Enzyklika
Editae saepe
unseres Heiligen Vaters
Pius X.
durch göttliche Vorsehung Papst
an Unsere Ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe,
Bischöfe
und die anderen Ordinarien, welche mit dem Apostolischen Stuhle Frieden und
Gemeinschaft haben
zur Dreijahrhundertfeier der Heiligsprechung
des heiligen Karl Borromäus
26. Mai 1910
(Offizieller lateinischer Text: AAS II [1910]
357-380)
(Quelle: Rundschreiben unseres Heiligen
Vaters Pius X. zur Dreijahrhundertfeier des Heiligsprechung des heiligen
Karl Borromäus, Herdersche Verlagsbuchhandlung Freiburg im Breisgau 1916,
Lateinischer und deutscher Text [in Fraktur abgedruckt]. Die Anmerkungen
wurden in runder Klammer in den Text integriert. Die Nummerierung folgt der
englischen Fassung)
Allgemeiner Hinweis:
Die in der Kathpedia veröffentlichen Lehramtstexte dürfen nicht
als offizielle Übersetzungen betrachtet werden, selbst wenn die
Quellangaben dies vermuten ließen. Nur die Texte auf der
Vatikanseite können als offiziell angesehen werden (Schreiben der
Libreria Editrice Vaticana vom 21. Januar 2008).
|
Hl. Karl Borromäus
Ehrwürdige Brüder,
Gruß und Apostolischen Segen !
1 Die
vielfältige, auch in der Heiligen Schrift ausgesprochene Verheißung Gottes,
dass der Gerechte in ewigem gesegneten Andenken leben und selbst nach seinem
Tode noch reden werde (Ps 111, 7; Spr 10, 7, Hebr 11, 4), wird in der Kirche
durch Wort und Werk dauernd erfüllt. Eine Mutter und Nährerin der Heiligkeit
voll Jugendkraft und geleitet von den Eingebungen des Ewigen, "weil sein
Geist in uns wohnt" (Röm 8, 11), hat sie allein stets nicht nur die
herrlichen Sprösslinge der Gerechtigkeit erzeugt, genährt und gehütet,
sondern auch mit mütterlicher Liebe und Sorgfalt ihr Andenken festgehalten
und ihre Verehrung in hervorragender Weise belebt. Diese Erinnerung ist für
sie eine Quelle himmlischer Wonne und lenkt sie ab vom traurigen Schauspiel
des Elendes dieser irdischen Pilgerfahrt. Darf sie doch die Seligen
Himmelsbewohner als ihre Freude und ihrer Krone (Phil 4, 1) betrachten; in
sie schaut in ihnen das hehre Abbild ihres himmlischen Bräutigams und mit
neuem Zeugnis bestätigt sie dabei ihren Kindern das alte Wort: "Denen, die
Gott lieben, gereicht alles zum Guten, ihnen, die gemäß dem Ratschluss zur
Heiligkeit berufen sind." (Röm 8, 28) Ihre Ruhmestaten sind aber nicht nur
eine freudige Erinnerung, sondern auch herrliche Vorbilder zur Nachahmung
und eine nachhaltige Ermunterung zur Tugend ist die einmütige Ermahnung der
Heiligen, die mit dem Worte des Apostels Paulus ruft: Seid meine Nachahmer,
wie ich der Nachahmer Christi bin (1 Kor 4, 16).
2
Deshalb haben Wir, Ehrwürdige Brüder, gleich beim Beginn Unseres
Pontifikates es als Unser Vorhaben zu erkennen gegeben, mit Standhaftigkeit
dahin zu wirken, dass "alles in Christus erneuert werde". Und in dem ersten
von Uns erlassenen Rundschreiben (E supremi vom 4. Oktober 1903) haben Wir
nachdrücklich es erstrebt, dass alle mit Uns hinblicken auf den Apostel und
Hohenpriester unseres Bekenntnisses … auf den Urheber und Vollender unseres
Glaubens, Jesus (Hebr 3, 1; 12, 2-3). Jedoch unsere Schwäche ist so gross,
dass uns vor der Größe dieses hehren Vorbildes leicht Bestürzung erfasst.
Deshalb hat die göttliche Vorsehung [durch] uns noch anderes Vorbild vor
Augen gestellt, welches Christus am nächsten steht, soweit das für die
menschliche Natur möglich ist und dem sich doch unsere Armseligkeit leichter
anpasst, das ist die allerseligste Jungfrau und hehre Gottesmutter Maria
(Rundschreiben Ad diem illum vom 2. Februar 1904). Bei den verschiedenen
Gelegenheiten, das Andenken der Heiligen in Erinnerung zu bringen, haben Wir
endlich die Bewunderung aller hingelenkt auf diese treuen Diener Gottes und
Sachwalter im Hause des Herrn, seine Freunde und Diener, jeder nach seinen
Verhältnissen, die da durch die Kraft ihres Glaubens Königreiche
niedergeworfen, die Gerechtigkeit vollbracht und die verheissene Krone
erlangt haben (Hebr 11, 33); möchte ihr Beispiel ein Ansporn sein, dass wir
nicht fürderhin mehr Kinder seien, die [wie Meereswellen] hin und her fluten
und von jedem Winde der Lehre hin und hergetrieben werden durch die
Schalkheit der Menschen, durch die arglistigen Kunstgriffe der Verführung
zum Irrtum, sondern dass wir Wahrheit üben in Liebe und zunehmen in allen
Stücken in ihm, der das Haupt ist, Christus (Eph 4, 14f).
3 Wie
herrlich der hehre Ratschluss der göttlichen Vorsehung gewaltet hat, das
haben Wir insbesondere an drei Männern gezeigt, die groß waren als Hirten
und Lehrer zugleich. Entstammen sie auch verschiedenen Zeitaltern, so fiel
ihr Leben doch gleichmäßig in Tage, die für die Kirche voll Unheil waren.
Diese Männer sind Gregor der Große, Johannes Chrysostomus und Anselm von
Aorta, deren Jahrhundertfeier in den letzten Jahren zu begehen war. Außerdem
haben Wir in den zwei Rundschreiben vom 12. März 1904 und vom 21. April 1909
die Hauptstücke der Glaubenslehre und die Gebote für das christliche Leben,
wie das Bedürfnis der Gegenwart es Uns zu fordern schien, an der Hand des
Beispiels und der Mahnungen der Heiligen ausführlich entwickelt.
4 Wir
sind überzeugt, dass das Beispiel christlicher Helden viel mehr die Herzen
der Menschen zu ergreifen vermag als Worte und ausgesuchte Erörterungen
(Rundschreiben E supremi). Daher ergreifen Wir freudig die günstige
Gelegenheit, die heilsamen Vorkehrungen zu empfehlen, die Wir von einem
andern heiligen Hirten erhalten haben. Er steht der Gegenwart näher und die
Bewegungen, gegen welche Gott ihn zu streiten aufgeweckt hat, waren fast die
gleichen [wie jetzt]. Es ist Karl Borromäus, der Kardinal der heiligen
römischen Kirche und Bischof von Mailand, den vor nunmehr 300 Jahren Paul V.
in die Zahl der Heiligen aufgenommen hat. Dies ist keineswegs unzeitgemäß.
Denn, um Uns die Worte Unseres genannten Vorgängers anzueignen, "Gott, der
allein große Wunder tut, hat jüngst unter uns Großes getan. In seinem
wunderbaren Gnadenakten stellte er über der apostolischen Felsenburg ein
großes Licht auf, indem er sich aus dem Schoße der heiligen römischen Kirche
den heiligen Karl, den treuen Priester und frommen Knecht, erwählte, das
Vorbild der Herde, das Vorbild der Hirten. Mit reichem Glanze hat er die
ganze Kirche geziert und den Priestern und dem Volke voran geleuchtet wie
Abel in seiner Unschuld, wie Henoch in seiner Reinheit, wie Jakob durch die
Ausdauer in seinen Mühen, wie Moses durch seine Sanftmut, wie Elias durch
die Glut seines Eifers. Er bewährte sich als nachahmungswürdiges Vorbild der
leiblichen Abtönung inmitten üppiger Vergnügungen wie Hieronymus, der Demut
in hohen Würden wie Martinus, der Hirtensorgfalt wie Gregoires, des
Freimutes wie Ambrosia, der Nächstenliebe eines Paulinus. Er ließ uns mit
den Augen schauen und mit unsern Händen berühren einen Mann, der inmitten
der Schmeicheleien des Lebens der Welt gekreuzigt war, der im Geiste lebte,
die Welt verschmähte, unaufhörlich dem Himmel diente und wie er das Amt
eines Engels bekleidete, so auch auf Erden in Gesinnung und Werk das Leben
der Engel nachahmte (Aus der Bulle Unigenitus vom 1. November 1610).
5 So
rühmte den heiligen Karl Unser Vorgänger fünf Lustren nach dem Tode.
Nunmehr, wo dreihundert Jahre verflossen sind, seit ihm die Ehren des
Heiligen zuerkannt wurden, "ist mit Recht unser Mund voll Freudenworte und
unserer Zunge voll Jubel an dem herrlichen Tage unseres Festes, da der
einzigen Braut unseres Herrn eine neue Krone aufs Haupt gesetzt wird,
geschmückt mit jeglichen Edelgestein, indem dem Kardinalspriester der
heiligen römischen Kirche, welcher Wir durch Gottes Gnaden vorstehen, die
Ehren des Heiligen zuerkannt werden." Wie Unsern Vorgänger, so erfüllt auch
Uns die feste Zuversicht, dass der Ruhm des Heiligen und noch mehr seine
Lehre und sein Beispiel geeignet ist, bei allen Betrachtern die Anmaßung der
Gottlosen in die Schranken zu weisen und alle zu beschämen, "die sich da
rühmen in ihren Götzen" (Aus derselben Bulle Unigenitus). Karolus ward ein
Vorbild für die Herde und die Hirten zu dieser Zeit. Er war ein
unermüdlicher Vorkämpfer für die Hebung der kirchlichen Zucht und Mehrer
derselben gegenüber jenen Neuerern, welche nicht für die Wiederherstellung
des Glaubens und der Sitte wirkten, sondern die Entstellung und das
Absterben derselben erzielten. Daher wird die Ernennung der Verehrung des
Heiligen allen Katholiken ein Trost und eine Lehre sein. Ganz besonders wird
sie denselben zum Antrieb gereichen, dass sie an dem Werke, an dem Uns so
viel gelegen ist, nämlich der Erneuerung der Dinge in Christus, regen Anteil
nehmen.
6 Euch
Ehrwürdige Brüder, sieht es fest, dass die Kirche, mag sie auch immer
angegriffen werden, niemals von Gott verlassen wird und sich alles Trostes
beraubt sehen muss. Denn Christus liebt sie … und hat sich selbst für sie
hingegeben, um sie zu heiligen und um selbst die Kirche herrlich
darzustellen ohne Makel und Runzel oder etwas dergleichen, sondern dass sie
heilig und unbefleckt sei (Eph 5, 25ff). Je mehr die Ungebundenheit sich
gegen sie wendet, je schärfer der Angriff der Feinde wird, je gewandter die
Nachstellungen werden, mit denen die Irrlehre ihr den Untergang zu bereiten
scheinen möchte, mag es selbst in dem Maße geschehen, dass nicht wenige
ihrer Söhne sich von ihr losreißen lassen im Strudel der Sünde und
Gottvergessenheit treiben, um so näher fühlt sie den göttlichen Schutz. Denn
Gott sorgt dafür, dass gerade der Irrtum, mögen die Bösen es wollen oder
nicht, den Triumph der Wahrheit herbeiführt, deren Hut der Wachsamkeit der
Kirche anvertraut ist. Die Entartung muss der Verbreitung der Heiligung
dienen, deren Förderung der Kirche als Lehrerin anvertraut ist. Die
Verfolgung macht die Rettung vor unseren Feinden nur wunderbarer (Lk 1, 71).
So kommt es, dass die Kirche vor den Augen des weltlich Gesinnten in
härtester Bedrängnis erscheint, fast dem Untergang geweiht und doch im
gleichen Augenblick schöner, kräftiger, reiner sich erhebt und leuchtet im
Glanze der herrlichen Tugenden.
7 So
bekräftigt Gott in seiner Güte stets wieder mit neuen Beweisen den
göttlichen Ursprung der Kirche, sei es, dass er bei der schmerzvollen
Erfahrung, wie Irrtümer und Entartung unter ihren Mitgliedern eingeschlichen
sind, sie zur Überwindung der Gefahr leitet; sei es, dass er das Wort
Christi wieder bewahrheitet: Die Pforten der Hölle werden sie nicht
überwältigen (Mt 16, 18); sei es, dass er durch den Erfolg das Wort
Bestätigt: Siehe, ich bin bei euch bis ans Ende der Welt (Mt 28, 20), sei es
endlich, dass er Zeugnis von jener geheimnisvollen Kraft ablegt, in der von
Christus, nachdem er vollendet in den Himmel zurückkehrte, ein anderer
Tröster dauernd über sie ausgegossen wird, sie schützt und in aller Trübsal
aufrichtet, der Geist, der bei ihr bleibt bis in Ewigkeit, der Geist der
Wahrheit, den die Welt nicht aufnehmen kann, da sie ihn nicht sieht noch
kennt, dieweil er bei euch bleibt und mit euch ist (Joh 14, 16f 26; 16, 7
ff). Er ist die Quelle der Belebung und Kraft für die Kirche. So zeigt sich
die Kirche, wie das ökumenische Konzil vom Vatikan erklärt, mit
offenkundigen Merkmalen ausgestattet und "wie ein unter den Völkern
aufgestelltes Zeichen" von jeder anderen Gesellschaft ausgezeichnet (3.
Sitzung, 3. Kapitel).
8
Sicher geschieht es nicht ohne ein Wunder der göttlichen Allmacht, dass die
Kirche als geheimnisvoller Leib Christi niemals ihre heilige Lehre, ihre
heiligen Gesetze und Ziele preisgibt, obwohl die Unbotmäßigkeit um sich
griff und allenthalben der Abfall unter ihren Mitgliedern einriss; diese
Allmacht bewirkt es, dass sie aus den Ursachen dieser Vorgänge gleiche
Ergebnisse und Vorteile gewinnt und dass sie aus dem Glauben und der
Gerechtigkeit der Mehrzahl ihrer Mitglieder die reichlichen Früchte des
Heiles erntet. Kein geringeres Zeichen ihrer göttlichen Lebenskraft ist die
Tatsache, dass sie inmitten des abstoßenden Wirrwarrs der Meinungen,
inmitten der zahlreichen streitenden Feinde und vor der bunten Menge der
Irrtümer als Säule und Grundfeste der Wahrheit unerschüttert feststeht mit
dem einheitlichen Bekenntnis des Glaubens, mit der Teilnahme an den gleichen
Heilmitteln, mit ihrer göttlichen Verfassung, ihrer Regierungstätigkeit und
Sittenlehre. Diese Erscheinung ist um so wunderbarer, als sie selbst nicht
nur dem Bösen widersteht, sondern auch das Böse durch das Gute besiegt und
nicht aufhört für Freunde und Feinde zu beten, ganz dem einen Ziel alle ihr
Kräfte widmend, dass die menschliche Gesellschaft wie die Einzelnen durch
das Christentum zur Erneuerung gelangen. Das ist ja ihre wesentliche Aufgabe
auf Erden und auch ihre Feinde erfahren die Wohltat derselben.
9 Dies
wunderbare Eingreifen der göttlichen Vorsehung auf das von der Kirche
ausgehende Werk der Erneuerung hat sich besonders reichlich in den Tagen
gezeigt, welche zum Troste der Guten den heiligen Karl Borromäus
hervorbrachten. Die Leidenschaften waren damals zur Herrschaft gelangt, der
Sinn für die Wahrheit war gestört und verfinstert, der Streit mit den
Irrtümern nahm kein Ende und die menschliche Gesellschaft, in die größten
Übelstände versunken, schien schweres Verderben über sich selbst
heraufzubeschwören. In diesen Zeitläuften erhoben sich stolze und
aufrührerische Menschen, Feinde des Kreuzes Christi, die irdisch gesinnt
sind, deren Gott der Bauch ist (Phil 3, 18f). Die Besserung der Sitten
ließen sie außer acht, bemühten sich aber, die Hauptstücke des Glaubens zu
leugnen und brachten so alles in Verwirrung, sicherten sich und andern
freiere Bahn für ihre Willkür oder arbeiteten doch sicher auf die Zerstörung
der kirchlichen Lehre, Verfassung und Zucht hin, indem sie sich der
Autorität und Leitung der Kirche entzogen, dafür aber sich unter das
willkürlich auferlegte Joch der entartesten Fürsten oder Völker beugten.
Nach dem Beispiele jener Bösen, denen die Schrift die Drohung zuruft: "Wehe
euch, die ihr das Böse gut und das Gute bös nennet!" (Jes 5, 20) gaben sie
diesem Aufruhr widerspenstiger Menschen und dieser Schädigung des Glaubens
und der Sitten den Namen Erneuerung und sich selbst den Namen
Wiederhersteller der alten Sitte. In der Tat aber haben sie Verderben
gebracht. Indem die Kräfte Europas sich in Streitereien und Kriegen
verzehrten, haben sie den Schwächungen und Spaltungen der Gegenwart
vorgearbeitet. Wie mit einem Schlage ist daraus dann jener Krieg von drei
Seiten entbrannt, während zuvor die Angriffe nur einzeln versucht worden
waren und die Kirche aus ihnen immer heil und unversehrt hervorgegangen warm
d.h. der Krieg mit blutiger Gewalttat wie in den ersten Zeiten, dann die
Ansteckung durch Irrtümer im Innern, endlich unter dem Schein des Schutzes
der religiösen Freiheit das Wuchern der Laster und die Zerstörung der Zucht
in einem Grade, den vielleicht nicht einmal das Mittelalter erreicht hat.
10 Der
Schar betrügerischer Menschen stellte Gott Erneuerer im wahren Sinn des
Wortes entgegen, hervorragende Heilige, deren Aufgabe es war, den jähren
Absturz aufzuhalten und die Glut der Leidenschaften zu mäßigen oder die
schon entstandenen Schädigungen wieder gut zu machen. Ihre Arbeit für die
Wiederherstellung der Zucht war anhaltend und mannigfaltig und hat der
Kirche um so größeren Trost gebracht, je schwerer die Sorge war, die auf sie
lastete. Sie wurde zur Bestätigung jenes Ausspruches: Gott ist getreu … er
lenkt auch die Versuchung zum Vorteil (1 Kor 10, 13). Unter diesen Fügungen
hat die Kirche die größte Freude gewonnen, als Gott den heiligen Karl
Borromäus zu einzigartiger Wirksamkeit erweckte und zu großer Heiligkeit des
Lebens.
11 Gott
hat es gefügt, dass seine Amtswaltung mit einer besonderen Kraft und
Eindringlichkeit ausgestattet war, die nicht allein den Trotz der
Parteihäupter zu überwinden, sondern auch die Kinder der Kirche zu belehren
und zu ermuntern wusste. Denn er hielt jene von ihren schädlichen Anschlägen
zurück und entkräftete ihre leeren Beschuldigungen mit der eindrucksvollsten
Beredsamkeit: dem Beispiel seines Lebens und seiner Werke; bei diesen aber
kräftigte er die Hoffnung und nährte die Begeisterung. Die Eigenschaften
eines wahren Reformators, die mir bei andern einzeln und getrennt finden,
die besaß er wunderbarerweise schon in jungen Jahren alle in voller Harmonie
verbunden: Mannesmut, Besonnenheit, Gelehrsamkeit, Ansehen, Arbeitskraft und
Eifer. Sie wirkten wunderbar zusammen zur Verteidigung der Wahrheit des
katholischen Glaubens gegen die umlaufenden Irrtümer; wie es die Absicht der
gesamten Kirche war, so weckte er in vielen den abgestandenen, ja fast
verlorenen Glauben wieder, schützte ihn durch kluge Maßnahmen und
Verordnungen; die ins Wanken geratene Zucht stellte er wieder her und rief
Klerus und Volk wieder entschieden zu einer sittlichen Haltung zurück, wie
sie dem Geist des christlichen Lebens entsprach. So erprobte er sich in
jeder Hinsicht als Reformator. Aber nicht minder bewährte er sich in den
Obliegenheiten des treuen und guten Knechtes und dann im Amt des
Hohenpriesters, der in seinen Tagen Gott gefallen hat und als gerecht
erfunden worden ist. Er verdient es also wohl, dass die Menschen aller
Verhältnisse, Kleriker und Laien, Reiche und Arme, zu ihm wie zu einem
Vorbild aufblicken. Seine Vorzüge sind darin zusammenzufassen, was das Lob
des Bischofs und Vorstehers ist, nämlich dass er, dem Worten des Apostels
Petrus gehorsam, das Vorbild der Herde von Herzen geworden ist (1 Per 5, 3).
Zur Bewunderung aber reisst uns Karolus ebenso hin, da er, noch nicht
zwanzig Jahre alt, die höchsten Ehrenstellen erlangte und mit bedeutsamen
und schwierigen kirchlichen Angelegenheiten betraut, durch die Betrachtung
der göttlichen Dinge in heiliger Zurückgezogenheit zur geistlichen
Erneuerung täglich mehr der vollen reichen Tugendhaftigkeit zustrebte und
als Schauspiel leuchtete für die Welt, Engel und Menschen.
12
Damals wahrlich begann Gott, um die Worte Unseres schon erwähnten Vorgängers
Paul V. zu gebrauchen, in Karl seine Wunderwerke zu offenbaren: die Weisheit
du Gerechtigkeit, den glühenden Eifer für die Förderung der Ehre Gottes und
des Ansehens der Katholischen Kirche, vor allem die Sorge für die Erneuerung
des Glaubens und der gesamten Kirche, eine Aufgabe, welche in dem erhabenen
Konzil von Trient zur Lösung stand. Die Ehre, die Abhaltung des Letzteren
angeregt zu haben, wird von dem gleichen Päpste und der ganzen späteren Zeit
Karl zuerkannt. Er gilt als der Mann, der nicht nur der treueste
Vollstrecker desselben einst gewesen ist, sondern auch sein entschiedener
Vorkämpfer. Ohne seinen vielen Nachtwachen, seine Sorgen und Anstrengungen
aller Art wäre jener Erfolg nicht erreicht worden.
13
Jedoch alles dies war gleichsam nur die Vorbereitung, nur die Schulung für
das weitere Leben zur Übung der Seele im frommen Geiste, des Verstandes in
der Wissenschaft und des Leibes in der Abhärtung. Der demütige und
bescheidene junge Mann war dem Tone gleich in der Hand des Herrn und seines
Stellvertreters auf Erden. Die Neuerer der damaligen Zeit verachteten diese
Haltung und begingen damit die gleiche Torheit wie die heutigen. Sie
bedachten nicht, dass die wunderbaren Fügungen Gottes den Gehorsam und das
fromme Gebet aus Verborgenheit und Schweigen ans Tageslicht führen und
solche Übungen der Keim zur künftigen Entfaltung sind, so wie auch das
Samenkorn die Hoffnung der Ernte in sich schließt.
14 Wir
haben schon oben auf die Anzeichen heiligen Lebens und Handelns hingewiesen,
welches mit diesen verheißungsvollen Anfängen begann. Gerade dort hat es
sich gleichwohl am meisten entfaltet und die reichsten Früchte gebracht, als
er "aus dem glanzvollen und großen Rom schied und als guter Arbeiter in das
Erntefeld sich begab, welches er (in Mailand) übernommen hatte. Jeder Tag
sah ihn dort seine Aufgabe besser erfüllen. Die Ungunst der Zeiten hatte das
Feld zum Dornengestrüpp und verwildern lassen. Er wusste es wieder so
herrlich umzubauen, dass die Kirche von Mailand durch ihn zum ruhmvollen
Vorbild der kirchlichen Zucht wurde" (Bulle Unigenitus). Diese reichen und
rühmlichen Erfolge erreichte er, weil er sein Erneuerungswerk nach den
Grundsätzen einrichtete, welche das Konzil von Trient kurz zuvor aufgestellt
hatte.
15 Die
Kirche weiss wohl, wie sehr Sinnen und Denken des menschlichen Herzens zum
Bösen geneigt sind (Gen 8, 21). Und sie hat niemals aufgehört, gegen Sünde
und Irrtum zu kämpfen, auf dass der Leib der Sünde zerstört würde und wir
nicht mehr der Sünde dienten (Röm 6, 6). In diesem Streite ist sie selbst
sich Lehrmeisterin und wird getrieben von der Gnade, welche ausgegossen ist
in unsere Herzen durch den Heiligen Geist. Die Regel für ihr Denken und
Handeln ist hierbei das Wort des Lehrers der Völker [Paulus]: Erneuert euch
im Geiste eures Gemütes (Eph 4, 23) und machet euch nicht dieser Welt
gleichförmig, sondern wandelt euch selbst um in Erneuerung eures Sinnes, so
dass ihr Prüfet, was der Wille Gottes, was gut, wohlgefällig und vollkommen
sei (Röm 12, 2). Wer ein Sohn der Kirche und ein nicht bloß vorgeblicher
Erneuerer derselben ist, wird nie sagen, dass er dieses Ziel erreicht habe;
er rühmt sich nur, danach zu streben, gleich dem Apostel, der schreibt: Ich
vergesse, was hinter mir liegt und Strecke mich nach dem aus, was vor mir
liegt; dem vorgesteckten Ziele eile ich zu, dem Preise der von oben
erhaltenen Berufung Gottes in Christus Jesus" (Phil 3, 13f).
16
Daraus folgt, dass auch wir, in der Kirche mit Christus verbunden, wachsen
sollen in allen Stücken in ihm, der das Haupt ist, Christus, durch welchen
der ganze Leib … sein Wachstum erhält zu seiner Erbauung in Liebe (Eph 4,
15f); täglich mehr soll die Kirche, unsere Mutter, das Geheimnis der
göttlichen Willens zur Geltung bringen, d.h. in der Fülle der Zeiten alles
zu erneuern in Christus (Eph 1, 9f).
17
Darauf ihre Aufmerksamkeit zu lenken haben jene Geister verabsäumt, die es
auf eigene Faust unternommen hatten, Glauben und Sitten zu erneuern und
deren Unterfangen Karl Borromäus entgegentrat. Und ihre Nachbeter in unseren
Tagen, gegen die Wir, ehrwürdige Brüder, entschieden kämpfen müssen, stellen
es nicht besser an. Auch diese untergraben die Lehre, Gesetze und
Einrichtungen der Kirche und führen die ernste Pflege des höheren
Kulturfortschrittes im Munde, so tun sie dies nicht, weil sie darum sich
besonders mühten, sondern um die eindrucksvollen Vorwänden ihre verkehrten
Pläne leichter bemänteln können.
18 Was
sie tatsächlich tun und erstreben, wohin ihr Weg geht, darüber täuscht sich
keiner von euch und Wir haben ihre Absichten aufgedeckt und verwerfen. Sie
arbeiten auf eine allgemeine Abwendung vom Glauben und von der Führung durch
die Kirche hin und da sich diese Richtung fast in den Adern der Kirche
selbst schlau zu verbergen und voran zu schleichen sucht und aus den
verkehrten Voraussetzungen ihre -schlüsse so sein herzuleiten weiß, ist sie
schlimmer als der Abfall, welcher die Zeit des heiligen Karolus bedrohte.
19 In
beiden Fällen ist das Unheil von derselben Ursache ausgegangen; vom Feind,
welcher zum Verderben des Menschengeschlechtes Unkraut mitten in den Weizen
gesät hat (Mt 13, 25) - es hat ja wahrlich den Schlaf noch nicht abgetan -;
beide Mal ist es derselbe verborgene und dunkle Pfad, derselbe Gang der
Entwicklung, dasselbe Ende. Denn früher hat die unheilvolle Bewegung sich
ihren Weg gebahnt, indem sie die Kräfte dort einsetzte, wo sie zufällig
Aussicht bekam und den Stand der Vornehmen und den Stand des gewöhnlichen
Volkes gegeneinander hetzte, um zuletzt beide zu betrügen und zu verderben.
Jetzt hat sie in ähnlicher Weise in den Dürftigen den Neid gegen die
Vermöglichen wachgerufen und verschärft, so dass keiner, mit seinem Lose
zufrieden, sein Leben als ein Fortschleppen in dauerndem Elend ansieht und
jene Strafe büßt, welche diejenigen trifft, die nicht das Reich Gottes und
seine Gerechtigkeit suchen, sondern den hinfälligen und vergänglichen Gütern
dieser Welt nachhängen. Ein Umstand aber macht den gegenwärtigen Zwiespalt
verhängnisvoller. In den vergangenen Tagen haben die neuerungssüchtigen
Geister aus dem Schätze der göttlichen Offenbarung meistenteils gewisse
Punkte als sicher und unverrückbar festgehalten. In unserer Zeit dagegen
scheinen dieselben nicht ruhen zu wollen, bis sie sehen, dass alles
unterwühlt ist. Wo aber die Grundfesten der Religion zerbrechen werden, da
muss auch die bürgerliche Gesellschaft zerfallen. Wahrlich ein trauriger
Anblick für die Gegenwart und schaudervoll für die Zukunft! Für den Bestand
der Kirche ist ja nicht zu fürchten. Die göttlichen Verheißungen schließen
allen Zweifel daran aus. Aber den Familien und Völkern drohen Gefahren und
am meisten diejenigen, welcher den unheilvollen Hauch der Gottlosigkeit zu
offen sich aussetzen oder ihn zu geduldig über sich wehen lassen.
20 Es
ist ein verhängnisvoller und törichter Krieg. Und die Gewalthaber, welche
vor allen andern zu Uns halten und Unsere Sache schützen sollten, beteiligen
sich mitunter selbst als Genossen und Helfer, wo er entfacht oder verbreitet
werden soll. Von diesen vielfältigen Irrtümern und mannigfaltigen
Verlockungen zur Sünde werden auch nicht wenige aus unsern Reihen berückt,
welche der Schein der Neuheit oder der Wissenschaftlichkeit verführt oder
die da eitler Hoffnung meinen, es sei eine freundliche Verständigung
zwischen der Kirche und den Forderungen der Welt möglich. Bei dieser
Sachlage, ehrwürdige Brüder, erkennt ihr klar, dass wir mit Entschiedenheit
Widerstand leisten müssen und dass wir den Angriff der Feinde mit denselben
Waffen aufnehmen müssen und welchen einst Karl Borromäus gekämpft hat.
21 Da
dieselben den Glauben selbst als unsere Burg bedrohen, sei es durch offene
Leugnung oder hinterlistige Angriffe und Verdrehung seiner Hauptstücke, so
last uns demgemäß die Worte beherzigen, welche Karl Borromäus gar oft
betonte: "Die erste und Hauptsorge der geistlichen Hirten muss der Erhaltung
des unversehrten katholischen Glaubens gelten, den die heilige Römische
Kirche hegt und lehrt und ohne den es unmöglich ist, Gott zu gefallen"
(Provinzialkonzil I, gegen Anfang). "Auf diesem Gebiete kann man mit seinem
Eifer gar nicht zuviel tun, wenn man auch den allergrößten aufbietet"
(Provinzialkonzil V, 1. Teil). Den "Sauerteig der häretischen Verderbnisse",
der die ganze Masse verdirbt, sofern ihm nicht Einhalt getan, d.h. den
verkehrten Lehren, die unter falscher Färbung eingeschmuggelt werden sollen
und welch alle zusammen der Modernismus vertritt, muss man mit der gesunden
Lehre entgegentreten und mit Karl beherzigen, "wie groß die Verpflichtung
des Bischofs ist zum eifrigen Kampfe und zur weitaus größten und sorgsamsten
Wachsamkeit gegen die Irrlehre" (Provinzialkonzil V, 1. Teil).
22 Die
weiteren Worte, mit denen der Heilige die Verfügungen, Gesetze und Strafen
in Erinnerung bringt, welche die Römischen Päpste erlassen haben gegen
weniger sorgsame Hüter ihrer Diözesen vor der Ansteckung durch häretische
Verderbnisse, brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Aber sehr nützlich
ist es, auf die Schlussfolgerungen zu achten, die er daraus gezogen hat. "So
soll den", sagt er, "den Bischof vor allem niemals die Sorge und Wachsamkeit
verlassen, dass nicht nur die so verderbliche Krankheit der Irrlehre
nirgends in die ihm anvertraute Herde eindringe, sondern dass sie auch
gänzlichh frei sei von jedem, auch vom geringsten Verdacht. Wenn aber, was
Christus in Gnade und Barmherzigkeit abwehren wolle, die Irrlehre sich in
die Herde eingeschlichen hätte, so bemühe er sich mit allen Mitteln, um sie
so schnell als möglich wieder zu ersticken. Gegen diejenigen, welche von der
Irrlehre angesteckt sind oder als derselben verdächtig erscheinen, gehe er
gemäß den Weisungen der päpstlichen Bestimmungen und Strafgesetze vor"
(Provinzialkonzil V, 1. Teil).
23
Jedoch die Versuche, die häretischen Ansteckungen abzuwehren und ihnen
vorzubeugen, müssen wirkungslos bleiben, wenn nicht die größte Sorgfalt auf
die rechte Bildung des Klerus und Volkes verwendet wird. Denn der Glaube
kommt vom Hören, das Hören aber durch das Wort Christi (Röm 10, 17). Die
Notwendigkeit, allein die Wahrheit mit Nachdruck zu verkündigen, ist heute
noch größer geworden, da Wir durch alle Adern der Gesellschaft, selbst wo
man es am wenigsten vermuten sollte, das verderbliche Gift schleichen sehen
und man auf alle anwenden kann, was einst der heilige Karl mit folgenden
Worten in seinen Begründungen aussprach: "Wer mit Häretikern in Berührung
kommt und nicht in den Grundlagen des Glaubens gefestigt und stark ist, für
den muss man ängstlich fürchten, er möchte von ihnen nur zu leicht irgendwie
in die Truggespinste der Gottlosigkeit und der Irrlehre verstrickt werden"
(Provinzialkonzil V, 1. Teil). Denn wie im übrigen Leben, so schaffen auch
für die Irrtümer die Erleichterungen des Reisens größere Gelegenheit zum
Austausche. Die Gedanken neigen der Zügellosigkeit zu. Wir leben in einer
verdorbenen Gesellschaft, wo die Wahrheit nicht herrscht, wo kein Wissen von
Gott waltet (Hos 4, 1), in einer Welt, welche der Verödung verfallen ist,
weil niemand ist, der mit sich zu Rate geht (Jer 12, 11). Aus diesem Grunde
haben Wir, um mit Karolus zu sprechen, "bisher große Sorgfalt aufgeboten,
damit die Christgläubigen alle und einzeln zum Unterricht in den Grundlehren
des christlichen Glaubens gelangen sollten" (Provinzialkonzil V, 1. Teil).
Weil diese Angelegenheit zu den wichtigsten Obliegenheiten gehört, haben Wir
sie zum Gegenstande eines besonderen Rundschreibens gemacht (Rundschreiben
Acerbo nimis vom 25. April 1905). Von ungestillter Sehnsucht brennend,
klagte der heilige Borromäus, dass er "in der wichtigen Angelegenheit noch
zu wenig erreicht habe." Wenn Wir diese Klage Uns nicht zu eigen machen, so
bewegt Uns nichtsdestoweniger doch die gleiche "Größe der Sache und ihrer
Gefährdung" wie ihn und Wir wünschten alle anzuspornen, dass sie dem
Beispiele des heiligen Karl folgen und jeder gemäss seinem Amte und nach
seinen Kräften dem Werke der Erneuerung des christlichen Geistes sich
hingebe. Daher mögen die Familienväter und Herren die eifrigen Ermahnungen
bedenken, mit denen jener heilige Seelenhirt unablässig sie ermuntere, ihre
Kinder, ihre Hausgenossen und Dienstboten nicht nur zur Unterweisung in der
christlichen Lehre zuzulassen, sondern sie dazu selbst anhalten. Desgleichen
sollen die Geistlichen nicht vergessen, dass sie dem Vorsteher Hilfe leisten
sollen im katechetischen Unterricht. Der Vorsteher selbst aber soll dafür
sorgen, dass mehrere höhere Schulen vorhanden sind, entsprechend der Zahl
und dem Bedürfnis der Gläubigen. Sie sollen sich empfehlen durch die
Tüchtigkeit der Lehrer. Denselben sollen hinwieder ehrenwerte Männer oder
Frauen als Hilfskräfte zugewiesen werden, so wie es die Vorschriften des
Bischofs von Mailand anordnen (Provinzialkonzil V, 1. Teil).
24 Wie
sehr die Notwendigkeit dieser christlichen Einrichtung gewachsen ist, zeigt
schon deutlich der ganze Gang unserer Zeit und der sittlichen Haltung. Am
schärfsten aber beweisen es die öffentlichen Schulen, aus denen die Religion
ganz ferngehalten wird und wo man sich aus dem Spott über die heiligsten
Dinge ein Vergnügen macht und der Mund der Lehrer ebenso willig der
Gottlosigkeit dient, als die Ohren der Schüler dieselbe einsaugen. Jene
Schulen meinen Wir, die man mit größtem Unrecht neutrale oder Laienschulen
nennt, während sie nichts anderes sind, als die Vormacht der Partei der
Finsternis. Dieses neue Joch einer verkehrten Freiheit habt ihr, ehrwürdige
Brüder, ernst und nachdrücklich gekennzeichnet, besonders in den Gegenden,
wo die Rechte der Religion und der Familie mit solcher Anmaßung unterdrückt
werden und der Ruf der Natur nach Schutz der Reinheit und des Glaubens in
den jugendlichen Herzen niedergehalten wird. Von andern verlangen diese
Gehorsam; Gott, dem höchsten Herrn der Dinge, verweigern sie ihn. Dem
Unheil, welches sie angerichtet haben, suchten Wir, soweit es an Uns liegt,
zu steuern und gaben die Anregung, dass in den Städten geeignete Schulen zur
religiösen Unterweisung gegründet wurden. Durch eure Bemühungen hat sich
dieses Werk bis jetzt zur Zufriedenheit und glücklich entwickelt. Man muss
aber dennoch ernstlich bestrebt sein, es noch weiter auszubreiten. Es sollen
allenthalben mehrere solcher Lehrstätten eröffnet werden und reichlich mit
Lehrern versehen sein, welche durch Lehrgabe und Lebenswandel sich
empfehlen.
25 Mit
diesem so heilsamen Unterricht in den Anfangsgründen der Religion steht im
engsten Zusammenhang das Amt des Kanzelredners. In ihm müssen die erwähnten
Vorzüge sich noch reichlicher finden. Daher waren die Absichten und Pläne
des heiligen Karl in den Diözesan- und Provinzialsynoden hauptsächlich
darauf gerichtet, dass man Kanzelredner heranbilde, welche dem Dienste des
Gotteswortes heilig und segensreich obliegen könnten. Die jetzigen Zeiten
scheinen das noch schärfer von uns zu fordern. Bei so vielen Menschen wankt
der Glaube und es fehlt nicht an solchen, welche aus eitlem Ehrgeiz dem
Zeitgeiste nachgeben, das Wort Gottes verfälschen und den Gläubigen das Brot
des Lebens entziehen.
26 Mit
der größten Wachsamkeit müssen wir, Ehrwürdige Brüder, daher verhüten, dass
unsere Herde von nichtigen und leichtfertigen Menschen mit leerem Winde
genährt werde, sondern das lebendige Brot soll sie kräftigen, dargereicht
von den Dienern des Wortes, von denen die Schrift sagt: Wir sind Gesandte an
Christi Statt, indem Gott gleichsam durch uns ermahnt: Versöhne euch mit
Gott (2 Kor 5, 20); von Dienern und Gesandten, die nicht in Arglist wandeln
und das Wort Gottes nicht verfälschen, sondern durch Offenbarung der
Wahrheit gegenüber jedem Gewissen der Menschen sich vor Gott empfehlen (2
Kor 4, 2); Arbeitern, die sich nicht schämen und das Wort der Wahrheit recht
behandeln (2 Tim 2, 15). Sorgfältig müssen wir uns von den heiligen und so
segensreichen Grundsätzen leiten lassen, welche der Bischof von Mailand mit
den Worten des heiligen Paulus den Gläubigen ans Herz legte: "Als ihr von
uns das Wort der Offenbarung Gottes aufnähmet, habt ihr es aufgenommen nicht
als ein Wort von Menschen, sondern als das Wort Gottes, was es auch wahrhaft
ist, Gottes, der in euch wirkt, die ihr gläubig geworden seid" (1 Thess 2,
13).
27 Das
Wort Gottes, lebendig, wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert
(Hebr 4, 12), wird nicht nur den Glauben erhalten und schützen, sondern es
wird auch die Herzen wunderbar begeistern, dass sie der Tugend sich
zuwenden. Denn der Glaube ohne Werke ist tot (Jak 2, 26); und nicht die
Hörer des Gesetzes sind gerecht vor Gott, sondern die, welche das Gesetz
befolgen, werden gerechtfertigt (Röm 2, 13).
28 Auch
hier offenbart sich, wie verschieden der Weg der Erneuerung auf den beiden
Seiten ist. Die Wegbahner der falschen Erneuerungsbestrebungen, echte
Abbilder der Unbeständigkeit törichter Menschen, pflegen jählings und
einseitig den übertriebenen Auffassungen sich zu ergeben. Den Glauben
betonen sie in einem Maße, dass sie ganz absehen von der Notwendigkeit, auch
recht zu handeln. Die Vorzüge des Tugendlebens suchen sie ganz auf dem Boden
der Natur allein, ohne die Hilfe des Glaubens und der göttlichen Gnade in
Betracht zu ziehen.So kommt es, dass die von rein natürlicher Ehrbarkeit
geleitete Pflichterfüllung zum bloßen Schattenbild der Tugend wird, ohne
Bestand und genügende Kraft zum Heile. Indem sie so vorgehen, tragen sie
nichts zur Auferbauung des Lebens bei, helfen aber Glauben und Sitten
zerstören.
29 Ganz
anders jene, welche das Beispiel des heiligen Karl befolgen und als Freunde
der Wahrheit ohne Falsch nach heilsamer Besserung der Verhältnisse streben.
Sie gefallen sich nicht in Übertreibungen und halten unverbrüchlich die
festen Grenzen ein, die man nur überschreitet, um jede Erneuerung zu Fall zu
bringen. In treuer Anhänglichkeit an die Kirche und Christus, ihr Haupt,
gewinnen sie dorther nicht nur die Kräfte des innerlichen Lebens, sondern
auch den Maßstab für die äußere Arbeit und so können sie sicher an die
Aufgabe herantreten, die Schwächen der menschlichen Gesellschaft zu heilen.
Zur göttlichen Sendung, die für immer jenen zu teil geworden ist, die an
Christi Statt das aufgetragene Amt verwalten werden, alle Völker zu lehren,
gehört aber wesentlich, nicht nur zu Elhren, was man glauben muss, sondern
auch, was man im Werke zu üben hat, d. h. wie Christus es selbst aussprach,
alles zu beobachten, was immer in euch aufgetragen habe (Mt 28, 19f). Denn
er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14, 6) und kam, damit die
Menschen das Leben haben und es in Fülle haben (Joh 10, 10). Alle jene
Pflichten treu zu beobachten, geleitet vom bloßen Lichte des natürlichen
Geistes, ist äußerst schwer und geht weit über das hinaus, was menschliche
Kräfte für sich leisten können. Daher ist mit dem kirchlichen Lehramt auch
die Leitung der christlichen Gesellschaft und die Führung derselben zu
allem, was heilig ist, verbunden. Durch diejenigen, welche gemäss ihrer
Stellung und ihrem Amte ihm dazu Hilfe und Dienste darbieten, verschafft es
der Gesellschaft die passenden und nötigen Mittel des Heiles. In dieser
Erkenntnis unterbinden die Vorkämpfer einer wahren Erneuerung nicht die
Schosse, um die Wurzel zu retten, d. h. sie trennen nicht den Glauben los
von der Übung eines heiligen Lebens, sondern nähren und pflegen beide,
geleitet vom Geist der Liebe, welche ist das Band der Vollkommenheit (Kol 3,
14). Dem Apostel gehorsam, hüten sie das hinterlegte Gut der Offenbarung (1
Tim 6, 20), nicht um es vor den Völkern zu verbergen und ihnen das Licht
desselben zu entziehen, sondern um die Ströme der Wahrheit und des Lebens,
die voll Heil aus jener Quelle fließen, recht weit sich ergießen zu lassen.
Im Besitze dieses reichen Schatzes, verbinden sie Lehre und Übung
miteinander. Die Lehre muss die Fallstricke des Irrtums zerreißen, die Übung
muss Sitten und Lebenstat in die Bahn der Gebote einführen. Und so suchen
sie alle Hilfsmittel, die zum Ziele dienlich oder notwendig sind und wirken
für die Ertötung der Sünde und zur Vollendung der Heiligen, zur Erfüllung
ihres Dienstes und zur Auferbauung des Leibes Christi (Eph 4, 12). So
entspricht es den Satzungen der Väter und der Konzilien, den kanonischen
Bestimmungen und Gesetzen; das ist der Zweck all der mannigfaltigen
Hilfsanstalten der Belehrung, der Regierung und der Wohltätigkeit, ja
endlich der ganzen kirchlichen Zucht und Wirksamkeit. Auf diese Lehren des
Glaubens und der Tugend richtet sich der wahre Sohn der Kirche gespannt
Blick und Aufmerksamkeit in seinem Streben, sich selbst und andere zur
Besserung des Lebens zu führen. Der heilige Borromäus erwähnt oft diese
Gewährsmänner und auf sie hat er sich bei der Erneuerung des kirchlichen
Lebens gestützt. Er schreibt: "Wir halten uns an die Übung und die
gewichtigen Vorschriften der heiligen Väter und Konzilien, insbesondere der
ökumenischen Synode von Trient. Auf dieser Grundlage haben wir in unsern
früheren Provinzialkonzilien viele Beschlüsse gefasst." Als er galt,
Maßnahmen gegen die öffentliche Verderbnis der Sotten zu treffen, bekennt
derselbe, dass er hierzu geleitet ist "durch das kanonische Recht, durch
geheiligte Verfügungen und insbesondere durch die Dekrete des Konzils von
Trient (Provinzialkonzil V, 1. Teil).
30
Damit nicht zufrieden, suchte er jede Abweichung von diesen Normen noch
dadurch zu verhüten, dass er die Bestimmungen auf seinen Provinzialkonzilien
in nachstehender Weise abschließt: "Alle Beschlüsse und Verhandlungen,
welche auf diesem Provinzialkonzil geschehen, unterwerfen wir im ganzen und
im einzelnen mit schuldigem Gehorsam und Ehrfurcht der Gewalt und dem
Urteile der heiligen Römischen Kirche, der Mutter und Lehrerin aller
Kirchen, damit sie jederzeit dieselben verbessere und berichtige"
(Provinzialkonzil VI, gegen Ende). Diese Hingebung wuchs nur mit seiner
täglich zunehmenden Beherrschung der äußeren Amtsführung, nicht bloß solange
sein Oheim den Stuhl Petra innehatte, sondern auch als die Nachfolger
desselben auf ihm saßen, Pius V. und Gregor XIII.. Wie er diese mit
Entschiedenheit unterstützte, als sie zum Pontifikat erhoben wurden, so hat
er gerade in den wichtigsten Angelegenheiten sich als deren tatkräftigen
Helfer bewiesen und ihren Erwartungen glänzend entsprochen.
31 Am
allermeisten aber hat er ihrem Willen sich untergeordnet in der Darlegung
der Maßnahmen, welche zur Erreichung des vorgesteckten Zieles geeignet
waren, nämlich des Zieles der Erneuerung des christlichen Lebens. Hierin war
er himmelweit entfernt von der Gesinnung jener, welche ihre
Widerspenstigkeit hinter dem Scheine eifrigeren Strebens verbergen. So
begann er das Gericht mit dem Hause Gottes (1 Petr 4, 17) und wandte seine
Aufmerksamkeit zu allererst der Schaffung sicherer Satzungen für das Leben
des Klerus zu. In diesem Ziele rief er für die Kandidaten der heiligen
Weihen Seminare ins Leben, stiftete Priesterkongregationen mit dem Namen
Oblaten, begründe religiöse Vereinigungen alter und neuer Form, rief
Konzilien zusammen und ließ kein Mittel unversucht, sein Werk zu sichern und
zu fördern. Dann schritt er zur Besserung der Sitten des Volkes. Nicht
minder rührig arbeitete er an ihr; denen er bezog das Wort des Propheten im
Alten Testamente auf sich: Siehe, ich habe dich heute bestellt …, damit du
ausreizest und zerstörest und zerpflückest und zerstreuest, auferbauest und
pflanzest (Jer 1, 10). Als guter Hirt zog er deshalb unter großen
Anstrengungen durch die Kirchen seiner Provinz und man konnte von ihm nach
dem Vorbilde des göttlichen Meisters sagen: Er zog umher wohltuend und
heilend, was wund war in seiner Herde. Was er allenthalben antraf an
Schäden, mochten sie aus Unwissenheit oder aus Vernachlässigung der Gesetze
stammen, das suchte er mit größtem Nachdruck zu entfernen und dauernd
auszutilgen. Den herrschenden verkehrten Meinungen und den Auswüchsen der
Begierlichkeiten stellte er als Wehr Schulen zum Unterricht der Jugend
entgegen und Konvikte für Knaben, die Marianischen Sodalitäten, welche er zu
Rom kennen gelernt hatte, Waisenhäuser, Zufluchtsstätten für gefährdete
Frauenzimmer, für Witwen und andere, Männer und Frauen, welche Dürftigkeit,
Krankheit oder Alter gebeugt hatte. Dazu kommen der Schutz der Armen vor der
Willkür der Herren, vor Auswucherung und Entziehung der Kinder und andere
zahlreiche Maßregeln dieser Art. Bei allen diesen Unternehmungen hielt er
sich himmelweit fern von der Gepflogenheit jener, welche die christliche
Gesellschaft auf eigene Faust reformieren wollen, alles in Bewegung setzen,
überall eitlem Lärm machen und ganz das göttliche Wort vergessen: Der Herr
ist nicht im Aufruhr (1 Kön 19, 11).
32 Das
ist ein weiteres Merkmal, wie ihr, Ehrwürdige Brüder, aus Erfahrung wisst,
wodurch sich wahre Erneuerer von vorgeblichen unterscheiden, dass nämlich
letztere das ihrige suchen, nicht das, was Christi ist (Phil 2, 21) und
wohlgefällig die hinterlistigen Worte aufnehmen, die einstens dem göttlichen
Meister zugeflüstert Wuhren: "Offenbare dich doch selbst der Welt (Joh 7,
4). Stolz wiederholen sie das Wort: Auch wir wollen uns einen Namen machen.
Oft müssen wir darum heute die Opfer der Vergangenheit beklagen und sagen:
Es in Priester gefallen im Kriege, indem sie Tapferkeit zeigen wollten und
indem sie ohne Umsicht in den Kampf stürzten (Makk 5, 57.67).
33 Wer
im Gegensatz hierzu mit reiner Absicht für die Besserung der menschlichen
Lage arbeitet, der sucht nicht seinen eigenen Ruhm, sondern den Ruhm dessen,
der ihn gesandt hat (Joh 7, 18). Er hält sich an das Beispiel Christi und
wird nicht streiten und nicht schreien, niemand wird seine Stimme auf den
Gassen hören; - er wird nicht traurig und verstört sein (Jes 42, 2ff; Mt 12,
19), sondern mild und demütig von Herzen (Mt 11, 29). Ein solcher ist
gottgefällig und wird reichliche Früchte des Heiles ernten.
34 Auch
dadurch unterscheiden sich die Vertreter der beiden Richtungen: Auf der
einen Seite verlassen sie sich ganz auf menschliche Hilfe, man baut auf den
Menschen und macht Fleisch zu seinem Arm (Jer 17, 5). Auf der anderen Seit
gründet man seine Zuversicht auf Gott; von ihm und durch übernatürliche
Hilfsmittel erwartet man alle Kraft und Stütze und spricht mit dem Apostel
von neuem: "Ich vermag alles in dem, der mich stärkt" (Phil 4, 13).
35
Christus hat uns solche Hilfsmittel in reicher Menge geschenkt und der
gläubige Mann sucht dieselben in der Kirche zum allgemeinen Heile, vor allem
das eifrige Gebet, das Opfer und die Sakramente, welche sind wie eine
Wasserquelle, die fließt ins ewige Leben (Joh 4, 14). Jene, die auf
verkehrten Wegen und ohne Gott das Werk der Erneuerung anstreben, haben
dafür nur Abneigung und suchen unablässig diesen reinen Born entweder ganz
auszutrocknen oder doch zu trüben und das christliche Volk von ihm
freizuhalten. Die Neueren Nachtreter der oben Genannten zeigen sich hierin
noch schlimmer, da sie unter dem Scheine einer gehobenen Religiosität jene
Mittel des Heiles ganz gering schätzen und verspotten, besonders die zwei
Sakramente, durch welche der Büßende Sühnung für seine Fehler auf die Seele
im Himmelsmahl Stärkung findet. Daher werden gerade die Besten mit allem
Eifer dafür sorgen, dass die um so hohen Preis erworbenen und uns
geschenkten Gaben in größter Verehrung bleiben und nicht dulden, dass der
Eifer der Menschen für diese beiden Werke der göttlichen Liebe ausgelöscht
werde.
36 Ganz
so handelte Borromäus. Wir lesen unter anderem in seinen Schriften: "Je
schwerer die Größe und der Reichtum der Früchte der Sakramente es macht,
ihre Kräfte zu erklären, desto größer soll die innere Andacht der Seele und
der äußere Kult und die Ehrerbietung sein, mit denen man sie behandelt und
empfängt" (Provinzialkonzil V, 2. Teil). Auch jene Worte sind recht sehr der
Erwähnung wert, mit denen er die Pfarrgeistlichen und andere Kanzelredner
eindringlich ermahnte, für den häufigen Genuss des himmlischen Brotes wieder
den Eifer zu erwecken, der die Vorzeit belebt hat. Auch wir haben dies im
Dekret Sacra trindentina synodus getan. "Zur heilsamer Übung des häufigen
Empfanges der Kommunion", sagt der heilige Bischof, sollen die Pfarrer und
Kanzelredner das Volk so oft möglich ermahnen, gemäss dem Verfahren und
Vorbild der Kirche und der ersten Zeit, gemäß den Stimmen der bedeutendsten
Kirchenväter, der eingehenden Lehre des Römischen Katechismus über diese
Frage und endlich der Erklärung des Konzils von Trient. Die Letztere
wünschte, dass die Gläubigen in den Einzelnen Messen nicht nur
geistlicherweise, sondern mit wirklichem Empfange des allerheiligsten
Sakramentes kommunizierten" (Provinzialkonzil III, 1. Teil). Mit welcher
Geistesverfassung man an dem heiligen Gastmahl sich beteiligen müsse,
darüber hinterließ er die belehrenden Worte: "Wenn man das Volk zur häufigen
Übung der sakramentalen Kommunion anregt, dass soll man ihm auch vor Augen
stellen, wie gefahrvoll und verderbnisbringend es wäre, dem Tisch des
heiligen Mahles unwürdig sich zu nahen" (Provinzialkonzil IV, 2. Teil).
Diese Sorgfalt erscheint in unseren Tagen des wankenden Glaubens und der
erkaltenden Liebe sehr erforderlich zu sein, sonst könnte der häufige
Empfang die Ehrfurcht, welche dem heiligen Geheimnisse gebührt, vermindern,
während sie doch gerade der Antrieb sein soll, dass der Mensch sich selber
prüfe und so von diesem Brote esse und aus diesem Kelch trinke (1 Kor 11,
28).
37 Aus
diesen Quellen wird die Gnade in reichem Strome erließen und auch die
menschlichen und natürlichen Bestrebungen werden daraus Erfrischung und
Nahrung gewinnen. Denn der christliche Mann wird bei keiner Handlungsweise,
was zum Leben dient und frommt, nicht missachten, da es von einem und
demselben Gott stammt, welcher der Urheber der Gnade und der Natur ist; aber
er wird sich sehr hüten, sein Lebensziel im Erwerb und Genuss äußerer und
leiblicher Güter zu suchen und in ihnen sein Glück zu sehen. Wer also diese
Güter richtig und mäßig gebrauchen will, der soll sie zum Heil der Seele
wenden und das Wort Christi befolgen: Suchet zuerst das Reich Gottes und
seine Gerechtigkeit und alles andere wird euch dazugegeben werden (Lk 12,
31; Mt 6, 33).
38 Der
geordnete und weise Gebrauch der Dinge ist weit davon entfernt, dem Wohle
der niederen Verhältnisse, d. h. dem der bürgerlichen Gesellschaft, Eintrag
zu tun. Er dringt vielmehr für dasselbe die bedeutendsten Vorteile und zwar
bestehen diese nicht bloß in leeren Worten, wie es bei Parteimännern zu sein
pflegt, sondern in wirklichen Segnungen, in entschiedenster Aufopferung, die
bis zum Opfer des Vermögens, der Kräfte, ja des Lebens selbst geht.
Beispiele solcher hervorragender Starkmut haben mehrere Bischöfe gegeben,
welche in den Bedrängnissen der Kirche den Feuereifer des heiligen Karl sich
zum Vorbild nahmen und das Wort des göttlichen Meisters erfüllten: Der gute
Hirt gibt sein Leben für seine Schafe (Joh 10, 11). Nicht Ehrgeiz,
Parteiinteresse oder gar persönlicher Eigennutz treiben solche Männer an,
sich für das allgemeine Wohl zu opfern, sondern jene Liebe, welche nimmer
aufhört. Dieses Feuer glühte, unerkannt von den Blicken der -weltkinder, in
der Brust des Borromäus, als er in Dienst der Pestkranken sich mutig der
Todesgefahr aussetzte. Und er war nicht zufrieden, die Schäden der Gegenwart
zu bekämpfen, sondern offenbarte auch sorgende Wachsamkeit zur Abwehr der
Kommenden. Das zeigen die Worte: "Ein guter Vater, der seine Kinder in
einzigartiger Weise liebt, der sorgt wie für ihre Gegenwart so auch für ihre
Zukunft und bereitet ihnen vor, was zum würdigen Leben notwendig ist. Das
ist durchaus vernünftig. So fühlen auch wir durch die Pflicht väterlicher
Liebe uns angetrieben, mit aller Umsicht für die Gläubigen unserer Provinz
in diesem fünften Provinzialkonzil wachsame Vorsorge zu treffen gemäß dem,
was wir in unheilvoller Zeit als rettende Hilfsmittel erkannt haben"
(Provinzialkonzil V, 2. Teil).
39
Dieselben Bestrebungen und Maßnahmen des weitschauenden Geistes, Ehrwürdige
Brüder, werden durch die katholische Bewegung verwirklicht, die Wir oft
empfohlen haben. Zur Ausführung der weltumfassenden Aufgabe, die alle Werke
der Barmherzigkeit als verheißenen Preis des ewigen Reiches umfasst (Mt 25,
34 ff), müssen aber auch auserwählte Männer aus dem Volk herbeigezogen
werden. Wer von ihnen einmal das Werk über sich genommen hat, muss bereit
und befähigt sein, sich und sein Alles ganz für die gute Sache zu
opfern,gegen Neid, Schmähung und Klassenhass auszuharren, wenn sie ihm
Wohltaten mit Bosheit vergelten und zu arbeiten wie ein guter Streiter Jesu
Christi (2 Tim 2, 3) und mit Geduld dem uns vorgelegten Wettkampfe
entgegenzulaufen im Aufbuk zum Urheber und Vollender des Glaubens, zu Jesus
(Hebr 12, 1f). Bitter wahrlich ist diese Art des Kampfes; aber sie führt zum
Heil des Staates, wenn auch die Zeit seinen vollen Sieg hinausschiebt.
40
Schauen wir auch hierbei auf das herrliche Beispiel des heiligen Karl.
Suchen wir ihn jeder nach seinen Verhältnissen nachzuahmen und an ihm den
Mut aufzurichten. Dieser durch seine auserlesene Tugend, wunderbare Tatkraft
und hervorragende Mann sah auch sich keineswegs ausgenommen von dem Gesetze:
Alle, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden Verfolgung leiden
(2 Tim 3, 12). Gerade sein abgetöteter Lebenswandel, seine Treue gegen Recht
und Ehrenhaftigkeit, seine unbestechliche Achtung vor Gesetz und
Gerechtigkeit trugen ihm die Missgunst der höheren Schichten ein. Die
verschlagenen Ränke der Regierenden richten sich gegen ihn; die
Stadtverwaltung hat er zum Feind; bei Adel, Klerus und Volk wird er
verdächtigt; die Knechte der Laster erfüllt so tödlicher Hass gegen ihn,
dass sie ihm nach dem Leben streben. Allein trotz seiner Anlage zur Sanftmut
und Nachgiebigkeit hat er gegenüber all dem mit ungebeugtem Mute
standgehalten.
41
Nicht nur in den Dingen, die den Glauben und die Sitte bedrohten, kannte er
kein Nachgeben. Er nahm auch nicht einmal solche Forderungen an, welche der
kirchlichen Disziplin entgegenstanden oder das Gläubige Volk beschwert
hätten, mochten sie gleich, wie man glaubt, vom Träger der königlichen
Macht, der übrigens katholisch war, gestellt worden sein. Des Wortes
eingedenk: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist (Mt
22, 21) und erfüllt von der Erklärung des Apostels: Man muss Gott mehr
gehorchen als den Menschen (Apg 5, 29), erwarb er sich nicht nur um die
Religion die größten Verdienste, sondern auch gerade um die bürgerliche
Gesellschaft. Entriss er sie doch, als die Wogen der Revolution über ihr
zusammenschlugen und sie die Folgen verkehrter Ratschläge büßend fast in den
Untergang stürzte, dem sichern Verderben.
42
Denselben Ruhm und Erfolg werden die Katholiken unserer Tage sich erwerben
und ihr tüchtigen Führer, die Bischöfe, wenn man auf beiden Seiten es nicht
an der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten fehlen lässt, mag es sich darum
handeln, den Gebietern, auch den unleidlichen, Treue und Ehrfurcht zu
bewahren, wo sie Gerechtes befehlen; mag es sich darum handeln, unbilligen
Befehlen entgegenzuarbeiten, gleich fern der ausgelassenen Willkür
aufrührerischer Rotten wie der sklavenartigen Kriecherei, als wären gottlose
Beschlüsse schlechter Menschen wie heilige Gesetze hinzunehmen, wenn es
diesen gefällt, unter Missbrauch des Namens der Freiheit alle Rechte zu
verkehren und das härteste Sklavenjoch dem Mitmenschen aufzuerlegen.
43 Vor
den Augen des Erdkreises und im hellen Tageslicht des gegenwärtigen
Zeitalters der Humanität geschieht dies ja heute besonders bei einem
gewissen Volke, wo es scheint, als habe die Macht der Finsternis sich den
Fürstenthron aufgeschlagen. Unter dieser Vorherrschaft werden alle Rechte
der Kinder der Kirche erbarmungslos niedergetreten. Aller Sinn für Großmut,
Höflichkeit und Glauben scheint in den Leitern dieses Staates ausgelöscht,
während ihre Väter den christlichen Namen mit Ruhm tragen und in diesen
Tugenden so lange glänzten. Wo einmal der Hass gegen Gott und die Kirche
sich festgenistet hat, da geht offenbar alles der Auflösung und dem
Rückschritt entgegen, die Entwicklung der Gesellschaft zielt auf die
Zustände wilder Unbändigkeit der Vergangenheit hin oder besser gesagt, sie
treibt jählings jener Unterjochung zu, welche allein durch die christliche
Gesellschaft und ihre Lebensordnung von den Menschen weggenommen worden war.
Oder es ist, wie auch der heilige Karl es andeutet, "sicher und klar, dass
Gott durch nichts anderes schwer beleidigt wird und durch nichts sein Zorn
heftiger entflammt wird als durch das Verderben der Häresie und dass
wiederum nichts Länder und Reiche dem Untergang so sicher entgegentreiben
kann als jenes verderbliche Unheil (Provinzialkonzil V, 1. Teil). Dennoch
sind die heutigen Bestrebungen, die christlichen Völker von der Kirche
loszureissen, noch für verderblicher zu halten. Trotz aller Uneinigkeit der
Meinungen und Bestrebungen, die das Merkmal des Abirrens von der Wahrheit
ist, stimmen die Feinde [des Glaubens] doch in einem Punkt überein, nämlich
in dem hartnäckigen Widerstand gegen Gerechtigkeit und Wahrheit; da aber die
Kirche Wächter und Hüter beider ist, so greifen alle in den dichten Reihen
sie an. Und wenn sie behaupten, eine neutrale Haltung einzunehmen oder die
Sache des Friedens zu vertreten, so erstreben sie mit süßen Worten und doch
nicht verhüllten Plänen in der Tat nichts anderes, als einen Hinterhalt zu
legen und zum Schaden den Spott, zur Gewalt den Betrug zu fügen. Mit neuer
Kampfweise wird heute also die christliche Sache angegriffen; ein weit
gefährlicheres Kriegsmaterial wird zusammengetragen als in den Schlachten,
die früher zu schlagen waren und in denen Borromäus so vielen Ruhm geerntet
hat.
44
Nehmen wir daraus uns das Vorbild und die Gewähr und wir werden für die
bedeutsamsten Angelegenheiten der privaten und öffentlichen Wohlfahrt, für
Glauben und Religion und für die Heilighaltung des öffentlichen Rechtes mit
Freude und Mut kämpfen. Die Notwendigkeit, die uns zum Kampfe zwingt, ist es
zu beklagen, aber wir dürfen das tröstliche Vertrauen haben, dass der
allmächtige Gott den Kämpfen eines so ruhmreichen Heeres den Sieg bald
verleihen werde. Was uns in dieser Zuversicht bestärkt, das ist die rüstige
Kraft des Wortes vom heiligen Karl, die wir fortdauern sehn bis zum heutigen
Tag und die maßlose Geister im Zügel hält und das Herz im heiligen Vorsatz,
alles in Christus zu erneuern, bestärkt.
45 Und
nun sollen, Ehrwürdige Brüder, dieselben Worte Unser Schreiben beschließen,
mit denen Unser mehrmals erwähnter Vorgänger Paul V. die
Heiligsprechungsbulle Karls abschloss. "Es ist [also] billig,dass Wir ihm
Ruhm, Ehre und Preis zollen, der da lebt in alle Ewigkeit. Er hat unsern
Mitknecht Karl gesegnet mit jeder geistlichen Segnung, auf das er heilig sei
und unbefleckt vor ihm. nachdem der Herr ihn uns in dieser Nacht der Sünde
und Trübsal wie einen leuchtenden Stern ergeben hat, wollen wir die Güte
Gottes mit Herz und Mund anflehen, dass Karl der Kirche, die er heiss
geliebt hat, mit sseinen Verdiensten und seinem Beispiel Segen bringe, dass
er ihr ein Schützer sei und in den Tagen des göttlichen Zornes Versöhnung
bringe durch Christus, unsern Herrn" (Bulle Unigenitus).
46 Mit
diesen Wünschen verbinden Wir den Apostolischen Segen; möge er, den Wir
euch, Ehrwürdige Brüder, euerem Klerus und Volk voll Liebe spenden, ein
Wahrzeichen sein zur Erfüllung der gemeinsamen Hoffnung.
Gegeben zu Rom bei St. Peter, am 26. Mai des
Jahres 1910,
im siebten Jahre Unseres Pontifikates.
Pius X. PP.
Borromaeus_Enziklika und
die Folgen.pdf |