohlfahrt von Familie und Staat die Ehescheidung ist, die aus der
Sittenentartung der Völker entspringt und nach dem Zeugnis der Erfahrung den
größten Lastern im öffentlichen und privaten Leben Tür und Tor öffnet. Noch viel
schlimmer erscheinen diese Übel, wenn man bedenkt, daß in Zukunft keine Zügel
stark genug sein werden, um die einmal gewährte Erlaubnis zur Ehescheidung
innerhalb bestimmter und absehbarer Grenzen zu halten. Groß ist wahrhaftig die
Macht des Beispiels, aber größer noch die der Leidenschaft. Infolge dieser
Verlockungen wird es dahin kommen, daß das Verlangen nach Ehescheidung täglich
weiter um sich greift und in viele Herzen eindringt gleich einer ansteckenden
Seuche oder einem mächtigen Strom, der die Dämme durchbricht und das Land
überschwemmt.«73
Wenn daher, wie es im gleichen Rundschreiben heißt, »die Menschen ihre Pläne
und Entschlüsse nicht ändern, haben sowohl die Familie wie die menschliche
Gesellschaft fortwährend zu gewärtigen, daß sie elendiglich in den Umsturz und
die Auflösung aller Ordnung hineingeraten.«74
Wie richtig das alles vor fünfzig Jahren vorausverkündet wurde, beweist mehr als
genug die täglich wachsende Sittenverderbnis und die unerhörte Entartung des
Familienlebens in jenen Ländern, wo der Kommunismus zur vollen Herrschaft
gelangt ist.
III. Die Heilmittel gegen die Ehezerrüttung
Wir haben, Ehrwürdige Brüder, bis hierhin die menschliche Ehe nach der Idee
und dem Willen des allweisen Schöpfers und Erlösers unseres Geschlechts mit
ehrfurchtsvoller Bewunderung betrachtet. Zugleich haben Wir mit Schmerz
wahrnehmen müssen, wie der liebevolle Plan der göttlichen Güte von menschlichen
Leidenschaften, Irrtümern und Verfehlungen gegenwärtig allenthalben vereitelt
und mit Füßen getreten wird. Es legt sich Uns damit von selbst nahe, in
väterlicher Sorge nach geeigneten Heilmitteln zu suchen, um die genannten
verderblichen Mißbräuche zu beseitigen und die der Ehe schuldige Ehrfurcht
allerorten wiederherzustellen.
1. Umdenken im Sinne des Denkens Gottes
Hier ist nun vor allem jener unumstößliche Satz ins Gedächtnis zu rufen, zu
dem sich jede gesunde Philosophie und noch viel mehr die Theologie feierlich
bekennen: Was von der rechten Ordnung abgewichen ist, kann auf keinem anderen
Weg in seinen ursprünglichen und seiner Natur gemäßen Stand zurückgeführt werden
als durch Rückkehr zu den Gedanken Gottes, die (so lehrt der Doctor Angelicus75)
das Maß alles Rechten und Richtigen sind. Daher hat Unser Vorgänger seligen
Angedenkens, Leo XIII., mit Recht gegen die Naturalisten eindringlich betont:
»Es ist ein von Gott gegebenes Gesetz, daß wir den Nutzen und die heilsamen
Wirkungen der von Gott und der Natur stammenden Einrichtungen um so stärker
erfahren, je mehr sie in ihrem ursprünglichen Zustand unversehrt und unverändert
verbleiben. Denn Gott, der Schöpfer aller Dinge, hat sehr wohl gewußt, was der
Natur und der Erhaltung der einzelnen Dinge dienlich ist, und er hat sie alle
nach seiner Idee und seinem Willen so gestaltet, daß jedes von ihnen in seiner
Weise sein Ziel erreicht. Wenn aber menschliche Unüberlegtheit oder Bosheit es
unternimmt, die so fürsorglich getroffene Ordnung der Dinge zu ändern oder zu
verwirren, dann beginnt auch das, was weise und zweckvoll eingerichtet ist, zu
schaden, oder es hört wenigstens auf, Nutzen zu bringen, entweder weil es die
Nutzkraft durch die Änderung verloren hat oder weil Gott selbst auf solche Weise
den Stolz und die Vermessenheit der Menschen strafen will.«76
Um also die rechte Ordnung im Bereich der Ehe wiederherzustellen, müssen alle
den Gedanken Gottes über die Ehe nachgehen und sich ihnen anzugleichen
suchen.
2. Unterwerfung des menschlichen Willens unter den Willen
Gottes, Gebrauch der übernatürlichen Gnadenmittel
Diesem Streben stellt sich nun aber sofort die Macht der ungezähmten
Begierlichkeit entgegen, die ja auch die Hauptquelle der Sünden gegen die
heiligen Ehegesetze ist. Und da sich der Mensch seine Leidenschaften nicht
gefügig machen kann, wenn er sich nicht erst selbst Gott fügt, so wird nach der
von Gott gewollten Ordnung zunächst für das letztere Sorge zu tragen sein. Denn
es ist ein festes Gesetz: Wer sich Gott unterwirft, erfährt mit Freuden, wie
auch ihm mit Hilfe der göttlichen Gnade seine Leidenschaften unterwürfig werden.
Wer sich aber gegen Gott empört, muß die traurige Erfahrung machen, daß der
Sturm der Leidenschaften den Krieg in seinem eigenen Inneren entfacht. Wie weise
das so angeordnet ist, legt der hl. Augustinus mit folgenden Worten dar: »So ist
es recht: das Niedere muß sich dem Höheren unterordnen. Wer will, daß das was
unter ihm liegt, sich ihm unterwerfe, unterwerfe sich erst selbst dem, der über
ihm steht. Erkenne diese Ordnung an, schaffe dir Frieden! Du Gott, dir das
Fleisch. Was gibt es Gerechteres? Was Schöneres? Du dem Höheren, dir der
Niedrigere. Diene du dem, der dich geschaffen hat, damit dir diene, was
deinetwegen geschaffen worden ist. Denn die Ordnung der Dinge kennen wir nicht,
und die Ordnung empfehlen wir auch nicht: Dir das Fleisch und du Gott! Nein: Du
Gott und dir das Fleisch! Wenn du aber das ›du Gott‹ außer acht läßt, wirst du
nie das ›dir das Fleisch‹ erreichen. Wenn du deinem Herrn nicht gehorchst, wirst
du von deinem Sklaven tyrannisiert werden.«77
Diese von der göttlichen Weisheit gewollte Ordnung der Dinge bezeugt unter
Eingebung des Hl. Geistes auch der Völkerapostel. Wo er von den alten
Philosophen spricht, die den von ihnen erkannten und erforschten Schöpfer aller
Dinge anzubeten und zu verehren sich weigerten, sagt er: »Darum gab sie Gott den
Gelüsten ihres Herzens, der Unlauterkeit preis, so daß sie sich gegenseitig
schändeten.« Und noch einmal: »Deshalb gab sie Gott schändlichen Leidenschaften
preis.«78
Denn »Gott widersteht den Stolzen, den Demütigen dagegen gibt er seine Gnade«79,
ohne die, wieder nach der Mahnung des Völkerapostels, der Mensch die
aufrührerische Begierlichkeit nicht zu beherrschen vermag.80
Ihr zügelloses Ungestüm kann also unmöglich, wie es notwendig ist, in
Schranken gehalten werden, wenn nicht erst der Geist seinem Schöpfer in Demut
das Opfer gottesfürchtiger Verehrung darbringt. Es ist also vor allem unbedingt
notwendig, daß diejenigen, die zum hl. Sakrament der Ehe hinzutreten, innerlich
und aufrichtig von kindlichem und frommem Sinn Gott gegenüber tief durchdrungen
sind, von einer Gesinnung, die ihrem gesamten Leben das Gepräge gibt und ihr
Denken und Wollen mit höchster Ehrfurcht gegen Gottes heilige Majestät
erfüllt.
Sehr richtig und ganz im christlichen Sinne handeln also jene Seelenhirten,
die die Ehegatten, damit sie in der Ehe nicht von Gottes Gesetz abweichen, in
erster Linie zu den religiösen Übungen anhalten: daß sie sich ganz Gott weihen,
beharrlich um seine Hilfe flehen, die heiligen Sakramente häufig empfangen,
immer und in allem bereitwillige Hingabe an Gott pflegen und wahren.
In schwerer Täuschung sind demgegenüber jene befangen, die die Menschen unter
Vernachlässigung der übernatürlichen Mittel durch die Anwendung und Auswertung
der Naturwissenschaften (der Biologie, der Vererbungslehre und anderer
ähnlicher) zur Zügelung der sinnlichen Triebe bringen zu können glauben. Damit
soll nicht gesagt sein, daß die sittlich einwandfreien natürlichen Mittel gering
zu achten seien. Denn einer ist der Urheber der Natur und der Gnade, Gott, der
die Güter beider Ordnungen zum Gebrauch und Nutzen der Menschen bestimmt hat.
Darum kann und soll den Gläubigen auch durch die natürlichen Mittel geholfen
werden. Nur irrt, wer meint, das genüge, um die Keuschheit des Ehebundes
sicherzustellen, oder der glaubt, es wohne den natürlichen Mitteln eine größere
Kraft inne als der übernatürlichen Gnadenhilfe.
3. Gehorsam gegenüber den kirchlichen Weisungen
Die Angleichung der Ehe und Ehemoral an das göttliche Gesetz, ohne die die
Erneuerung der Ehe erfolglos wäre, setzt sodann voraus, daß Gottes Gesetze von
allen leicht, mit voller Sicherheit und ohne Beimischung von Irrtum erkann
werden. Nun weiß aber ein jeder, wie vielen Täuschungen das Tor geöffnet und wie
viel Irrtum der Wahrheit beigemischt würde, wenn man ein Problem dem bloßen
Licht der Vernunft oder der privaten Auslegung der Offenbarung überlassen würde.
Wenn das schon von vielen anderen Wahrheiten der sittlichen Ordnung gilt, so
gilt es erst recht in Sachen der Ehe, wo die sinnliche Leidenschaft den
schwachen Menschen so leicht überfallen, täuschen und verführen kann. Dies um so
mehr, als die Beobachtung des göttlichen Gebotes von den Gatten zuweilen schwere
und langandauernde Opfer verlangt, Opfer, gegen die der schwache Mensch, wie die
Erfahrung lehrt, ebenso viele Entschuldigungen vorbringt, um sich von der
Beobachtung des Gottesgebotes zu entbinden.
Damit also nicht irgendeine selbstgemachte oder verdrehte Idee vom göttlichen
Gesetz, sondern echte und korrekte Erkenntnis den menschlichen Geist erleuchte
und die sittliche Entscheidung führe, muß zu der Hingabe an Gott und zu dem
aufrichtigen Verlangen, ihm zu dienen, der kindliche und demütige Gehorsam gegen
die Kirche hinzutreten. Denn die Kirche wurde von Christus dem Herrn zur
Lehrerin der Wahrheit bestellt, auch zur Leitung und Führung im sittlichen
Leben, wenngleich hier vieles dem Menschenverstand an sich nicht unzugänglich
ist. Denn gleichwie Gott bezüglich der natürlichen religiösen und sittlichen
Wahrheiten dem Lichte der Vernunft die Offenbarung beigegeben hat, damit, was
recht und wahr ist, »auch im gegenwärtigen Zustand des Menschengeschlechts von
allen leicht, mit voller Sicherheit und ohne Beimischung von Irrtum erkannt
werden kann«81,
so hat er zum selben Zwecke die Kirche zur Hüterin und Lehrerin aller religiösen
und sittlichen Wahrheiten bestimmt. Der Kirche sollen daher die Gläubigen
gehorchen und ihr Denken und Sinnen unterordnen, um ihren Geist vor Irrtum und
ihr sittliches Leben vor Verderbnis zu bewahren. Und damit sie sich dieser ihnen
von Gott in seiner Freigebigkeit geschenkten Hilfe nicht berauben, müssen sie
nicht nur den feierlichen Entscheidungen der Kirche, sondern entsprechend auch
den übrigen Satzungen und Bestimmungen, durch die gewisse Ansichten als
gefährlich oder verkehrt verboten und verurteilt werden, Gehorsam leisten.82
Daher sollen sich die Christgläubigen auch in den heutigen Ehefragen vor
Überspannung der Unabhängigkeit des eigenen Urteils und vor der falsch
verstandenen menschlichen Freiheit, der sogenannten „Autonomie“, hüten. Denn es
paßt ganz und gar nicht zu einem wahren Christen, seinem eigenen Urteil so stolz
zu vertrauen, daß er nur dem, was er selbst durch Einsicht in die inneren Gründe
erkannt hat, seine Zustimmung gibt, die Kirche aber, die von Gott zur
Unterweisung und Leitung aller Völker gesandt wurde, als rückständig und
weltfremd ansieht oder auch nur dem zustimmt und sich unterordnet, was sie durch
die genannten feierlichen Entscheidungen befiehlt, gerade als ob ihre anderen
Entscheidungen zunächst einmal als falsch angenommen werden könnten oder als ob
sie nicht hinreichende Gewähr für ihre Wahrheit und Sittengemäßheit böten. Es
ist dagegen allen wahren Jüngern Christi, ob gebildeten oder ungebildeten,
eigen, in allen Belangen des Glaubens und der Sitte sich von der heiligen Kirche
Gottes leiten und führen zu lassen durch ihren obersten Hirten, den Römischen
Papst, der seinerseits von Jesus Christus Unserem Herrn geleitet wird.
Auf das Gesetz und die Gedanken Gottes muß also alles zurückstreben, wenn
eine allumfassende und dauerhafte Erneuerung der Ehe zustande kommen soll. Daher
ist es von hoher Bedeutung, daß die Gläubigen über die Ehe genau unterrichtet
werden: durch das geschriebene und gesprochene Wort, nicht nur einmal und nur
oberflächlich, sondern oft und gründlich, mit klaren und überzeugenden Gedanken,
so daß die Wahrheit den Verstand gefangen nimmt und bis in das innerste Herz
hineindringt. Die Gläubigen sollen viel darüber nachdenken, wieviel Weisheit,
Heiligkeit und Güte Gott dem Menschengeschlecht gezeigt hat, indem er die Ehe
einsetzte und sie mit heiligen Gesetzen umhegte, noch viel mehr aber dadurch,
daß er sie zu der hohen Würde eines Sakramentes erhob. Dadurch ist den
christlichen Eheleuten eine reichlich fließende Gnadenquelle eröffnet, damit sie
den hohen Zwecken der Ehe in Reinheit und Treue dienen können zum Wohl und Heil
ihrer selbst, ihrer Kinder, ihres Volkes und der ganzen Menschheit.
4. Notwendigkeit der Belehrung über die Ehe
Wenn die heutigen Totengräber der Ehe mit allen Mitteln und allen Kräften,
durch Reden, Bücher, Schriften und in zahllosen anderen Formen die Auffassungen
verwirren, die Herzen verderben, die eheliche Keuschheit lächerlich machen, den
gemeinsten Lastern lautes Lob spenden, dann müßt Ihr, Ehrwürdige Brüder, die
»der Heilige Geist als Bischöfe eingesetzt hat, die Kirche Gottes zu leiten, die
er mit seinem Blute sich erworben«83,
um so mehr Eure ganze Kraft daran setzen, um selbst und durch die Euch
unterstellten Priester, dann aber auch durch klug ausgewählte und in der von Uns
so sehr gewünschten und empfohlenen Katholischen Aktion als Hilfstruppe des
hierarchischen Apostolats zusammengeschlossene Laien in jeder nur erlaubten Form
dem Irrtum die Wahrheit, dem Schmutz des Lasters den Glanz der Reinheit, der
Sklaverei der Leidenschaft die Freiheit der Kinder Gottes84,
der verwerflichen Leichtigkeit der Ehescheidung die ewige Dauer echter
Gattenliebe und den bis zum Tod unverletzt gewahrten Treueid entgegen zu
halten.
So werden die Gläubigen aus ganzem Herzen Gott Dank sagen dafür, daß sie
durch sein Gebot gehalten, ja mit milder Gewalt gezwungen sind, sich von jedem
Götzendienst des Fleisches und jeder unrühmlichen Knechtschaft der Begierde
möglichst fernzuhalten. Ebenso werden sie wirksam abgeschreckt werden und sich
auch selbst mit ganzer Seele von den gottlosen Gedanken und Auffassungen
abwenden, die zur Schmach der Menschenwürde mit Wort und Schrift gerade jetzt
unter dem Namen der „vollkommenen Ehe“ im Umlauf sind und die ja schließlich aus
dieser vollkommenen Ehe nichts anderes machen als eine „verkommene Ehe“.
Diese heilsame und vom religiösen Geiste getragene Unterweisung über die
christliche Ehe wird sich scharf unterscheiden von jener übertriebenen
physiologischen Unterweisung, mit der heute einige Ehereformer den Eheleuten
helfen zu können vorgeben: sie machen dabei über physiologische Vorgänge viele
Worte, aus denen man schließlich doch eher die Kunst, schlau zu sündigen, als
die Tugend, rein zu leben, lernt.
So machen wir Uns denn, Ehrwürdige Brüder, voll und ganz die Worte zu eigen,
die Unser Vorgänger seligen Angedenkens, Leo XIII., in seinem Rundschreiben über
die christliche Ehe an die Bischöfe des gesamten Erdkreises gerichtet hat:
»Soviel Ihr durch Euer eifriges Bemühen, soviel Ihr durch Eure Autorität
vermögt, setzt Euch ganz dafür ein, daß bei den Eurer Obsorge anvertrauten
Völkern vollkommen und unverfälscht die Lehre festgehalten werde, die Christus
der Herr und die Apostel als die Interpreten des göttlichen Willens hinterlassen
haben und die katholische Kirche selbst in Treue und Ehrfurcht bewahrt und allen
Gläubigen durch alle Zeiten hindurch zu beobachten befohlen hat.«85
Indes genügt auch die beste Unterweisung durch die Kirche für sich allein
noch nicht, damit die Angleichung der Ehe an das Gesetz Gottes wieder Tatsache
werde. Zu der verstandesmäßigen Unterweisung muß von seiten der Gatten der feste
Entschluß treten, die heiligen Ehegesetze Gottes und der Natur zu beobachten.
Mögen andere in Wort und Schrift verbreiten, was sie wollen, für die Gatten muß
es unerschütterlich feststehen, daß sie sich in allem, was die Ehe angeht, ohne
Zögern an die Gebote Gottes halten wollen: in steter gegenseitiger, von Liebe
getragener Hilfeleistung, in der Wahrung reiner Treue, ohne je die Festigkeit
des Ehebandes irgendwie anzutasten, ohne je von ihren ehelichen Rechten anders
Gebrauch zu machen als in christlicher und würdiger Weise, namentlich im Anfang
der Ehe. Denn wenn später die Verhältnisse einmal Enthaltsamkeit verlangen, wird
es so beiden leicht, sie zu üben, da sie sich ja schon daran gewöhnt haben.
Um einen festen Vorsatz zu fassen, zu halten und in die Tat umzusetzen, wird
den Eheleuten ernstes Nachdenken über ihren Stand und die vom guten Willen
geleitete Erinnerung an das Sakrament, das sie empfangen haben, viel helfen. Sie
mögen mit allem Eifer bedenken, daß sie zu den Pflichten und der hohen Würde
ihres Standes durch ein besonderes Sakrament geheiligt und gestärkt worden sind,
ein Sakrament, dessen wirksame Kraft, wenngleich es keinen sakramentalen
Charakter einprägt, dennoch unausgesetzt fortdauert. Sie sollen zu diesem Zweck
die trostvollen Worte des hl. Kardinals Robert Bellarmin erwägen, der frommen
Sinnes mit anderen großen Theologen denkt und schreibt: »Man kann das
Ehesakrament unter zweifacher Rücksicht betrachten. Einmal wie es wird, sodann
wie es fortdauert, nachdem es geworden ist. Es ist nämlich in ähnlicher Weise
Sakrament wie die Eucharistie, die nicht nur in ihrem Werden, sondern auch in
ihrem Weiterbestehen ein Sakrament ist. Denn solange die Ehegatten leben,
solange ist ihre Gemeinschaft ein geheimnisvolles Gnadenzeichen Christi und der
Kirche.«86
5. Die Mitwirkung der Ehegatten mit der Gnade des
Ehesakraments
Soll dieses Sakrament jedoch seine ganze Gnadenkraft zur Geltung bringen,
dann muß, wie Wir schon erinnert haben, die Mitarbeit der Ehegatten hinzutreten,
die darin besteht, daß sich die Ehegatten nach Kräften bemühen, ihre Pflichten
zu erfüllen. Es verhält sich da wie im natürlichen Leben: Wenn immer die von
Gott gegebenen Fähigkeiten ihre ganze Wirksamkeit entfalten sollen, müssen sie
von des Menschen arbeitsamem und erfinderischem Fleiß angewandt und ausgenutzt
werden. Wenn das unterbleibt, stiften sie kaum irgendwelchen Nutzen. Ebenso
müssen auch die Gnadenkräfte, die durch den Empfang des Sakramentes in der Seele
aufgespeichert sind, von den Menschen durch eigenes Arbeiten und Mühen betätigt
werden. Die Gatten mögen daher die Gnade des Sakraments, die in ihnen lebt,
nicht unbeachtet liegen lassen!87
Wenn sie trotz aller Schwierigkeiten die ihnen obliegenden Pflichten treu
erfüllen, werden sie die Wirkungen jener Gnade von Tag zu Tag mehr an sich
erfahren. Wenn dann die Lebensnot und die Last des Standes einmal schwer
drücken, so sollen sie nicht mutlos werden, sondern jenes Wort, das der hl.
Paulus seinem geliebten Schüler Timotheus über das Sakrament der Priesterweihe
schrieb, als Timotheus durch Mühen, Sorgen und schmachvolle Behandlung fast zu
Boden gedrückt wurde, auf sich beziehen: »Ich ermahne dich, die Gnade Gottes,
die in dir ist durch Auflegung meiner Hände, wieder zu erwecken. Denn Gott hat
uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern den Geist der Kraft und der
Liebe und der Nüchternheit.«88
6. Vorbereitung auf die Ehe
Der Erfolg von allem, Ehrwürdige Brüder, hängt zu einem guten Teil von der
richtigen entfernten und näheren Vorbereitung auf die Ehe ab. Denn das läßt sich
nicht leugnen: das Fundament einer glücklichen und die Ruinen einer
unglücklichen werden in den Seelen der Knaben und Mädchen bereits in den Jahren
der Kindheit und Jugend grundgelegt. Ist doch zu fürchten, daß die, die vor der
Ehe in allem sich selbst und ihren Eigennutz suchten, die allen ihren Begierden
nachgaben, in der Ehe so sein werden, wie sie vor der Ehe waren, und daß sie nun
ernten müssen, was sie gesät haben:89
in ihrer Familie Freudlosigkeit, Mißmut, gegenseitige Verachtung, Streit,
Eifersucht, Widerwillen gegen das Zusammenleben, und, was das Entscheidende ist,
sie werden sich selbst mit ihren unbeherrschten Leidenschaften vorfinden.
Nur nach gründlicher Vorbereitung sollen die Brautleute also in die Ehe
treten, damit sie wirklich fähig sind, entsprechend ihrem Stand sich gegenseitig
in den Wechselfällen des Lebens Stütze zu sein und sich gegenseitig zu helfen in
der Sorge für ihr ewiges Heil und in der Gestaltung des inneren Menschen zur
Vollreife Christi.90
Diese ernste Vorbereitung wird es ihnen auch ermöglichen, ihren Kindern Eltern
zu sein nach dem Herzen Gottes: ein Vater, der wirklich Vater, und eine Mutter,
die eine wahre Mutter ist; durch deren Treue und Liebe und nimmermüde Sorge das
Elternhaus (auch wenn inmitten dieses Tränentals die materiellen Güter mangeln)
den Kindern zu einem Paradies wird, ein letztes Stück jenes Paradieses, in das
Gott die ersten Menschen gesetzt hatte. Dann wird es auch geschehen, daß sie
ihre Kinder zu vollkommenen Menschen und Christen heranbilden, ihnen das echte
katholische Empfinden übermitteln und dazu hochsinnige Liebe zum Vaterland
einpflanzen, wie Pietät und Dankbarkeit des Herzens es verlangen.
Mögen darum alle, die sich mit dem Gedanken tragen, später einmal zu
heiraten, sowie jene, die für die Erziehung der Jugend zu sorgen haben, jetzt
schon das Gute grundlegen und dem Bösen vorbeugen. Sie sollen sich ins
Gedächtnis zurückrufen, was Wir in Unserem Rundschreiben über die christliche
Erziehung der Jugend mahnend ausgesprochen haben: »Von der zartesten Kindheit an
sind daher die ungeordneten Neigungen zu verbessern, die guten zu fördern und zu
ordnen. Vor allem muß der Verstand erleuchtet und der Wille gefestigt werden mit
den übernatürlichen Wahrheiten und den Gnadenmitteln, ohne die es unmöglich ist,
die verkehrten Triebe zu beherrschen oder das Erziehungsideal der Kirche
vollkommen zu verwirklichen, die Christus mit seiner göttlichen Lehre und seinen
Sakramenten ausgestattet hat, damit sie die erfolgreiche Lehrerin aller Menschen
sei.«91
Zu der näheren Vorbereitung auf eine gute Ehe gehört sodann die Sorgfalt in
der Wahl des Gatten; denn von ihr hängt es zum guten Teil ab, ob die künftige
Ehe glücklich sein wird oder nicht, und zwar deshalb, weil der eine Gatte dem
andern eine starke Hilfe, aber auch eine schwere Gefahr und ein Hindernis für
die christliche Lebensführung in der Ehe sein kann. Wollen darum die Brautleute
nicht ihr ganzes Leben unter den Folgen einer unüberlegten Wahl leiden, so mögen
sie zuerst reiflich überlegen, bevor sie sich für jemanden entscheiden, mit dem
sie nachher auf Lebenszeit zusammen sein müssen. Bei dieser Überlegung mögen sie
vor allem auf Gott schauen und der wahren Religion Jesu Christi Rechnung tragen,
sodann an sich selbst denken, an ihren Ehegatten, an die zukünftige
Nachkommenschaft, sowie an die bürgerliche und menschliche Gesellschaft, deren
Quelle die Ehe ist. Inbrünstig sollen sie zu Gott um Hilfe beten, daß sie ihre
Wahl nach christlicher Klugheit treffen und sich nicht von dem blinden Drängen
der Leidenschaft leiten lassen. Ihre Wahl soll auch nicht ausschließlich von der
Sucht nach materiellem Gewinn oder anderen weniger edlen Beweggründen bestimmt
werden, sondern von wahrer, echter Liebe und aufrichtiger Zuneigung zum
künftigen Gatten. Sie mögen jene Ziele und Zwecke in der Ehe suchen, um
derentwillen sie von Gott eingesetzt worden ist. Sie sollen es endlich nicht
unterlassen, bei der Wahl des Lebensgefährten den Rat der Eltern einzuholen; sie
sollen diesen Rat nicht gering anschlagen, um durch der Eltern reifes Urteil und
Lebenserfahrung vor verhängnisvollem Fehlgriff bewahrt zu bleiben und sich beim
Eintritt in die Ehe den Gottessegen des vierten Gebots zu sichern: »Ehre Vater
und Mutter,« – was das erste Gebot mit einer Verheißung ist – »damit es dir wohl
ergehe und du lange lebest auf Erden.«92
7. Schaffung der materiellen Grundlagen zur Verwirklichung
des Ehe- und Familienideals
Nicht selten erwachsen der vollkommenen Beobachtung der Gebote Gottes und
einem ehrbaren Eheleben ernste Gefahren aus der Bedrängnis, in die die Ehegatten
durch Vermögensschwierigkeiten und große Armut kommen, Nöte, denen man soviel
und so gut wie nur möglich abhelfen soll.
Hier ist in erster Linie mit allem Nachdruck darauf zu bestehen, daß, wie
bereits Unser Vorgänger Leo XIII. mit Recht verlangt hat93,
in der bürgerlichen Gesellschaft die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse
in einer Weise geregelt werden, die es allen Familienvätern ermöglicht, das
Notwendige zu verdienen und zu erwerben, um sich, Frau und Kinder standesgemäß
und den heimatlichen Verhältnissen entsprechend zu ernähren. »Denn der Arbeiter
ist seines Lohnes wert.«94
Ihm den Lohn zu verweigern oder unbillig herabzudrücken, ist schweres Unrecht
und wird von der Heiligen Schrift unter die schlimmsten Sünden gerechnet.95
Es ist auch nicht recht, die Löhne so niedrig anzusetzen, daß sie in den
jeweiligen Verhältnissen für den Unterhalt einer Familie nicht genügen.
Es muß jedoch darauf Nachdruck gelegt werden, daß auch die Gatten selbst, und
zwar schon lange, bevor sie die Ehe schließen, der materiellen Not vorbeugen
oder sie wenigstens zu mindern suchen und daß sie von erfahrener und kundiger
Seite darüber belehrt werden, wie das wirksam und zugleich ehrenhaft geschehen
kann. Weiterhin sorge man dafür, daß sie sich da, wo das eigene Können nicht
ausreicht, mit anderen in ähnlicher Lage zusammenschließen, auch in der Form von
privaten und öffentlichen Vereinigungen, um so den Lebensnöten abzuhelfen.96
Sollte aber das Genannte nicht genügen, um den Unterhalt einer Familie, zumal
einer zahlreichen und weniger leistungsfähigen Familie, zu bestreiten, so ist es
Pflicht der christlichen Nächstenliebe, das Mangelnde zu ergänzen. Die Reichen
sind es, die hier vor allem den Ärmeren helfen sollen. Die im Überfluß leben,
dürfen Geld und Gut nicht für unnütze Ausgaben verwenden oder geradezu
verschleudern, sondern müssen es zum Lebensunterhalt und Besten derer
gebrauchen, denen sogar das Notwendige fehlt. Wer Christus in den Armen von
seinem Vermögen mitteilt, wird vom Herrn, wenn er zum Weltgericht kommt,
überreichen Lohn empfangen. Wer aber das Gegenteil tut, wird seiner Strafe nicht
entgehen.97
Es sind keine leeren Worte, wenn der Apostel mahnt: »Wer die Güter dieser Welt
besitzt und sieht, daß sein Bruder Not leidet, ihm aber sein Herz verschließt,
wie soll die Liebe Gottes in ihm bleiben?«98
Sollte aber private Hilfe nicht ausreichen, so ist es Pflicht der
öffentlichen Autorität, die unzureichenden Kräfte der Privaten zu ergänzen,
besonders in einem für das Gemeinwohl so wichtigen Belange, wie es die
menschenwürdige Lage der Familien und Ehegatten ist. Denn wenn es den Familien,
besonders den kinderreichen, an entsprechender Wohnung fehlt, wenn der Mann
keine Arbeit, keine Gelegenheit zum Erwerb des Lebensunterhalts finden kann,
wenn der tägliche Bedarf nur mehr zu unerschwinglichen Preisen erstanden werden
kann, wenn die Mutter aus bitterer Not und zum schweren Schaden des Hauswesens
die Last auf sich nehmen muß, durch ihrer Hände Arbeit das nötige Geld zu
verdienen, wenn sie in den gewöhnlichen oder auch außergewöhnlichen Beschwerden
der Mutterschaft die notwendige Nahrung, die Medikamente, die Hilfe eines
erfahrenen Arztes und andere ähnliche Dinge entbehren muß, so versteht jeder,
wie dadurch die Gattin zermürbt, wie hart ihnen das Familienleben und die
Beobachtung der Gebote Gottes werden muß. Und jeder sieht, welch große Gefahr
der öffentlichen Sicherheit, ja geradezu dem Bestand des Staates droht, wenn
diese Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, in der Verzweiflung sich
einreden, nur noch aus dem Umsturz des Staates, aus einer Verkehrung jeglicher
Ordnung etwas erhoffen zu können.
Die für das Staatswohl Verantwortlichen dürfen daher die materielle Not der
Ehegatten und Familien nicht übersehen, wenn sie nicht dem Gemeinwohl schweren
Schaden zufügen wollen. Sie müssen also in der Gesetzgebung und bei der
Festsetzung der öffentlichen Ausgaben die Not der armen Familien eingehend und
wirksam berücksichtigen und die Sorge dafür als eine der ernstesten Aufgaben
ihres Amtes betrachten.
Mit Bedauern haben Wir wahrgenommen, daß nicht selten mit Verkehrung der
rechten Ordnung der unehelichen Mutter und ihrem Kinde (denen man gewiß
gleichfalls helfen soll, schon um noch schlimmere Übel zu verhüten) ohne
besondere Schwierigkeit schnell und ausreichend Unterstützung gewährt wird,
während man sie der ehelichen Mutter entweder ganz verweigert oder doch nur
spärlich zugesteht und sie sich gewissermaßen nur wider Willen abringen
läßt.
8. Die Koordinierung der staatlichen Gesetzgebung
Indes ist es für die staatliche Autorität von höchster Bedeutung, Ehrwürdige
Brüder, daß Ehe und Familie nicht nur in materieller Hinsicht gut bestellt sind,
sondern daß auch die seelischen Belange richtig wahrgenommen werden: daß zum
Schutz der ehelichen Treue und der wechselseitigen Hilfeleistung gerechte
Gesetze erlassen und gewissenhaft beobachtet werden. Denn wie die Geschichte
bezeugt, kann das Staatswohl und das irdische Glück der Menschen nicht
sichergestellt werden noch dauerhaft sein, wenn das Fundament, auf dem sie
beruhen, die sittliche Ordnung, ins Wanken gerät und durch das Versagen der
Menschen der Quell verschüttet wird, aus dem der Staat entspringt: die Ehe und
die Familie.
Zur Wahrung der sittlichen Ordnung genügen aber nicht die äußeren staatlichen
Machtmittel und Strafen; es genügt auch nicht, den Menschen die Schönheit und
Notwendigkeit der Tugend vorzuhalten! Vielmehr muß eine religiöse Autorität
hinzutreten, die den Verstand durch die Wahrheit erleuchtet, den Willen leitet
und die menschliche Schwachheit durch die Hilfsmittel der göttlichen Gnade zu
festigen vermag. Diese Autorität ist allein die von Christus dem Herrn
gestiftete Kirche. Deswegen mahnen Wir alle, in deren Hand die höchste
staatliche Macht liegt, dringend im Herrn, in Eintracht und Freundschaft sich
mit der Kirche Christi zusammenzuschließen und das Bündnis mit ihr immer fester
zu gestalten, damit durch vereintes Mühen und Sorgen beider Gewalten die
ungeheuren Schäden abgewendet werden, die infolge des Hereinbrechens laxer
Freiheitsideen in die Ehe und Familie über die Kirche wie über die staatliche
Gemeinschaft zu kommen drohen.
Denn viel vermögen der Kirche zur Erfüllung dieser überaus schweren Pflicht
die Staatsgesetze zu helfen, wenn sie bei Erlaß von Vorschriften
berücksichtigen, was durch göttliches und kirchliches Gesetz verordnet ist, und
wenn sie mit Strafen gegen die Fehlenden vorgehen. Es mangelt ja nicht an
solchen, die glauben, daß alles, was die staatlichen Gesetze gestatten oder
wenigstens nicht bestrafen, ihnen auch nach dem Sittengesetz erlaubt sei, oder
die offen gegen die Stimme ihres Gewissens zur Tat schreiten, weil sie Gott
nicht fürchten und sehen, daß sie auch vom menschlichen Gesetz für sich nichts
zu fürchten haben. So werden sie nur zu oft sich selbst und vielen andern zum
Verderben.
Dem Staat erwächst aus der Verbindung mit der Kirche keine Gefahr oder
Minderung seiner Rechte und seiner Unabhängigkeit. Jeder dahingehende Verdacht
ist völlig unbegründet, wie bereits Leo XIII. klar und einleuchtend dargetan
hat. »Niemand aber zweifelt«, sagt er, »daß der Stifter der Kirche, Jesus
Christus, die religiöse Gewalt von der staatlichen unterschieden und eine jede
von ihnen in der Besorgung ihrer Angelegenheiten frei und ungehindert wissen
wollte, freilich mit dem Zusatz, der beiden zum Nutzen gereicht und zum Wohl
aller ist, daß zwischen ihnen friedliches Zusammengehen und Eintracht herrsche
... Wenn sich die staatliche Gewalt mit der religiösen der Kirche
freundschaftlich zusammenschließt, so können beide daraus nur großen Nutzen
ziehen. Das Ansehen des Staates wird größer, und seine Herrschaft wird unter der
Leitung der Religion stets gerecht sein. Andererseits wird der Kirche wertvolle
Hilfe zuteil zum Schutz und zur Verteidigung des öffentlichen Wohls der
Gläubigen.«99
So ist es, um ein bekanntes Beispiel aus neuester Zeit anzuführen, durchaus
nach rechter Ordnung und im Geiste des Gesetzes Christi geschehen, wenn in dem
feierlichen, glücklich getroffenen Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem
Königreich Italien auch bezüglich der Ehe eine friedliche Regelung und ein
freundschaftliches Zusammenarbeiten festgesetzt wurde, entsprechend der
glorreichen Geschichte und den ehrwürdigen Überlieferungen des italienischen
Volkes. So nämlich heißt es in den Lateranverträgen: »Der italienische Staat,
der der Ehe, als der Basis der Familie, jene Würde und Weihe zurückgeben will,
die den Überlieferungen seines Volkes gemäß ist, erkennt dem Sakrament der Ehe,
wenn sie den Satzungen des kanonischen Rechts entspricht, auch die bürgerlichen
Rechtsfolgen zu.«100
Dieser Grundnorm sind dann in den Übereinkommen noch weitere Abschnitte
beigefügt.
Die angeführte Tatsache kann allen gerade in der heutigen Zeit (in der leider
eine gänzliche Trennung des Staates von der Kirche, ja von jeder Religion zum
Grundsatz erhoben wird) als Beispiel und Beweis dafür dienen, daß die eine
höchste Gewalt mit der anderen ohne jegliche Beeinträchtigung ihrer Rechte und
Machtbefugnisse in Eintracht und freundschaftlichem Einvernehmen zum
öffentlichen Wohl beider Gemeinschaften sich verbinden und einen kann, und daß
beide Gewalten gemeinsam für die Ehe Sorge tragen können, um die
verhängnisvollen Gefahren, ja den bereits drohenden Untergang von der
christlichen Ehe fernzuhalten.
Schlußermahnung, Gebet und Segen
Alles das nun, Ehrwürdige Brüder, was Wir in sorgender Hirtenliebe mit Euch
aufmerksam erwogen haben, möchten Wir unter allen Unseren geliebten Söhnen, die
unmittelbar Eurer Obhut anvertraut sind, und unter allen Gliedern der großen
Familie Christi nach Maßgabe der christlichen Klugheit möglichst weit verbreitet
wissen, damit alle die gesunde Lehre über die Ehe kennenlernen, sich vor den
Gefahren, die die Sendlinge des Irrtums ihnen bereiten, mit der nötigen Sorgfalt
hüten, vor allem aber, damit sie »der Gottlosigkeit und den weltlichen Lüsten
entsagen, besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben, indem sie der
seligen Hoffnung harren und der Ankunft der Herrlichkeit des großen Gottes und
unseres Heilandes Jesus Christus.«101
So gebe denn der allmächtige Vater, »von dem alle Vaterschaft im Himmel und
auf Erden ihren Namen hat«102,
der die Schwachen stärkt und den Furchtsamen und Kleinmütigen Mut verleiht; es
gebe Christus der Herr und Erlöser, »der Gründer und Vollender der heiligen
Sakramente«103,
der wollte und es fügte, daß die Ehe ein mystisches Abbild seiner
unbeschreibbaren Verbindung mit der Kirche sei; es gebe der Heilige Geist, die
Gott-Liebe, das Licht der Herzen und die Stärke des Geistes: daß das, was Wir
hier in Unserem Briefe dargelegt haben über das hl. Sakrament der Ehe, über das
bewunderungswürdige Gesetz und die Absicht Gottes hinsichtlich der Ehe, über die
Irrtümer und Gefahren, die sie bedrohen, über die Heilmittel, mit denen ihrer
begegnet werden kann, von allen Gläubigen mit dem Verstand erfaßt, bereitwillig
angenommen und mit Hilfe der göttlichen Gnade in die Tat umgesetzt werde, damit
so in der christlichen Ehe wieder aufsprieße und erblühe eine gottgeweihte
Fruchtbarkeit, makellose Treue, unerschütterliche Festigkeit, die ganze Tiefe
des Sakramentes und die Füller der Gnaden.
Auf daß nun Gott, der Urquell aller Gnaden, von dem alles »Wollen und
Vollbringen«104
stammt, all das zu verleihen und zu wirken sich würdige, erteilen Wir als
Unterpfand der Segensfülle des Allmächtigen Gottes mit demütigem und
inbrünstigem Flehen an seinem Gnadenthrone, Euch, Ehrwürdige Brüder, dem Klerus
und Volke, die Eurer wachsamen Hirtensorge anvertraut sind, aus ganzem Herzen
den Apostolischen Segen.
Gegeben zu Rom bei St. Peter am 31. Dezember des Jahres 1930, im neunten Jahr
Unseres Pontifikats.
Pius PP. XI.
1
Eph 5,32.
2
Enzykl. Arcanum divinæ sapientiæ, 10. Februar
1880. 3
Gen 1,27-28; 2,22-23; Mt 19,3 ff; Eph 5,23 ff.
4
Sess. XXIV.
5
Vgl. CJC, c. 1081 § 2.
6
Vgl. CJC, c. 1081 § 1.
7
Thomas von Aquin, S. theol. Suppl., q.49, a.3. 8
Enzykl. Rerum novarum, 15. Mai 1891. 9
Gen 1,28.
10
Enzykl. Ad salutem, 20. April 1930. 11
Augustinus, De bono coniugali XXIV 32. 12
Augustinus, De Genesi ad litteram IX 7, n.12. 13
Gen 1,28.
14
1 Tim 5,14.
15
Augustinus, De bono coniugali XXIV 32. 16
Vgl. 1 Kor 2,9.
17
Vgl. Eph 2,19.
18
Joh 16,21.
19
Enzykl. Divini illius Magistri, 31. Dezember 1929. 20
Augustinus, De Genesi ad litteram IX 7, n.12. 21
CJC, c. 1013 § 1.
22
Sess. XXIV.
23
Mt 19,6.
24
Mt 5,28.
25
Vgl. Dekret des Hl. Offiziums, 2. März 1679, prop.
50. 26
Eph 5,25; vgl. Kol 3,19.
27
Catech. Rom., II, cap. VIII, q.24. 28
Vgl. Gregor d.Gr., Homil. XXX in Evang. Joh. XIV (23-31)
n.1. 29
Mt 22,40.
30
Vgl. Catech. Rom., II, cap. VIII, q.13. 31
1 Kor 7,3.
32
Eph 5,22-23.
33
Enzykl. Arcanum divinæ sapientiæ, 10. Februar
1880. 34
Mt 19,6.
35
Lk 16,18.
36
Augustinus, De Genesi ad litteram IX 7, n.12. 37
Mt 19,6.
38
Pius VI., Rescript. Ad Episc. Agriens., 11. Juli
1789. 39
Eph 5,32.
40 Augustinus,
De nupt. et concup. I 10.
41
1 Kor 13,8.
42
Trid. Sess. XXIV.
43
CJC, c.1012.
44
Augustinus, De nupt. et concup. I 10. 45
Vgl. Mt 13,25.
46
2 Tim 4,2-5.
47
Eph 5,3.
48
Augustinus, De conugiis adult. II 12; vgl. Gen 38,8-10;
S. Poenitent., 3. April, 3. Juni 1916. 49
Mt 15,14; S. Officium, 22. November 1922. 50
Lk 6,38.
51
Sess. VI., c.11.
52
Innozenz X., Apostolische Konstitution Cum occasione,
31. Mai 1653, prop. 1.
53
Ex 20,13; vgl. Dekr. des S. Officium, 4. Mai 1898, 24.
Juli 1895, 31. Mai 1884.
54
Augustinus, De nupt. et concup., XV. 55
Vgl. Röm 3,8.
56
Vgl. Gen 4,10.
57
S. theol. IIa-IIæ, q.108, a.4 ad 2. 58
Ex 20,14.
59
Mt 5,28.
60
Hebr 13,8.
61
Vgl. Mt 5,18.
62
Mt 7,27.
63
Leo XIII., Enzykl. Arcanum divinæ sapientiæ, 10. Februar
1880. 64
Vgl. Eph 5,32; Hebr 13,4.
65
CJC, c. 1060.
66
Modestinus, I Regularum (Dig. XXIII 2: De ritu
nuptiarum).
67
Mt 19,6.
68
Lk 16,18.
69
Sess. XXIV, c. 5.
70
Sess. XXIV, c. 7.
71
CJC, c. 1128 ff.
72
Leo XIII., Enzykl. Arcanum divinæ sapientiæ, 10. Februar
1880. 73
Ebd.
74
Ebd.
75
Thomas von Aquin, S. theol. Ia-IIæ, q.91, a.1-2. 76
Leo XIII., Enzykl. Arcanum divinæ sapientiæ, 10. Februar
1880. 77
Augustinus, Enarr. in ps. 143.
78
Röm 1,24.26.
79
Jak 4,6.
80
Vgl. Röm 7; 8.
81
Vat. Sess. III, c. 2.
82
Vgl. Vat. Sess. III, c. 4; CJC c. 1324. 83
Apg 20,28.
84
Vgl. Joh 8,32 ff; Gal 5,13.
85
Enzykl. Arcanum divinæ sapientiæ, 10. Februar
1880. 86
Robert Bellarmin, De controversiis, t. III, De Matr.,
controvers. II, c.6.
87
Vgl. 1 Tim 4,14.
88
2 Tim 1,6-7.
89
Vgl. Gal 6,9.
90
Vgl. Eph 4,13.
91
Enzykl. Divini illius Magistri, 31. Dezember 1929, in:
AAS 22 (1930) 69.
92
Eph 6,2-3; Ex 20,12.
93
Enzykl. Rerum novarum, 15. Mai 1891. 94
Lk 10,7.
95
Vgl. Dtn 24,14-15.
96
Vgl. Leo XIII., Enzykl. Rerum novarum, 15. Mai
1891. 97
Mt 25,34 ff.
98
1 Joh 3,17.
99
Enzkl. Arcanum divinæ sapientiæ, 10. Februar 1880. 100
Konkordat Art. 34, in: AAS 21 (1929) 290. 101
Tit 2,12-13.
102
Eph 3,15.
103
Trid. Sess. XXIV.
104
Phil 2,13.
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