Enzyklika
Evangelium vitae
von Papst
Johannes Paul II.
an die Bischöfe
Priester und Diakone,
die Ordensleute und Laien
sowie an alle Menschen guten Willens
über den Wert
und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens
25. März 1995
Herausgeber: Sekretariat der
Deutschen Bischofskonferenz Kaiserstraße 163, 53113 Bonn
Inhaltsverzeichnis
Der unvergleichliche Wert der menschlichen Person
Die neuen Bedrohungen des menschlichen Lebens
[3-4]
In Gemeinschaft mit allen Bischöfen der Welt
[5-6]
Das Blut deines Bruders schreit zu mir
vom Ackerboden
Die gegenwärtigen Bedrohungen des menschlichen
Lebens
"Kain griff seinen Bruder Abel an und erschlug ihn" (Gen
4,8): an der Wurzel der Gewalt gegen das Leben
[7-9]
"Was hast du getan?" (Gen 4,10): die Verfinsterung des
Wertes des Lebens
[10-17]
"Bin ich der Hüter meines Bruders?" (Gen 4,9): eine
entartete Vorstellung von Freiheit
[18-20]
"Ich muß mich vor deinem Angesicht verbergen" (Gen 4,14):
die Verfinsterung des Sinnes für Gott und den Menschen
[21-24]
"Ihr seid hingetreten zum Blut der Besprengung" (vgl. Hebr
12, 22.24): Zeichen der Hoffnung und Einladung zum Engagement
[25-28]
Ich bin gekommen, damit sie das Leben
haben
Die christliche Botschaft über das Leben
"Das Leben wurde offenbart, wir haben es gesehen" (1 Joh
1,2): der Blick ist auf Christus, "das Wort des Lebens", gerichtet
[29-30]
"Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist für mich
zum Retter geworden" (Ex 15,2): das Leben ist immer ein Gut
[31]
"Der Name Jesu hat diesen Mann zu Kräften gebracht" (Apg
3,16): in der Ungewißheit des menschlichen Daseins bringt Jesus den Sinn des
Lebens zur Vollendung
[32-33]
"Sie sind dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes
teilzuhaben" (vgl. Röm 8,29): die Herrlichkeit Gottes leuchtet auf dem
Antlitz des Menschen
[34-36]
"Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht
sterben" (Joh 11,26): das Geschenk des ewigen Lebens
[37-38]
"Für das Leben des Menschen fordere ich Rechenschaft von
jedem seiner Brüder" (Gen 9,5): Achtung und Liebe für das Leben aller
[39-41]
"Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde,
unterwerft sie euch" (Gen 1,28): die Verantwortung des Menschen gegenüber dem
Leben [42-43]
"Du hast mein Inneres geschaffen" (Ps 139 [138],13): die
Würde des ungeborenen Kindes
[44-45]
"Voll Vertrauen war ich, auch wenn ich sagte: Ich bin so
tief gebeugt" (Ps 116 [115],10): das Leben im Alter und im Leiden
[46-47]
"Alle, die an ihm festhalten, finden das Leben" (Bar 4,1): vom Gesetz des
Sinai zur Spendung des Geistes
[48-49]
"Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben" (Joh 19, 37): am
Stamm des Kreuzes erfüllt sich das Evangelium vom Leben
[50-51]
Du sollst nicht töten
Das heilige Gesetz Gottes
"Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote" (Mt 19,17):
Evangelium und Gebot
[52]
"Für das Leben des Menschen fordere ich Rechenschaft vom Menschen" (Gen
9,5): das menschliche Leben ist heilig und unantastbar
[53-57]
"Deine Augen sahen, wie ich entstand" (Ps 139 [138],16): das
verabscheuungswürdige Verbrechen der Abtreibung
[58-63]
"Ich bin es, der tötet und der lebendig macht" (Dtn 32,39): das Drama der
Euthanasie [64-67]
"Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg 5,29): staatliches
Gesetz und Sittengesetz
[68-74]
"Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst" (Lk 10,27): "fördere"
das Leben [75-77]
Das habt ihr mir getan
Für eine neue Kultur des menschlichen Lebens
"Ihr aber seid ein Volk, das Gottes besonderes Eigentum wurde, damit es
seine großen Taten verkünde" (1 Petr 2,9): das Volk des Lebens und für das
Leben
[78-79]
"Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch" (1 Joh
1,3): das Evangelium vom Leben verkünden
[80-82]
"Ich danke dir, daß du mich so wunderbar gestaltet hast" (Ps 139 [138],14):
das Evangelium vom Leben feiern
[83-86]
"Meine Brüder, was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es
fehlen die Werke?" (Jak 2,14): dem Evangelium vom Leben dienen
[87-91]
"Kinder sind eine Gabe des Herrn, die Frucht des Leibes ist sein Geschenk"
(Ps 127 [126],3): die Familie "Heiligtum des Lebens"
[92-94]
"Lebt als Kinder des Lichts!" (Eph 5,8): um eine kulturelle Wende
herbeizuführen
[95-100]
"Wir schreiben dies, damit unsere Freude vollkommen ist" (1 Joh 1,4): das
Evangelium vom Leben ist für die Gesellschaft der Menschen
[101]
"Es erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne
bekleidet" (Offb 12,1): die Mutterschaft Mariens und der Kirche
[103]
"Der Drache stand vor der Frau...; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald
es geboren war" (Offb 12,4): das von den Mächten des Bösen bedrohte Leben
[104]
"Der Tod wird nicht mehr sein" (Offb 21,4): die Herrlichkeit der
Auferstehung [105]
Einführung
1. Das Evangelium vom Leben liegt der
Botschaft Jesu am Herzen. Von der Kirche jeden Tag liebevoll aufgenommen, soll
es mit beherzter Treue als Frohe Botschaft allen Menschen jeden Zeitalters und
jeder Kultur verkündet werden.
Am Beginn des Heils steht die Geburt eines Kindes, die als frohe Nachricht
verkündet wird: "Ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk
zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er
ist der Messias, der Herr" (Lk 2,10-11). Gewiß ist es die Geburt des Erlösers,
die diese "große Freude" ausstrahlt; aber zu Weihnachten wird auch der volle
Sinn jeder menschlichen Geburt offenbar, und die messianische Freude erscheint
so als Fundament und Erfüllung der Freude über jedes Kind, das geboren wird
(vgl. Joh 16,2l).
Den zentralen Kern seines Erlösungsauftrags stellt Jesus mit den Worten vor:
"Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben" (Joh 10,10).
Tatsächlich bezieht Er sich auf jenes "neue" und "ewige" Leben, das in der
Gemeinschaft mit dem Vater besteht, zu der jeder Mensch im Sohn durch das Wirken
des heiligmachenden Geistes unentgeltlich gerufen ist. Doch eben in diesem
"Leben" gewinnen sämtliche Aspekte und Momente des Lebens des Menschen ihre
volle Bedeutung.
Der unvergleichliche Wert der menschlichen Person
2.
Der Mensch ist zu einer Lebensfülle berufen, die weit über die Dimensionen
seiner irdischen Existenz hinausgeht, da sie in der Teilhabe am Leben Gottes
selber besteht. Die Erhabenheit dieser übernatürlichen Berufung enthüllt die
Größe und Kostbarkeit des menschlichen Lebens auch in seinem zeitlich-irdischen
Stadium. Denn das Leben in der Zeit ist Grundvoraussetzung, Einstiegsmoment und
integrierender Bestandteil des gesamten einheitlichen Lebensprozesses des
menschlichen Seins. Eines Prozesses, der unerwarteter- und unverdienterweise von
der Verheißung erleuchtet und vom Geschenk des göttlichen Lebens erneuert wird,
das in der Ewigkeit zu seiner vollen Erfüllung gelangen wird (vgl. 1 Joh 3,1-2).
Zugleich unterstreicht diese übernatürliche Berufung die Relativität des
irdischen Lebens von Mann und Frau. In Wahrheit ist es nicht "letzte", sondern
"vorletzte", Wirklichkeit; es ist also heilige Wirklichkeit, die uns anvertraut
wird, damit wir sie mit Verantwortungsgefühl hüten und in der Liebe und
Selbsthingabe an Gott sowie an die Schwestern und Brüder zur Vollendung bringen.
Die Kirche weiß, daß dieses Evangelium vom Leben, das ihr von ihrem Herrn
anvertraut wurde,(1) im Herzen
jedes gläubigen, aber auch nicht gläubigen Menschen tiefen und überzeugenden
Widerhall findet, weil es seinen Erwartungen, während es unendlich über diese
hinausgeht, überraschenderweise entspricht. Selbst in Schwierigkeiten und
Unsicherheiten vermag jeder Mensch, der in ehrlicher Weise für die Wahrheit und
das Gute offen ist, im Licht der Vernunft und nicht ohne den geheimnisvollen
Einfluß der Gnade im ins Herz geschriebenen Naturgesetz (vgl. Röm 2, 14-15) den
heiligen Wert des menschlichen Lebens vom ersten Augenblick bis zu seinem Ende
zu erkennen und das Recht jedes Menschen zu bejahen, daß dieses sein wichtigstes
Gut in höchstem Maße geachtet werde. Auf der Anerkennung dieses Rechtes beruht
das menschliche Zusammenleben und das politische Gemeinwesen.
Besonders verteidigen und fördern müssen dieses Recht die Christgläubigen im
Bewußtsein der wunderbaren Wahrheit, an die das II. Vatikanische Konzil
erinnert: "Der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit
jedem Menschen vereinigt".(2)
Denn in diesem Heilsereignis offenbart sich der Menschheit nicht nur die
unendliche Liebe Gottes, der "die Welt so sehr geliebt (hat), daß er seinen
einzigen Sohn hingab" (Joh 3,16), sondern auch der unvergleichliche Wert jeder
menschlichen Person.
Und während die Kirche beharrlich das Geheimnis der Erlösung ergründet,
erfaßt sie mit immer neuem Staunen(3)
diesen Wert und fühlt sich aufgerufen, dieses "Evangelium", Quelle
unbesiegbarer Hoffnung und wahrer Freude für jede Epoche der Geschichte, den
Menschen aller Zeiten zu verkünden. Das Evangelium von der Liebe Gottes zum
Menschen, das Evangelium von der Würde der Person und das Evangelium vom Leben
sind ein einziges, unteilbares Evangelium.
Der Mensch, der lebendige Mensch stellt den ersten und grundlegenden Weg der
Kirche dar.(4)
Die neuen Bedrohungen des menschlichen Lebens
3. Jeder Mensch ist auf Grund des Geheimnisses vom
fleischgewordenen Wort Gottes (vgl. Joh l,14) der mütterlichen Sorge der Kirche
anvertraut. Darum muß jede Bedrohung der Würde und des Lebens des Menschen eine
Reaktion im Herzen der Kirche auslösen, sie muß sie im Zentrum ihres Glaubens an
die erlösende Menschwerdung des Gottessohnes treffen, sie muß sie miteinbeziehen
in ihren Auftrag, in der ganzen Welt und allen Geschöpfen das Evangelium vom
Leben zu verkünden (vgl. Mk 16,15).
Heute erweist sich diese Verkündigung als besonders dringend angesichts der
erschütternden Vermehrung und Verschärfung der Bedrohungen des Lebens von
Personen und Völkern, vor allem dann, wenn es schwach und wehrlos ist. Zu den
alten schmerzlichen Plagen von Elend, Hunger, endemischen Krankheiten, Gewalt
und Kriegen gesellen sich andere unbekannter Art und von beunruhigenden
Ausmaßen.
Schon das Zweite Vatikanische Konzil beklagte an einer Stelle, die von
geradezu dramatischer Aktualität ist, nachdrücklich vielfältige Verbrechen und
Angriffe gegen das menschliche Leben. Wenn ich mir nun im Abstand von dreißig
Jahren die Worte der Konzilsversammlung zu eigen mache, erhebe ich in der ganzen
Kirche und in der Gewißheit, damit dem echten Empfinden jedes reinen Gewissens
Ausdruck zu verleihen, noch einmal und mit gleichem Nachdruck klagend meine
Stimme: "Was ferner zum Leben selbst in Gegensatz steht, wie jede Art Mord,
Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord; was
immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt, wie Verstümmelung,
körperliche oder seelische Folter und der Versuch, psychischen Zwang auszuüben;
was immer die menschliche Würde angreift, wie unmenschliche Lebensbedingungen,
willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel
und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei
denen der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und
verantwortliche Person behandelt wird: all diese und andere ähnliche Taten sind
an sich schon eine Schande; sie sind eine Zersetzung der menschlichen Kultur,
entwürdigen weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden.
Zugleich sind sie in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des
Schöpfers.(5) 4. Weit davon entfernt, sich einschränken zu lassen, ist dieses
beunruhigende Panorama statt dessen leider in Ausdehnung begriffen: mit den
neuen, vom wissenschaftlich-technologischen Fortschritt eröffneten Perspektiven
entstehen neue Formen von Anschlägen auf die Würde des Menschen, während sich
eine neue kulturelle Situation abzeichnet und verfestigt, die den Verbrechen
gegen das Leben einen bisher unbekannten und womöglich noch widerwärtigeren
Aspekt verleiht und neue ernste Sorgen auslöst: breite Schichten der
öffentlichen Meinung rechtfertigen manche Verbrechen gegen das Leben im Namen
der Rechte der individuellen Freiheit und beanspruchen unter diesem Vorwand
nicht nur Straffreiheit für derartige Verbrechen, sondern sogar die Genehmigung
des Staates, sie in absoluter Freiheit und unter kostenloser Beteiligung des
staatlichen Gesundheitswesens durchzuführen.
Das alles bewirkt einen tiefgreifenden Wandel in der Betrachtungsweise des
Lebens und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Umstand, daß die
Gesetzgebung vieler Länder sogar in Abweichung von den Grundprinzipien ihrer
Verfassungen zugestimmt hat, solche gegen das Leben gerichtete Praktiken nicht
zu bestrafen oder ihnen gar volle Rechtmäßigkeit zuzuerkennen, ist zugleich
besorgniserregendes Symptom und keineswegs nebensächliche Ursache für einen
schweren moralischen Verfall: Entscheidungen, die einst einstimmig als
verbrecherisch angesehen und vom allgemeinen sittlichen Empfinden abgelehnt
wurden, werden nach und nach gesellschaftlich als achtbar betrachtet. Selbst die
Medizin, die auf die Verteidigung und Pflege des menschlichen Lebens
ausgerichtet ist, verwendet sich in einigen ihrer Bereiche immer eingehender für
die Durchführung dieser Handlungen gegen die Person und entstellt auf diese
Weise ihr Gesicht, widerspricht sich selbst und verletzt die Würde all derer,
die sie ausüben. In einem solchen kulturellen und gesetzlichen Kontext sehen
sich auch die schwerwiegenden bevölkerungsstatistischen, sozialen oder
familiären Probleme, die auf zahlreichen Völkern der Welt lasten und eine
verantwortungsvolle und rührige Aufmerksamkeit seitens der nationalen und
internationalen Gemeinschaften erfordern, falschen und illusorischen
Lösungsversuchen ausgesetzt, die zur Wahrheit und zum Wohl der Menschen und der
Nationen im Widerspruch stehen.
Das Ergebnis, zu dem man gelangt, ist dramatisch: so schwerwiegend und
beunruhigend das Phänomen der Beseitigung so vieler menschlicher Leben vor der
Geburt oder auf dem Weg zum Tod auch sein mag, so ist die Tatsache nicht weniger
schwerwiegend und beunruhigend, daß selbst das Gewissen, als wäre es von so
weitreichenden Konditionierungen verfinstert, immer träger darin wird, die
Unterscheidung zwischen Gut und Böse wahrzunehmen im Hinblick auf den
fundamentalen Wert des menschlichen Lebens.
In Gemeinschaft mit allen Bischöfen der Welt
5. Dem Problem der Bedrohungen des menschlichen Lebens in
unserer Zeit war das außerordentliche Konsistorium der Kardinäle gewidmet, das
vom 4. bis 7. April 1991 in Rom stattgefunden hat. Nach einer umfassenden und
gründlichen Erörterung des Problems und der Herausforderungen, die sich der
ganzen Menschheitsfamilie und im besonderen der christlichen Gemeinschaft
stellen, haben mich die Kardinäle einstimmig ersucht, den Wert des menschlichen
Lebens und seine Unantastbarkeit unter Bezugnahme auf die gegenwärtigen Umstände
und die Angriffe, von denen es heute bedroht wird, mit der Autorität des
Nachfolgers Petri zu bekräftigen.
Nach Annahme dieses Vorschlags habe ich zu Pfingsten 1991 ein persönliches
Schreiben an jeden Mitbruder gerichtet mit der Bitte, er möge mir im Geiste der
bischöflichen Kollegialität im Hinblick auf die Erstellung eines eigenen
Dokuments seine Mitarbeit zukommen lassen.(6)
Ich bin allen Bischöfen, die geantwortet haben und mir wertvolle Informationen,
Ratschläge und Vorschläge zugehen ließen, zutiefst dankbar. Sie haben so auch
ihre einmütige und überzeugte Teilnahme am Lehr- und Pastoralauftrag der Kirche
in bezug auf das Evangelium vom Leben unter Beweis gestellt.
In demselben Brief habe ich, wenige Tage vor der Hundertjahrfeier der
Veröffentlichung der Enzyklika Rerum novarum, die Aufmerksamkeit aller auf
diese einzigartige Analogie gelenkt: "Wie es vor einem Jahrhundert die
Arbeiterklasse war, die, in ihren fundamentalsten Rechten unterdrückt, von der
Kirche mit großem Mut in Schutz genommen wurde, indem diese die heiligen Rechte
der Person des Arbeiters herausstellte, so weiß sie sich auch jetzt, wo eine
andere Kategorie von Personen in ihren grundlegenden Lebensrechten unterdrückt
wird, verpflichtet, mit unvermindertem Mut den Stimmlosen Stimme zu sein. Für
immer hat sie sich den Ruf des Evangeliums nach dem Schutz der Armen zu eigen
gemacht, deren Menschenrechte bedroht, mißachtet und verletzt werden".(7)
Das fundamentale Recht auf Leben wird heute bei einer großen Zahl schwacher
und wehrloser Menschen, wie es insbesondere die ungeborenen Kinder sind, mit
Füßen getreten. Wenn die Kirche am Ende des vorigen Jahrhunderts angesichts der
damals vorherrschenden Ungerechtigkeiten nicht schweigen durfte, so kann sie
heute noch weniger schweigen, wo sich in vielen Teilen der Welt zu den leider
noch immer nicht überwundenen sozialen Ungerechtigkeiten der Vergangenheit noch
schwerwiegendere Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen gesellen, die
möglicherweise mit Elementen des Fortschritts im Hinblick auf die Gestaltung
einer neuen Weltordnung verwechselt werden.
Die vorliegende Enzyklika, Frucht der Zusammenarbeit des Episkopates jedes
Landes der Welt, will also eine klare und feste Bekräftigung des Wertes des
menschlichen Lebens und seiner Unantastbarkeit und zugleich ein
leidenschaftlicher Appell im Namen Gottes an alle und jeden einzelnen sein:
achte, verteidige, liebe das Leben, jedes menschliche Leben, und diene ihm! Nur
auf diesem Weg wirst du Gerechtigkeit, Entwicklung, echte Freiheit, Frieden und
Glück finden!
Mögen diese Worte alle Söhne und Töchter der Kirche erreichen! Mögen sie alle
Menschen guten Willens erreichen, die um das Wohl jedes Mannes und jeder Frau
und um das Schicksal der ganzen Gesellschaft besorgt sind! 6. In tiefer Verbundenheit mit jeder Schwester und jedem Bruder im
Glauben und von aufrichtiger Freundschaft für alle beseelt, möchte ich das
Evangelium vom Leben neu überdenken und verkünden, als Glanz der Wahrheit, das
die Gewissen erleuchtet, als helles Licht, das den verfinsterten Blick erhellt,
als unerschöpfliche Quelle der Beständigkeit und des Mutes, um den immer neuen
Herausforderungen entgegenzutreten, denen wir auf unserem Weg begegnen.
Und während ich an die im Verlauf des Jahres der Familie gesammelte reiche
Erfahrung denke, blicke ich, gleichsam als gedankliche Ergänzung des Briefes,
den ich "an jede konkrete Familie jeder Region der Erde"(8)
gerichtet hatte, mit neuem Vertrauen auf alle Hausgemeinschaften und wünsche
mir, daß auf allen Ebenen der Einsatz aller für die Unterstützung der Familie
wieder auflebe und sich verstärke, damit diese auch heute - trotz zahlreicher
Schwierigkeiten und schwerwiegender Bedrohungen - dem Plan Gottes entsprechend
immer als "Heiligtum des Lebens"(9)
erhalten bleibe.
Alle Mitglieder der Kirche, des Volkes des Lebens und für das Leben, lade ich
ganz dringend ein, miteinander dieser unserer Welt neue Zeichen der Hoffnung zu
geben, indem wir bewirken, daß Gerechtigkeit und Solidarität wachsen und sich
durch den Aufbau einer echten Zivilisation der Wahrheit und der Liebe eine neue
Kultur des menschlichen Lebens durchsetzt.
I. Kapitel
Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden
Die gegenwärtigen Bedrohungen des menschlichen Lebens
"Kain griff seinen Bruder Abel an und erschlug ihn"
(Gen 4,8): an der Wurzel
der Gewalt gegen das Leben
7. "Denn Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude
am Untergang der Lebenden. Zum Dasein hat er alles geschaffen... Gott hat den
Menschen zur Unvergänglichkeit geschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens
gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn
erfahren alle, die ihm angehören" (Weish 1,13-14; 2, 23-24).
Im Widerspruch zum Evangelium vom Leben, das am Anfang mit der Erschaffung
des Menschen nach dem Ebenbild Gottes zu einem vollen und vollkommenen Leben
(vgl. Gen 2,7; Weish 9,2-3) erschallte, steht die qualvolle Erfahrung des Todes,
der in die Welt kommt und auf das ganze Dasein des Menschen den Schatten des
Un-Sinnes wirft. Der Tod kommt durch den Neid des Teufels (vgl. Gen 3, 1.4-5)
und die Sünde der Stammeltern (vgl. Gen 2,17; 3,17-19) in die Welt. Und er kommt
gewaltsam mit der Ermordung Abels durch seinen Bruder Kain: "Als sie auf dem
Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und erschlug ihn" (Gen 4,8).
Dieser erste Mord wird in einer beispielhaften Episode des Buches Genesis mit
einzigartiger Beredtheit geschildert: eine Episode, die jeden Tag pausenlos und
in bedrückender Wiederholung neu ins Buch der Geschichte der Völker geschrieben
wird.
Wir wollen miteinander diesen Passus aus der Bibel wieder lesen, der trotz
seines archaischen Charakters und seiner äußersten Schlichtheit höchst lehrreich
erscheint.
"Abel wurde Schafhirt und Kain Ackerbauer. Nach einiger Zeit brachte Kain dem
Herrn ein Opfer von den Früchten des Feldes dar; auch Abel brachte eines dar von
den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Der Herr schaute auf Abel und
sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht.
Da überfiel es Kain ganz heiß, und sein Blick senkte sich. Der Herr sprach zu
Kain: ,Warum überläuft es dich heiß, und warum senkt sich dein Blick? Nicht
wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert
an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr
über ihn!'
Hierauf sagte Kain zu seinem Bruder Abel: Gehen wir aufs Feld! Als sie auf
dem Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und erschlug ihn.
Da sprach der Herr zu Kain: ,Wo ist dein Bruder Abel?' Er entgegnete: ,Ich
weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders?' Der Herr sprach: ,Was hast du
getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden. So bist du
verflucht, verbannt vom Ackerboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus
deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen. Wenn du den Ackerboden
bestellst, wird er dir keinen Ertrag mehr bringen. Rastlos und ruhelos wirst du
auf der Erde sein.'
Kain antwortete dem Herrn: ,Zu groß ist meine Schuld, als daß ich sie tragen
könnte. Du hast mich heute vom Ackerland verjagt, und ich muß mich vor deinem
Angesicht verbergen; rastlos und ruhelos werde ich auf der Erde sein, und wer
mich findet, wird mich erschlagen.'
Der Herr aber sprach zu ihm: ,Darum soll jeder, der Kain erschlägt,
siebenfacher Rache verfallen.' Darauf machte der Herr dem Kain ein Zeichen,
damit ihn keiner erschlage, der ihn finde. Dann ging Kain vom Herrn weg und
ließ sich im Land Nod nieder, östlich von Eden" (Gen 4, 2-16). 8. Kain "überlief es ganz heiß" und sein Blick "senkte sich", weil
"der Herr auf Abel und sein Opfer schaute" (Gen 4,4). Der biblische Text
enthüllt zwar nicht, aus welchem Grund Gott das Opfer Abels jenem Kains
vorzieht; er weist jedoch mit aller Klarheit darauf hin, daß Gott trotz der
Bevorzugung von Abels Gabe den Dialog mit Kain nicht abbricht. Er ermahnt ihn,
indem er ihn an seine Freiheit gegenüber dem Bösen erinnert: der Mensch ist
keineswegs für das Böse vorherbestimmt. Sicherlich wird er, wie schon Adam, von
der verderblichen Macht der Sünde in Versuchung geführt, die, einer wilden
Bestie gleich, an der Pforte seines Herzens lauert und darauf wartet, über die
Beute herzufallen. Aber Kain bleibt der Sünde gegenüber frei. Er kann und er
soll Herr über sie sein: "Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr über
ihn!" (Gen 4,7).
Eifersucht und Zorn gewinnen Oberhand über die Mahnung des Herrn, und so
greift Kain seinen eigenen Bruder an und erschlägt ihn. Im Katechismus der
katholischen Kirche lesen wir: "Im Bericht über die Ermordung Abels durch seinen
Bruder Kain offenbart die Schrift, daß im Menschen schon von Anfang seiner
Geschichte an Zorn und Eifersucht als Folgen der Erbsünde wirksam sind. Der
Mensch ist zum Feind des Mitmenschen geworden".(10)
Der Bruder tötet den Bruder. Wie beim ersten Brudermord wird bei jedem Mord
die "geistige" Verwandtschaft geschändet, die die Menschen zu einer einzigen
großen Familie vereinigt,(11)
da sie alle an demselben grundlegenden Gut teilhaben: der gleichen Personwürde.
Nicht selten wird auch die Verwandtschaft "des Fleisches und Blutes"
geschändet, wenn zum Beispiel die Bedrohungen des Lebens im Verhältnis zwischen
Eltern und Kindern ausbrechen, wie es bei der Abtreibung geschieht, oder wenn
im weitesten Familien- und Verwandtenkreis die Euthanasie befürwortet oder dazu
angestiftet wird.
Am Anfang jeder Gewalt gegen den Nächsten steht ein Nachgeben gegenüber der
"Logik" des Bösen, das heißt desjenigen, der "von Anfang an ein Mörder war" (Joh
8,44), wie uns der Apostel Johannes in Erinnerung ruft: "Denn das ist die
Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt: Wir sollen einander lieben und
nicht wie Kain handeln, der von dem Bösen stammte und seinen Bruder erschlug" (1
Joh 3,11-12). Die Ermordung des Bruders ist also von Beginn der Geschichte an
das traurige Zeugnis dafür, wie das Böse mit beeindruckender Geschwindigkeit
voranschreitet: zum Aufbegehren des Menschen gegen Gott im irdischen Paradies
gesellt sich der tödliche Kampf des Menschen gegen den Menschen.
Nach dem Verbrechen greift Gott ein, um den Ermordeten zu rächen. Gott
gegenüber, der sich nach dem Schicksal Abels erkundigt, weicht Kain in
Überheblichkeit der Frage aus, statt sich verlegen zu zeigen und um Verzeihung
zu bitten: "Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders?" (Gen 4,9).
"Ich weiß es nicht": mit der Lüge versucht Kain das Verbrechen zu verdecken. So
ist es oft geschehen und geschieht es, wenn Ideologien verschiedenster Art dazu
dienen, um die schrecklichsten Verbrechen gegen die Person zu rechtfertigen und
zu bemänteln. "Bin ich der Hüter meines Bruders?": Kain will nicht an den Bruder
denken und lehnt es ab, jene Verantwortung, die jeder Mensch gegenüber dem
anderen hat, zu leben. Das läßt uns unwillkürlich an heutige Bestrebungen
denken, die den Menschen seiner Verantwortung gegenüber seinem Mitmenschen
entheben wollen; Anzeichen dafür sind unter anderem das Nachlassen der
Solidarität gegenüber den schwächsten Gliedern der Gesellschaft, wie den Alten,
den Kranken, den Einwanderern, den Kindern gegenüber, und die häufig zu
bemerkende Gleichgültigkeit in den Beziehungen der Völker untereinander, selbst
dann, wenn fundamentale Werte wie das Überleben, die Freiheit und der Friede auf
dem Spiel stehen. 9. Doch Gott kann das Verbrechen nicht
ungestraft lassen: vom Ackerboden, auf dem es vergossen wurde, verlangt das Blut
des Erschlagenen, daß Er Gerechtigkeit widerfahren lasse (vgl. Gen 37,26; Jes
26,2l; Ez 24,7f.). Aus diesem Text hat die Kirche die Bezeichnung
"himmelschreiende Sünden" abgeleitet und in diese vor allem den beabsichtigten
Mord einbezogen.(12) Für die
Juden ist, wie für viele Völker der Antike, das Blut der Sitz des Lebens, ja
"das Blut ist Lebenskraft" (Dtn 12,23), und das Leben, besonders das menschliche
Leben, gehört allein Gott: wer daher nach dem Leben des Menschen trachtet,
trachtet Gott selbst nach dem Leben.
Kain ist von Gott und ebenso vom Ackerboden, der ihm seinen Ertrag
verweigert, verflucht (vgl. Gen 4,11-12). Und er wird bestraft: er soll in der
Steppe und in der Wüste wohnen. Die mörderische Gewalttätigkeit verändert das
Lebensmilieu des Menschen tiefgreifend. Aus dem "Garten von Eden" (Gen 2,15),
einem Ort des Überflusses, der unbeschwerten zwischenmenschlichen Beziehungen
und der Freundschaft mit Gott, wird die Erde zum "Land Nod" (Gen 4,16), Ort des
"Elends", der Einsamkeit und der Gottferne. Kain wird "rastlos und ruhelos auf
der Erde" sein (Gen 4,14): Unsicherheit und Unbeständigkeit werden ihn immer
begleiten.
Gott jedoch, der stets Barmherzige, auch wenn Er straft, "machte dem Kain ein
Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde" (Gen 4,15): Er versieht ihn
also mit einem Zeichen, das nicht den Zweck hat, ihn zur Verabscheuung durch die
anderen Menschen zu verdammen, sondern ihn vor allen zu schützen und zu
verteidigen, die ihn töten wollen, und wäre es auch, um den Tod Abels zu rächen.
Nicht einmal der Mörder verliert seine Personwürde, und Gott selber leistet
dafür Gewähr. Tatsächlich offenbart sich hier das paradoxe Geheimnis von der
barmherzigen Gerechtigkeit Gottes, wie der hl. Ambrosius schreibt: "Nachdem in
dem Augenblick, als sich die Sünde eingeschlichen hatte, ein Brudermord, also
das größte Verbrechen, begangen worden war, mußte sofort das Gesetz von der
göttlichen Barmherzigkeit erweitert werden; damit es nicht geschähe, daß die
Menschen, obwohl die Strafe den Schuldigen unmittelbar getroffen hatte, beim
Bestrafen weder Toleranz noch Milde walten lassen, sondern die Schuldigen
unverzüglich der Strafe ausliefern würden. (...) Gott verstieß Kain von seinem
Angesicht und verbannte den von seinen Eltern Abtrünnigen an einen anderen
Wohnort, weil er von der menschlichen Zahmheit zur tierischen Wildheit
übergegangen war. Doch Gott wollte den Mörder nicht durch einen Mord bestrafen,
da Er mehr die Reue des Sünders will als seinen Tod".(13)
"Was hast du getan?" (Gen 4,10): die Verfinsterung des Wertes des Lebens
10. Der Herr sprach zu Kain: "Was hast du getan? Das Blut
deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden!" (Gen 4,10). Das von den Men-schen
vergossene Blut hört nicht auf zu schreien, von Generation zu Generation nimmt
dieses Schreien andere und immer neue Töne und Akzente an.
Die Frage des Herrn "Was hast du getan?", der Kain nicht entgehen kann, ist
auch an den heutigen Menschen gerichtet, damit er sich den Umfang und die
Schwere der Angriffe auf das Leben bewußt mache, von denen die Geschichte der
Menschheit weiterhin gekennzeichnet ist; damit er auf die Suche nach den
vielfältigen Ursachen gehe, die diese Bedrohungen hervorrufen und fördern; damit
er mit größtem Ernst über die Folgen nachdenke, die sich aus diesen Anschlägen
für die Existenz der Menschen und der Völker ergeben.
Manche Bedrohungen stammen aus der Natur selbst, werden aber durch die
schuldhafte Unbekümmertheit und Nachlässigkeit der Menschen, die nicht selten
Abhilfe schaffen könnten, verschlimmert; andere hingegen sind das Ergebnis von
Gewaltsituationen, Haß und gegensätzlichen Interessen, die die Menschen
veranlassen, mit Mord, Krieg, Blutbädern und Völkermord über andere Menschen
herzufallen.
Und wie sollte man nicht an die Gewalt denken, die dem Leben von Millionen
von Menschen, besonders Kindern, zugefügt wird, die wegen der ungerechten
Verteilung der Reichtümer unter den Völkern und sozialen Klassen zu Elend,
Unterernährung und Hunger gezwungen sind? Oder an die Gewalt, die, noch ehe
Kriege ausbrechen, einem skandalösen Waffenhandel anhaftet, der einer Spirale
von zahllosen bewaffneten Konflikten, die die Welt in Blut tauchen, Vorschub
leistet? Oder an die Todessaat, die durch die unbedachte Zerstörung des
ökologischen Gleichgewichts, durch die kriminelle Verbreitung der Drogen und
dadurch zustande kommt, daß Muster für die Sexualität Unterstützung finden, die
nicht nur in moralischer Hinsicht unannehmbar, sondern auch Vorboten
schwerwiegender Gefahren für das Leben sind? Es ist gar nicht möglich, die
umfangreiche Skala der Bedrohungen des menschlichen Lebens vollständig
aufzuzählen, so zahlreich sind die offen zutage tretenden oder heimtückischen
Formen, die sie in unserer Zeit annehmen! 11. Unsere
Aufmerksamkeit will sich aber im besonderen auf eine andere Art von Angriffen
konzentrieren, die das aufkeimende und das zu Ende gehende Leben betreffen,
Angriffe, die im Vergleich zur Vergangenheit neue Merkmale aufweisen und
ungewöhnlich ernste Probleme aufwerfen: deshalb, weil die Tendenz besteht, daß
sie im Bewußtsein der Öffentlichkeit den "Verbrechenscharakter" verlieren und
paradoxerweise "Rechtscharakter" annehmen, so daß eine regelrechte gesetzliche
Anerkennung durch den Staat und die darauf folgende Durchführung mittels des
kostenlosen Eingriffs durch das im Gesundheitswesen tätige Personal verlangt
wird. Diese Angriffe treffen das menschliche Leben in äußerst bedenklichen
Situationen, wo es völlig wehrlos ist. Noch schwerwiegender ist die Tatsache,
daß sie großenteils gerade in der und durch die Familie ausgetragen werden, die
doch grundlegend dazu berufen ist, "Heiligtum des Lebens" zu sein.
Wie hat es zu einer solchen Situation kommen können? Dabei müssen vielfältige
Faktoren in Betracht gezogen werden. Im Hintergrund steht eine tiefe
Kulturkrise, die Skepsis selbst an den Fundamenten des Wissens und der Ethik
hervorruft und es immer schwieriger macht, den Sinn des Menschen, seiner Rechte
und seiner Pflichten klar zu erfassen. Dazu kommen die verschiedensten
existentiellen und Beziehungsschwierigkeiten, die noch verschärft werden durch
die Wirklichkeit einer komplexen Gesellschaft, in der die Personen, die
Ehepaare, die Familien oft mit ihren Problemen allein bleiben. Es fehlt nicht an
Situationen von besonderer Armut, Bedrängnis oder Verbitterung, in denen der
Kampf um das Überleben, der Schmerz bis an die Grenzen der Erträglichkeit, die
besonders von Frauen erlittenen Gewaltakte den Entscheidungen zur Verteidigung
und Förderung des Lebens bisweilen geradezu Heroismus abverlangen.
Das alles erklärt wenigstens zum Teil, daß der Wert des Lebens heute eine Art
"Verfinsterung" erleiden kann, mag auch das Gewissen nicht aufhören, ihn als
heiligen und unantastbaren Wert anzuführen, wie die Tatsache beweist, daß man
geneigt ist, manche Verbrechen gegen das aufkeimende oder zu Ende gehende Leben
mit medizinischen Formulierungen zu bemänteln, die den Blick von der Tatsache
ablenken, daß das Existenzrecht einer konkreten menschlichen Person auf dem
Spiel steht. 12. Mögen auch viele und ernste Aspekte der
heutigen sozialen Problematik das Klima verbreiteter moralischer Unsicherheit
irgendwie erklären und manchmal bei den einzelnen die subjektive Verantwortung
schwächen, so trifft es tatsächlich nicht weniger zu, daß wir einer viel weiter
reichenden Wirklichkeit gegenüberstehen, die man als wahre und ausgesprochene
Struktur der Sünde betrachten kann, gekennzeichnet von der Durchsetzung einer
Anti-Solidaritätskultur, die sich in vielen Fällen als wahre "Kultur des Todes"
herausstellt. Sie wird aktiv gefördert von starken kulturellen, wirtschaftlichen
und politischen Strömungen, die eine leistungsorientierte Auffassung der
Gesellschaft vertreten.
Wenn man die Dinge von diesem Gesichtspunkt her betrachtet, kann man in
gewisser Hinsicht von einem Krieg der Mächtigen gegen die Schwachen sprechen:
das Leben, das mehr Annahme, Liebe und Fürsorge verlangen würde, wird für
nutzlos gehalten oder als eine unerträgliche Last betrachtet und daher auf
vielerlei Weise abgelehnt. Wer durch seine Krankheit, durch seine Behinderung
oder, noch viel einfacher, durch sein bloßes Dasein den Wohlstand oder die
Lebensgewohnheiten derer in Frage stellt, die günstiger dastehen, wird zunehmend
als Feind angesehen, gegen den man sich verteidigen bzw. den man ausschalten
muß. Auf diese Weise wird eine Art "Verschwörung gegen das Leben" entfesselt.
Sie involviert nicht nur die einzelnen Personen in ihren individuellen,
familiären oder Gruppenbeziehungen, sondern geht darüber hinaus, um schließlich
auf Weltebene den Beziehungen zwischen den Völkern und Staaten zu schaden und
sie durcheinanderzubringen. 13. Um die Verbreitung der
Abtreibung zu erleichtern, wurden und werden weiterhin ungeheuere Summen
investiert, die für die Abstimmung pharmazeutischer Präparate bestimmt sind, die
die Tötung des Fötus im Mutterleib ermöglichen, ohne die Hilfe eines Arztes in
Anspruch nehmen zu müssen. Die diesbezügliche wissenschaftliche Forschung
scheint fast ausschließlich darum bemüht zu sein, zu immer einfacheren und
wirksameren Produkten gegen das Leben zu gelangen, die zugleich die Abtreibung
jeder Form sozialer Kontrolle und Verantwortung entziehen sollen.
Es wird häufig behauptet, die sichere und allen zugänglich gemachte
Empfängnisverhütung sei das wirksamste Mittel gegen die Abtreibung. Sodann wird
die katholische Kirche beschuldigt, de facto der Abtreibung Vorschub zu leisten,
weil sie weiter hartnäckig die moralische Unerlaubtheit der Empfängnisverhütung
lehrt. Bei genauerer Betrachtung erweist sich der Einwand tatsächlich als
trügerisch. Denn es mag sein, daß viele auch in der Absicht zu Verhütungsmitteln
greifen, um in der Folge die Versuchung der Abtreibung zu vermeiden. Doch die
der "Verhütungsmentalität" - die sehr wohl von der verantwortlichen, in Achtung
vor der vollen Wahrheit des ehelichen Aktes ausgeübten Elternschaft zu
unterscheiden ist - innewohnenden Pseudowerte verstärken nur noch diese
Versuchung angesichts der möglichen Empfängnis eines unerwünschten Lebens. In
der Tat hat sich die Abtreibungskultur gerade in Kreisen besonders entwickelt,
die die Lehre der Kirche über die Empfängnisverhütung ablehnen. Sicherlich sind
vom moralischen Gesichtspunkt her Empfängnisverhütung und Abtreibung ihrer Art
nach verschiedene Übel: die eine widerspricht der vollständigen Wahrheit des
Geschlechtsaktes als Ausdruck der ehelichen Liebe, die andere zerstört das Leben
eines Menschen; die erste widersetzt sich der Tugend der ehelichen Keuschheit,
die zweite widersetzt sich der Tugend der Gerechtigkeit und verletzt direkt das
göttliche Gebot "du sollst nicht töten".
Aber trotz dieses Unterschieds in ihrer Natur und moralischen Bedeutung
stehen sie, als Früchte ein und derselben Pflanze, sehr oft in enger Beziehung
zueinander. Sicherlich gibt es Fälle, in denen jemand unter dem Druck
mannigfacher existentieller Schwierigkeiten zu Empfängnisverhütung und selbst
zur Abtreibung schreitet; selbst solche Schwierigkeiten können jedoch niemals
von der Bemühung entbinden, das Gesetz Gottes voll und ganz zu befolgen. Aber in
sehr vielen anderen Fällen haben solche Praktiken ihre Wurzeln in einer
Mentalität, die von Hedonismus und Ablehnung jeder Verantwortlichkeit gegenüber
der Sexualität bestimmt wird, und unterstellen einen egoistischen
Freiheitsbegriff, der in der Zeugung ein Hindernis für die Entfaltung der
eigenen Persönlichkeit sieht. Das Leben, das aus der sexuellen Begegnung
hervorgehen könnte, wird so zum Feind, das absolut vermieden werden muß, und die
Abtreibung zur einzig möglichen Antwort und Lösung bei einer mißlungenen
Empfängnisverhütung.
Leider tritt der enge Zusammenhang, der mentalitätsmäßig zwischen der Praxis
der Empfängnisverhütung und jener der Abtreibung besteht, immer mehr zutage; das
beweisen auf alarmierende Weise auch die Anwendung chemischer Präparate, das
Anbringen mechanischer Empfängnishemmer in der Gebärmutter und der Einsatz von
Impfstoffen, die ebenso leicht wie Verhütungsmittel verbreitet werden und in
Wirklichkeit als Abtreibungsmittel im allerersten Entwicklungsstadium des neuen
menschlichen Lebens wirken. 14. Auch die verschiedenen
Techniken künstlicher Fortpflanzung, die sich anscheinend in den Dienst am Leben
stellen und die auch nicht selten mit dieser Absicht gehandhabt werden, öffnen
in Wirklichkeit neuen Anschlägen gegen das Leben Tür und Tor. Unabhängig von der
Tatsache, daß sie vom moralischen Standpunkt aus unannehmbar sind, da sie die
Zeugung von dem gesamtmenschlichen Zusammenhang des ehelichen Aktes trennen,(14)
verzeichnen diese Techniken hohe Prozentsätze an Mißerfolgen: das betrifft
nicht so sehr die Befruchtung als die nachfolgende Entwicklung des Embryos, der
der Gefahr ausgesetzt ist, meist innerhalb kürzester Zeit zu sterben. Zudem
werden mitunter Embryonen in größerer Zahl erzeugt, als für die Einpflanzung in
den Schoß der Frau notwendig sind, und diese sogenannten "überzähligen
Embryonen" werden dann umgebracht oder für Forschungszwecke verwendet, die unter
dem Vorwand des wissenschaftlichen oder medizinischen Fortschritts in
Wirklichkeit das menschliche Leben zum bloßen "biologischenMaterial"
degradieren, über das man frei verfügen könne.
Die vorgeburtlichen Diagnosen, gegen die es keine moralischen Bedenken gibt,
sofern sie vorgenommen werden, um eventuell notwendige Behandlungen an dem noch
ungeborenen Kind festzustellen, werden allzu oft zum Anlaß, die Abtreibung
anzuraten oder vorzunehmen. Die angebliche Rechtmäßigkeit der eugenischen
Abtreibung entsteht in der öffentlichen Meinung aus einer Mentalität - sie wird
zu Unrecht für kohärent mit den Ansprüchen der "Behandelbarkeit mit Aussicht auf
Heilung" gehalten -, die das Leben nur unter bestimmten Bedingungen annimmt und
Begrenztheit, Behinderung und Krankheit ablehnt.
Infolge eben dieser Logik ist man soweit gegangen, Kindern, die mit schweren
Schäden oder Krankheiten geboren wurden, die elementarsten üblichen Behandlungen
und sogar die Ernährung zu verweigern. Noch bestürzender wird das moderne
Szenarium darüber hinaus durch da und dort auftauchende Vorschläge, auf
derselben Linie wie das Recht auf Abtreibung sogar die Kindestötung für
rechtmäßig zu erklären: damit würde man in ein Stadium der Barbarei
zurückfallen, das man für immer überwunden zu haben hoffte. 15. Nicht minder schwerwiegende Bedrohungen kommen auch auf die
unheilbar Kranken und auf die Sterbenden in einem Sozial- und Kulturgefüge zu,
das bei einer sich immer schwieriger gestaltenden Auseinandersetzung mit dem
Leiden und seinem Ertragen die Versuchung verstärkt, das Problem des Leidens
dadurch zu lösen, daß man es an der Wurzel ausreißt und den Tod in dem
Augenblick vorwegnimmt, den man selbst für den geeignetsten hält.
In diese Entscheidung fließen oft verschiedene Elemente ein, die leider
diesem schrecklichen Ausgang zustreben. Entscheidend mag beim Kranken
Angstgefühl sowie das Gespür von Verbitterung, ja Verzweiflung sein,
hervorgerufen durch die Erfahrung eines intensiven und langen Schmerzes. Dies
stellt das manchmal ohnehin schon ins Wanken geratene Gleichgewicht des
persönlichen und familiären Lebens auf eine harte Probe, so daß der Kranke
einerseits trotz der immer wirksamer werdenden Mittel medizinischer und sozialer
Assistenz Gefahr läuft, sich von der eigenen Gebrechlichkeit erdrückt zu fühlen;
andererseits kann bei denen, die ihm liebevoll verbunden sind, ein Gefühl
verständlichen, wenn auch mißverstandenen Mitleids wirksam sein. Dies alles wird
von einem kulturellen Umfeld verschlimmert, das im Leid keinerlei Bedeutung
oder Wert sieht; im Gegenteil, es betrachtet das Leid als das Übel schlechthin,
das es um jeden Preis auszumerzen gilt; diese Haltung tritt vor allem dann ein,
wenn man keine religiöse Einstellung hat, die helfen kann, das Geheimnis des
Schmerzes positiv zu deuten.
Aber es wird nicht versäumt, dem kulturellen Gesamthorizont auch eine Art
Prometheushaltung des Menschen einzuprägen, der sich derart der Illusion
hingibt, Herr über Leben und Tod werden zu können, daß er über sie entscheidet,
während er in Wirklichkeit von einem Tod überwunden und erdrückt wird, der sich
jeder Sinnperspektive und jeder Hoffnung unrettbar verschließt. Einem tragischen
Ausdruck von alledem begegnen wir in der Verbreitung der maskiert und
schleichend oder offen durchgeführten und sogar legalisierten Euthanasie. Sie
wird mit einem angeblichen Mitleid angesichts des Schmerzes des Patienten und
darüber hinaus mit einem utilitaristischen Argument gerechtfertigt, nämlich um
unproduktive Ausgaben zu vermeiden, die für die Gesellschaft zu belastend seien.
So schlägt man die Beseitigung der mißgestalteten Neugeborenen, der geistig und
körperlich Schwerstbehinderten, der Leistungsunfähigen, der Alten, vor allem
wenn sie sich nicht mehr selbst versorgen können, und der Kranken vor, deren
Leben zu Ende geht. Und auch angesichts anderer, heimlicherer, aber nicht minder
schwerwiegender und realer Formen von Euthanasie dürfen wir nicht schweigen. Sie
könnten sich zum Beispiel dann ereignen, wenn man, um mehr Organe für
Transplantationen zur Verfügung zu haben, die Entnahme dieser Organe vornimmt,
ohne die objektiven und angemessenen Kriterien für die Feststellung des Todes
des Spenders zu respektieren. 16. Ein weiteres aktuelles
Phänomen, mit dem häufig Bedrohungen und Angriffe gegen das Leben einhergehen,
ist das Bevölkerungswachstum. Es stellt sich in den verschiedenen Teilen der
Welt in unterschiedlicher Weise dar: in den reichen und entwickelten Ländern
verzeichnet man einen besorgniserregenden Geburtenrückgang oder -einbruch; die
armen Länder dagegen weisen im allgemeinen eine hohe Wachstumsrate der
Bevölkerung auf, die auf dem Hintergrund geringer wirtschaftlicher und sozialer
Entwicklung oder gar schwerwiegender Unterentwicklung kaum tragbar ist.
Angesichts der Überbevölkerung der armen Länder fehlt es auf internationaler
Ebene an weltweiten Maßnahmen - eine ernsthafte Familien- und Sozialpolitik,
Programme kultureller Entwicklung und einer gerechten Produktion und Verteilung
der Ressourcen -, während weiter eine geburtenfeindliche Politik betrieben wird.
Empfängnisverhütung, Sterilisation und Abtreibung müssen gewiß zu den
Ursachen gezählt werden, die zum Zustand des starken Geburtenrückganges
beitragen und ihn wesentlich bestimmen. Die Versuchung, dieselben Methoden und
Angriffe gegen das Leben auch in Situationen von "Bevölkerungsexplosion"
anzuwenden, mag auf der Hand liegen.
Der alte Pharao, der die Anwesenheit der Söhne Israels und ihre Vermehrung
als Alptraum empfand, setzte sie jeder nur möglichen Unterdrückung aus und
befahl, jedes männliche Neugeborene der jüdischen Frauen zu töten (vgl. Ex
1,7-22). Genauso verhalten sich heutzutage viele Mächtige der Erde. Sie
empfinden die derzeitige Bevölkerungsentwicklung als Alptraum und befürchten,
daß die kinderreicheren und ärmeren Völker eine Bedrohung für den Wohlstand und
die Sicherheit ihrer Länder darstellen. Statt diese schwerwiegenden Probleme
aufzugreifen und sie unter Achtung der Würde der einzelnen und der Familien und
des unantastbaren Rechtes jedes Menschen auf Leben zu lösen, fördern sie daher
lieber eine massive Geburtenplanung und setzen sie mit jeglichem Mittel durch.
Selbst die Wirtschaftshilfen, die zu leisten sie bereit wären, werden
ungerechterweise von der Annahme einer geburtenfeindlichen Politik abhängig
gemacht. 17. Die heutige Menschheit bietet uns ein
wahrhaft alarmierendes Schauspiel, wenn wir nicht nur an die verschiedenen
Bereiche denken, in denen die Angriffe auf das Leben ausbrechen, sondern auch an
ihr einzigartiges Zahlenverhältnis sowie an die mannigfache und machtvolle
Unterstützung, die ihnen durch das weitgehende Einverständnis der Gesellschaft,
durch die häufige gesetzliche Anerkennung, durch die Einbeziehung eines Teils
des im Gesundheitswesen tätigen Personals zuteil wird.
Wie ich anläßlich des VIII. Weltjugendtreffens in Denver mit allem Nachdruck
sagen mußte, "nehmen die Bedrohungen des Lebens im Laufe der Zeit nicht ab. Im
Gegenteil, sie nehmen immer größere Ausmaße an. Es handelt sich nicht nur um
Bedrohungen des Lebens von außen, von den Kräften der Natur her oder von
weiteren ,Kains', die die ,Abels' töten"; nein, es handelt sich um
wissenschaftlich und systematisch geplante Bedrohungen. Das 20. Jahrhundert wird
als eine Epoche massiver Angriffe auf das Leben, als endlose Serie von Kriegen
und andauernde Vernichtung unschuldiger Menschenleben gelten. Die falschen
Propheten und Lehrer erfreuen sich des größtmöglichen Erfolges.(15)
Jenseits der Absichten, die unterschiedlicher Art sein und möglicherweise sogar
im Namen der Solidarität überzeugende Formen annehmen können, stehen wir
tatsächlich einer objektiven "Verschwörung gegen das Leben" gegenüber, die auch
internationale Institutionen einschließt, die mit großem Engagement regelrechte
Kampagnen für die Verbreitung der Empfängnisverhütung, der Sterilisation und der
Abtreibung anregen und planen. Schließlich läßt sich nicht leugnen, daß sich die
Massenmedien häufig zu Komplizen dieser Verschwörung machen, indem sie jener
Kultur, die die Anwendung der Empfängnisverhütung, der Sterilisation, der
Abtreibung und selbst der Euthanasie als Zeichen des Fortschritts und als
Errungenschaft der Freiheit hinstellt, in der öffentlichen Meinung Ansehen
verschaffen, während sie Positionen, die bedingungslos für das Leben eintreten,
als freiheits- und entwicklungsfeindlich beschreibt.
"Bin ich der Hüter meines Bruders?"
(Gen 4,9): eine entartete Vorstellung von
Freiheit
18. Das beschriebene Panorama macht erforderlich, daß es
nicht nur in den Todeserscheinungen erkannt wird, die es kennzeichnen, sondern
auch in den vielfältigen Ursachen, die es bestimmen. Die Frage des Herrn "Was
hast du getan?" (Gen 4,10) scheint gleichsam eine Aufforderung an Kain zu sein,
den materiellen Charakter seiner Mordtat hinter sich zu lassen und ihre ganze
Schwere in den ihr zugrundeliegenden Motivationen und in den aus ihr
erwachsenden Folgen zu erfassen.
Die Entscheidungen gegen das Leben entstehen bisweilen aus schwierigen oder
geradezu dramatischen Situationen tiefen Leides, der Einsamkeit, des völligen
Fehlens wirtschaftlicher Perspektiven, der Depression und Zukunftsangst. Solche
Umstände können die subjektive Verantwortlichkeit und die daraus folgende Schuld
derer vermindern, die diese in sich verbrecherischen Entscheidungen treffen.
Trotzdem geht das Problem heute weit über die, wenn auch gebotene Anerkennung
dieser persönlichen Situationen hinaus. Es stellt sich auch auf kultureller,
sozialer und politischer Ebene, wo es sein subversivstes und verwirrendstes
Gesicht in der immer weiter um sich greifenden Tendenz zeigt, die erwähnten
Verbrechen gegen das Leben als legitime Äußerungen der individuellen Freiheit
auszulegen, die als wahre und eigene Rechte anerkannt und geschützt werden
müssen.
Auf diese Weise gelangt ein langer historischer Prozeß an einen Wendepunkt
mit tragischen Folgen, ein Prozeß, der nach Entdeckung der Idee der
"Menschenrechte" - als Rechte, die zu jeder Person gehören und jeder Verfassung
und Gesetzgebung der Staaten vorausgehen - heute in einen überraschenden
Widerspruch gerät: gerade in einer Zeit, in der man feierlich die
unverletzlichen Rechte der Person verkündet und öffentlich den Wert des Lebens
geltend macht, wird dasselbe Recht auf Leben, besonders in den sinnbildhaftesten
Augenblicken des Daseins, wie es Geburt und Tod sind, praktisch verweigert und
unterdrückt.
Auf der einen Seite sprechen die verschiedenen Menschenrechtserklärungen und
die vielfältigen Initiativen, die von ihnen inspiriert werden, von der
Durchsetzung einer moralischen Sensibilität auf Weltebene, die sorgfältiger
darauf achtet, den Wert und die Würde jedes Menschen als solchen anzuerkennen,
ohne jede Unterscheidung von Rasse, Nationalität, Religion, politischer Meinung
und sozialem Stand.
Auf der anderen Seite setzt man diesen edlen Proklamationen leider in den
Taten ihre tragische Verneinung entgegen. Diese ist noch bestürzender, ja
skandalöser, weil sie sich in einer Gesellschaft abspielt, die die Durchsetzung
und den Schutz der Menschenrechte zu ihrem Hauptziel und zugleich zu ihrem
Ruhmesblatt macht. Wie lassen sich diese wiederholten Grundsatzbeteuerungen mit
der ständigen Vermehrung und verbreiteten Legalisierung der Angriffe auf das
menschliche Leben in Einklang bringen? Wie lassen sich diese Erklärungen in
Einklang bringen mit der Ablehnung des Schwächsten, des Bedürftigsten, des
Alten, des soeben im Mutterschoß Empfangenen? Diese Angriffe gehen in die genau
entgegengesetzte Richtung wie die Achtung vor dem Leben und stellen eine
frontale Bedrohung der gesamten Kultur der Menschenrechte dar. Eine Bedrohung,
die letzten Endes imstande ist, selbst die Bedeutung des demokratischen
Zusammenlebens aufs Spiel zu setzen: unsere Städte laufen Gefahr, aus einer
Gesellschaft von "zusammenlebenden Menschen" zu einer Gesellschaft von
Ausgeschlossenen, an den Rand Gedrängten, Beseitigten und Unterdrückten zu
werden. Muß man, wenn sich der Blick dann auf einen Welthorizont ausweitet,
nicht daran denken, daß selbst die Beteuerung der Rechte der Personen und der
Völker, wie sie bei ranghohen internationalen Zusammenkünften erfolgt, zu
fruchtloser rhetorischer Übung wird, wenn nicht der Egoismus der reichen Länder,
die den armen Ländern den Zugang zur Entwicklung verschließen oder ihn an die
Bedingung absurder Fortpflanzungsverbote knüpfen und so die Entwicklung gegen
den Menschen richten, die Maske fallen läßt? Muß man vielleicht nicht selbst die
Wirtschaftsmodelle in Frage stellen, die von den Staaten häufig auch für
Druckmaßnahmen und Konditionierungen auf internationaler Ebene angewandt werden
und die Unrechts- und Gewaltsituationen verursachen und fördern, in denen das
menschliche Leben ganzer Völker erniedrigt und mit Füßen getreten wird? 19. Wo liegen die Wurzeln eines derart paradoxen Widerspruchs?
Wir können sie in kulturellen und moralischen Gesamtbewertungen feststellen,
angefangen bei jener Mentalität, die unter Verschärfung und sogar Entstellung
des Subjektivitätsbegriffs nur den als Inhaber von Rechten anerkennt, der mit
voller oder zumindest mit ersten Anzeichen von Autonomie auftritt und den
Zustand totaler Abhängigkeit von den anderen hinter sich läßt. Aber wie läßt
sich dieser Ansatz mit der Verherrlichung des Menschen als "unverfügbares" Wesen
in Einklang bringen? Die Theorie der Menschenrechte beruht gerade auf der
Erwägung der Tatsache, daß der Mensch zum Unterschied von den Tieren und den
Sachen nicht der Herrschaft von irgend jemandem unterworfen werden kann. Es muß
auch auf jene Logik hingewiesen werden, die dazu neigt, die Personwürde mit der
Fähigkeit zu verbaler, ausdrücklicher, auf alle Fälle erprobbarer Kommunikation
gleichzusetzen. Es ist klar, daß unter solchen Voraussetzungen in der Welt kein
Raum für den ist, der, wie das ungeborene Kind oder der Sterbende, ein von
seiner physischen Konstitution her schwaches Wesen ist, auf Gedeih und Verderb
anderen Menschen ausgeliefert und radikal von ihnen abhängig ist und mit dem
Kommunikation nur durch die stumme Sprache einer tiefen Symbiose liebender
Zuneigung möglich ist. Damit wird die Stärke zum Entscheidungs- und
Handlungskriterium in den zwischenmenschlichen Beziehungen und im sozialen
Zusammenleben. Doch das ist das genaue Gegenteil von dem, was den Rechtsstaat
historisch als Gemeinschaft bestätigt hat, in der an die Stelle des "Rechts der
Stärke" die "Stärke des Rechts" tritt.
Auf einer anderen Ebene liegen die Wurzeln des Widerspruchs zwischen der
feierlichen Bestätigung der Menschenrechte und ihrer tragischen Verweigerung in
der Praxis in einer Auffassung von Freiheit, die das einzelne Individuum zum
Absoluten erhebt und es nicht zur Solidarität, zur vollen Annahme des anderen
und zum Dienst an ihm veranlaßt. Wenn es wahr ist, daß sich die Auslöschung des
ungeborenen oder zu Ende gehenden Lebens mitunter auch den Anstrich eines
mißverstandenen Gefühls von Altruismus und menschlichen Erbarmens gibt, so kann
man nicht bestreiten, daß eine solche Kultur des Todes in ihrer Gesamtheit eine
ganz individualistische Freiheitsauffassung enthüllt, die schließlich die
Freiheit der "Stärkeren" gegen die zum Unterliegen bestimmten Schwachen ist.
Genau in diesem Sinn kann man die Antwort Kains auf die Frage des Herrn "Wo
ist dein Bruder Abel?" auslegen: "Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines
Bruders?" (Joh 4,9). Jawohl, jeder Mensch ist "Hüter seines Bruders", weil Gott
den Menschen dem Menschen anvertraut. Und im Hinblick auf dieses Anvertrauen
schenkt Gott auch jedem Menschen die Freiheit, die eine wesentliche
Beziehungsdimension besitzt. Sie ist ein großes Geschenk des Schöpfers, so sie
in den Dienst der Person und ihrer Verwirklichung durch die Selbsthingabe und
die Annahme des anderen gestellt wird; wenn die Freiheit jedoch in
individualistischer Weise verabsolutiert wird, wird sie ihres ursprünglichen
Inhalts entleert und steht im Widerspruch zu ihrer Berufung und Würde.
Noch einen tiefgehenderen Aspekt gilt es zu unterstreichen: die Freiheit
verleugnet sich selber, zerstört sich selber und macht sich zur Vernichtung des
anderen bereit, wenn sie ihre grundlegende Verbindung mit der Wahrheit nicht
anerkennt und nicht mehr respektiert. Jedesmal, wenn die Freiheit sich von jeder
Tradition und Autorität befreien will und sich den wesentlichen Klarheiten einer
objektiven und gemeinsamen Wahrheit als dem Fundament für das persönliche und
soziale Leben verschließt, hört der Mensch auf, als einzigen und unanfechtbaren
Anhaltspunkt für seine Entscheidungen nicht mehr die Wahrheit über Gut und Böse
anzunehmen, sondern nur noch seine subjektive und wandelbare Meinung oder gar
sein egoistisches Interesse und seine Laune. 20. In
dieser Auffassung von Freiheit wird das soziale Zusammenleben tiefgreifend
entstellt. Wenn die Förderung des eigenen Ich als absolute Autonomie verstanden
wird, gelangt man unvermeidlich zur Verneinung des anderen, der als Feind
empfunden wird, gegen den man sich verteidigen muß. Auf diese Weise wird die
Gesellschaft zu einer Gesamtheit von nebeneinanderstehenden Individuen, die aber
keine gegenseitigen Beziehungen haben: ein jeder will sich unabhängig vom
anderen behaupten, ja seinen eigenen Interessen Vorteil verschaffen. Angesichts
gleichartiger Interessen des anderen muß man jedoch nachgeben und eine Art
Kompromiß suchen, wenn man in der Gesellschaft jedem die größtmögliche Freiheit
garantieren will. So schwindet jeder Bezug zu gemeinsamen Werten und zu einer
für alle geltenden absoluten Wahrheit: das gesellschaftliche Leben läuft Gefahr,
in einen vollkommenen Relativismus abzudriften. Da läßt sich alles vereinbaren,
über alles verhandeln: auch über das erste Grundrecht, das Recht auf Leben.
Das geschieht denn auch in der Tat im eigentlich politisch-staatlichen
Bereich: das ursprüngliche, unveräußerliche Recht auf Leben wird auf Grund
einer Parlamentsabstimmung oder des Willens eines - sei es auch mehrheitlichen -
Teiles der Bevölkerung in Frage gestellt oder verneint. Es ist das unheilvolle
Ergebnis eines unangefochten herrschenden Relativismus: das "Recht" hört auf
Recht zu sein, weil es sich nicht mehr fest auf die unantastbare Würde der
Person gründet, sondern dem Willen des Stärkeren unterworfen wird. Auf diese
Weise beschreitet die Demokratie ungeachtet ihrer Regeln den Weg eines
substantiellen Totalitarismus. Der Staat ist nicht mehr das "gemeinsame Haus",
in dem alle nach den Prinzipien wesentlicher Gleichheit leben können, sondern er
verwandelt sich in einen tyrannischen Staat, der sich anmaßt, im Namen einer
allgemeinen Nützlichkeit - die in Wirklichkeit nichts anderes als das Interesse
einiger weniger ist - über das Leben der Schwächsten und Schutzlosesten, vom
ungeborenen Kind bis zum alten Menschen, verfügen zu können.
Alles geschieht scheinbar ganz auf dem Boden der Legalität, zumindest wenn
über die Gesetze zur Freigabe der Abtreibung und der Euthanasie nach den
sogenannten demokratischen Regeln abgestimmt wird. In Wahrheit stehen wir
lediglich einem tragischen Schein von Legalität gegenüber, und das demokratische
Ideal, das es tatsächlich ist, wenn es denn die Würde jeder menschlichen Person
anerkennt und schützt, wird in seinen Grundlagen selbst verraten: "Wie kann man
noch von Würde jeder menschlichen Person reden, wenn die Tötung des schwächsten
und unschuldigsten Menschen zugelassen wird? Im Namen welcher Gerechtigkeit
begeht man unter den Menschen die ungerechteste aller Diskriminierungen, indem
man einige von ihnen für würdig erklärt, verteidigt zu werden, während anderen
diese Würde abgesprochen wird?"(16)
Wenn diese Zustände eintreten, sind bereits jene Dynamismen ausgelöst, die zum
Zerfall eines echten menschlichen Zusammenlebens und zur Zersetzung der
staatlichen Realität führen.
Das Recht auf Abtreibung, Kindestötung und Euthanasie zu fordern und es
gesetzlich anzuerkennen heißt, der menschlichen Freiheit eine perverse,
abscheuliche Bedeutung zuzuschreiben: nämlich die einer absoluten Macht über die
anderen und gegen die anderen. Aber das ist der Tod der wahren Freiheit: "Amen,
amen, das sage ich euch: Wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde" (Joh 8,34).
"Ich muß mich vor deinem Angesicht verbergen"
(Gen 4,14): die Verfinsterung
des Sinnes für Gott und den Menschen
21. Auf der Suche nach den tiefsten Wurzeln des Kampfes
zwischen der "Kultur des Lebens" und der "Kultur des Todes" dürfen wir nicht
bei der oben erwähnten perversen Freiheitsvorstellung stehenbleiben. Wir müssen
zum Herzen des Dramas vorstoßen, das der heutige Mensch erlebt: die
Verfinsterung des Sinnes für Gott und den Menschen, wie sie für das vom
Säkularismus beherrschte soziale und kulturelle Umfeld typisch ist, der mit
seinen durchdringenden Fangarmen bisweilen sogar christliche Gemeinschaften auf
die Probe stellt. Wer sich von dieser Atmosphäre anstecken läßt, gerät leicht in
den Strudel eines furchtbaren Teufelskreises: wenn man den Sinn für Gott
verliert, verliert man bald auch den Sinn für den Menschen, für seine Würde und
für sein Leben; die systematische Verletzung des Moralgesetzes, besonders was
die Achtung vor dem menschlichen Leben und seiner Würde betrifft, erzeugt
ihrerseits eine Art fortschreitender Verdunkelung der Fähigkeit, die
lebenspendende und rettende Gegenwart Gottes wahrzunehmen.
Und wieder können wir dem Bericht von der Ermordung Abels durch seinen Bruder
folgen. Nach dem von Gott über ihn verhängten Fluch wendet sich Kain mit den
Worten an den Herrn: "Zu groß ist meine Schuld, als daß ich sie tragen könnte!
Du hast mich heute vom Ackerland verjagt, und ich muß mich vor deinem Angesicht
verbergen; rastlos und ruhelos werde ich auf der Erde sein, und wer mich findet,
wird mich erschlagen" (Gen 4,13-14). Kain glaubt, daß seine Sünde beim Herrn
keine Vergebung erfahren kann und daß es sein unvermeidliches Schicksal sein
wird, "sich vor seinem Angesicht verbergen" zu müssen. Wenn es Kain fertigbringt
zu bekennen, daß seine Schuld "zu groß" ist, dann deshalb, weil er weiß, daß er
Gott und seinem gerechten Richterspruch gegenübersteht. Tatsächlich vermag der
Mensch nur vor dem Herrn seine Sünde zu erkennen und ihre ganze Schwere zu
erfassen. Das ist die Erfahrung Davids, der, nachdem er "gegen den Herrn
gesündigt hat", auf die Vorwürfe des Propheten Natan (vgl. 2 Sam 11-12) ausruft:
"Ich erkenne meine bösen Taten, meine Sünde steht mir immer vor Augen. Gegen
dich allein habe ich gesündigt, ich habe getan, was dir mißfällt" (Ps 51
[50],5-6). 22. Darum wird, wenn der Sinn für Gott
schwindet, auch der Sinn für den Menschen bedroht und verdorben, wie das Zweite
Vatikanische Konzil lapidar feststellt: "Denn das Geschöpf sinkt ohne den
Schöpfer ins Nichts... Überdies wird das Geschöpf selbst durch das Vergessen
Gottes unverständlich".(17)
Der Mensch vermag sich nicht mehr als "in geheimnisvoller Weise anders" als die
verschiedenen irdischen Lebewesen wahrzunehmen; er sieht sich als eines der
vielen Lebewesen, als einen Organismus, der bestenfalls eine sehr hohe
Vollkommenheitsstufe erreicht hat. In den engen Horizont seiner Körperlichkeit
eingeschlossen, wird er gewissermaßen zu "einer Sache" und beachtet nicht mehr
den "transzendenten" Charakter seines "Existierens als Mensch". Er sieht das
Leben nicht mehr als ein großartiges Geschenk Gottes an, als eine "heilige"
Wirklichkeit, die seiner Verantwortung und damit seiner liebevollen Obhut,
seiner "Verehrung" anvertraut ist. Es wird einfach zu "einer Sache", die er als
sein ausschließliches, total beherrschbares und manipulierbares Eigentum
beansprucht.
Er ist daher nicht mehr in der Lage, sich angesichts des Lebens, das geboren
wird, und des Lebens, das stirbt, nach dem wahren Sinn seines Daseins fragen zu
lassen, indem er diese entscheidenden Augenblicke des eigenen "Seins" in echter
Freiheit annimmt. Er kümmert sich nur um das "Machen" und bemüht sich unter
Zuhilfenahme jeder Art von Technologie um die Planung, Kontrolle und
Beherrschung von Geburt und Tod. Aus ursprünglichen Erfahrungen, die "gelebt"
werden sollen, werden Geburt und Tod zu Dingen, die man sich einfach zu
"besitzen" oder "abzulehnen" anmaßt.
Wenn im übrigen einmal der Bezug zu Gott ausgeschlossen ist, überrascht es
nicht, daß der Sinn aller Dinge tief entstellt zum Vorschein kommt und die Natur
selbst, nicht mehr "mater", zu einem "Material" entwürdigt wird, das allen
Manipulationen offensteht. Zu diesem Punkt scheint eine gewisse in der modernen
Kultur vorherrschende technisch-wissenschaftliche Rationalität zu führen, die
selbst die Vorstellung einer Wahrheit vom Schöpfer, der anzuerkennen ist, oder
eines Planes Gottes vom Leben, das zu achten ist, leugnet. Und dies gilt
genauso, wenn die Angst vor den Ergebnissen dieser "Freiheit ohne Gesetz" manche
zur entgegengesetzten Vorstellung von einem "Gesetz ohne Freiheit" verleitet,
wie es z.B. in den Ideologien der Fall ist, die die Rechtmäßigkeit eines jeden
Eingriffes in die Natur gleichsam im Namen ihrer "Vergöttlichung" bestreiten;
eine Vorstellung, die wiederum die Abhängigkeit vom Plan des Schöpfers
mißachtet.
Wenn der Mensch wirklich lebt, "als ob es Gott nicht gäbe", so kommt ihm
nicht nur der Sinn für das Geheimnis Gottes, sondern auch für das Geheimnis der
Welt und seines eigenen Seins abhanden. 23. Die
Verfinsterung des Sinnes für Gott und den Menschen führt unvermeidlich zum
praktischen Materialismus, in dem der Individualismus, der Utilitarismus und der
Hedonismus gedeihen. Auch hier offenbart sich die ewige Gültigkeit dessen, was
der Apostel schreibt: "Und da sie sich weigerten, Gott anzuerkennen, lieferte
Gott sie einem verworfenen Denken aus, so daß sie tun, was sich nicht gehört"
(Röm 1,28). Auf diese Weise werden die Werte des Seins durch jene des Habens
ersetzt. Das einzige Ziel, auf das es ankommt, ist die Erlangung des eigenen
materiellen Wohlergehens. Die sogenannte "Lebensqualität" wird vorwiegend oder
ausschließlich als wirtschaftliche Leistung, hemmungsloser Konsumismus,
Schönheit und Genuß des physischen Lebens ausgelegt, wobei die tiefer
reichenden - beziehungsmäßigen, geistigen und religiösen - Dimensionen des
Daseins in Vergessenheit geraten.
In einem solchen Gesamtrahmen wird das Leiden, eine unvermeidbare Belastung
der menschlichen Existenz, aber auch ein Faktor möglichen personalen Wachstums,
"beanstandet", als unnütz zurückgewiesen, ja als immer und auf jeden Fall zu
vermeidendes Übel bekämpft. Kann man es nicht überwinden und schwindet die
Aussicht wenigstens auf künftiges Wohlergehen, dann scheint das Leben jede
Bedeutung verloren zu haben, und im Menschen wächst die Versuchung, das Recht zu
seiner Beseitigung geltend zu machen.
Im selben kulturellen Umfeld wird der Körper nicht mehr als für die Person
typische Wirklichkeit, nämlich als Zeichen und Ort der Beziehung zu den anderen,
zu Gott und zur Welt, wahrgenommen. Er ist auf einen rein materiellen Charakter
verkürzt: er ist nur ein Komplex von Organen, Funktionen und Kräften, die nach
reinen Kriterien von Genuß und Leistung zu gebrauchen sind. Infolgedessen wird
auch die Sexualität entpersönlicht und instrumentalisiert: aus Zeichen, Ort und
Sprache der Liebe, das heißt der Selbsthingabe und der Annahme des anderen, wie
sie dem ganzen Reichtum der Person entspricht, wird sie immer mehr zu einer
Gelegenheit und einem Werkzeug der Bestätigung des eigenen Ich und der
egoistischen Befriedigung der eigenen Begierden und Instinkte. So wird der
ursprüngliche Inhalt der menschlichen Sexualität entstellt und verfälscht, und
die zwei Bedeutungen, die das Wesen des ehelichen Aktes ausmachen, nämlich
Vereinigung und Zeugung, werden künstlich getrennt: auf diese Weise wird die
Vereinigung verraten, und die Fruchtbarkeit wird der Willkür des Mannes und der
Frau unterworfen. Da wird die Zeugung zum "Feind", die es bei der Ausübung der
Sexualität zu vermeiden gilt: wenn man sie zuläßt, dann nur deshalb, weil sie
den eigenen Wunsch oder geradezu den eigenen Willen zum Ausdruck bringt, "um
jeden Preis" ein Kind zu haben, jedoch nicht, weil sie totale Annahme des
anderen und damit Offenheit für die Lebensfülle besagt, deren Träger das Kind
ist.
In der bisher beschriebenen materialistischen Sicht erfahren die
zwischenmenschlichen Beziehungen eine schwerwiegende Verarmung. Die Ersten, die
unter den Schäden dieser Verarmung zu leiden haben, sind die Frau, das Kind, der
kranke oder leidende und der alte Mensch. An die Stelle des eigentlichen
Kriteriums der Personwürde - nämlich das der Achtung, der Unentgeltlichkeit und
des Dienstes - tritt das Kriterium der Leistungsfähigkeit, der Zweckmäßigkeit
und der Nützlichkeit: der andere wird nicht für das anerkannt und geschätzt, was
er "ist", sondern für das, was er "hat, tut und leistet". Das ist die Herrschaft
des Stärkeren über den Schwächeren. 24. Die Verfinsterung
des Sinnes für Gott und für den Menschen mit allen ihren mannigfachen,
verhängnisvollen Auswirkungen auf das Leben vollzieht sich im Innern des
sittlichen Gewissens. Dabei geht es zunächst um das Gewissen jedes einzelnen
Menschen, der in seiner Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit allein mit Gott
ist.(18)
Doch es geht in gewissem Sinne auch um das "sittliche Gewissen" der
Gesellschaft: sie ist irgendwie verantwortlich, nicht nur weil sie gegen das
Leben gerichtete Haltungen duldet oder unterstützt, sondern auch, weil sie durch
die Schaffung und Festigung regelrechter "Sündenstrukturen" gegen das Leben die
"Kultur des Todes" fördert. Das sittliche Gewissen sowohl des einzelnen wie der
Gesellschaft ist heute auch wegen des aufdringlichen Einflusses vieler sozialer
Kommunikationsmittel einer sehr ernsten und tödlichen Gefahr ausgesetzt: der
Gefahr der Verwirrung zwischen Gut und Böse in bezug auf das fundamentale Recht
auf Leben. Ein Großteil der heutigen Gesellschaft zeigt sich ähnlichjener
Menschheit, die Paulus im Römerbrief beschreibt. Sie besteht aus "Menschen, die
die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten" (1,18): nachdem sie von Gott
abgefallen sind und glaubten, das irdische Gemeinwesen ohne Ihn aufbauen zu
können, "verfielen sie in ihrem Denken der Nichtigkeit, und ihr unverständiges
Herz wurde verfinstert" (1,21); "sie behaupteten, weise zu sein, und wurden zu
Toren" (1,22); sie wurden zu Urhebern todesträchtiger Werke und "tun sie nicht
nur selber, sondern stimmen bereitwillig auch denen zu, die so handeln" (1,32).
Wenn das Gewissen, dieses leuchtende Auge der Seele (vgl. Mt 6,22-23), "das Gute
böse und das Böse gut" nennt (Jes 5,20), dann ist es auf dem Weg
besorgniserregender Entartung und finsterster moralischer Blindheit.
Doch sämtlichen Konditionierungen und Anstrengungen, das Schweigen
durchzusetzen, gelingt es nicht, die Stimme des Herrn zu ersticken, die sich im
Gewissen jedes Menschen vernehmen läßt: von diesem inneren Heiligtum des
Gewissens kann immer wieder ein neuer Weg der Liebe, der Annahme und des
Dienstes für das menschliche Leben seinen Ausgang nehmen.
"Ihr seid hingetreten zum Blut der Besprengung"
(vgl. Hebr 12, 22.24):
Zeichen der Hoffnung und Einladung zum Engagement
25. "Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom
Ackerboden!" (Gen 4, 10). Nicht nur das Blut Abels, des ersten unschuldig
getöteten Menschen, schreit zu Gott, Quelle und Verteidiger des Lebens. Auch das
Blut jedes anderen ermordeten Menschen nach Abel schreit zum Herrn. In absolut
einmaliger Weise schreit zu Gott das Blut Christi, dessen prophetische Gestalt
Abel in seiner Unschuld ist, wie der Verfasser des Hebräerbriefes ausführt: "Ihr
seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes..., zum
Mittler eines neuen Bundes, Jesus, und zum Blut der Besprengung, das mächtiger
ruft als das Blut Abels" (12,22.24).
Es ist das Blut der Besprengung. Symbol und Vorauszeichen dafür war das Blut
der Opfer des Alten Bundes gewesen, durch die Gott seinen Willen kundtat, den
Menschen sein Leben durch ihre Reinigung und Heiligung mitzuteilen (vgl. Ex
24,8; Lev 17,11). Das alles erfüllt und bewahrheitet sich nun in Christus: sein
Blut ist das Blut der Besprengung, das erlöst, reinigt und rettet; das Blut des
Mittlers des Neuen Bundes, "das für viele vergossen wird zur Vergebung der
Sünden" (Mt 26,28). Dieses Blut, das am Kreuz aus der durchbohrten Seite Christi
fließt (vgl. Joh 19,34), "ruft mächtiger" als das Blut Abels; es bringt in der
Tat eine tiefere "Gerechtigkeit" zum Ausdruck und verlangt sie, doch vor allem
erfleht es Barmherzigkeit,(19)
es tritt beim Vater für die Brüder ein (vgl. Hebr 7,25), es ist Quelle
vollkommener Erlösung und Geschenk neuen Lebens.
Während das Blut Christi die Größe der Liebe des Vaters enthüllt, macht es
offenbar, wie kostbar der Mensch in den Augen Gottes ist und welch unschätzbaren
Wert sein Leben besitzt. Daran erinnert uns der Apostel Petrus: "Ihr wißt, daß
ihr aus eurer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise nicht um einen
vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Gold, sondern mit
dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel" (1 Petr 1,18-19).
Beim Betrachten des kostbaren Blutes Christi, Zeichen seiner Hingabe aus Liebe
(vgl. Joh 13,1), lernt der Gläubige die gleichsam göttliche Würde jedes Menschen
kennen und schätzen und kann mit immer neuem und dankbarem Staunen ausrufen:
"Welchen Wert muß der Mensch in den Augen des Schöpfers haben, wenn ,er verdient
hat, einen solchen und so großen Erlöser zu haben' (Exultet der Osternacht),
wenn ,Gott seinen Sohn hingegeben hat', damit er, der Mensch, ,nicht
verlorengeht, sondern das ewige Leben hat' (vgl. Joh 3,16)!"(20)
Zudem offenbart das Blut Christi dem Menschen, daß seine Größe und damit
seine Berufung in der aufrichtigen Selbsthingabe besteht. Da es als Geschenk des
Lebens vergossen wird, ist das Blut Christi nicht mehr Zeichen des Todes, der
endgültigen Trennung von den Brüdern, sondern Werkzeug einer Verbundenheit, die
für alle Fülle des Lebens bedeutet. Wer im Sakrament der Eucharistie dieses Blut
trinkt und in Jesus bleibt (vgl. Joh 6,56), wird mithineingenommen in seinen
Dynamismus der Liebe und der Hingabe des Lebens, um die ursprüngliche Berufung
zur Liebe zu erfüllen, die zu jedem Menschen gehört (vgl. Gen l,27; 2,18-24).
Noch immer ist es das Blut Christi, aus dem alle Menschen die Kraft schöpfen,
um sich für das Leben einzusetzen. Dieses Blut ist der stärkste Grund der
Hoffnung, ja das Fundament der absoluten Gewißheit, daß nach Gottes Plan das
Leben siegen wird. "Der Tod wird nicht mehr sein", ruft die laute Stimme, die
vom Thron Gottes im himmlischen Jerusalem erschallt (Offb 21,4). Und der hl.
Paulus versichert uns, daß der zeitliche Sieg über die Sünde Zeichen und
Vorwegnahme des endgültigen Sieges über den Tod ist, wenn "sich das Wort der
Schrift erfüllen wird: Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg?
Tod, wo ist dein Stachel?" (1 Kor 15,54-55). 26. In der
Tat fehlt es nicht an Vorzeichen dieses Sieges in unseren Gesellschaften und
Kulturen, obwohl sie so stark von der "Kultur des Todes" gezeichnet sind. Man
würde daher ein einseitiges Bild entwerfen, das zu fruchtloser Entmutigung
verleiten könnte, wenn man zu der Brandmarkung der Bedrohungen des Lebens nicht
die Darstel1ung der positiven Zeichen hinzufügte, die in der gegenwärtigen
Situation der Menschheit wirksam sind.
Leider fällt es diesen positiven Zeichen oft schwer, sich darzustellen und
erkannt zu werden, vielleicht auch deshalb, weil sie in den Massenmedien keine
entsprechende Aufmerksamkeit finden. Aber wie viele Initiativen zur Hilfe und
Unterstützung für die schwächsten und schutzlosesten Menschen sind in der
christlichen Gemeinschaft und in der bürgerlichen Gesellschaft auf lokaler,
nationaler und internationaler Ebene von einzelnen, von Gruppen, Bewegungen und
verschiedenartigen Organisationen ergriffen worden und werden weiterhin in die
Wege geleitet!
Noch immer gibt es zahlreiche Eheleute, die mit tiefer Verantwortung die
Kinder als "die kostbarste Gabe der Ehe"(21)
annehmen. Und es fehlt auch nicht an Familien, die über ihren täglichen Dienst
am Leben hinaus die Offenheit besitzen, sich verlassener Kleinkinder, in
Notlagen befindlicher Kinder und Jugendlicher, behinderter Personen und allein
gebliebener alter Menschen anzunehmen. Nicht wenige Zentren für Lebenshilfe oder
ähnliche Einrichtungen werden von Personen und Gruppen gefördert, die mit
bewundernswerter Hingabe und Aufopferung Müttern in schwieriger Lage, die
versucht sind, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, moralische und materielle
Hilfe anbieten. Auch entstehen und verbreiten sich engagierte
Freiwilligengruppen, die Menschen Gastfreundschaft gewähren, die keine Familie
haben, die sich in einer besonders mißlichen Lage befinden oder eines
erzieherischen Milieus bedürfen, das ihnen hilft, zerstörerische Gewohnheiten zu
überwinden und den Sinn des Lebens zurückzugewinnen.
Die von den Forschern und Fachleuten des Berufs mit großem Einsatz geförderte
Medizin setzt ihre Anstrengungen fort, immer wirksamere Mittel für die Heilung
und Pflege in Krankheiten zu finden: für das entstehende Leben, für leidende
Menschen und für die Kranken in akutem Zustand oder in der Endphase werden heute
Ergebnisse erzielt, die einst ganz unvorstellbar waren und vielversprechende
Perspektiven eröffnen. Verschiedene Einrichtungen und Organisationen setzen sich
in Bewegung, um auch den am schwersten von Elend und von endemischen Krankheiten
betroffenen Ländern die Vorzüge der neuesten Medizin zu bringen. So werden auch
nationale und internationale Ärztevereinigungen tätig, um den von
Naturkatastrophen, Seuchen oder Kriegen heimgesuchten Bevölkerungen rechtzeitig
Hilfe zu leisten. Warum sollte man nicht, auch wenn eine tatsächliche
internationale Gerechtigkeit bei der Verteilung der medizinischen Ressourcen
von ihrer vollen Verwirklichung noch weit entfernt ist, in den bisher
durchgeführten Schritten das Zeichen einer wachsenden Solidarität unter den
Völkern, einer wertvollen menschlichen und moralischen Sensibilität und einer
größeren Achtung vor dem Leben erkennen? 27. Angesichts
von Gesetzgebungen zur Freigabe der Abtreibung und da und dort erfolgreichen
Versuchen, die Euthanasie zu legalisieren, sind in der ganzen Welt Bewegungen
und Initiativen zur sozialen Sensibilisierung für das Leben entstanden. Wenn
solche Bewegungen in Übereinstimmung mit ihrer glaubwürdigen Inspiration mit
entschiedener Standhaftigkeit, aber ohne Anwendung von Gewalt handeln, fördern
sie damit eine breitere Bewußtmachung des Wertes des Lebens. Außerdem regen sie
einen entschiedeneren Einsatz zu seiner Verteidigung an und setzen ihn in die
Praxis um.
Muß man nicht auch an alle jene täglichen Gesten von Annahme, Opfer,
selbstloser Sorge erinnern, die eine unübersehbare Anzahl von Personen voll
Liebe in den Familien, in den Krankenhäusern, in den Waisenhäusern, in den
Altersheimen und in anderen Zentren oder Gemeinschaften zum Schutz des Lebens
vollbringt? Die Kirche, die sich vom Beispiel Jesu vom "barmherzigen Samariter"
(vgl. Lk 10,29-37) leiten läßt und von seiner Kraft gestärkt wird, hat an diesen
Fronten der Nächstenliebe immer in vorderster Linie gestanden: viele ihrer
Töchter und Söhne, besonders Ordensleute, weihten und weihen auch heute noch in
alten und immer neuen Formen ihr Leben Gott, indem sie es aus Liebe zum
schwächsten und bedürftigsten Nächsten hingeben.
Diese Gesten bauen von innen her jene "Zivilisation der Liebe und des Lebens"
auf, ohne die die Existenz der Menschen und der Gesellschaft ihre im wahrsten
Sinne menschliche Bedeutung verliert. Auch wenn sie von niemandem bemerkt und
den meisten verborgen bleiben würden, versichert der Glaube, daß der Vater, "der
auch das Verborgene sieht" (Mt 6, 4), sie nicht nur dereinst belohnen wird,
sondern sie schon jetzt mit bleibenden Früchten für alle ausstattet.
Zu den Hoffnungszeichen muß auch eine in breiten Schichten der öffentlichen
Meinung zunehmende neue Sensibilität gezählt werden, die immer mehr gegen den
Krieg als Instrument zur Lösung von Konflikten zwischen den Völkern gerichtet
ist und nach wirksamen, aber "gewaltlosen" Mitteln sucht, um den bewaffneten
Angreifer zu blockieren. In dasselbe Blickfeld gehört auch die immer weiter
verbreitete Abneigung der öffentlichen Meinung gegen die Todesstrafe selbst als
Mittel sozialer "Notwehr", in Anbetracht der Möglichkeiten, über die eine
moderne Gesellschaft verfügt, um das Verbrechen wirksam mit Methoden zu
unterdrücken, die zwar den, der es begangen hat, unschädlich machen, ihm aber
nicht endgültig die Möglichkeit nehmen, wieder zu Ehren zu kommen.
Wohlwollend zu begrüßen ist auch die erhöhte Aufmerksamkeit für die Qualität
des Lebens und die Umwelt, die vor allem in den hochentwickelten Gesellschaften
festzustellen ist, in denen sich die Erwartungen der Menschen nicht mehr so sehr
auf die Probleme des Überlebens, als vielmehr auf die Suche nach einer globalen
Verbesserung der Lebensbedingungen konzentrieren. Besonders bedeutsam ist das
Erwachen bzw. Wiederaufleben einer ethischen Reflexion über das Leben: durch das
Aufkommen der Bioethik und ihre immer mehr intensivierte Entwicklung und
Ausweitung werden - unter Gläubigen und Nichtgläubigen wie auch zwischen den
Gläubigen verschiedener Religionen - die Reflexion und der Dialog über
grundlegende ethische Probleme gefördert, die das Leben des Menschen
betreffen. 28. Dieser Horizont von Licht und Schatten muß
uns allen voll bewußt machen, daß wir einer ungeheuren und dramatischen
Auseinandersetzung zwischen Bösem und Gutem, Tod und Leben, der "Kultur des
Todes" und der "Kultur des Lebens" gegenüberstehen. Wir stehen diesem Konflikt
nicht nur "gegenüber", sondern befinden uns notgedrungen "mitten drin": wir
sind alle durch die unausweichliche Verantwortlichkeit in die bedingungslose
Entscheidung für das Leben involviert und daran beteiligt.
Auch an uns ergeht klar und nachdrücklich die Einladung des Mose: "Hiermit
lege ich dir heute das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor .; Leben
und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst,
du und deine Nachkommen" (Dtn 30,15. 19). Es ist eine Einladung, die wohl auch
für uns gilt, die wir uns jeden Tag zwischen der "Kultur des Lebens" und der
"Kultur des Todes" entscheiden müssen. Doch der Appell des Buches Deuteronomium
ist noch tiefgründiger, weil er uns zu einer im eigentlichen Sinn religiösen und
moralischen Entscheidung anhält. Es geht darum, dem eigenen Dasein eine
grundsätzliche Orientierung zu geben und in Treue und Übereinstimmung mit dem
Gesetz des Herrn zu leben: ". die Gebote des Herrn, deines Gottes, auf die ich
dich heute verpflichte, . indem du den Herrn deinen Gott liebst, auf seinen
Wegen gehst und auf seine Gebote, Gesetze und Rechtsvorschriften achtest .
Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den Herrn,
deinen Gott, höre auf seine Stimme, und halte dich an ihm fest; denn er ist dein
Leben. Er ist die Länge deines Lebens" (30,16.19-20).
Die Fülle ihrer religiösen und moralischen Bedeutung erreicht die
bedingungslose Entscheidung für das Leben dann, wenn sie aus dem Glauben an
Christus erwächst, von ihm geformt und gefördert wird. Bei einer positiven
Auseinandersetzung mit dem Konflikt zwischen Tod und Leben, in dem wir stecken,
hilft uns nichts so sehr wie der Glaube an den Sohn Gottes, der Mensch geworden
und zu den Menschen gekommen ist, "damit sie das Leben haben und es in Fülle
haben" (Joh 10,10): es ist der Glaube an den Auferstandenen, der den Tod besiegt
hat; es ist der Glaube an das Blut Christi, "das mächtiger ruft als das Blut
Abels" (Hebr 12, 24).
Durch das Licht und die Kraft dieses Glaubens wird sich die Kirche angesichts
der Herausforderungen der gegenwärtigen Situation stärker der ihr vom Herrn
aufgetragenen Gnade und Verantwortung bewußt, das Evangelium vom Leben zu
verkünden, zu feiern und ihm zu dienen.
II. Kapitel
Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben
Die christliche Botschaft über das Leben
"Das Leben wurde offenbart, wir haben es gesehen" (1 Joh 1,2): der Blick ist
auf Christus, "das Wort des Lebens", gerichtet
29. Angesichts der unzähligen ernsten Bedrohungen des
Lebens in der modernen Welt könnte man von einem Gefühl unüberwindlicher
Ohnmacht übermannt werden: das Gute wird nie die Kraft haben können, das Böse
zu überwinden!
Das ist der Augenblick, in dem das Volk Gottes und in ihm jeder Gläubige
aufgerufen ist, demütig und mutig seinen Glauben an Jesus Christus, "das Wort
des Lebens" (1 Joh 1,1), zu bekennen. Das Evangelium vom Leben ist nicht bloß
eine, wenn auch originelle und tiefgründige Reflexion über das menschliche
Leben; und es ist auch nicht nur ein Gebot, dazu bestimmt, das Gewissen zu
sensibilisieren und gewichtige Veränderungen in der Gesellschaft zu bewirken;
und noch weniger ist es eine illusorische Verheißung einer besseren Zukunft. Das
Evangelium vom Leben ist eine konkrete und personale Wirklichkeit, weil es in
der Verkündigung der Person Jesu selber besteht. Dem Apostel Thomas und in ihm
jedem Menschen zeigt sich Jesus mit den Worten: "Ich bin der Weg und die
Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6). Mit derselben Identität weist er sich Marta,
der Schwester des Lazarus, gegenüber aus: "Ich bin die Auferstehung und das
Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt
und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben" (Joh 11, 25-26). Jesus ist der
Sohn, der von Ewigkeit her vom Vater das Leben empfängt (vgl. Joh 5,26) und zu
den Menschen gekommen ist, um sie an diesem Geschenk teilhaben zu lassen: "Ich
bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben" (Joh 10,10).
Vom Wort, von der Tat, und selbst von der Person Jesu wird also dem Menschen
die Möglichkeit gegeben, die ganze Wahrheit über den Wert des menschlichen
Lebens zu "erkennen"; aus jener "Quelle" erwächst ihm insbesondere die
Fähigkeit, vollkommen diese Wahrheit "zu tun" (vgl. Joh 3,21), das heißt, die
Verantwortung zur Liebe des menschlichen Lebens und zum Dienst an ihm, zu seiner
Verteidigung und Förderung voll anzunehmen und zu verwirklichen. Denn in
Christus wird jenes bereits in der Offenbarung des Alten Testamentes dargebotene
und jedem Mann und jeder Frau sogar irgendwie ins Herz geschriebene Evangelium
vom Leben endgültig verkündet und in seiner Fülle verschenkt; es erfüllt jedes
sittliche Bewußtsein "von Anfang an", das heißt von der Erschaffung an, so daß
es trotz der negativen Beeinflussungen durch die Sünde in seinen wesentlichen
Zügen auch von der menschlichen Vernunft erkannt werden kann. Christus ist es,
wie das II. Vatikanische Konzil schreibt, "der durch sein ganzes Dasein und
seine ganze Erscheinung, durch Worte und Werke, durch Zeichen und Wunder, vor
allem aber durch seinen Tod und seine herrliche Auferstehung von den Toten,
schließlich durch die Sendung des Geistes der Wahrheit die Offenbarung erfüllt
und abschließt und durch göttliches Zeugnis bekräftigt, daß Gott mit uns ist, um
uns aus der Finsternis von Sünde und Tod zu befreien und zu ewigem Leben zu
erwecken".(22) 30. Während wir den Blick auf den Herrn Jesus gerichtet haben,
wollen wir also von ihm wieder "die Worte Gottes" (Joh 3,34) hören und neu
nachdenken über das Evangelium vom Leben. Den tieferen und ursprünglichen Sinn
dieser Meditation über die geoffenbarte Botschaft vom menschlichen Leben hat der
Apostel Johannes erfaßt, als er in seinem ersten Brief einleitend schrieb: "Was
von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was
wir geschaut und was unsere Hände angefaßt haben, das verkünden wir: das Wort
des Lebens. Denn das Wort wurde offenbart; wir haben gesehen und bezeugen und
verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbart wurde. Was
wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr
Gemeinschaft mit uns habt" (1,1-3).
In Jesus, dem "Wort des Lebens", wird also das göttliche und ewige Leben
verkündet und mitgeteilt. Durch diese Verkündigung und dieses Geschenk gewinnt
das physische und geistige Leben des Menschen auch in seiner irdischen Phase
vollen Wert und Bedeutung: das göttliche und ewige Leben ist in der Tat das
Ziel, auf das hin der in dieser Welt lebende Mensch ausgerichtet und zu dem er
berufen ist. Das Evangelium vom Leben schließt somit alles ein, was die
menschliche Erfahrung und die Vernunft über den Wert des menschlichen Lebens
sagen, nimmt es an, erhöht es und bringt es zur Vollendung.
"Meine Stärke und mein Lied
ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden" (Ex 15,2): das Leben
ist immer ein Gut
3l. Die evangelische Fülle der Botschaft über das Leben ist
in Wirklichkeit schon im Alten Testament vorbereitet. Vor allem im Geschehen des
Exodus, dem Kern der Glaubenserfahrung des Alten Testamentes, entdeckt Israel,
wie kostbar sein Leben in Gottes Augen ist. Als es schon der Ausrottung
preisgegeben zu sein scheint, weil alle seine männlichen Neugeborenen vom Tod
bedroht sind (vgl. Ex 1,15-22), offenbart sich ihm der Herr als Retter, der den
Hoffnungslosen eine Zukunft sicherzustellen vermag. So wird in Israel ein klares
Bewußtsein geboren: sein Leben ist nicht einem Pharao ausgeliefert, der sich
seiner mit despotischer Willkür bedienen kann; es ist vielmehr das Objekt einer
zärtlichen und starken Liebe Gottes.
Die Befreiung aus der Knechtschaft ist das Geschenk einer Identität, die
Anerkennung einer unauslöschlichen Würde und der Beginn einer neuen Geschichte,
in der die Entdeckung Gottes und Selbstentdeckung miteinander einhergehen. Das
Erlebnis des Exodus ist eine exemplarische Gründungserfahrung. Israel lernt
dabei, daß es sich jedesmal, wenn es in seiner Existenz bedroht ist, nur mit
neuem Vertrauen an Gott zu wenden braucht, um bei Ihm wirksame Hilfe zu finden:
"Ich habe dich geschaffen, du bist mein Knecht; Israel, ich vergesse dich nicht"
(Jes 44,21).
Während Israel so den Wert seiner Existenz als Volk erkennt, macht es auch
Fortschritte in der Wahrnehmung des Sinnes und Wertes des Lebens als solchen.
Eine Reflexion, die, ausgehend von der täglichen Erfahrung der Ungewißheit des
Lebens und von der Kenntnis der es gefährdenden Bedrohungen, besonders in den
Weisheitsbüchern entfaltet wird. Der Glaube wird angesichts der
Gegensätzlichkeiten des Daseins herausgefordert, eine Antwort anzubieten.
Vor allem das Problem des Schmerzes setzt dem Glauben zu und stellt ihn auf
die Probe. Soll man etwa in der Meditation des Buches Ijob nicht das universale
Stöhnen des Menschen vernehmen? Der vom Leid geschlagene Unschuldige ist
verständlicherweise geneigt, sich zu fragen: "Warum schenkt er dem Elenden Licht
und Leben denen, die verbittert sind? Sie warten auf den Tod, der nicht kommt,
sie suchen ihn mehr als verborgene Schätze" (3,20-21). Aber auch in der tiefsten
Finsternis veranlaßt der Glaube zur vertrauensvollen und anbetenden Erkenntnis
des "Geheimnisses": "Ich habe erkannt, daß du alles vermagst; kein Vorhaben ist
dir verwehrt" (Ijob 42,2).
Nach und nach macht die Offenbarung mit immer größerer Klarheit den Keim
unsterblichen Lebens begreiflich, der vom Schöpfer ins Herz der Menschen gelegt
wurde: "Gott hat das alles zu seiner Zeit auf vollkommene Weise getan. Überdies
hat er die Ewigkeit in alles hineingelegt" (Koh 3,11). Dieser Keim von Ganzheit
und Fülle wartet darauf, sich in der Liebe zu offenbaren und sich durch die
unentgeltliche Hingabe Gottes in der Teilhabe an seinem ewigen Leben zu
verwirklichen.
"Der Name Jesu hat diesen Mann zu Kräften gebracht"
(Apg 3,16): in der Ungewißheit des menschlichen Daseins bringt Jesus den Sinn
des Lebens zur Vollendung
32. Die Erfahrung des Bundesvolkes erneuert sich in der
Erfahrung aller "Armen", die Jesus von Nazaret begegnen. Wie schon Gott, der
"Freund des Lebens" (Weish 11,26), Israel inmitten der Gefahren beruhigt hatte,
so verkündet nun der Gottessohn allen, die sich in ihrer Existenz bedroht und
behindert fühlen, daß auch ihr Leben ein Gut ist, dem die Liebe des Vaters Sinn
und Wert verleiht.
"Blinde sehen wieder, Lahme gehen, und Aussätzige werden rein; Taube hören,
Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet" (Lk 7,22). Mit
diesen Worten des Propheten Jesaja (35,5-6; 61,1) legt Jesus die Bedeutung
seiner Sendung dar: so vernehmen alle, die unter einer irgendwie von Behinderung
gekennzeichneten Existenz leiden, von ihm die frohe Kunde von der Anteilnahme
Gottes ihnen gegenüber und finden bestätigt, daß auch ihr Leben eine in den
Händen des Vaters eifersüchtig gehütete Gabe ist (vgl. Mt 6,25-34).
Es sind besonders die "Armen", an die sich die Verkündigung und das Wirken
Jesu richtet. Die Massen von Kranken und Ausgegrenzten, die ihm folgen und ihn
suchen (vgl. Mt 4,23-25), finden in seinem Wort und in seinen Taten offenbart,
welch großen Wert ihr Leben besitzt und wie begründet ihre Heilserwartungen
sind.
Nicht anders geschieht es in der Sendung der Kirche seit ihren Anfängen. Sie,
die Jesus als den verkündet, der "umherzog, Gutes tat und alle heilte, die in
der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm" (Apg 10,38), weiß sich als
Trägerin einer Heilsbotschaft, die in ihrer ganzen Neuartigkeit gerade in den
von Elend und Armut geprägten Lebenssituationen des Menschen zu vernehmen ist.
So macht es Petrus bei der Heilung des Gelähmten, der jeden Tag an die "Schöne
Pforte" des Tempels von Jerusalem gesetzt wurde, wo er um Almosen betteln
sollte: "Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir:
Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher!" (Apg 3,6). Im Glauben an
Jesus, den "Urheber des Lebens" (Apg 3,15), gewinnt das verlassen und
bedauernswert daniederliegende Leben wieder Selbstbewußtsein und volle Würde.
Das Wort und die Taten Jesu und seiner Kirche gelten nicht nur dem, der von
Krankheit, von Leiden oder von den verschiedenen Formen sozialer Ausgrenzung
betroffen ist. Tiefgehender berühren sie den eigentlichen Sinn des Lebens jedes
Menschen in seinen moralischen und geistlichen Dimensionen. Nur wer erkennt, daß
sein Leben von der Krankheit der Sünde gezeichnet ist, kann in der Begegnung mit
dem Retter Jesus die Wahrheit und Glaubwürdigkeit der eigenen Existenz
entsprechend dessen eigenen Worten wiederfinden: "Nicht die Gesunden brauchen
den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zur Umkehr zu
rufen, nicht die Gerechten" (Lk 5,31-32).
Wer hingegen wie der reiche Landwirt im Gleichnis des Evangeliums meint, er
könne sein Leben durch den Besitz allein der materiellen Güter sichern, täuscht
sich in Wirklichkeit: das Leben entgleitet ihm, und er wird es sehr bald
verlieren, ohne dazu gekommen zu sein, seine wahre Bedeutung zu erfassen: "Du
Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird
dann all das gehören, was du angehäuft hast?" (Lk 12,20). 33. Im Leben Jesu selbst begegnet man von Anfang bis Ende dieser
einzigartigen "Dialektik" zwischen der Erfahrung der Gefährdung des menschlichen
Lebens und der Geltendmachung seines Wertes. Denn gefährdet ist das Leben Jesu
von seiner Geburt an. Gewiß findet er Aufnahme von seiten der Gerechten, die
sich dem bereiten und freudigen "Ja" Marias anschließen (vgl. Lk l,38). Aber da
ist auch sofort die Ablehnung durch eine Welt, die feindselig auftritt und das
Kind "zu töten" trachtet (Mt 2,13) oder sich gegenüber der Erfüllung des
Geheimnisses dieses Lebens, das in die Welt eintritt, gleichgültig und achtlos
verhält: "in der Herberge war kein Platz für sie" (Lk 2,7). Gerade aus dem
Gegensatz zwischen den Bedrohungen und Unsicherheiten einerseits und der
Mächtigkeit des Gottesgeschenkes andererseits leuchtet mit um so größerer Kraft
die Herrlichkeit, die vom Haus in Nazaret und von der Krippe in Betlehem
ausstrahlt: dieses hier geborene Leben bedeutet Heil für die ganze Menschheit
(vgl. Lk 2,11).
Widersprüche und Gefahren des Lebens werden von Jesus voll angenommen: "Er,
der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen"
(2 Kor 8,9). Die Armut, von der Paulus spricht, besteht nicht nur darin, daß
sich Jesus der göttlichen Vorrechte entäußert, sondern auch die niedrigsten und
unsichersten Bedingungen menschlichen Lebens teilt (vgl. Phil 2,6-7). Jesus lebt
diese Armut sein ganzes Leben hindurch bis zu dessen Höhepunkt am Kreuz: "er
erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat
ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle
Namen" (Phil 2,8-9). Gerade in seinem Tod macht Jesus die ganze Größe und den
Wert des Lebens offenbar, weil sein Sichhingeben am Kreuz zur Quelle neuen
Lebens für alle Menschen wird (vgl. Joh 12,32). Auf diesem Pilgerweg durch die
Widersprüche des Lebens und selbst bei dessen Verlust läßt sich Jesus von der
Gewißheit leiten, daß es in den Händen des Vaters liegt. Darum kann er am Kreuz
zu ihm sagen: "Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist" (Lk 23,46), das
heißt mein Leben. Der Wert des menschlichen Lebens ist in der Tat groß, wenn der
Sohn Gottes es angenommen und zu dem Ort gemacht hat, an dem sich das Heil für
die ganze Menschheit verwirklicht!
"Sie sind dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben"
(vgl. Röm 8,29): die Herrlichkeit Gottes leuchtet auf dem Antlitz des Menschen
34. Das Leben ist immer ein Gut. Das ist eine intuitive
Ahnung oder sogar eine Erfahrungstatsache, deren tiefen Grund zu erfassen der
Mensch berufen ist.
Warum ist das Leben ein Gut? Die Frage durchzieht die ganze Bibel und findet
bereits auf ihren ersten Seiten eine wirkungsvolle und wunderbare Antwort. Das
Leben, das Gott dem Menschen schenkt, ist anders und eigenständig gegenüber dem
eines jeden anderen Lebewesens, weil der Mensch, auch wenn er mit dem Staub der
Erde verwandt ist (vgl. Gen 2,7; 3,19; Ijob 34,15; Ps 103 [102],14; 104
[103],29), in der Welt Offenbarung Gottes, Zeichen seiner Gegenwart, Spur seiner
Herrlichkeit ist (vgl. Gen 1,26-27; Ps 8,6). Das wollte auch der hl. Irenäus von
Lyon mit seiner berühmten Definition unterstreichen: "Der lebendige Mensch ist
die Herrlichkeit Gottes".(23)
Dem Menschen wird eine erhabene Würde geschenkt, die ihre Wurzeln in den
innigen Banden hat, die ihn mit seinem Schöpfer verbinden: im Menschen erstrahlt
ein Widerschein der Wirklichkeit Gottes selbst.
Das führt das erste Buch der Genesis im ersten Schöpfungsbericht aus, indem
es den Menschen als Höhepunkt des Schöpfungswerkes Gottes, als seine Krönung, an
das Ende eines Prozesses stellt, der vom unterschiedslosen Chaos zum
vollkommensten Geschöpf führt. Alles in der Schöpfung ist auf den Menschen
hingeordnet und alles ist ihm untergeordnet: "Bevölkert die Erde, unterwerft sie
euch und herrscht... über alle Tiere, die sich auf dem Land regen" (1,28),
gebietet Gott dem Mann und der Frau. Eine ähnliche Botschaft stammt auch aus
dem zweiten Schöpfungsbericht: "Gott, der Herr, nahm also den Menschen und
setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte" (Gen 2,15). So
wird die Vorrangstellung des Menschen über die Dinge bekräftigt: sie sind auf
ihn hin ausgerichtet und seiner Verantwortung anvertraut, während er selbst
unter keinen Umständen an seinesgleichen versklavt werden und gleichsam auf die
Ebene einer Sache herabgestuft werden kann.
In der biblischen Erzählung wird die Unterscheidung des Menschen von den
anderen Geschöpfen vor allem dadurch herausgestellt, daß nur seine Erschaffung
als Frucht eines besonderen Entschlusses Gottes dargestellt wird, als Ergebnis
einer Entscheidung, die in der Herstellung einer eigenen und besonderen
Verbindung mit dem Schöpfer besteht: "Laß uns Menschen machen als unser Abbild,
uns ähnlich" (Gen 1,26). Das Leben, das Gott dem Menschen anbietet, ist ein
Geschenk, durch das Gott sein Geschöpf an etwas von sich selbst teilhaben läßt.
Israel wird noch lange Fragen nach dem Sinn dieser eigenen und besonderen
Bindung des Menschen an Gott stellen. Auch das Buch Jesus Sirach räumt ein, daß
Gott die Menschen bei ihrer Erschaffung "ihm selbst ähnlich mit Kraft bekleidet
und nach seinem Abbild erschaffen hat" (17,3). Darauf führt der Verfasser nicht
nur ihre Beherrschung der Welt zurück, sondern auch die wesentlichsten geistigen
Fähigkeiten des Menschen, wie Vernunft, Erkenntnis von Gut und Böse, den freien
Willen: "Mit kluger Einsicht erfüllte er sie und lehrte sie, Gutes und Böses zu
erkennen" (Sir 17,7). Die Fähigkeit, Wahrheit und Freiheit zu erlangen, sind
Vorrechte des Menschen, geschaffen nach dem Abbild seines Schöpfers, des wahren
und gerechten Gottes (vgl. Dtn 32,4). Unter allen sichtbaren Kreaturen ist nur
der Mensch "fähig, seinen Schöpfer zu erkennen und zu lieben".(24)
Das Leben, das Gott dem Menschen schenkt, ist weit mehr als ein
zeitlich-irdisches Dasein. Es ist ein Streben nach einer Lebensfülle; es ist
Keim einer Existenz, die über die Grenzen der Zeit hinausgeht: "Gott hat den
Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens
gemacht" (Weish 2,23).
35. Auch der jahwistische
Schöpfungsbericht bringt dieselbe Überzeugung zum Ausdruck. Die ältere Erzählung
spricht nämlich von einem göttlichen Hauch, der in den Menschen geblasen wird,
damit er ins Leben trete: "Gott, der Herr, formte den Menschen aus Erde vom
Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem
lebendigen Wesen" (Gen 2,7).
Der göttliche Ursprung dieses Lebensgeistes erklärt das ständige
Unbefriedigtsein, das den Menschen in seinen Erdentagen begleitet. Da er von
Gott geschaffen wurde und eine unauslöschliche Spur Gottes in sich trägt,
trachtet der Mensch natürlich nach ihm. Jeder Mensch muß, wenn er die tiefe
Sehnsucht seines Herzens vernimmt, sich das Wort der vom hl. Augustinus
ausgesprochenen Wahrheit zu eigen machen: "Du, o Herr, hast uns für Dich
geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir".(25)
Äußerst vielsagend ist das Unbefriedigtsein, von dem das Leben des Menschen
im Garten Eden geplagt wird, solange sein einziger Bezug die natürliche Welt der
Pflanzen und Tiere ist (vgl. Gen 2,20). Erst das Auftreten der Frau, das heißt
eines Wesens, das Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein ist (vgl.
Gen 2,23) und in dem ebenfalls der Geist des Schöpfergottes lebt, vermag sein
Verlangen nach interpersonalem Dialog, der für die menschliche Existenz so
wichtig ist, zu befriedigen. Im anderen, Mann oder Frau, spiegelt sich Gott
selbst, endgültiger und befriedigender Anlegepunkt jedes Menschen.
"Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst, des Menschen Kind, daß du dich
seiner annimmst?", fragt der Psalmist (Ps 8,5). Angesichts der Unermeßlichkeit
des Universums ist er klein und unbedeutend; aber gerade dieser Gegensatz läßt
seine Größe sichtbar werden: "Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott
(man könnte auch übersetzen: als die Engel), hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre
gekrönt" (Ps 8,6). Die Herrlichkeit Gottes leuchtet auf dem Antlitz des
Menschen. In ihm findet der Schöpfer seine Ruhe, wie der hl. Ambrosius voll
Erstaunen und Ergriffenheit kommentiert: "Der sechste Tag ist zu Ende und die
Schöpfung der Welt wird mit der Gestaltung des Hauptwerkes abgeschlossen, des
Menschen, der die Herrschaft über alle Lebewesen ausübt und gleichsam der Gipfel
des Universums und die höchste Schönheit jedes geschaffenen Wesens ist. Wir
müßten wahrhaftig in verehrungsvollem Schweigen verharren, da sich der Herr von
jedem Werk der Welt ausruhte. Er ruhte sich dann im Innern des Menschen aus, er
ruhte sich aus in seinem Verstand und seinem Denken; denn er hatte den Menschen
erschaffen, ihn mit Vernunft ausgestattet und ihn befähigt, ihn nachzuahmen,
seinen Tugenden nachzueifern, nach den himmlischen Gnaden zu dürsten. In diesen
seinen Gaben ruht Gott, der gesagt hat: ,Was wäre das für ein Ort, an dem ich
ausruhen könnte?... Ich blicke auf den Armen und Zerknirschten und auf den, der
zittert vor meinem Wort' (Jes 66,1-2). Ich danke dem Herrn, unserem Gott, daß er
ein so wunderbares Werk geschaffen hat, in dem er den Ort zum Ausruhen finden
kann".(26)
36. Leider wird Gottes herrlicher Plan durch den Einbruch der
Sünde in die Geschichte getrübt. Mit der Sünde lehnt sich der Mensch gegen den
Schöpfer auf, bis er am Ende die Geschöpfe vergöttert: "Sie beteten das Geschöpf
an und verehrten es anstelle des Schöpfers" (Röm 1,25). Auf diese Weise
entstellt der Mensch nicht nur in sich selbst das Bild Gottes, sondern ist
versucht, es auch in den anderen dadurch zu beleidigen, daß er die Beziehungen
der Gemeinschaft durch Verhaltensweisen wie Mißtrauen, Gleichgültigkeit,
Feindschaft bis hin zum mörderischen Haß ersetzt. Wenn man nicht Gott als Gott
anerkennt, verrät man die tiefe Bedeutung des Menschen und beeinträchtigt die
Gemeinschaft der Menschen untereinander.
Mit der Menschwerdung des Gottessohnes erstrahlt im Leben des Menschen wieder
das Bild Gottes und offenbart sich in seiner ganzen Fülle: "Er ist das Ebenbild
des unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15), "der Abglanz seiner Herrlichkeit und das
Abbild seines Wesens" (Hebr 1,3), lebt das vollkommene Ebenbild des Vaters.
Der dem ersten Adam übertragene Lebensplan findet schließlich in Christus
seine Vollendung. Während der Ungehorsam Adams Gottes Plan bezüglich des Lebens
des Menschen zerstört und entstellt und den Tod in die Welt bringt, ist der
erlösende Gehorsam Christi Quelle der Gnade, die sich über die Menschen ergießt,
indem sie für alle die Tore zum Reich des Lebens aufreißt (vgl. Röm 5,12-21).
Der Apostel Paulus sagt: "Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen.
Der Letzte Adam wurde lebendigmachender Geist" (1 Kor 15,45).
Allen, die sich zustimmend in die Nachfolge Christi stellen, wird die Fülle
des Lebens geschenkt: in ihnen wird das göttliche Bild wiederhergestellt,
erneuert und zur Vollendung geführt. Das ist der Plan Gottes mit den Menschen:
daß sie "an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilhaben" (Röm 8,29). Nur so, im
Glanz dieses Bildes, kann der Mensch von der Knechtschaft des Götzendienstes
befreit werden, die zerbrochene Brüderlichkeit wiederherstellen und seine
Identität wiederfinden.
"Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben" (Joh
11,26): das Geschenk des ewigen Lebens
37. Das Leben, das der Sohn Gottes den Menschen geschenkt
hat, beschränkt sich nicht bloß auf das zeitlich-irdische Dasein. Das Leben,
das von Ewigkeit her "in ihm" und "das Licht der Menschen" ist (Joh 1,4), beruht
darauf, daß es aus Gott geboren ist und an der Fülle seiner Liebe teilhat:
"Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen,
die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des
Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind" (Joh
1,12-13).
Manchmal nennt Jesus dieses Leben, das zu schenken er gekommen ist, einfach:
"das Leben"; und stellt die Geburt aus Gott als eine notwendige Bedingung dar,
um das Ziel erreichen zu können, für das Gott den Menschen erschaffen hat: "Wenn
jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen" (Joh
3,3). Das Geschenk dieses Lebens bildet den eigentlichen Zweck der Sendung Jesu:
er ist der, der "vom Himmel herabkommt und der Welt das Leben gibt" (Joh 6,33),
so daß er mit voller Wahrheit sagen kann: "Wer mir nachfolgt, ... wird das Licht
des Lebens haben" (Joh 8,12).
An anderen Stellen spricht Jesus vom "ewigen Leben", wobei das Adjektiv nicht
nur auf eine überirdische Perspektive verweist. "Ewig" ist das Leben, das Jesus
verheißt und schenkt, weil es Fülle der Teilhabe am Leben des "Ewigen" ist.
Jeder, der an Jesus glaubt und in Gemeinschaft mit ihm tritt, hat das ewige
Leben (vgl. Joh 3,15; 6,40), weil er von ihm die einzigen Worte hört, die seinem
Dasein Lebensfülle offenbaren und einflößen; es sind die "Worte des ewigen
Lebens", die Petrus in seinem Glaubensbekenntnis anerkennt: "Herr, zu wem sollen
wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und
haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes" (Joh 6,68-69). Worin dann das ewige
Leben besteht, erklärt Jesus selbst, wenn er sich im Hohenpriesterlichen Gebet
an den Vater wendet: "Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott zu
erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast" (Joh 17,3). Gott und seinen
Sohn erkennen heißt, das Geheimnis der Liebesgemeinschaft des Vaters, des Sohnes
und des Heiligen Geistes im eigenen Leben anzunehmen, das sich schon jetzt in
der Teilhabe am göttlichen Leben dem ewigen Leben öffnet. 38. Das ewige Leben ist also das Leben Gottes selbst und zugleich
das Leben der Kinder Gottes. Immer neues Staunen und grenzenlose Dankbarkeit
müssen den Gläubigen angesichts dieser unerwarteten und unaussprechlichen
Wahrheit erfassen, die uns von Gott in Christus zuteil wird. Der Gläubige macht
sich die Worte des Apostels Johannes zu eigen: "Wie groß die Liebe ist, die der
Vater uns geschenkt hat: wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es... Liebe
Brüder, jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht
offenbar geworden. Wir wissen, daß wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar
wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist" (1 Joh 3,1-2).
So erreicht die christliche Wahrheit über das Leben ihren Höhepunkt. Die
Würde dieses Lebens hängt nicht nur von seinem Ursprung, von seiner Herkunft von
Gott ab, sondern auch von seinem Endziel, von seiner Bestimmung als Gemeinschaft
mit Gott im Erkennen und in der Liebe zu ihm. Im Lichte dieser Wahrheit
präzisiert und vervollständigt der hl. Irenäus seine Lobpreisung des Menschen:
"Herrlichkeit Gottes" ist "der lebendige Mensch", aber "das Leben des Menschen
besteht in der Schau Gottes".(27)
Daraus erwachsen unmittelbare Konsequenzen für das menschliche Leben in
seiner irdischen Situation, in dem allerdings bereits das ewige Leben keimt und
heranwächst. Wenn der Mensch instinktiv das Leben liebt, weil es ein Gut ist, so
findet diese Liebe weitere Motivierung und Kraft, neue Fülle und Tiefe in den
göttlichen Dimensionen dieses Gutes. So gesehen beschränkt sich die Liebe, die
jeder Mensch zum Leben hat, nicht auf die einfache Suche eines Raumes der
Selbstäußerung und der Beziehung zu den anderen, sondern sie entwickelt sich aus
dem freudigen Bewußtsein, die eigene Existenz zu dem "Ort" der Offenbarwerdung
Gottes sowie der Begegnung und der Gemeinschaft mit ihm machen zu können. Das
Leben, das Jesus uns schenkt, entwertet nicht unser zeitliches Dasein, sondern
nimmt es an und führt es seiner letzten Bestimmung zu: "Ich bin die Auferstehung
und das Leben...; jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht
sterben" (Joh 11,25.26).
"Für das Leben des Menschen fordere ich Rechenschaft von jedem seiner Brüder"
(Gen 9,5): Achtung und Liebe für das Leben aller
39. Das Leben des Menschen kommt aus Gott, es ist sein
Geschenk, sein Abbild und Ebenbild, Teilhabe an seinem Lebensatem. Daher ist
Gott der einzige Herr über dieses Leben: der Mensch kann nicht darüber verfügen.
Gott selbst bekräftigt dies gegenüber Noach nach der Sintflut: "Für das Leben
des Menschen fordere ich Rechenschaft von jedem seiner Brüder" (Gen 9,5). Und
der biblische Text ist darauf bedacht zu unterstreichen, daß die Heiligkeit des
Lebens in Gott und in seinem Schöpfungswerk begründet ist: "Denn als Abbild
Gottes hat er den Menschen gemacht" (Gen 9,6).
Leben und Tod des Menschen liegen also in den Händen Gottes, in seiner Macht:
"In seiner Hand ruht die Seele allen Lebens und jeden Menschenleibes Geist",
ruft Ijob aus (12,10). "Der Herr macht tot und lebendig, er führt zum Totenreich
hinab und führt auch herauf" (1 Sam 2,6). Er allein kann sagen: "Ich bin es, der
tötet und der lebendig macht" (Dtn 32,39).
Aber diese Macht übt Gott nicht als bedrohliche Willkür aus, sondern als
liebevolle Umsicht und Sorge gegenüber seinen Geschöpfen. Wenn es wahr ist, daß
das Leben des Menschen in Gottes Händen ruht, so ist es ebenso wahr, daß es
liebevolle Hände sind wie die einer Mutter, die ihr Kind annimmt, nährt und sich
um es sorgt: "Ich ließ meine Seele ruhig werden und still; wie ein kleines Kind
bei der Mutter ist meine Seele still in dir" (Ps 131 [130],2; vgl. Jes 49,15;
66,12-13; Hos 11,4). So sieht Israel im Geschehen der Völker und im Schicksal
der einzelnen nicht das Ergebnis einer bloßen Zufälligkeit oder eines blinden
Schicksals, sondern das Ergebnis eines Planes der Liebe, in den Gott sämtliche
Lebensmöglichkeiten aufnimmt und den aus der Sünde entstehenden Kräften des
Todes entgegenstellt: "Denn Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude
am Untergang der Lebenden. Zum Dasein hat er alles geschaffen" (Weish
1,13-14). 40. Aus der Heiligkeit des Lebens erwächst
seine Unantastbarkeit, die von Anfang an dem Herzen des Menschen, seinem
Gewissen, eingeschrieben ist. Die Frage "Was hast du getan?" (Gen 4,10), mit der
sich Gott an Kain wendet, nachdem dieser seinen Bruder Abel getötet hat, gibt
die Erfahrung jedes Menschen wieder: in der Tiefe seines Gewissens wird er immer
an die Unantastbarkeit des Lebens - seines Lebens und jenes der anderen -
erinnert, als Realität, die nicht ihm gehört, weil sie Eigentum und Geschenk
Gottes, des Schöpfers und Vaters, ist.
Das auf die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens bezügliche Gebot steht im
Zentrum der "zehn Worte" im Bund vom Sinai (vgl. Ex 34,28). Es verbietet
zuallererst den Mord: "Du sollst nicht morden" (Ex 20,13); "Wer unschuldig und
im Recht ist, den bring nicht um sein Leben" (Ex 23,7); aber es verbietet auch -
wie in der weiteren Gesetzgebung Israels genau bestimmt wird - jede dem anderen
zugefügte Verletzung (vgl. Ex 21,12-27). Sicher muß man zugeben, daß im Alten
Testament diese Sensibilität für den Wert des Lebens, selbst wenn sie bereits so
hervorgehoben wird, noch nicht den Scharfsinn der Bergpredigt erreicht, wie aus
manchen Aspekten der damals geltenden Gesetzgebung hervorgeht, die schwere
Körperstrafen und sogar die Todesstrafe vorsah. Aber die Gesamtbotschaft, die
das Neue Testament zur Vervollkommnung bringen wird, ist ein mächtiger Appell
zur Achtung der Unantastbarkeit des physischen Lebens und der persönlichen
Integrität und erreicht ihren Höhepunkt in dem positiven Gebot, das dazu
verpflichtet, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst: "Du sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst"
(Lev 19,18).
41. Das
Gebot "du sollst nicht töten", das in jenem positiven Gebot von der
Nächstenliebe eingeschlossen und vertieft ist, wird vom Herrn Jesus in seiner
ganzen Gültigkeit bekräftigt. Dem reichen Jüngling, der ihn fragt: "Meister, was
muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?", antwortet er: "Wenn du das
Leben erlangen willst, halte die Gebote!" (Mt 19,16.17). Und als erstes nennt er
das Gebot "du sollst nicht töten" (Mt 19,18). In der Bergpredigt verlangt Jesus
von den Jüngern auch im Bereich der Achtung vor dem Leben eine höhere
Gerechtigkeit als die der Schriftgelehrten und Pharisäer: "Ihr habt gehört, daß
zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemand tötet,
soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder
auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein" (Mt 5,21-22).
Durch sein Wort und sein Tun verdeutlicht Jesus die positiven Forderungen des
Gebots von der Unantastbarkeit des Lebens noch weiter. Sie waren bereits im
Alten Testament vorhanden, wo es der Gesetzgebung darum ging, Daseinsbeziehungen
schwachen und bedrohten Lebens zu gewährleisten und es zu schützen: den
Fremden, die Witwe, den Waisen, den Kranken, überhaupt den Armen, ja selbst das
Leben vor der Geburt (vgl. Ex 21,22; 22,20-26). Mit Jesus erlangen diese
positiven Forderungen neue Kraft und neuen Schwung und werden in ihrer ganzen
Weite und Tiefe offenbar: sie reichen von der Sorge um das Leben des Bruders
(des Familienangehörigen, des Angehörigen desselben Volkes, des Ausländers, der
im Land Israel wohnt) zur Sorge um den Fremden bis hin zur Liebe des Feindes.
Der Fremde ist nicht länger ein Fremder für den, der für einen anderen
Menschen in Not zum Nächsten werden muß, bis zu dem Punkt, daß er die
Verantwortung für sein Leben übernimmt, wie das Gleichnis vom barmherzigen
Samariter sehr anschaulich und einprägsam schildert (vgl. Lk 10, 25-37). Auch
der Feind ist für den kein Feind mehr, der ihn zu lieben (vgl. Mt 5,38-48; Lk
6,27-35) und dem er "Gutes zu tun" verpflichtet ist (vgl. Lk 6,27.33. 35), indem
er auf die Nöte seines Lebens rasch und in der Gesinnung der Unentgeltlichkeit
eingeht (vgl. Lk 6,34-35). Höhepunkt dieser Liebe ist das Gebet für den Feind,
durch das man sich mit der sorgenden Liebe Gottes in Einklang bringt: "Ich aber
sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr
Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er läßt seine Sonne aufgehen über
Bösen und Guten, und er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte" (Mt 5,44-45;
vgl. Lk 6,28.35).
Gottes Gebot zum Schutz des Lebens des Menschen hat also seinen tiefsten
Aspekt in der Forderung von Achtung und Liebe gegenüber jedem Menschen und
seinem Leben. Mit dieser Lehre wendet sich der Apostel Paulus an die Christen
von Rom, indem er dem Wort Jesu (vgl. Mt 19, 17-18) beistimmt: "Denn die Gebote:
Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen,
du sollst nicht begehren!, und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz
zusammengefaßt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die Liebe tut
dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes" (Röm
13,9-10).
"Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch"
(Gen 1,28): die Verantwortung des Menschen gegenüber dem Leben
42. Das Leben zu verteidigen und zu fördern, in Ehren zu
halten und zu lieben ist eine Aufgabe, die Gott jedem Menschen aufträgt, wenn er
ihn als sein pulsierendes Abbild zur Teilhabe an seiner Herrschaft über die Welt
beruft: "Gott segnete sie und sprach: ,Seid fruchtbar und vermehrt euch,
bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des
Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land
regen'" (Gen 1,28).
Der biblische Text legt die Weite und Tiefe der Herrschaft an den Tag, die
Gott dem Menschen schenkt. Es geht zunächst um die Herrschaft über die Erde und
über alle Tiere, wie das Buch der Weisheit erwähnt: "Gott der Väter und Herr des
Erbarmens... den Menschen hast du durch deine Weisheit erschaffen, damit er über
deine Geschöpfe herrscht. Er soll die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit
leiten" (9,1.2-3). Auch der Psalmist preist die Herrschaft des Menschen als
Zeichen der vom Schöpfer empfangenen Herrlichkeit und Ehre: "Du hast ihn als
Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt:
All die Schafe, Ziegen und Rinder und auch die wilden Tiere, die Vögel des
Himmels und die Fische im Meer, alles, was auf den Pfaden der Meere dahinzieht"
(Ps 8,7-9).
Der Mensch, der berufen wurde, den Garten der Welt zu bebauen und zu hüten
(vgl. Gen 2,15), hat eine besondere Verantwortung für die Lebensumwelt, das
heißt für die Schöpfung, die Gott in den Dienst seiner personalen Würde, seines
Lebens gestellt hat: Verantwortung nicht nur in bezug auf die gegenwärtige
Menschheit, sondern auch auf die künftigen Generationen. Die ökologische Frage -
von der Bewahrung des natürlichen Lebensraumes der verschiedenen Tierarten und
der vielfältigen Lebensformen bis zur "Humanökologie" im eigentlichen Sinne des
Wortes(28) -
findet in dem Bibeltext eine einleuchtende und wirksame ethische Anleitung für
eine Lösung, die das große Gut des Lebens, jeden Lebens, achtet. In Wirklichkeit
ist "die vom Schöpfer dem Menschen anvertraute Herrschaft keine absolute Macht
noch kann man von der Freiheit sprechen, sie zu ,gebrauchen oder mißbrauchen'
oder über die Dinge zu verfügen, wie es beliebt. Die Beschränkung, die der
Schöpfer selber von Anfang an auferlegt hat, ist symbolisch in dem Verbot
enthalten, ,von der Frucht des Baumes zu essen' (vgl. Gen 2,16-17); sie zeigt
mit genügender Klarheit, daß wir im Hinblick auf die sichtbare Natur nicht nur
biologischen, sondern auch moralischen Gesetzen unterworfen sind, die man nicht
ungestraft übertreten darf".(29) 43. Eine gewisse Teilhabe des Menschen an der Herrschaft Gottes
offenbart sich auch in der besonderen Verantwortung, die ihm gegenüber dem
eigentlich menschlichen Leben anvertraut wird. Eine Verantwortung, die ihren
Höhepunkt in der Weitergabe des Lebens durch die Zeugung seitens des Mannes und
der Frau in der Ehe erreicht, wie das II. Vatikanische Konzil ausführt:
"Derselbe Gott, der gesagt hat: ,Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei'
(Gen 2,18), und der ,den Menschen von Anfang an als Mann und Frau schuf' (Mt
19,4), wollte ihm eine besondere Teilnahme an seinem schöpferischen Wirken
verleihen, segnete darum Mann und Frau und sprach: ,Wachset und vermehrt euch'
(Gen 1,28)".(30)
Wenn das Konzil von "einer besonderen Teilnahme" von Mann und Frau am
"schöpferischen Wirken" Gottes spricht, will es hervorheben, daß die Zeugung
des Kindes ein zutiefst menschliches und in hohem Maße religiöses Ereignis ist,
insofern sie die Ehegatten, die "ein Fleisch" werden (Gen 2,24), und zugleich
Gott selbst beteiligt, der dabei gegenwärtig ist. Wenn, wie ich in meinem Brief
an die Familien geschrieben habe, "aus der ehelichen Vereinigung der beiden ein
neuer Mensch entsteht, so bringt er ein besonderes Abbild Gottes, eine besondere
Ähnlichkeit mit Gott selber in die Welt: in die Biologie der Zeugung ist die
Genealogie der Person eingeschrieben. Wenn wir sagen, die Ehegatten seien als
Eltern bei der Empfängnis und Zeugung eines neuen Menschen Mitarbeiter des
Schöpfergottes, beziehen wir uns nicht einfach auf die Gesetze der Biologie; wir
wollen vielmehr hervorheben, daß in der menschlichen Elternschaft Gott selber in
einer anderen Weise gegenwärtig ist als bei jeder anderen Zeugung "auf Erden".
Denn nur von Gott kann jenes "Abbild und jene Ähnlichkeit" stammen, die dem
Menschen wesenseigen ist, wie es bei der Schöpfung geschehen ist. Die Zeugung
ist die Fortführung der Schöpfung".(31)
Das lehrt in direkter und beredter Sprache der Bibeltext, wenn er vom
Freudenschrei der ersten Frau, der "Mutter aller Lebendigen" (Gen 3,20),
berichtet. Eva, die sich des Eingreifens Gottes bewußt ist, ruft aus: "Ich habe
einen Mann vom Herrn erworben" (Gen 4,1). Durch die Weitergabe des Lebens von
den Eltern an das Kind wird also bei der Zeugung dank der Erschaffung der
unsterblichen Seele(32)
das Abbild und Gleichnis Gottes selbst übertragen. In diesem Sinne heißt es zu
Beginn der "Liste der Geschlechterfolge nach Adam": "Am Tag, da Gott den
Menschen erschuf, machte er ihn Gott ähnlich. Als Mann und Frau erschuf er sie,
er segnete sie und nannte sie Mensch an dem Tag, da sie erschaffen wurden. Adam
war hundertdreißig Jahre alt, da zeugte er einen Sohn, der ihm ähnlich war, wie
sein Abbild, und nannte ihn Set" (Gen 5,1-3). Auf dieser ihrer Rolle von
Mitarbeitern Gottes, der sein Bild auf das neue Geschöpf überträgt, beruht
gerade die Größe der Eheleute, die bereit sind "zur Mitwirkung mit der Liebe
desSchöpfers und Erlösers, der durch sie seine eigene Familie immer mehr
vergrößert und bereichert".(33)
In diesem Licht pries Bischof Amphilochios die "heilige, erwählte und über alle
irdischen Gaben erhabene Ehe" als "Erzeuger der Menschheit, Urheber von
Ebenbildern Gottes".(34)
So werden Mann und Frau nach Vereinigung in der Ehe zu Teilhabern am
göttlichen Werk: durch den Zeugungsakt wird Gottes Geschenk angenommen, und ein
neues Leben öffnet sich der Zukunft.
Aber über den spezifischen Auftrag der Eltern hinaus betrifft die Aufgabe,
das Leben anzunehmen und ihm zu dienen, alle und muß sich vor allem gegenüber
dem im Zustand größter Schwachheit befindlichen Leben erweisen. Christus selber
erinnert uns daran, wenn er verlangt, daß man ihn liebt und ihm in den von jeder
Art von Leid heimgesuchten Brüdern dient: Hungernden, Dürstenden, Fremden,
Nackten, Kranken, Gefangenen... Was einem jeden von ihnen getan wird, wird
Christus selbst getan (vgl. Mt 25,31-46).
"Du hast mein Inneres geschaffen"
(Ps 139 [138],13): die Würde des
ungeborenen Kindes
44. Das menschliche Leben befindet sich in einer Situation
großer Gefährdung, wenn es in die Welt eintritt und wenn es das irdische Dasein
verläßt, um in den Hafen der Ewigkeit einzugehen. Die Aufforderungen zu Sorge
und Achtung vor allem gegenüber dem von Krankheit und Alter gefährdeten Sein
sind im Wort Gottes sehr wohl vorhanden. Wenn es an direkten und ausdrücklichen
Aufforderungen zum Schutz des menschlichen Lebens in seinen Anfängen,
insbesondere des noch ungeborenen wie auch des zu Ende gehenden Lebens, fehlt,
so läßt sich das leicht daraus erklären, daß schon allein die Möglichkeit, das
Leben in diesen Situationen zu verletzen, anzugreifen oder gar zu leugnen, der
religiösen und kulturellen Sicht des Gottesvolkes fremd ist.
Im Alten Testament wird die Unfruchtbarkeit als ein Fluch gefürchtet, während
die zahlreiche Nachkommenschaft als ein Segen empfunden wird: "Kinder sind eine
Gabe des Herrn, die Frucht des Leibes ist sein Geschenk" (Ps 127 [126],3; vgl.
Ps 128 [127],3-4). Eine Rolle spielt bei dieser Überzeugung auch das Bewußtsein
Israels, das Volk des Bundes und berufen zu sein, sich gemäß der an Abraham
ergangenen Verheißung zu vermehren: "Sieh doch zum Himmel hinauf, und zähl die
Sterne, wenn du sie zählen kannst... So zahlreich werden deine Nachkommen sein"
(Gen 15,5). Wirksam ist aber vor allem die Gewißheit, daß das von den Eltern
weitergegebene Leben seinen Ursprung in Gott hat, wie die vielen Bibelstellen
bezeugen, die voll Achtung und Liebe von der Empfängnis, von der Formung des
Lebens im Mutterleib, von der Geburt und von der engen Verbindung sprechen, die
zwischen dem Anfang des Seins und dem Tun Gottes, des Schöpfers, besteht.
"Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe
du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt" (Jer 1,5): die
Existenz jedes einzelnen Menschen ist von ihren Anfängen an im Plan Gottes
vorgegeben. Ijob in seinem tiefen Schmerz hält inne, um eine Betrachtung
anzustellen über das Wirken Gottes bei der wunderbaren Formung seines Leibes im
Schoß der Mutter; daraus schließt er den Grund der Zuversicht und äußert die
Gewißheit, daß es einen göttlichen Plan für sein Leben gebe: "Deine Hände haben
mich gebildet, mich gemacht; dann hast du dich umgedreht und mich vernichtet.
Denk daran, daß du wie Ton mich geschaffen hast. Zum Staub willst du mich
zurückkehren lassen. Hast du mich nicht ausgegossen wie Milch, wie Käse mich
gerinnen lassen? Mit Haut und Fleisch hast du mich umkleidet, mit Knochen und
Sehnen mich durchflochten. Leben und Huld hast du mir verliehen, deine Obhut
schützte meinen Geist" (10,8-12). Hinweise anbetenden Staunens über Gottes
Eingreifen bei der Bildung des Lebens im Mutterleib finden sich auch in den
Psalmen.(35)
Wie sollte man annehmen, daß auch nur ein Augenblick dieses wundervollen
Prozesses des Hervorquellens des Lebens dem weisen und liebevollen Wirken des
Schöpfers entzogen sein und der Willkür des Menschen überlassen bleiben könnte?
Die Mutter der sieben Brüder ist jedenfalls nicht dieser Meinung: sie bekennt
ihren Glauben an Gott, Anfang und Gewähr des Lebens von seiner Empfängnis an und
zugleich Grund der Hoffnung auf das neue Leben über den Tod hinaus: "Ich weiß
nicht, wie ihr in meinem Leib entstanden seid, noch habe ich euch Atem und Leben
geschenkt; auch habe ich keinen von euch aus den Grundstoffen zusammengefügt.
Nein, der Schöpfer der Welt hat den werdenden Menschen geformt, als er
entstand; er kennt die Entstehung aller Dinge. Er gibt euch gnädig Atem und
Leben wieder, weil ihr jetzt um seiner Gesetze willen nicht auf euch achtet" (2
Makk 7,22-23). 45. Die Offenbarung des Neuen Testamentes
bestätigt die unbestrittene Anerkennung des Wertes des Lebens von seinen
Anfängen an. Die Lobpreisung der Fruchtbarkeit und die beflissene Erwartung des
Lebens sind aus den Worten herauszuhören, mit denen Elisabet ihrer Freude über
ihre Schwangerschaft Ausdruck verleiht: "Der Herr ... hat gnädig auf mich
geschaut und mich von der Schande befreit" (Lk 1,25). Aber noch deutlicher
verherrlicht wird der Wert der Person von ihrer Empfängnis an in der Begegnung
zwischen der Jungfrau Maria und Elisabet und zwischen den beiden Kindern, die
sie im Schoß tragen. Es sind gerade die Kinder, die den Anbruch des
messianischen Zeitalters offenbaren: in ihrer Begegnung beginnt die erlösende
Kraft der Anwesenheit des Gottessohnes unter den Menschen wirksam zu werden.
"Sogleich - schreibt der hl. Ambrosius - machen sich die Segnungen des Kommens
Marias und der Gegenwart des Herrn bemerkbar... Elisabet hörte als erste die
Stimme, aber Johannes nahm als erster die Gnade wahr; sie hörte nach den
Gesetzen der Natur, er hörte kraft des Geheimnisses; sie bemerkte die Ankunft
Marias, er die des Herrn: die Frau die Ankunft der Frau, das Kind die Ankunft
des Kindes. Die Frauen sprechen von den empfangenen Gnaden, die Kinder im Schoß
der Mütter verwirklichen die Gnade und das Geheimnis der Barmherzigkeit zum
Nutzen der Mütter selber: und diese sprechen auf Grund eines zweifachen Wunders
unter der Inspiration der Kinder, die sie tragen, Prophezeiungen aus. Von dem
Sohn heißt es, daß er sich freute, von der Mutter, daß sie vom Heiligen Geist
erfüllt wurde. Nicht die Mutter wurde zuerst vom Heiligen Geist erfüllt, sondern
der vom Heiligen Geist erfüllte Sohn war es, der auch die Mutter mit ihm
erfüllte".(36)
"Voll Vertrauen war ich, auch wenn ich sagte: Ich bin so tief gebeugt"
(Ps
116 [115],10): das Leben im Alter und im Leiden
46. Auch was die letzten Augenblicke der Existenz betrifft,
wäre es anachronistisch, aus der biblischen Offenbarung einen ausdrücklichen
Bezug auf die aktuelle Problematik der Achtung der alten und kranken Menschen
und eine ausdrückliche Verdammung von Versuchen zu erwarten, das Ende gewaltsam
vorwegzunehmen: denn wir befinden uns hier in einem kulturellen und religiösen
Umfeld, das einer derartigen Versuchung nicht ausgesetzt ist, sondern, was den
alten Menschen betrifft, in seiner Weisheit und Erfahrung einen unersetzlichen
Reichtum für die Familie und die Gesellschaft erkennt.
Das Alter wird von Ansehen gekennzeichnet und von Achtung umgeben (vgl. 2
Makk 6,23). Und der Gerechte bittet nicht darum, vom Alter und seiner Last
verschont zu bleiben; er betet im Gegenteil so: "Herr, mein Gott, du bist ja
meine Zuversicht, meine Hoffnung von Jugend auf... Auch wenn ich alt und grau
bin, o Gott, verlaß mich nicht, damit ich von deinem machtvollen Arm der
Nachwelt künde, den kommenden Geschlechtern von deiner Stärke" (Ps 71
[70],5.18). Das Ideal der messianischen Zeit wird als das hingestellt, in dem
"es keinen ... Greis [mehr gibt], der nicht das volle Alter erreicht" (Jes
65,20).
Aber wie soll man im Alter dem unvermeidlichen Verfall des Lebens begegnen?
Wie soll man sich dem Tod gegenüber verhalten? Der Gläubige weiß, daß sein
Leben in Gottes Händen ruht: "Herr, du hältst mein Los in deinen Händen" (vgl.
Ps 16 [15],5), und nimmt auch das Sterben von ihm an: "Er (der Tod) ist das Los,
das allen Sterblichen von Gott bestimmt ist. Was sträubst du dich gegen das
Gesetz des Höchsten?" (Sir 41,4). Wie der Mensch nicht Herr über das Leben ist,
so auch nicht über den Tod; sowohl in seinem Leben wie in seinem Tod muß er sich
ganz dem "Willen des Höchsten", seinem Plan der Liebe anvertrauen.
Auch zum Zeitpunkt der Krankheit ist der Mensch aufgerufen, dasselbe
Vertrauen zum Herrn zu leben und seine grundsätzliche Zuversicht in ihn zu
erneuern, der "alle Gebrechen heilt" (vgl. Ps 103 [102],3). Selbst dann, wenn
sich vor dem Menschen jede Aussicht auf Gesundheit zu verschließen scheint - so
daß er sich veranlaßt sieht auszurufen: "Meine Tage schwinden dahin wie
Schatten, ich verdorre wie Gras" (Ps 102 [101],12) -, ist der Gläubige von dem
unerschütterlichen Glauben an die lebenspendende Macht Gottes erfüllt. Die
Krankheit treibt ihn nicht zur Verzweiflung und auf die Suche nach dem Tod,
sondern zu dem hoffnungsvollen Ausruf: "Voll Vertrauen war ich, auch wenn ich
sagte: Ich bin tief gebeugt" (Ps 116 [115],10); "Herr, mein Gott, ich habe zu
dir geschrien, und du hast mich geheilt. Herr, du hast mich herausgeholt aus dem
Reich des Todes, aus der Schar der Todgeweihten mich zum Leben gerufen" (Ps 30
[29],3-4).
47. Die Sendung Jesu zeigt mit den zahlreichen von ihm
vollbrachten Krankenheilungen an, wie sehr Gott auch das physische Leben des
Menschen am Herzen liegt. "Als Leib- und Seelenarzt"(37)
wird Jesus vom Vater gesandt, den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden und
alle zu heilen, deren Herz zerbrochen ist (vgl. Lk 4,18; Jes 61,1). Als er dann
seine Jünger in die Welt sendet, erteilt er ihnen einen Auftrag, in dem die
Heilung der Kranken mit der Verkündigung des Evangeliums einhergehen soll: "Geht
und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht
Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!" (Mt 10,7-8; vgl. Mk 6,13; 16,18).
Sicher ist für den Gläubigen das physische Leben in seinem irdischen Zustand
kein Absolutum, so daß von ihm gefordert werden kann, es um eines höheren Gutes
willen aufzugeben; denn, wie Jesus sagt, "wer sein Leben retten will, wird es
verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen
verliert, wird es retten" (Mk 8,35). Dazu gibt es im Neuen Testament eine Reihe
von Zeugnissen. Jesus zögert nicht, sich selbst zu opfern, und macht freiwillig
sein Leben zu einer Opfergabe an den Vater (vgl. Joh 10,17) und an die Seinen
(vgl. Joh 10,15). Auch der Tod Johannes des Täufers, des Vorläufers des
Erlösers, bezeugt, daß das irdische Leben nicht das absolute Gut ist: wichtiger
ist die Treue zum Wort des Herrn, auch wenn sie das Leben aufs Spiel setzen kann
(vgl. Mk 6,17-29). Und Stephanus, während er als treuer Zeuge der Auferstehung
des Herrn das irdische Leben verliert, folgt dem Beispiel des Meisters und geht
mit den Worten der Vergebung auf die zu, die ihn steinigen (vgl. Apg 7,59-60),
womit er den Weg für die zahllose Schar von Märtyrern öffnet, die von der Kirche
von Anfang an verehrt werden.
Kein Mensch darf jedoch willkürlich über Leben oder Tod entscheiden; denn
absoluter Herr über eine solche Entscheidung ist allein der Schöpfer, der, "in
dem wir leben, uns bewegen und sind" (Apg 17,28).
"Alle, die an ihm festhalten, finden das Leben"
(Bar 4,1): vom Gesetz des
Sinai zur Spendung des Geistes
48. Das Leben trägt unauslöschlich eine ihm wesenseigene
Wahrheit in sich. Der Mensch muß sich, wenn er das Geschenk Gottes annimmt,
bemühen, das Leben in dieser Wahrheit zu erhalten, die für jenes wesentlich ist.
Die Abwendung von ihr ist gleichbedeutend mit der eigenen Verurteilung zu
Bedeutungslosigkeit und Unglück, was zur Folge hat, daß man auch zu einer
Bedrohung für das Leben anderer werden kann, sobald die Schutzdämme
niedergerissen sind, die in jeder Situation die Achtung und Verteidigung des
Lebens garantieren.
Die dem Leben eigene Wahrheit wird vom Gebot Gottes geoffenbart. Das Wort des
Herrn gibt konkret an, welcher Richtung das Leben folgen muß, um seine Wahrheit
respektieren und seine Würde schützen zu können. Nicht nur das spezifische Gebot
"du sollst nicht töten" (Ex 20,13; Dtn 5,17) gewährleistet den Schutz des
Lebens: das ganze Gesetz des Herrn steht im Dienst dieses Schutzes, weil es jene
Wahrheit offenbart, in der das Leben seine volle Bedeutung findet.
Es verwundert daher nicht, daß der Bund Gottes mit seinem Volk so stark an
die Perspektive des Lebens, auch in seiner physischen Dimension, gebunden ist.
Das Gebot wird in ihm als Weg des Lebens angeboten: "Hiermit lege ich dir heute
das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor. Wenn du auf die Gebote des
Herrn, deines Gottes, auf die ich dich heute verpflichte, hörst, indem du den
Herrn, deinen Gott, liebst, auf seinen Wegen gehst und auf seine Gebote, Gesetze
und Rechtsvorschriften achtest, dann wirst du leben und zahlreich werden, und
der Herr, dein Gott, wird dich in dem Land, in das du hineinziehst, um es in
Besitz zu nehmen, segnen" (Dtn 30,15-16). Hier geht es nicht nur um das Land
Kanaan und um die Existenz des Volkes Israel, sondern um die heutige und
zukünftige Welt und um die Existenz der ganzen Menschheit. Denn es ist absolut
unmöglich, daß das Leben voll glaubwürdig bleibt, wenn es sich vom Guten
entfernt; und das Gute wiederum ist wesentlich an die Gebote des Herrn
gebunden, das heißt an das "lebenspendende Gesetz" (Sir 17,11). Das Gute, das
erfüllt werden soll, kommt nicht wie eine beschwerende Last zum Leben hinzu,
weil der Grund des Lebens selbst ja das Gute ist und das Leben nur durch die
Erfüllung des Guten aufgebaut wird.
Das Gesetz in seiner Gesamtheit schützt also voll das Leben des Menschen.
Daraus erklärt sich, wie schwierig es ist, sich getreu an das Gebot "du sollst
nicht töten" zu halten, wenn die anderen "Worte des Lebens" (Apg 7,38), mit
denen dieses Gebot zusammenhängt, nicht eingehalten werden. Außerhalb dieser
Sichtweise wird das Gebot schließlich zu einer bloß äußerlichen Verpflichtung,
deren Grenzen sehr rasch sichtbar werden und für die man nach Abschwächungen
oder Ausnahmen suchen wird. Nur wenn man sich der Fülle der Wahrheit über Gott,
über den Menschen und über die Geschichte öffnet, erstrahlt das Wort "du sollst
nicht töten" wieder als Gut für den Menschen in allen seinen Dimensionen und
Beziehungen. Aus dieser Sicht können wir die Wahrheitsfülle begreifen, die in
der Stelle des Buches Deuteronomium enthalten ist, die Jesus in der Antwort auf
die erste Versuchung aufgreift: "Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern ...
von allem, was der Mund des Herrn spricht" (8,3; vgl. Mt 4,4).
Wenn der Mensch das Wort des Herrn hört, kann er würdig und gerecht leben;
wenn der Mensch das Gesetz Gottes befolgt, kann er Früchte bringen an Leben und
Glück: "Alle, die an ihm festhalten, finden das Leben; doch alle, die es
verlassen, verfallen dem Tod" (Bar 4,1).
49. Die Geschichte Israels zeigt, wie schwierig es ist, die
Treue zum Gesetz vom Leben aufrechtzuerhalten, das Gott den Menschen ins Herz
geschrieben und dem Bundesvolk am Berg Sinai anvertraut hat. Angesichts der
Suche nach alternativen Lebensprojekten zum Plan Gottes weisen insbesondere die
Propheten mit Nachdruck darauf hin, daß allein der Herr die authentische Quelle
des Lebens ist. So schreibt Jeremia: "Mein Volk hat doppeltes Unrecht verübt:
Mich hat es verlassen, den Quell des lebendigen Wassers, um sich Zisternen zu
graben, Zisternen mit Rissen, die das Wasser nicht halten" (2,13). Die Propheten
weisen mit anklagendem Finger auf alle, die das Leben mißachten und die Rechte
der Menschen verletzen: "Sie treten die Kleinen in den Staub" (Am 2,7); "Mit dem
Blut Unschuldiger haben sie diesen Ort angefüllt" (Jer 19,4). Und unter ihnen
prangert der Prophet Ezechiel wiederholt die Stadt Jerusalem an und nennt sie
"die Stadt voll Blutschuld" (22,2; 24,6.9), die "Stadt, die in ihrer Mitte Blut
vergießt" (22,3).
Aber während die Propheten die Angriffe auf das Leben anzeigen, kümmern sie
sich vor allem darum, die Erwartung eines neuen Lebensprinzips anzuregen, das in
der Lage ist, eine erneuerte Beziehung zu Gott und zu den Schwestern und Brüdern
zu begründen. So eröffnen sie noch unbekannte und außerordentliche Möglichkeiten
für das Verständnis und die Verwirklichung aller im Evangelium vom Leben
enthaltenen Forderungen. Das wird einzig und allein dank der Gabe Gottes
möglich sein, die reinigt und erneuert: "Ich gieße reines Wasser über euch aus,
dann werdet ihr rein. Ich reinige euch von aller Unreinheit und von allen euren
Götzen. Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch" (Ez
36,25-26; vgl. Jer 31,31-34). Dank dieses "neuen Herzens" vermag man den
eigentlichen und tiefsten Sinn des Lebens zu begreifen und zu verwirklichen:
nämlich eine Gabe zu sein, die sich in der Hingabe erfüllt. Das ist die
lichtvolle Botschaft über den Wert des Lebens, die uns von der Gestalt des
Gottesknechtes zuteil wird: "Der Herr rettete den, der sein Leben als Sühneopfer
hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben... Nachdem er vieles ertrug,
erblickt er das Licht" (Jes 53,10.11).
In der Person Jesu von Nazaret erfüllt sich das Gesetz, und durch seinen
Geist wird uns das neue Herz geschenkt. Jesus hebt nämlich das Gesetz nicht auf,
sondern bringt es zur Erfüllung (vgl. Mt 5,17): Gesetz und Propheten lassen sich
in der goldenen Regel von der gegenseitigen Liebe zusammenfassen (vgl. Mt 7,12).
In Ihm wird das Gesetz endgültig zum "Evangelium", zur Frohbotschaft von der
Herrschaft Gottes über die Welt, die das ganze Dasein auf seine Wurzeln und
seine ursprünglichen Perspektiven zurückführt. Es ist das Neue Gesetz, "das
Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus" (Röm 8,2), dessen
grundlegender Ausdruck - in Nachahmung des Herrn, der sein Leben hingibt für
seine Freunde (vgl. Joh 15,13) - die Selbsthingabe in der Liebe zu den
Schwestern und Brüdern ist: "Wir wissen, daß wir aus dem Tod in das Leben
hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben" (1 Joh 3,14). Es ist das
Gesetz der Freiheit, der Freude und der Seligkeit.
"Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben"
(Joh 19,37): am Stamm
des Kreuzes erfüllt sich das Evangelium vom Leben
50. Zum Abschluß dieses Kapitels, in dem wir Betrachtungen
zur christlichen Botschaft über das Leben angestellt haben, möchte ich mit einem
jeden von euch innehalten, um uns in den zu versenken, den sie durchbohrt haben
und der alle an sich zieht (vgl. Joh 19,37; 12,32). Wenn wir "das Schauspiel"
der Kreuzigung (vgl. Lk 23,48) betrachten, werden wir an diesem glorreichen
Stamm die Erfüllung und volle Offenbarung des ganzen Evangeliums vom Leben
entdecken können.
In den frühen Nachmittagsstunden des Karfreitags, "brach eine Finsternis über
das ganze Land herein... Die Sonne verdunkelte sich. Der Vorhang im Tempel riß
mitten entzwei" (Lk 23,44.45). Das ist das Symbol einer gewaltigen kosmischen
Umwälzung und eines schrecklichen Kampfes zwischen den Mächten des Guten und den
Mächten des Bösen, zwischen Leben und Tod. Auch wir befinden uns heute inmitten
eines dramatischen Kampfes zwischen der "Kultur des Todes" und der "Kultur des
Lebens" . Aber von dieser Finsternis wird der Glanz des Kreuzes nicht
verdunkelt; ja, dieses hebt sich noch klarer und leuchtender ab und offenbart
sich als Mittelpunkt, Sinn und Vollendung der ganzen Geschichte und jedes
Menschenlebens.
Der an das Kreuz genagelte Jesus wird erhöht. Er erlebt den Augenblick seiner
größten "Ohnmacht", und sein Leben scheint völlig dem Hohn und Spott seiner
Widersacher und den Händen seiner Mörder preisgegeben zu sein: er wird
verspottet, verhöhnt, geschmäht (vgl. Mk 15,24-36). Doch gerade angesichts all
dessen ruft der römische Hauptmann aus, als er "ihn auf diese Weise sterben
sah": "Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!" (Mk 15,39). So wird im
Augenblick seiner äußersten Schwachheit die Identität des Gottessohnes offenbar:
am Kreuz offenbart sich seine Herrlichkeit!
Durch seinen Tod erhellt Jesus den Sinn des Lebens und des Todes jedes
Menschen. Vor seinem Tod betet Jesus zum Vater und ruft ihn um Vergebung für
seine Verfolger an (vgl. Lk 23,34), und dem Verbrecher, der ihn bittet, an ihn
zu denken, wenn er in sein Reich kommt, antwortet er: "Amen, das sage ich dir:
Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein" (Lk 23,43). Nach seinem Tod
"öffneten sich die Gräber, und die Leiber vieler Heiligen, die entschlafen
waren, wurden auferweckt" (Mt 27,52). Das von Jesus gewirkte Heil ist Geschenk
des Lebens und der Auferstehung. Während seines Erdendaseins hatte Jesus auch
Heil geschenkt, indem er alle heilte und segnete (vgl. Apg 10,38). Aber die
Wunder, die Krankenheilungen und selbst die Auferweckungen waren Zeichen für ein
anderes Heil, das in der Vergebung der Sünden, das heißt in der Befreiung des
Menschen von der tiefsten Krankheit, und in seiner Erhebung zum Leben Gottes
selbst besteht.
Am Kreuz erneuert und verwirklicht sich in seiner ganzen, endgültigen
Vollendung das Wunder von der von Mose in der Wüste erhöhten Schlange (vgl. Joh
3,14-15; Num 21,8-9). Auch heute begegnet jeder in seiner Existenz bedrohte
Mensch, wenn er auf den blickt, der durchbohrt wurde, der sicheren Hoffnung,
Befreiung und Erlösung zu finden.
51. Aber da ist noch eine andere genaue Begebenheit, die
meinen Blick auf sich zieht und ein ergriffenes Nachdenken bei mir auslöst: "Als
Jesus von dem Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte
das Haupt und gab seinen Geist auf" (Joh 19,30). Und der römische Soldat "stieß
mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floß Blut und Wasser heraus" (Joh
19,34) .
Nun hat alles seine ganze Vollendung erlangt. Das "Aufgeben des Geistes"
beschreibt den Tod Jesu ähnlich dem jedes anderen Menschen, spielt aber, wie es
scheint, auch auf die "Spendung des Geistes" an, durch die er uns vom Tod
befreit und uns einem neuen Leben öffnet.
Es ist das Leben Gottes selbst, das dem Menschen zuteil wird. Es ist das
Leben, das durch die Sakramente der Kirche - deren Symbole sind das aus der
Seite Christi geflossene Blut und Wasser - ständig den Kindern Gottes mitgeteilt
wird, die so das Volk des neuen Bundes bilden. Vom Kreuz, der Quelle des Lebens
her entsteht das "Volk des Lebens" und breitet sich aus.
Die Betrachtung des Kreuzes führt uns so zu den tiefsten Wurzeln des ganzen
Geschehens. Jesus, der beim Eintritt in die Welt gesagt hatte: "Ja, Gott, ich
komme, um deinen Willen zu tun" (vgl. Hebr 10,9), war in allem dem Vater
gehorsam, und da er "die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen
seine Liebe bis zur Vollendung" (Joh 13,1), indem er sich ganz für sie hingab.
Er, der "nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen
und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele" (Mk 10,45), erreicht am Kreuz
den Gipfel der Liebe. "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben
für seine Freunde hingibt" (Joh 15,13). Und er ist für uns gestorben, als wir
noch Sünder waren (vgl. Röm 5,8).
Solcherart verkündet er, daß das Leben seinen Mittelpunkt, seinen Sinn und
seine Fülle erreicht, wenn es verschenkt wird.
An diesem Punkt wird die Meditation zu Lobpreis und Dank und spornt uns
gleichzeitig an, Jesus nachzuahmen und seinen Spuren zu folgen (vgl. 1 Petr
2,21).
Auch wir sind aufgerufen, unser Leben für die Brüder hinzugeben und so den
Sinn und die Bestimmung unseres Daseins in ihrer Wahrheitsfülle zu
verwirklichen.
Wir können das fertigbringen, weil Du, o Herr, uns das Beispiel gegeben und
uns die Kraft deines Geistes mitgeteilt hast. Wir können das fertigbringen, wenn
wir jeden Tag mit Dir und wie Du, dem Vater gehorsam sind und seinen Willen tun.
Laß uns daher mit bereitem und selbstlosem Herzen jedes Wort hören, das aus
dem Mund des Herrn kommt: so werden wir lernen, nicht nur das Leben des Menschen
"nicht zu töten", sondern es in Ehren zu halten, zu lieben und zu fördern.
III. Kapitel
Du sollst nicht töten
Das Heilige Gesetz Gottes
"Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote"
(Mt 19,17): Evangelium
und Gebot
52. "Es kam ein Mann zu Jesus und fragte: Meister, was muß
ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?" (Mt 19,16). Jesus antwortete:
"Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote" (Mt 19,17). Der Meister
spricht vom ewigen Leben, das heißt von der Teilhabe am Leben Gottes selbst.
Dieses Leben erlangt man durch die Einhaltung der Gebote des Herrn, also
einschließlich des Gebotes "du sollst nicht töten". Genau dieses ist denn auch
das erste der Zehn Gebote, an das Jesus den jungen Mann erinnert, der ihn fragt,
welche Gebote er einhalten müsse: "Jesus antwortete: Du sollst nicht töten, du
sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen..." (Mt 19,18).
Gottes Gebot ist niemals getrennt von seiner Liebe: es ist stets ein Geschenk
zu Wachstum und Freude des Menschen. Als solches stellt es einen wesentlichen
Aspekt und ein unverzichtbares Element des Evangeliums dar, ja, es nimmt selbst
Gestalt an als "Evangelium", das heißt als frohe Botschaft. Auch das Evangelium
vom Leben ist für den Menschen ein großes Gottesgeschenk und zugleich eine
verpflichtende Aufgabe. Es weckt beim freien Menschen Staunen und Dankbarkeit
und erfordert, mit lebendigem Verantwortungsbewußtsein angenommen, bewahrt und
erschlossen zu werden: Gott fordert vom Menschen, dem er das Leben schenkt, daß
er es liebt, achtet und fördert. Auf diese Weise wird das Geschenk zum Gebot,
und das Gebot selbst offenbart sich als Geschenk.
Der Mensch, lebendiges Abbild Gottes, war von seinem Schöpfer als König und
Herr gewollt. "Gott hat den Menschen so gemacht - schreibt der hl. Gregor von
Nyssa -, daß er seine Rolle als König der Erde erfüllt... Der Mensch ist nach
dem Bild dessen geschaffen worden, der der Herrscher über das Universum ist.
Alles weist darauf hin, daß sein Wesen von Anfang an vom Königtum gekennzeichnet
ist... Auch der Mensch ist König. Geschaffen, um die Welt zu beherrschen, hat er
die Ähnlichkeit mit dem universalen König empfangen, ist er das lebendige
Abbild, das durch seine Würde an der Vollkommenheit des göttlichen Vorbildes
teilhat".(38) Der
Mensch, der aufgerufen ist fruchtbar zu sein und sich zu vermehren, sich die
Erde zu unterwerfen und über die anderen Geschöpfe zu herrschen (vgl. Gen 1,28),
ist nicht nur König und Herr über die Dinge, sondern auch und vor allem über
sich selbst(39) und in
gewissem Sinne über das Leben, das ihm geschenkt wird und das er durch den in
Liebe und in der Achtung vor Gottes Plan vollzogenen Zeugungsakt weitergeben
kann. Bei seiner Herrschaft handelt es sich jedoch nicht um eine absolute,
sondern um eine übertragene; sie ist realer Widerschein der alleinigen und
unendlichen Herrschaft Gottes. Darum muß sie der Mensch durch Teilhabe an der
unermeßlichen Weisheit und Liebe Gottes mit Weisheit und Liebe leben. Und das
geschieht durch den Gehorsam gegenüber seinem heiligen Gesetz: ein freier und
froher Gehorsam (vgl. Ps 119 [118]), der aus dem Bewußtsein erwächst und genährt
wird, daß die Gebote des Herrn ein Gnadengeschenk sind und dem Menschen immer
nur zu seinem Besten um des Schutzes seiner persönlichen Würde und der
Erreichung seines Glücks willen anvertraut werden.
Wie schon in bezug auf die Sachwelt, so gilt noch mehr in bezug auf das
Leben, daß der Mensch nicht absoluter Herr und unanfechtbarer Schiedsrichter
ist, sondern - und darauf beruht seine unvergleichliche Größe - "Vollstrecker
des Planes Gottes".(40)
Das Leben wird dem Menschen anvertraut als ein Schatz, den er nicht
zerstreuen, als ein Talent, das er wirtschaftlich verwalten soll. Darüber muß
der Mensch seinem Herrn Rechenschaft ablegen (vgl. Mt 25,14-30; Lk 19, 12-27).
"Für das Leben des Menschen fordere ich Rechenschaft vom Menschen"
(Gen 9,5):
das menschliche Leben ist heilig und unantastbar
53. "Das menschliche Leben ist als etwas Heiliges
anzusehen, da es ja schon von seinem Anfang an ,das Handeln des Schöpfers
erfordert' und immer in einer besonderen Beziehung mit dem Schöpfer, seinem
einzigen Ziel, verbunden bleibt. Gott allein ist der Herr des Lebens vom Anfang
bis zum Ende: Niemand kann sich - unter keinen Umständen - das Recht anmaßen,
einem unschuldigen menschlichen Geschöpf direkt den Tod zuzufügen".(41)
Mit diesen Worten legt die Instruktion Donum vitae den zentralen Inhalt der
Offenbarung Gottes über die Heiligkeit und Unantastbarkeit des menschlichen
Lebens dar.
Denn die Heilige Schrift legt dem Menschen die Vorschrift "Du sollst nicht
töten" als göttliches Gebot vor (Ex 20,13; Dtn 5,17). Es steht - wie ich schon
unterstrichen habe - im Dekalog, im Herzen des Bundes, den der Herr mit dem
auserwählten Volk schließt; doch enthalten war es bereits in dem allerersten
Bund Gottes mit der Menschheit nach der reinigenden Strafe der Sintflut, die
durch das Überhandnehmen von Sünde und Gewalt ausgelöst worden war (vgl. Gen
9,5-6).
Gott erklärt sich zum absoluten Herrn über das Leben des nach seinem Bild und
Gleichnis gestalteten Menschen (vgl. Gen 1,26-28). Das menschliche Leben weist
somit einen heiligmäßigen und unverletzlichen Charakter auf, in dem sich die
Unantastbarkeit des Schöpfers selber widerspiegelt. Eben deshalb wird Gott zum
strengen Richter einer jeden Verletzung des Gebotes "du sollst nicht töten", das
die Grundlage des gesamten menschlichen Zusammenlebens bildet. Er ist der
"goel", das heißt der Verteidiger des Unschuldigen (vgl. Gen 4,9-15; Jes 41,14;
Jer 50,34; Ps 19 [18],15). Auch auf diese Weise macht Gott deutlich, daß er
keine Freude am Untergang der Lebenden hat (vgl. Weish 1,13). Nur der Teufel
vermag sich darüber zu freuen: durch seinen Neid kam der Tod in die Welt (vgl.
Weish 2,24). Er, der "ein Mörder von Anfang an" ist, ist auch "ein Lügner und
der Vater der Lüge" (Joh 8,44): durch Irreführung lenkt er den Menschen auf die
Ziele Sünde und Tod, die als Lebensziele und Erfolge hingestellt werden.
54. Das Gebot "du sollst nicht töten" besitzt einen
ausgesprochen starken negativen Inhalt: es zeigt die äußerste Grenze auf, die
niemals überschritten werden darf. Implizit jedoch spornt es zu einem positiven
Verhalten der absoluten Achtung vor dem Leben an mit dem Ziel, es zu fördern und
auf dem Weg der Liebe, die sich verschenkt, die annimmt und dient,
fortzuschreiten. Auch das Volk des Alten Bundes hat, wenn auch langsam und mit
Widersprüchen, nach dieser Auffassung eine fortschreitende Reife gekannt und
sich so auf die großartige Verkündigung Jesu vorbereitet: das Gebot der
Nächstenliebe ist dem Gebot der Gottesliebe ähnlich; "an diesen beiden Geboten
hängt das ganze Gesetz samt den Propheten" (vgl. Mt 22,36-40). "Denn die
Gebote... du sollst nicht töten... und alle anderen Gebote - unterstreicht der
hl. Paulus - sind in dem einen Satz zusammengefaßt: Du sollst deinen Nächsten
lieben wie dich selbst" (Röm 13,9; vgl. Gal 5,14). Nachdem es in das Neue Gesetz
übernommen und in ihm zur Vollendung gebracht worden ist, bleibt das Gebot "du
sollst nicht töten" unverzichtbare Voraussetzung, um "das Leben erlangen" zu
können (vgl. Mt 19,16-19). Aus dieser Sicht klingt auch das Wort des Apostels
Johannes endgültig: "Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Mörder, und ihr
wißt: Kein Mörder hat ewiges Leben, das in ihm bleibt" (1 Joh 3,15).
Die lebendige Tradition der Kirche hat von ihren Anfängen an - wie die
Didach‚, die älteste außerbiblische christliche Lehrschrift bezeugt - das Gebot
"du sollst nicht töten" in kategorischer Form wieder aufgegriffen: "Es gibt zwei
Wege, der eine ist der Weg des Lebens, der andere der des Todes; zwischen ihnen
besteht ein großer Unterschied... Nach der Vorschrift der Lehre: Du sollst nicht
töten..., du sollst ein Kind weder abtreiben noch ein Neugeborenes töten... Der
Weg des Todes ist folgender: ... sie haben kein Mitleid mit dem Armen, sie
leiden nicht mit dem Leidenden, sie anerkennen nicht ihren Schöpfer, sie töten
ihre Kinder und bringen durch Abtreibung Geschöpfe Gottes um; sie schicken den
Bedürftigen fort, unterdrücken den Geplagten, sind Anwälte der Reichen und
ungerechte Richter der Armen; sie sind voller Sünde. Mögt ihr, o Söhne, euch
stets von all dieser Schuld fernhalten!".(42)
Im Laufe der Zeit hat die Tradition der Kirche immer einmütig den absoluten
und bleibenden Wert des Gebotes "du sollst nicht töten" gelehrt. Bekanntlich
wurde in den ersten Jahrhunderten der Mord - zusammen mit Abtrünnigkeit vom
Glauben und Ehebruch - unter die drei schwersten Sünden gereiht und eine
besonders schwere und lange öffentliche Buße verlangt, ehe dem reuigen Mörder
Vergebung und die Wiederaufnahme in die kirchliche Gemeinschaft gewährt wurden.
55. Das darf uns nicht erstaunen: das Töten eines Menschen,
in dem das Bild Gottes gegenwärtig ist, ist eine besonders schwere Sünde. Gott
allein ist Herr des Lebens! Doch angesichts der vielfältigen und oft
dramatischen Begebenheiten, die das Leben des einzelnen und der Gemeinschaft
bereithält, haben die Gläubigen seit eh und je darüber nachgedacht und versucht,
zu einer vollständigeren und tieferen Einsicht dessen zu gelangen, was das Gebot
Gottes verbietet und vorschreibt.(43)
Es gibt nämlich Situationen, in denen die vom Gesetz Gottes festgelegten Werte
in Form eines wirklichen Widerspruchs erscheinen. Das kann zum Beispiel bei der
Notwehr der Fall sein, in der das Recht, das eigene Leben zu schützen, und die
Pflicht, das Leben des anderen nicht zu verletzen, sich nur schwer miteinander
in Einklang bringen lassen. Zweifellos begründen der innere Wert des Lebens und
die Verpflichtung, sich selbst nicht weniger Liebe entgegenzubringen als den
anderen, ein wirkliches Recht auf Selbstverteidigung. Selbstdas vom Alten
Testament verkündete und von Jesus bekräftigte anspruchsvolle Gebot der Liebe zu
den anderen setzt die Eigenliebe als Vergleichsbegriff voraus: "Du sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst" (Mk 12,31). Auf das Recht, sich zu verteidigen,
könnte demnach niemand aus mangelnder Liebe zum Leben oder zu sich selbst,
sondern nur kraft einer heroischen Liebe verzichten, die die Eigenliebe vertieft
und gemäß dem Geist der Seligpreisungen des Evangeliums (vgl. Mt 5, 38-48) in
die aufopfernde Radikalität verwandelt, deren erhabenstes Beispiel der Herr
Jesus selber ist.
Andererseits "kann die Notwehr für den, der für das Leben anderer oder für
das Wohl seiner Familie oder des Gemeinwesens verantwortlich ist, nicht nur ein
Recht, sondern eine schwerwiegende Verpflichtung sein".(44)
Es geschieht leider, daß die Notwendigkeit, den Angreifer unschädlich zu
machen, mitunter seine Tötung mit sich bringt. In diesem Fall wird der tödliche
Ausgang dem Angreifer zur Last gelegt, der sich ihm durch seine Tat ausgesetzt
hat, auch für den Fall, daß er aus Mangel an Vernunftgebrauch moralisch nicht
verantwortlich wäre.(45)
56. In diesen Problemkreis gehört auch die Frage der
Todesstrafe, wobei in der Kirche wie in der weltlichen Gesellschaft zunehmend
eine Tendenz festzustellen ist, die eine sehr begrenzte Anwendung oder überhaupt
die völlige Abschaffung der Todesstrafe fordert. Das Problem muß in die Optik
einer Strafjustiz eingeordnet werden, die immer mehr der Würde des Menschen und
somit letzten Endes Gottes Plan bezüglich des Menschen und der Gesellschaft
entsprechen soll. Tatsächlich soll die von der Gesellschaft verhängte Strafe "in
erster Linie die durch das Vergehen herbeigeführte Unordnung
wiedergutmachen".(46) Die
öffentliche Autorität muß die Verletzung der Rechte des einzelnen und der
Gemeinschaft dadurch wiedergutmachen, daß sie dem Schuldigen als Vorbedingung
für seine Wiederentlassung in die Freiheit eine angemessene Sühne für das
Vergehen auferlegt. Auf diese Weise erreicht die Autorität auch das Ziel, die
öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Person zu verteidigen und zugleich
dem Schuldigen selbst einen Ansporn und eine Hilfe zur Besserung und Heilung
anzubieten.(47)
Um alle diese Ziele zu erreichen, müssen Ausmaß und Art der Strafe sorgfältig
abgeschätzt und festgelegt werden und dürfen außer in schwerwiegendsten Fällen,
das heißt wenn der Schutz der Gesellschaft nicht anders möglich sein sollte,
nicht bis zum Äußersten, nämlich der Verhängung der Todesstrafe gegen den
Schuldigen, gehen. Solche Fälle sind jedoch heutzutage infolge der immer
angepaßteren Organisation des Strafwesens schon sehr selten oder praktisch
überhaupt nicht mehr gegeben.
Jedenfalls bleibt der vom neuen Katechismus der Katholischen Kirche
angeführte Grundsatz gültig: "soweit unblutige Mittel hinreichen, um das Leben
der Menschen gegen Angreifer zu verteidigen und die öffentliche Ordnung und die
Sicherheit der Menschen zu schützen, hat sich die Autorität an diese Mittel zu
halten, denn sie entsprechen besser den konkreten Bedingungen des Gemeinwohls
und sind der Menschenwürde angemessener".(48)
57. Wenn auf die Achtung jeden Lebens, sogar des Schuldigen
und des ungerechten Angreifers, so große Aufmerksamkeit verwendet wird, hat das
Gebot "du sollst nicht töten" absoluten Wert, wenn es sich auf den unschuldigen
Menschen bezieht. Und das umso mehr, wenn es sich um ein schwaches und
schutzloses menschliches Lebewesen handelt, das einzig in der absoluten Kraft
des Gebotes Gottes seinen radikalen Schutz gegenüber der Willkür und
Gewalttätigkeit der anderen findet.
Die absolute Unantastbarkeit des unschuldigen Menschenlebens ist in der Tat
eine in der Heiligen Schrift ausdrücklich gelehrte, in der Tradition der Kirche
ständig aufrechterhaltene und von ihrem Lehramt einmütig vorgetragene sittliche
Wahrheit. Diese Einmütigkeit ist sichtbare Frucht jenes vom Heiligen Geist
geweckten und getragenen "übernatürlichen Glaubenssinnes", der das Gottesvolk
vor Irrtum bewahrt, wenn es "seine allgemeine Übereinstimmung in Sachen des
Glaubens und der Sitten äußert".(49)
Da im Bewußtsein der Menschen und in der Gesellschaft das
Wahrnehmungsvermögen dafür, daß die direkte, d.h. vorsätzliche Tötung jedes
unschuldigen Menschenlebens, besonders in seinem Anfangs- und Endstadium, ein
absolutes und schweres sittliches Vergehen darstellt, zunehmend schwächer wird,
hat das Lehramt der Kirche seine Interventionen zur Verteidigung der Heiligkeit
und Unantastbarkeit des menschlichen Lebens verstärkt. Mit dem päpstlichen
Lehramt, das hier besonders nachdrücklich und beharrlich Zeugnis ablegt, hat
sich das bischöfliche Lehramt mit zahlreichen umfassenden Lehr- und
Pastoraldokumenten der Bischofskonferenzen wie einzelner Bischöfe stets
vereinigt. Und auch der feste und in seiner Kürze markante Beitrag des II.
Vatikanischen Konzils blieb nicht aus.(50)
Mit der Petrus und seinen Nachfolgern von Christus verliehenen Autorität
bestätige ich daher in Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche,
daß die direkte und freiwillige Tötung eines unschuldigen Menschen immer ein
schweres sittliches Vergehen ist. Diese Lehre, die auf jenem ungeschriebenen
Gesetz begründet ist, das jeder Mensch im Lichte der Vernunft in seinem Herzen
findet (vgl. Röm 2,14-15), ist von der Heiligen Schrift neu bestätigt, von der
Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt
gelehrt.(51)
Die willentliche Entscheidung, einen unschuldigen Menschen seines Lebens zu
berauben, ist vom moralischen Standpunkt her immer schändlich und kann niemals,
weder als Ziel noch als Mittel zu einem guten Zweck gestattet werden. Sie ist in
der Tat ein schwerer Ungehorsam gegen das Sittengesetz, ja gegen Gott selber,
seinen Urheber und Garanten; sie widerspricht den Grundtugenden der
Gerechtigkeit und der Liebe. "Niemand und nichts kann in irgendeiner Weise
zulassen, daß ein unschuldiges menschliches Lebewesen getötet wird, sei es ein
Fötus oder ein Embryo, ein Kind oder ein Erwachsener, ein Greis, ein von einer
unheilbaren Krankheit Befallener oder ein im Todeskampf Befindlicher. Außerdem
ist es niemandem erlaubt, diese todbringende Handlung für sich oder für einen
anderen, der seiner Verantwortung anvertraut ist, zu erbitten, ja man darf in
eine solche [Handlung] nicht einmal explizit oder implizit einwilligen. Auch
kann sie keine Autorität rechtmäßig auferlegen oder erlauben".(52)
Was das Recht auf Leben betrifft, ist jedes unschuldige menschliche Lebewesen
allen anderen absolut gleich. Diese Gleichheit bildet die Grundlage jeder echten
sozialen Beziehung, die, wenn sie wirklich eine solche sein soll, auf der
Wahrheit und der Gerechtigkeit gründen muß, indem sie jeden Mann und jede Frau
als Person anerkennt und schützt und nicht als eine Sache betrachtet, über die
man verfügen könne. Im Hinblick auf die sittliche Norm, die die direkte Tötung
eines unschuldigen Menschen verbietet, "gibt es für niemanden Privilegien oder
Ausnahmen. Ob einer der Herr der Welt oder der Letzte, ,Elendeste' auf Erden
ist, macht keinen
Unterschied: Vor den sittlichen Ansprüchen sind wir alle absolut gleich".(53)
"Deine Augen sahen, wie ich entstand"
(Ps139 [138],16): das
verabscheuungswürdige Verbrechen der Abtreibung
58. Unter allen Verbrechen, die der Mensch gegen das Leben
begehen kann, weist die Vornahme der Abtreibung Merkmale auf, die sie besonders
schwerwiegend und verwerflich machen. Das II. Vatikanische Konzil bezeichnet sie
und die Tötung des Kindes als "verabscheuungswürdiges Verbrechen".(54)
Doch heute hat sich im Gewissen vieler die Wahrnehmung der Schwere des
Vergehens nach und nach verdunkelt. Die Billigung der Abtreibung in Gesinnung,
Gewohnheit und selbst im Gesetz ist ein beredtes Zeichen für eine sehr
gefährliche Krise des sittlichen Bewußtseins, das immer weniger imstande ist,
zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, selbst dann, wenn das Grundrecht auf
Leben auf dem Spiel steht. Angesichts einer so ernsten Situation bedarf es mehr
denn je des Mutes, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen und die Dinge beim Namen
zu nennen, ohne bequemen Kompromissen oder der Versuchung zur Selbsttäuschung
nachzugeben. In diesem Zusammenhang klingt der Tadel des Propheten kategorisch:
"Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum
Licht und das Licht zur Finsternis machen" (Jes 5,20). Gerade in bezug auf die
Abtreibung ist die Verbreitung eines zweideutigen Sprachgebrauchs festzustellen,
wie die Formulierung "Unterbrechung der Schwangerschaft", die darauf abzielt,
deren wirkliche Natur zu verbergen und ihre Schwere in der öffentlichen Meinung
abzuschwächen. Vielleicht ist dieses sprachliche Phänomen selber Symptom für ein
Unbehagen des Gewissens. Doch kein Wort vermag die Realität der Dinge zu ändern:
die vorsätzliche Abtreibung ist, wie auch immer sie vorgenommen werden mag, die
beabsichtigte und direkte Tötung eines menschlichen Geschöpfes in dem zwischen
Empfängnis und Geburt liegenden Anfangsstadium seiner Existenz.
Die sittliche Schwere der vorsätzlichen Abtreibung wird in ihrer ganzen
Wahrheit deutlich, wenn man erkennt, daß es sich um einen Mord handelt, und
insbesondere, wenn man die spezifischen Umstände bedenkt, die ihn kennzeichnen.
Getötet wird hier ein menschliches Geschöpf, das gerade erst dem Leben
entgegengeht, das heißt das absolut unschuldigste Wesen, das man sich vorstellen
kann: es könnte niemals als Angreifer und schon gar nicht als ungerechter
Angreifer angesehen werden! Es ist schwach, wehrlos, so daß es selbst ohne jenes
Minimum an Verteidigung ist, wie sie die flehende Kraft der Schreie und des
Weinens des Neugeborenen darstellt. Es ist voll und ganz dem Schutz und der
Sorge derjenigen anvertraut, die es im Schoß trägt. Doch manchmal ist es gerade
sie, die Mutter, die seine Tötung beschließt und darum ersucht und sie sogar
vornimmt.
Gewiß nimmt der Entschluß zur Abtreibung für die Mutter sehr oft einen
dramatischen und schmerzlichen Charakter an, wenn die Entscheidung, sich der
Frucht der Empfängnis zu entledigen, nicht aus rein egoistischen und
Bequemlichkeitsgründen gefaßt wurde, sondern weil manche wichtigen Güter, wie
die eigene Gesundheit oder ein anständiges Lebensniveau für die anderen
Mitglieder der Familie gewahrt werden sollten. Manchmal sind für das Ungeborene
Existenzbedingungen zu befürchten, die den Gedanken aufkommen lassen, es wäre
für dieses besser nicht geboren zu werden. Niemals jedoch können diese und
ähnliche Gründe, mögen sie noch so ernst und dramatisch sein, die vorsätzliche
Vernichtung eines unschuldigen Menschen rechtfertigen.
59. Den Tod des noch ungeborenen Kindes beschließen außer
der Mutter häufig andere Personen. Schuldig sein kann vor allem der Vater des
Kindes, nicht nur, wenn er die Frau ausdrücklich zur Abtreibung drängt, sondern
auch, wenn er ihre Entscheidung dadurch indirekt begünstigt, daß er sie mit den
Problemen der Schwangerschaft allein läßt:(55)
auf diese Weise wird die Familie tödlich verletzt und in ihrem Wesen als
Liebesgemeinschaft und in ihrer Berufung, "Heiligtum des Lebens" zu sein,
entwürdigt. Nicht verschwiegen werden dürfen sodann die Beeinflussungen, die aus
dem weiteren Familienverband und von Freunden kommen. Nicht selten ist die Frau
einem so starken Druck ausgesetzt, daß sie sich psychologisch gezwungen fühlt,
in die Abtreibung einzuwilligen: ohne Zweifel lastet in diesem Fall die
sittliche Verantwortung besonders auf denen, die sie direkt oder indirekt
gezwungen haben, eine Abtreibung vorzunehmen. Verantwortlich sind auch die Ärzte
und das Pflegepersonal, wenn sie ihre berufliche Kompetenz, diesie erworben
haben, um das Leben zu fördern, in den Dienst des Todes stellen.
Aber in die Verantwortung miteinbezogen sind auch die Gesetzgeber, die
Abtreibungsgesetze gefördert und beschlossen haben, und in dem Maße, in dem die
Sache von ihnen abhängt, die Verwalter der Einrichtungen des Gesundheitswesens,
die für die Durchführung von Abtreibungen benutzt werden. Eine nicht minder
schwere allgemeine Verantwortung betrifft sowohl alle, die die Verbreitung einer
Mentalität sexueller Freizügigkeit und Geringschätzung der Mutterschaft
begünstigt haben, als auch diejenigen, die wirksame familien- und
sozialpolitische Maßnahmen zur Unterstützung der Familien, namentlich der
kinderreichen oder mit besonderen wirtschaftlichen und erzieherischen
Schwierigkeiten belasteten Familien, hätten sicherstellen müssen, dies aber
nicht getan haben. Nicht unterschätzt werden darf schließlich das Netz der
Mittäterschaft, das sich bis auf internationale Institutionen, Stiftungen und
Vereinigungen ausdehnt, die systematisch für die Legalisierung und Verbreitung
der Abtreibung in der Welt kämpfen. Damit übersteigt die Abtreibung die
Verantwortung der einzelnen Personen und den ihnen verursachten Schaden und
nimmt eine stark soziale Dimension an: sie ist eine sehr schwere Verletzung, die
der Gesellschaft und ihrer Kultur von denen zugefügt wird, die sie aufbauen und
verteidigen sollten. Wie ich in meinem Brief an die Familien schrieb, "stehen
wir vor einer enormen Bedrohung des Lebens, nicht nur einzelner Individuen,
sondern auch der ganzen Zivilisation".(56)
Wir stehen vor dem, was als eine gegen das noch ungeborene menschliche Leben
gerichtete "Sündenstruktur" definiert werden kann.
60. Manche versuchen, die Abtreibung durch die Behauptung
zu rechtfertigen, die Frucht der Empfängnis könne, wenigstens bis zu einer
bestimmten Zahl von Tagen, noch nicht als ein persönliches menschliches Leben
angesehen werden. In Wirklichkeit "beginnt in dem Augenblick, wo das Ei
befruchtet wird, ein Leben, das nicht das des Vaters oder der Mutter, sondern
eines neuen menschlichen Geschöpfes ist, das sich eigenständig entwickelt. Es
wird nie menschlich werden, wenn es das nicht von dem Augenblick an gewesen ist.
Für die Augenfälligkeit dieser alten Einsicht ... liefert die moderne genetische
Forschung wertvolle Bestätigungen. Sie hat gezeigt, daß vom ersten Augenblick an
das Programm für das, was dieses Lebewesen sein wird, festgelegt ist: eine
Person, diese individuelle Person mit ihren bekannten, schon genau festgelegten
Wesensmerkmalen. Bereits mit der Befruchtung hat das Abenteuer eines
Menschenlebens begonnen, von dessen großen Fähigkeiten jede einzelne Zeit
braucht, um sich zu organisieren und funktionsbereit zu sein".(57)
Auch wenn das Vorhandensein einer Geistseele von keiner experimentellen
Beobachtung ausgemacht werden kann, liefern die Schlußfolgerungen der
Wissenschaft über den menschlichen Embryo "einen wertvollen Hinweis, um das
Vorhandensein einer Person von diesem ersten Erscheinen eines menschlichen
Lebens an rational zu erkennen: sollte ein menschliches Individuum etwa nicht
eine menschliche Person sein?"(58)
Im übrigen ist der Einsatz, der auf dem Spiel steht, so groß, daß unter dem
Gesichtspunkt der moralischen Verpflichtung schon die bloße Wahrscheinlichkeit,
eine menschliche Person vor sich zu haben, genügen würde, um das strikteste
Verbot jedes Eingriffs zu rechtfertigen, der zur Tötung des menschlichen Embryos
vorgenommen wird. Eben deshalb hat die Kirche jenseits der wissenschaftlichen
Auseinandersetzungen und selbst der philosophischen Aussagen, auf die sich das
Lehramt nicht ausdrücklich eingelassen hat, stets gelehrt und lehrt noch immer,
daß der Frucht der menschlichen Zeugung vom ersten Augenblick ihrer Existenz an
jene unbedingte Achtung zu gewährleisten ist, die dem Menschen in seiner
leiblichen und geistigen Ganzheit und Einheit moralisch geschuldet wird: "Ein
menschliches Geschöpf ist von seiner Empfängnis an als Person zu achten und zu
behandeln, und deshalb sind ihm von jenem Augenblick an die Rechte einer Person
zuzuerkennen, als deren erstes das unverletzliche Recht auf Leben angesehen
wird, dessen sich jedwedes unschuldige menschliche Geschöpf erfreut".(59)
61. Auch wenn die Texte der Heiligen Schrift nie von einer
vorsätzlichen Abtreibung sprechen und deshalb keine direkten und spezifischen
Verurteilungen diesbezüglich enthalten, so weisen sie doch auf eine Betrachtung
des menschlichen Lebewesens im Mutterleib hin, deren logische Konsequenz die
Forderung ist, daß Gottes Gebot: "du sollst nicht töten" auch auf dieses noch
ungeborene Leben anzuwenden sei.
Das menschliche Leben ist in jedem Augenblick seiner Existenz, auch in jenem
Anfangsstadium, das der Geburt vorausgeht, heilig und unantastbar. Der Mensch
gehört vom Mutterschoß an Gott, der alles erforscht hat und kennt, der ihn mit
seinen Händen formt und gestaltet, der ihn sieht, während er noch ein kleiner,
noch in Entfaltung begriffener Embryo ist, und der in ihm bereits den
Erwachsenen von morgen sieht, dessen Tage gezählt sind und dessen Berufung schon
in dem "Buch des Lebens" verzeichnet ist (vgl. Ps 139 [138],1.13-16). Auch da,
wenn er sich also noch im Mutterschoß befindet, ist - wie zahlreiche Bibeltexte
bezeugen(60)
- der Mensch das persönlichste Ziel der liebenden und väterlichen Vorsehung
Gottes.
Die christliche Überlieferung stimmt - wie die von der Kongregation für die
Glaubenslehre diesbezüglich herausgegebene Erklärung gut hervorhebt(61)
- von den Anfängen bis in unsere Tage klar darin überein, daß sie die Abtreibung
als besonders schwerwiegende sittliche Verwilderung einstuft. Die erste
christliche Gemeinde hat sich seit der ersten Konfrontation mit der
griechisch-römischen Welt, in der die Abtreibung und die Kindestötung weitgehend
praktiziert wurden, durch ihre Lehre und ihre Praxis den in jener Gesellschaft
herrschenden Gepflogenheiten radikal widersetzt, wofür die bereits zitierte
Didach‚ ein klarer Beweis ist.(62)
Unter den kirchlichen Schriftstellern aus dem griechischen Raum erwähnt
Athenagoras, daß die Christen Frauen, die auf medizinische Eingriffe zur
Abtreibung zurückgreifen, als Mörderinnen ansehen, weil die Kinder, auch wenn
sie noch im Mutterschoß sind, "bereits das Objekt der Fürsorge der göttlichen
Vorsehung sind".(63) Unter den lateinischen Schriftstellern behauptet Tertullian:
"Die Verhinderung der Geburt ist vorzeitiger Mord; es kommt nicht darauf an, ob
man die schon geborene Seele tötet oder sie beim Zurweltkommen auslöscht. Es ist
bereits der Mensch, der er später sein wird".(64)
Diese selbe Lehre ist während ihrer nunmehr zweitausendjährigen Geschichte
von den Vätern der Kirche, von ihren Hirten und Lehrern ständig gelehrt worden.
Auch die wissenschaftlichen und philosophischen Diskussionen darüber, zu welchem
Zeitpunkt genau das Eingießen der Geistseele erfolge, haben nie auch nur den
geringsten Zweifel an der sittlichen Verurteilung der Abtreibung aufkommen
lassen.
62. Das päpstliche Lehramt der jüngsten Zeit hat diese
allgemeine Lehre mit großem Nachdruck bekräftigt. Insbesondere Pius XI. hat in
der Enzyklika Casti connubii die als Vorwand dienenden Rechtfertigungen der
Abtreibung zurückgewiesen;(65)
Pius XII. hat jede direkte Abtreibung ausgeschlossen, das heißt jede Handlung,
die das noch ungeborene menschliche Leben direkt zu vernichten trachtet, "mag
diese Vernichtung nun als Ziel oder nur als Mittel zum Zweck verstanden
werden";(66)
Johannes XXIII. hat neuerlich beteuert, daß das menschliche Leben heilig ist,
denn "es erfordert von seinem Anbeginn an das Wirken Gottes, des Schöpfers".(67) Das II.
Vatikanische Konzil hat, wie bereits erwähnt, die Abtreibung sehr streng
verurteilt: "Das Leben ist von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu
schützen. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige
Verbrechen".(68)
Die Rechtsordnung der Kirche hat von den ersten Jahrhunderten an über jene,
die sich der Abtreibung schuldig machten, Strafsanktionen verhängt. Diese Praxis
mit mehr oder weniger schweren Strafen wurde in den verschiedenen Abschnitten
der Geschichte bestätigt. Der Codex des kanonischen Rechtes von 1917 drohte für
die Abtreibung die Strafe der Exkommunikation an.(69)
Auch die erneuerte kanonische Gesetzgebung stellt sich auf diese Linie, wenn sie
bekräftigt: "Wer eine Abtreibung vornimmt, zieht sich mit erfolgter Ausführung
die Tatstrafe der Exkommunikation latae sententiae zu",(70)
das heißt die Strafe tritt von selbst durch Begehen der Straftat ein. Die
Exkommunikation trifft alle, die diese Straftat in Kenntnis der Strafe begehen,
somit auch jene Mittäter, ohne deren Handeln sie nicht begangen worden wäre.(71) Mit dieser
erneut bestätigten Sanktion stellt die Kirche diese Straftat als eines der
schwersten und gefährlichsten Verbrechen hin und spornt so den, der sie begeht,
an, rasch auf den Weg der Umkehr zurückzufinden. Denn in der Kirche hat die
Strafe der Exkommunikation den Zweck, die Schwere einer bestimmten Sünde voll
bewußt zu machen und somit eine entsprechende Umkehr und Reue zu begünstigen.
Angesichts einer solchen Einmütigkeit in der Tradition der Lehre und
Disziplin der Kirche konnte Paul VI. erklären, daß sich diese Lehre "nicht
geändert hat und unveränderlich ist".(72)
Mit der Autorität, die Christus Petrus und seinen Nachfolgern übertragen hat,
erkläre ich deshalb in Gemeinschaft mit den Bischöfen - die mehrfach die
Abtreibung verurteilt und, obwohl sie über die Welt verstreut sind, bei der
eingangs erwähnten Konsultation dieser Lehre einhellig zugestimmt haben -, daß
die direkte, das heißt als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung immer ein
schweres sittliches Vergehen darstellt, nämlich die vorsätzliche Tötung eines
unschuldigen Menschen. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem
geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert
und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt.(73)
Kein Umstand, kein Zweck, kein Gesetz wird jemals eine Handlung für die Welt
statthaft machen können, die in sich unerlaubt ist, weil sie dem Gesetz Gottes
widerspricht, das jedem Menschen ins Herz geschrieben, mit Hilfe der Vernunft
selbst erkennbar und von der Kirche verkündet worden ist.
63. Die sittliche Bewertung der Abtreibung muß auch auf die
neuen Formen des Eingriffs auf menschliche Embryonen angewandt werden, die
unvermeidlich mit der Tötung des Embryos verbunden sind, auch wenn sie Zwecken
dienen, die an sich erlaubt sind. Das ist bei der Durchführung von Versuchen an
Embryonen gegeben, die auf dem Gebiet der biomedizinischen Forschung in
wachsender Zunahme begriffen und in einigen Staaten gesetzlich erlaubt ist. Auch
wenn "die Eingriffe am menschlichen Embryo unter der Bedingung als erlaubt
angesehen werden [müssen], daß sie das Leben und die Unversehrtheit des Embryos
achten und daß sie nicht Gefahren mit sich bringen, die nicht verhältnismäßig
sind, sondern daß sie auf die Heilung der Krankheit, auf die Wandlung des
Gesundheitszustands zum besseren hin und auf die Sicherstellung des Überlebens
des einzelnen Fötus ausgerichtet sind",(74)
muß man jedoch geltend machen, daß die Verwendung von Embryonen oder Föten als
Versuchsobjekt ein Verbrechen darstellt gegen ihre Würde als menschliche
Geschöpfe, die dasselbe Recht haben, das dem bereits geborenen Kind und jeder
Person geschuldet wird.(75)
Aus sittlichen Gründen zu verwerfen ist ebenso auch die Vorgehensweise, die -
bisweilen eigens zu diesem Zweck mit Hilfe der In-vitro-Befruchtung "erzeugte" -
noch lebende menschliche Embryonen und Föten mißbraucht, sei es als zu
verwertendes "biologisches Material" oder als Lieferanten von Organen oder
Geweben zur Transplantation für die Behandlung bestimmter Krankheiten. Die
Tötung unschuldiger menschlicher Geschöpfe, und sei es auch zum Vorteil anderer,
stellt in Wirklichkeit eine absolut unannehmbare Handlung dar.
Besondere Aufmerksamkeit muß der sittlichen Bewertung der Verfahren
vorgeburtlicher Diagnose gelten, die die frühzeitige Feststellung eventueller
Mißbildungen oder Krankheiten des ungeborenen Kindes erlauben. Wegen der
Komplexität dieser Verfahren muß eine solche Bewertung in der Tat sorgfältiger
und artikulierter erfolgen. Wenn sie ohne unverhältnismäßige Gefahren für das
Kind und für die Mutter sind und zum Ziel haben, eine frühzeitige Therapie zu
ermöglichen oder auch eine gefaßte und bewußte Annahme des Ungeborenen zu
begünstigen, sind diese Verfahren sittlich erlaubt. Da jedoch die
Behandlungsmöglichkeiten vor der Geburt heute noch recht begrenzt sind, kommt es
nicht selten vor, daß diese Verfahren in den Dienst einer Eugenetik-Mentalität
gestellt werden, die die selektive Abtreibung in Kauf nimmt, um die Geburt von
Kindern zu verhindern, die von Mißbildungen und Krankheiten verschiedener Art
betroffen sind. Eine solche Denkart ist niederträchtig und höchst verwerflich,
weil sie sich anmaßt, den Wert eines menschlichen Lebens einzig und allein nach
Maßstäben wie "Normalität" und physisches Wohlbefinden zu beurteilen und auf
diese Weise auch der Legitimation der Kindestötung und der Euthanasie den Weg
bahnt.
In Wirklichkeit stellen jedoch gerade der Mut und die Gefaßtheit, mit denen
viele unserer von schweren Gebrechen betroffenen Brüder und Schwestern ihr
Dasein meistern, wenn sie von uns angenommen und geliebt werden, ein besonders
wirkungsvolles Zeugnis für die echten Werte dar, die das Leben kennzeichnen und
es auch unter den schwierigsten Bedingungen für sich selbst und für die anderen
wertvoll machen. Die Kirche ist jenen Eheleuten nahe, die unter großer Angst und
viel Schmerz bereit sind, ihre von Behinderung schwer heimgesuchten Kinder
anzunehmen; und sie ist all jenen Familien dankbar, die durch Adoption Kinder
aufnehmen, die wegen Behinderungen oder Krankheiten von ihren Eltern im Stich
gelassen worden sind.
"Ich bin es, der tötet und der lebendig macht"
(Dtn 32,39): das Drama der
Euthanasie
64. Am anderen Ende seines Daseins steht der Mensch vor dem
Geheimnis des Todes. Infolge der Fortschritte auf medizinischem Gebiet und in
einem kulturellen Umfeld, das sich der Transzendenz zumeist verschließt, weist
die Erfahrung des Sterbens heute einige neue Wesensmerkmale auf. Denn wenn die
Neigung vorherrscht, das Leben nur in dem Maße zu schätzen, wie es Vergnügen und
Wohlbefinden mit sich bringt, erscheint das Leiden als eine unerträgliche
Niederlage, von der man sich um jeden Preis befreien muß. Der Tod, der als
"absurd" angesehen wird, wenn er ein Leben plötzlich unterbricht, das noch für
eine an möglichen interessanten Erfahrungen reiche Zukunft offen ist, wird
dagegen dann zu einer "beanspruchten Befreiung", wenn das Dasein bereits für
sinnlos gehalten wird, weil es in Schmerz getaucht und unerbittlich für weiteres
noch heftigeres Leiden bestimmt ist.
Außerdem glaubt der Mensch, der seine wesentliche Beziehung zu Gott ablehnt
oder vergißt, er sei sich selber Maßstab und Norm, und maßt sich das Recht an,
auch von der Gesellschaft zu verlangen, sie solle ihm Möglichkeiten und Formen
garantieren, damit er in voller und vollständiger Autonomie über sein Leben
entscheiden könne. Es ist besonders der Mensch in den entwickelten Ländern, der
sich so verhält: veranlaßt fühlt er sich dazu auch durch die ständigen
Fortschritte der Medizin und ihre immer mehr fortgeschrittenen Verfahren. Mit
Hilfe hochentwickelter Systeme und Apparate sind Wissenschaft und ärztliche
Praxis heute in der Lage, nicht nur für früher unlösbare Fälle eine Lösung zu
finden und Schmerzen zu lindern oder zu beheben, sondern auch das Leben selbst
im Zustand äußerster Schwäche zu erhalten und zu verlängern, Personen nach dem
plötzlichen Zusammenbruch ihrer biologischen Grundfunktionen künstlich
wiederzubeleben sowie Eingriffe vorzunehmen, um Organe für Transplantationen zu
gewinnen.
In einem solchen Umfeld zeigt sich immer stärker die Versuchung zur
Euthanasie, das heißt, sich zum Herrn über den Tod zu machen, indem man ihn
vorzeitig herbeiführt und so dem eigenen oder dem Leben anderer "auf sanfte
Weise" ein Ende bereitet. In Wirklichkeit stellt sich, was als logisch und
menschlich erscheinen könnte, wenn man es zutiefst betrachtet, als absurd und
unmenschlich heraus. Wir stehen hier vor einem der alarmierendsten Symptome der
"Kultur des Todes", die vor allem in den Wohlstandsgesellschaften um sich
greift, die von einem Leistungsdenken gekennzeichnet sind, das die wachsende
Zahl alter und geschwächter Menschen als zu belastend und unerträglich
erscheinen läßt. Sie werden sehr oft von der Familie und von der Gesellschaft
isoliert, deren Organisation fast ausschließlich auf Kriterien der Produktion
und Leistungsfähigkeit beruht, wonach ein hoffnungslos arbeitsunfähiges Leben
keinen Wert mehr hat.
65. Für ein korrektes sittliches Urteil über die Euthanasie
gilt es zunächst, diese klar zu definieren. Unter Euthanasie im eigentlichen
Sinn versteht man eine Handlung oder Unterlassung, die ihrer Natur nach und aus
bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um auf diese Weise jeden Schmerz zu
beenden. "Bei Euthanasie dreht es sich also wesentlich um den Vorsatz des
Willens und um die Vorgehensweisen, die angewandt werden".(76)
Von ihr zu unterscheiden ist die Entscheidung, auf "therapeutischen
Übereifer" zu verzichten, das heißt auf bestimmte ärztliche Eingriffe, die der
tatsächlichen Situation des Kranken nicht mehr angemessen sind, weil sie in
keinem Verhältnis zu den erhofften Ergebnissen stehen, oder auch, weil sie für
ihn und seine Familie zu beschwerlich sind. In diesen Situationen, wenn sich der
Tod drohend und unvermeidlich ankündigt, kann man aus Gewissensgründen "auf
(weitere) Heilversuche verzichten, die nur eine ungewisse und schmerzvolle
Verlängerung des Lebens bewirken könnten, ohne daß man jedoch die normalen
Bemühungen unterläßt, die in ähnlichen Fällen dem Kranken geschuldet werden".(77) Sicherlich
besteht die moralische Verpflichtung sich pflegen und behandeln zu lassen, aber
diese Verpflichtung muß an den konkreten Situationen gemessen werden; das heißt,
es gilt abzuschätzen, ob die zur Verfügung stehenden therapeutischen Maßnahmen
objektiv in einem angemessenen Verhältnis zur Aussicht auf Besserung stehen. Der
Verzicht auf außergewöhnliche oder unverhältnismäßige Heilmittel ist nicht
gleichzusetzen mit Selbstmord oder Euthanasie; er ist vielmehr Ausdruck dafür,
daß die menschliche Situation angesichts des Todes akzeptiert wird.(78)
Besondere Bedeutung gewinnen in der modernen Medizin die sogenannten
"palliativen Behandlungsweisen", die das Leiden im Endstadium der Krankheit
erträglicher machen und gleichzeitig für den Patienten eine angemessene
menschliche Begleitung gewährleisten sollen. In diesem Zusammenhang erhebt sich
unter anderem das Problem, inwieweit die Anwendung der verschiedenen
Schmerzlinderungs- und Beruhigungsmittel, um den Kranken vom Schmerz zu
befreien, erlaubt ist, wenn das die Gefahr einer Verkürzung des Lebens mit sich
bringt. Auch wenn jemand, der das Leiden aus freien Stücken annimmt, indem er
auf schmerzlindernde Maßnahmen verzichtet, um seine volle Geistesklarheit zu
bewahren und, wenn er gläubig ist, bewußt am Leiden des Herrn teilzuhaben, in
der Tat des Lobes würdig ist, so kann diese "heroische" Haltung doch nicht als
für alle verpflichtend angenommen werden. Schon Pius XII. hatte gesagt, den
Schmerz durch Narkotika zu unterdrücken, auch wenn das eine Trübung des
Bewußtseins und die Verkürzung des Lebens zur Folge habe, sei erlaubt, "falls
keine anderen Mittel vorhanden sind und unter den gegebenen Umständen dadurch
nicht die Erfüllung anderer religiöser und moralischer Verpflichtungen behindert
wird".(79)
Denn in diesem Fall wird der Tod nicht gewollt oder gesucht, auch wenn aus
berechtigten Gründen die Gefahr dazu gegeben ist: man will einfach durch
Anwendung der von der Medizin zur Verfügung gestellten Analgetika den Schmerz
wirksam lindern. Doch "darf man den Sterbenden nicht ohne schwerwiegenden Grund
seiner Bewußtseinsklarheit berauben":(80)
die Menschen sollen vor dem herannahenden Tod in der Lage sein, ihren
moralischen und familiären Verpflichtungen nachkommen zu können, und sich vor
allem mit vollem Bewußtsein auf die endgültige Begegnung mit Gott vorbereiten
können.
Nach diesen Unterscheidungen bestätige ich in Übereinstimmung mit dem Lehramt
meiner Vorgänger(81) und in
Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche, daß die Euthanasie eine
schwere Verletzung des göttlichen Gesetzes ist, insofern es sich um eine
vorsätzliche Tötung einer menschlichen Person handelt, was sittlich nicht zu
akzeptieren ist. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen
Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom
ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt.(82)
Eine solche Handlung setzt, je nach den Umständen, die Bosheit voraus, wie
sie dem Selbstmord oder dem Mord eigen ist.
66. Nun ist Selbstmord immer ebenso sittlich unannehmbar
wie Mord. Die Tradition der Kirche hat ihn immer als schwerwiegend böse
Entscheidung zurückgewiesen.(83)
Obwohl bestimmte psychologische, kulturelle und soziale Gegebenheiten einen
Menschen dazu bringen können, eine Tat zu begehen, die der natürlichen Neigung
eines jeden zum Leben so radikal widerspricht, und dadurch die subjektive
Verantwortlichkeit vermindert oder aufgehoben sein mag, ist der Selbstmord aus
objektiver Sicht eine schwer unsittliche Tat, weil er verbunden ist mit der
Absage an die Eigenliebe und mit der Ausschlagung der Verpflichtungen zu
Gerechtigkeit und Liebe gegenüber dem Nächsten, gegenüber den verschiedenen
Gemeinschaften, denen der Betreffende angehört, und gegenüber der Gesellschaft
als ganzer.(84) In seinem
tiefsten Kern stellt der Selbstmord eine Zurückweisung der absoluten
Souveränität Gottes über Leben und Tod dar, wie sie im Gebet des alten Weisen
Israels verkündet wird: "Du hast Gewalt über Leben und Tod; du führst zu den
Toren der Unterwelt hinab und wieder herauf" (Weish 16,13; vgl. Tob 13,2).
Die Selbstmordabsicht eines anderen zu teilen und ihm bei der Ausführung
durch die sog. "Beihilfe zum Selbstmord" behilflich zu sein, heißt Mithelfer
und manchmal höchstpersönlich Täter eines Unrechts zu werden, das niemals, auch
nicht, wenn darum gebeten worden sein sollte, gerechtfertigt werden kann. "Es
ist niemals erlaubt - schreibt mit überraschender Aktualität der hl. Augustinus
-, einen anderen zu töten: auch wenn er es wollte, ja selbst, wenn er darum
bitten würde, weil er, zwischen Leben und Tod schwebend, fleht, ihm zu helfen
die Seele zu befreien, die gegen die Fesseln des Leibes kämpft und sich von
ihnen zu lösen sucht; es ist nicht einmal dann erlaubt, wenn ein Kranker nicht
mehr zu leben imstande wäre".(85)
Auch wenn sie nicht durch die egoistische Weigerung motiviert ist, sich mit der
Existenz des leidenden Menschen zu belasten, muß die Euthanasie als falsches
Mitleid, ja als eine bedenkliche "Perversion" desselben bezeichnet werden: denn
echtes "Mitleid" solidarisiert sich mit dem Schmerz des anderen, tötet nicht
den, dessen Leiden unerträglich ist. Die Tat der Euthanasie erscheint um so
perverser, wenn sie von denen ausgeführt wird, die - wie die Angehörigen - ihrem
Verwandten mit Geduld und Liebe beistehen sollten, oder von denen, die - wie die
Ärzte - auf Grund ihres besonderen Berufes den Kranken auch im leidvollsten
Zustand seines zu Ende gehenden Lebens behandeln müßten.
Schwerwiegender wird die Entscheidung für die Euthanasie, wenn sie sich als
Mord herausstellt, den die anderen an einem Menschen begehen, der sie keineswegs
darum gebeten und niemals seine Zustimmung dazu gegeben hat. Der Höhepunkt der
Willkür und des Unrechts wird dann erreicht, wenn sich einige Ärzte oder
Gesetzgeber die Macht anmaßen darüber zu entscheiden, wer leben und wer sterben
darf. Hier zeigt sich wieder die Versuchung von Eden: werden wie Gott und "Gut
und Böse erkennen" (vgl. Gen 3,5). Doch Gott allein hat die Macht, zu töten und
zum Leben zu erwecken: "Ich bin es, der tötet und der lebendig macht" (Dtn
32,39; vgl. 2 Kön 5,7; 1 Sam 2,6). Er verwirklicht seine Macht immer nur nach
einem Plan der Weisheit und Liebe. Wenn sich der Mensch im Bann einer Logik von
Torheit und Egoismus diese Macht anmaßt, benützt er sie unweigerlich zu Unrecht
und Tod. So wird das Leben des Schwächsten in die Hände des Stärksten gelegt; in
der Gesellschaft geht der Sinn für Gerechtigkeit verloren und das gegenseitige
Vertrauen, Grundlage jeder echten Beziehung zwischen den Menschen, wird an der
Wurzel untergraben.
67. Ganz anders hingegen ist der Weg der Liebe und des
echten Mitleids, den unser gemeinsames Menschsein vorschreibt und den der Glaube
an Christus, den Erlöser, der gestorben und auferstanden ist, mit neuen
Einsichten erhellt. Die Bitte, die bei der äußersten Konfrontation mit dem Leid
und dem Tod besonders dann aus dem Herzen des Menschen kommt, wenn er versucht
ist, sich in seine Verzweiflung zurückzuziehen und in ihr unterzugehen, ist vor
allem Bitte um Begleitung, um Solidarität und um Beistand in der Prüfung. Sie
ist flehentliche Bitte um Hilfe, um weiter hoffen zu können, wenn alle
menschlichen Hoffnungen zerrinnen. Wie uns das II. Vatikanische Konzil zu
bedenken gab, wird für den Menschen "angesichts des Todes das Rätsel des
menschlichen Daseins am größten"; und trotzdem "urteilt er im Instinkt seines
Herzens richtig, wenn er die völlige Zerstörung und den endgültigen Untergang
seiner Person mit Entsetzen ablehnt. Der Keim der Ewigkeit im Menschen läßt sich
nicht auf die bloße Materie zurückführen und wehrt sich gegen den Tod".(86)
Erhellt und zum Abschluß gebracht werden diese natürliche Abneigung gegen den
Tod und diese keimhafte Hoffnung auf Unsterblichkeit durch den christlichen
Glauben, der die Teilhabe am Sieg des auferstandenen Christus verheißt und
anbietet: es ist der Sieg dessen, der durch seinen Erlösungstod den Menschen vom
Tod, dem "Lohn der Sünde" (Röm 6,23), befreit und ihm den Geist, das Unterpfand
für Auferstehung und Leben, geschenkt hat (vgl. Röm 8,11). Die Gewißheit über
die zukünftige Unsterblichkeit und die Hoffnung auf die verheißene Auferstehung
werfen ein neues Licht auf das Geheimnis des Leidens und Sterbens und erfüllen
den Gläubigen mit einer außerordentlichen Kraft, sich dem Plan Gottes
anzuvertrauen.
Der Apostel Paulus hat dieses Neue in den Worten von einer völligen
Zugehörigkeit zum Herrn, der den Menschen in jeder Lage umfängt, zum Ausdruck
gebracht: "Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber: Leben
wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben
oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn" (Röm 14,7-8). Sterben für den Herrn
heißt den eigenen Tod als letzten Gehorsamsakt gegenüber dem Vater erleben (vgl.
Phil 2,8), indem wir die Begegnung mit dem Tod in der von Ihm gewollten und
beschlossenen "Stunde" annehmen (vgl. Joh 13,1), der allein zu sagen vermag,
wann unser irdischer Weg zu Ende ist. Leben für den Herrn heißt auch anerkennen,
daß das Leid, auch wenn es an sich ein Übel und eine Prüfung bleibt, immer zu
einer Quelle des Guten werden kann. Das ist der Fall, wenn es aus Liebe und mit
Liebe, aus freiwilliger Hingabe an Gott und aus freier persönlicher Entscheidung
in der Teilhabe am Leiden des gekreuzigten Christus selber gelebt wird. Auf
diese Weise wird der, der sein Leiden im Herrn lebt, Ihm vollkommener ähnlich
(vgl. Phil 3,10; 1 Petr 2,21) und hat zutiefst teil an seinem Erlösungswerk für
die Kirche und die Menschheit.(87)
Das ist die Erfahrung des Apostels, die auch jeder leidende Mensch nachzuleben
aufgerufen ist: "Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage.
Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was
an den Leiden Christi noch fehlt" (Kol 1,24).
"Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen"
(Apg 5,29): staatliches Gesetz
und Sittengesetz
68. Eines der Wesensmerkmale der - schon mehrmals erwähnten
- derzeitigen Anschläge auf das menschliche Leben besteht in dem Bestreben,
gesetzliche Legitimation für sie zu fordern, so als würde es sich um Rechte
handeln, die der Staat, zumindest unter bestimmten Bedingungen, den Bürgern
zuerkennen müsse, und demzufolge in dem Bestreben, die Umsetzung dieser Rechte
mit dem sicheren und unentgeltlichen Beistand der Ärzte und des Pflegepersonals
zu verlangen.
Nicht selten wird behauptet, das Leben eines ungeborenen oder eines sich in
völliger Schwäche befindlichen Menschen sei nur ein relatives Gut: entsprechend
einer Logik der Verhältnismäßigkeit oder des kalten Kalküls sollte es mit
anderen Gütern verglichen und abgewogen werden. Und es wird auch behauptet, daß
nur jemand, der sich in der konkreten Situation befindet und persönlich
involviert ist, eine gerechte Abwägung der Güter vornehmen könne, um die es
geht: infolgedessen könnte nur er über die Sittlichkeit seiner Entscheidung
bestimmen. Der Staat sollte daher im Interesse des zivilen Zusammenlebens und
der sozialen Eintracht diese Entscheidung respektieren und endlich auch
Abtreibung und Euthanasie zulassen.
Bisweilen wird die Meinung vertreten, das staatliche Gesetz könne nicht
verlangen, daß alle Bürger einem Sittlichkeitsgrad gemäß leben, der höher ist
als jener, den sie selber anerkennen und teilen. Deshalb sollte das Gesetz immer
Ausdruck der Meinung und des Willens der Mehrheit der Bürger sein und ihnen,
wenigstens in bestimmten Extremfällen, auch das Recht auf Abtreibung und auf
Euthanasie zuerkennen. Im übrigen würde das Verbot und die Bestrafung von
Abtreibung und Euthanasie in diesen Fällen - so wird behauptet - unvermeidbar zu
einer Zunahme illegaler Praktiken führen: diese wären allerdings nicht der
notwendigen sozialen Kontrolle unterworfen und würden ohne die erforderliche
ärztliche Sicherheit vorgenommen. Hier fragt man sich außerdem, ob das
Festhalten an einem konkret nicht anwendbaren Gesetz nicht am Ende bedeute, daß
auch die Glaubwürdigkeit jedes anderen Gesetzes untergraben werde.
Die radikalsten Meinungsäußerungen gehen schließlich soweit zu behaupten, in
einer modernen und pluralistischen Gesellschaft müßte jedem Menschen volle
Autonomie zuerkannt werden, über das eigene Leben und das Leben des ungeborenen
Kindes zu verfügen: die Wahl und Entscheidung zwischen den verschiedenen
Moralauffassungen wäre in der Tat nicht Sache des Gesetzes, und noch weniger
könnte es sich die Auferlegung einer einzelnen dieser Auffassungen zum Nachteil
der anderen anmaßen.
69. Auf jeden Fall ist in der demokratischen Kultur unserer
Zeit die Meinung weit verbreitet, wonach sich die Rechtsordnung einer
Gesellschaft darauf beschränken sollte, die Überzeugungen der Mehrheit zu
verzeichnen und anzunehmen, und daher nur auf dem aufbauen, was die Mehrheit
selber als moralisch anerkennt und lebt. Wenn dann sogar die Meinung vertreten
wird, eine allgemeine und objektive Wahrheit sei de facto unannehmbar, würde es
die Achtung vor der Freiheit der Bürger - die in einem demokratischen System als
die eigentlichen Souveräne gelten - erfordern, daß man auf Gesetzgebungsebene
die Autonomie der einzelnen Gewissen anerkennt und daher bei der Festlegung
jener Normen, die auf jeden Fall für das soziale Zusammenleben notwendig sind,
ausschließlich dem Willen der Mehrheit, welcher Art immer sie sein mag, gerecht
wird. Auf diese Weise müßte jeder Politiker in seinem Tun den Bereich des
privaten Gewissens klar von dem des öffentlichen Verhaltens trennen.
Es lassen sich infolgedessen zwei anscheinend diametral entgegengesetzte
Tendenzen feststellen. Auf der einen Seite machen die einzelnen Individuen für
sich die vollständigste sittliche Entscheidungsautonomie geltend und fordern,
daß sich der Staat keine ethische Auffassung zu eigen macht und diese
vorschreibt, sondern sich darauf beschränkt, der Freiheit jedes einzelnen
weitestmöglichen Raum zu garantieren mit der einzigen äußeren Einschränkung, den
Raum von Autonomie nicht zu verletzen, auf den auch jeder andere Bürger ein
Recht hat. Auf der anderen Seite vertritt man die Meinung, daß bei der Ausübung
der öffentlichen und beruflichen Aufgaben die Achtung vor der
Entscheidungsfreiheit des anderen es einem jedem auferlege, von den eigenen
Überzeugungen abzurücken, um sich in den Dienst jeder Forderung der Bürger zu
stellen, die die Gesetze anerkennen und schützen, wobei als einziges sittliches
Kriterium für die Ausübung der eigenen Funktionen akzeptiert wird, was eben von
diesen Gesetzen festgelegt wurde. Auf diese Weise wird unter Verzicht auf das
eigene sittliche Gewissen zumindest im Bereich des öffentlichen Wirkens die
Verantwortlichkeit des Menschen dem staatlichen Gesetz überlassen.
70. Gemeinsame Wurzel all dieser Tendenzen ist der ethische
Relativismus, der für weite Teile der modernen Kultur bezeichnend ist. Manche
behaupten, dieser Relativismus sei eine Voraussetzung für die Demokratie, weil
nur er Toleranz, gegenseitige Achtung der Menschen untereinander und Bindung an
die Entscheidungen der Mehrheit gewährleisten würde, während die als objektiv
und bindend angesehenen sittlichen Normen zu Autoritarismus und Intoleranz
führen würden.
Doch gerade die Problematik der Achtung vor dem Leben zeigt, welche
Mißverständnisse und Widersprüche, begleitet von entsetzlichen praktischen
Folgen, sich hinter dieser Einstellung verbergen.
Es stimmt, daß die Geschichte Fälle kennt, in denen im Namen der "Wahrheit"
Verbrechen begangen worden sind. Aber nicht minder schwere Verbrechen und
radikale Leugnungen der Freiheit wurden und werden weiter auch im Namen des
"ethischen Relativismus" begangen. Faßt eine parlamentarische oder
gesellschaftliche Mehrheit, wenn sie die Rechtmäßigkeit der unter bestimmten
Bedingungen vorgenommenen Tötung des ungeborenen menschlichen Lebens beschließt,
nicht vielleicht einen "tyrannischen" Beschluß gegen das schwächste und
wehrloseste menschliche Geschöpf? Das Weltgewissen reagiert mit Recht auf die
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mit denen unser Jahrhundert so traurige
Erfahrungen gemacht hat. Würden diese Untaten vielleicht nicht mehr länger
Verbrechen sein, wenn sie, statt von skrupellosen Tyrannen begangen worden zu
sein, durch des Volkes Zustimmung für rechtmäßig erklärt worden wären?
Tatsächlich darf die Demokratie nicht solange zum Mythos erhoben werden, bis
sie zu einem Ersatzmittel für die Sittlichkeit oder einem Allheilmittel gegen
die Unsittlichkeit gemacht wird. Sie ist ihrem Wesen nach eine "Ordnung" und als
solche ein Werkzeug und nicht ein Ziel. Ihr "sittlicher" Charakter ist nicht
automatisch gegeben, sondern hängt von der Übereinstimmung mit dem Sittengesetz
ab, dem sie, wie jedes andere menschliche Verhalten, unterstehen muß: das heißt,
er hängt von der Sittlichkeit der Ziele ab, die sie verfolgt, und der Mittel,
deren sie sich bedient. Wenn heute ein beinahe weltweites Einvernehmen über den
Wert der Demokratie festzustellen ist, wird das als ein positives "Zeichen der
Zeit" angesehen, wie auch das Lehramt der Kirche wiederholt hervorgehoben hat.(88) Aber der
Wert der Demokratie steht und fällt mit den Werten, die sie verkörpert und
fördert: grundlegend und unumgänglich sind sicherlich die Würde jeder
menschlichen Person, die Achtung ihrer unverletzlichen und unveräußerlichen
Rechte sowie die Übernahme des "Gemeinwohls" als Ziel und regelndes Kriterium
für das politische Leben.
Grundlage dieser Werte können nicht vorläufige und wechselnde
Meinungs"mehrheiten" sein, sondern nur die Anerkennung eines objektiven
Sittengesetzes, das als dem Menschen ins Herz geschriebene "Naturgesetz"
normgebender Bezugspunkt eben dieses staatlichen Gesetzes ist. Wenn infolge
einer tragischen kollektiven Trübung des Gewissens der Skeptizismus schließlich
sogar die Grundsätze des Sittengesetzes in Zweifel zöge, würde selbst die
demokratische Ordnung in ihren Fundamenten erschüttert, da sie zu einem bloßen
Mechanismus empirischer Regelung der verschiedenen und gegensätzlichen
Interessen verkäme.(89)
Mancher könnte sich vorstellen, daß in Ermangelung eines Besseren auch eine
solche Funktion um des sozialen Friedens willen anerkannt werden müsse. Selbst
wenn man in einer solchen Einschätzung einen gewissen Wahrheitsaspekt anerkennt,
muß man doch sehen, daß ohne eine objektive sittliche Verankerung auch die
Demokratie keinen stabilen Frieden sicherstellen kann, um so mehr als der
Friede, der nicht an den Werten der Würde jedes Menschen und der Solidarität
unter allen Menschen gemessen wird, nicht selten eine illusorische Angelegenheit
ist. Denn in den die demokratische Beteiligung einschließenden
Regierungssystemen selbst erfolgt die Regelung der Interessen häufig zum Vorteil
der Stärkeren, vermögen sie doch am besten nicht nur die Hebel der Macht,
sondern auch das Zustandekommen des Konsenses zu steuern. In einer solchen
Situation wird Demokratie leicht zu einem leeren Wort.
71. Im Hinblick auf die Zukunft der Gesellschaft und die
Entwicklung einer gesunden Demokratie ist es daher dringend notwendig, das
Vorhandensein wesentlicher, angestammter menschlicher und sittlicher Werte
wiederzuentdecken, die der Wahrheit des menschlichen Seins selbst entspringen
und die Würde der Person zum Ausdruck bringen und schützen: Werte also, die kein
Individuum, keine Mehrheit und kein Staat je werden hervorbringen, verändern
oder zerstören können, sondern die sie nur anerkennen, achten und fördern werden
müssen.
In diesem Sinne muß man wieder die Grundzüge der Auffassung von den
Beziehungen zwischen staatlichem Gesetz und Sittengesetz aufgreifen, die von der
Kirche vorgelegt werden, die aber auch zum Erbe der großen Rechtstraditionen der
Menschheit gehören.
Sicherlich ist die Aufgage des staatlichen Gesetzes im Vergleich zu der des
Sittengesetzes anders und von begrenzterem Umfang. Jedoch "kann in keinem
Lebensbereich das staatliche Gesetz das Gewissen ersetzen, noch kann es Normen
über das vorschreiben, was über seine Zuständigkeit hinausgeht",(90)
die darin besteht, das Gemeinwohl der Menschen durch die Anerkennung und den
Schutz ihrer Grundrechte, durch die Förderung des Friedens und der öffentlichen
Sittlichkeit sicherzustellen.(91)
Denn die Aufgabe des staatlichen Gesetzes besteht darin, ein geordnetes soziales
Zusammenleben in wahrer Gerechtigkeit zu gewährleisten, damit wir alle "in aller
Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können" (1 Tim 2,2).
Eben deshalb muß das staatliche Gesetz für alle Mitglieder der Gesellschaft die
Achtung einiger Grundrechte sicherstellen, die dem Menschen als Person eigen
sind und die jedes positive Gesetz anerkennen und garantieren muß. Erstes und
grundlegendes aller Rechte ist das unverletzliche Recht auf Leben eines jeden
unschuldigen Menschen. Auch wenn die öffentliche Autorität bisweilen auf die
Unterdrückung von etwas verzichten kann, was im Fall des Verbots einen
schwereren Schaden anrichten würde,(92)
kann sie doch niemals zulassen, die Verletzung, die anderen Menschen durch die
Nicht-Anerkennung eines ihrer Grundrechte wie das auf Leben zugefügt wird, als
Recht der einzelnen zu legitimieren - selbst wenn diese die Mehrheit der
Mitglieder der Gesellschaft ausmachen würden. Die gesetzliche Tolerierung von
Abtreibung oder Euthanasie kann sich gerade deshalb keinesfalls auf die
Respektierung des Gewissens der anderen berufen, weil die Gesellschaft das Recht
und die Pflicht hat, sich vor den Mißbräuchen zu schützen, die im Namen des
Gewissens und unter dem Vorwand der Freiheit zustande kommen können.(93)
Papst Johannes XXIII. hatte diesbezüglich in der Enzyklika Pacem in terris
festgestellt: "Da man in unserer Zeit annimmt, das Gemeinwohl bestehe vor allem
in der Wahrung der Rechte und Pflichten der menschlichen Person, muß die Aufgabe
der Staatslenker vor allem darin bestehen, daß einerseits die Rechte anerkannt,
geachtet, untereinander in Einklang gebracht, verteidigt und gefördert werden,
und andererseits jeder seine Pflichten leichter erfüllen kann. Denn ,die den
Menschen eigenen unverletzlichen Rechte zu schützen und dafür zu sorgen, daß
jeder seine Aufgaben leichter erfülle, das ist die vornehmliche Pflicht jeder
öffentlichen Gewalt'. Wenn deshalb Behörden die Rechte des Menschen entweder
nicht anerkennen oder verletzen, so weichen sie nicht nur selbst von ihrer
Pflicht ab, sondern es entbehrt auch das, was von ihnen befohlen wurde, jeder
Verbindlichkeit".(94)
72. In Kontinuität mit der gesamten Tradition der Kirche
steht auch die Lehre über die notwendige Übereinstimmung des staatlichen
Gesetzes mit dem Sittengesetz, wie sie gleichfalls aus der genannten Enzyklika
Johannes' XXIII. hervorgeht: "Die Befehlsgewalt wird von der sittlichen Ordnung
erfordert und geht von Gott aus. Falls daher Staatslenker entgegen dieser
Ordnung und insofern entgegen dem Willen Gottes Gesetze erlassen oder etwas
gebieten, dann können weder die erlassenen Gesetze noch die gewährten
Vollmachten das Gewissen der Bürger verpflichten... Vielmehr bricht dann die
Autorität selbst völlig zusammen, und es folgt scheußliches Unrecht".(95)
Das ist die klare Lehre des hl. Thomas von
Aquin, der unter anderem schreibt: "Das menschliche Gesetz hat nur insoweit
den Charakter eines Gesetzes, insoweit es der rechten Vernunft gemäß ist; und
insofern ist es offensichtlich, daß es vom ewigen Gesetz her abgeleitet wird.
Wenn es aber von der Vernunft abweicht, wird es ungerechtes Gesetz genannt und
hat nicht den Charakter eines Gesetzes, sondern vielmehr den einer
Gewalttätigkeit".(96) Und
weiter: "Jedes von Menschen erlassene Gesetz hat insoweit den Charakter eines
Gesetzes, insoweit es vom Naturgesetz abgeleitet wird. Wenn es aber in irgend
etwas von dem Naturgesetz abweicht, dann wird es nicht mehr Gesetz, sondern die
Zersetzung des Gesetzes sein".(97)
Die erste und unmittelbarste Anwendung dieser Lehre betrifft das menschliche
Gesetz, welches das jedem Menschen eigene fundamentale Grundrecht auf Leben
nicht anerkennt. Auf diese Weise befinden sich die Gesetze, die in Form der
Abtreibung und der Euthanasie die unmittelbare Tötung unschuldiger Menschen für
rechtmäßig erklären, in totalem und unversöhnlichem Widerspruch zu dem allen
Menschen eigenen unverletzlichen Recht auf Leben und leugnen somit die
Gleichheit aller vor dem Gesetz. Man könnte einwenden, daß das auf die
Euthanasie dann nicht zutreffe, wenn der betreffende Mensch bei vollem
Bewußtsein um sie gebeten hat. Aber ein Staat, der ein derartiges Ersuchen
legitimieren und seine Durchführung gestatten würde, würde gegen die
Grundprinzipien der Unverfügbarkeit des Lebens und des Schutzes jedes
menschlichen Lebens einen Selbstmord- bzw. Mordfall legalisieren. Auf diese
Weise wird dem Nachlassen der Achtung vor dem Leben Vorschub geleistet und
Haltungen der Weg geebnet, die das Vertrauen in die sozialen Beziehungen
zerstören.
Die Gesetze, die Abtreibung und Euthanasie zulassen und begünstigen, stellen
sich also nicht nur radikal gegen das Gut des einzelnen, sondern auch gegen das
Gemeinwohl und sind daher ganz und gar ohne glaubwürdige Rechtsgültigkeit.
Tatsächlich ist es die Nicht-Anerkennung des Rechtes auf Leben, die sich, gerade
weil sie zur Tötung des Menschen führt - in dessen Dienst zu stehen die
Gesellschaft ja den Grund ihres Bestehens hat -, am frontalsten und irreparabel
der Möglichkeit einer Verwirklichung des Gemeinwohls entgegenstellt. Daraus
folgt, daß ein staatliches Gesetz, wenn es Abtreibung und Euthanasie billigt,
eben darum kein wahres, sittlich verpflichtendes staatliches Gesetz mehr ist.
73. Abtreibung und Euthanasie sind also Verbrechen, die für
rechtmäßig zu erklären sich kein menschliches Gesetz anmaßen kann. Gesetze
dieser Art rufen nicht nur keine Verpflichtung für das Gewissen hervor, sondern
erheben vielmehr die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des
Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen. Seit den Anfangszeiten der
Kirche hat die Verkündigung der Apostel den Christen die Verpflichtung zum
Gehorsam gegenüber den rechtmäßig eingesetzten staatlichen Autoritäten
eingeschärft (vgl. Röm 13,1-7; 1 Petr 2,13-14), sie aber gleichzeitg
entschlossen ermahnt, daß "man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen" (Apg
5,29). Schon im Alten Testament finden wir in bezug auf die Bedrohungen gegen
das Leben ein gewichtiges Beispiel für den Widerstand gegen das ungerechte Gebot
der staatlichen Autorität. Die hebräischen Hebammen widersetzten sich dem
Pharao, der angeordnet hatte, jeden neugeborenen Knaben zu töten. Sie "taten
nicht, was ihnen der König von Ägypten gesagt hatte, sondern ließen die Kinder
am Leben" (Ex 1,17). Wichtig ist aber, auf den tieferen Grund dieses ihres
Verhaltens hinzuweisen: "Die Hebammen fürchteten Gott" (ebd.). Aus dem Gehorsam
gegenüber Gott - dem allein jene Furcht gebührt, die Anerkennung seiner
absoluten Souveränität ist - erwachsen die Kraft und der Mut, den ungerechten
Gesetzen der Menschen zu widerstehen. Die Kraft und der Mut dessen, der bereit
ist, auch ins Gefängnis zu gehen oder durch das Schwert umzukommen in der
Gewißheit, daß "sich hier die Standhaftigkeit und die Glaubenstreue der Heiligen
bewähren" muß (Offb 13,10).
Es ist daher niemals erlaubt, sich einem in sich ungerechten Gesetz, wie
jenem, das Abtreibung und Euthanasie zuläßt, anzupassen, "weder durch
Beteiligung an einer Meinungskampagne für ein solches Gesetz noch dadurch, daß
man bei der Abstimmung dafür stimmt".(98)
Ein besonderes Gewissensproblem könnte sich in den Fällen ergeben, in denen
sich eine parlamentarische Abstimmung als entscheidend dafür herausstellen
würde, in Alternative zu einem bereits geltenden oder zur Abstimmung gestellten
ungleich freizügigeren Gesetz ein restriktiveres Gesetz zu begünstigen, das
heißt ein Gesetz, das die Anzahl der erlaubten Abtreibungen begrenzt. Solche
Fälle sind nicht selten. Man kann nämlich Folgendes feststellen: Während in
manchen Teilen der Welt die nicht selten von mächtigen internationalen
Organisationen unterstützten Kampagnen für die Einführung von Gesetzen zur
Freigabe der Abtreibung weitergehen, werden dagegen in anderen Nationen -
besonders in jenen, die bereits die bittere Erfahrung mit derartigen freizügigen
Gesetzen hinter sich haben - Anzeichen eines Umdenkens sichtbar. In dem
hypothetisch angenommenen Fall ist es einleuchtend, daß es einem Abgeordneten,
dessen persönlicher absoluter Widerstand gegen die Abtreibung klargestellt und
allen bekannt wäre, dann, wenn die Abwendung oder vollständige Aufhebung eines
Abtreibungsgesetzes nicht möglich wäre, gestattet sein könnte,
Gesetzesvorschläge zu unterstützen, die die Schadensbegrenzung eines solchen
Gesetzes zum Ziel haben und die negativen Auswirkungen auf das Gebiet der Kultur
und der öffentlichen Moral vermindern. Auf diese Weise ist nämlich nicht eine
unerlaubte Mitwirkung an einem ungerechten Gesetz gegeben; vielmehr wird ein
legitimer und gebührender Versuch unternommen, die ungerechten Aspekte zu
begrenzen.
74. Die Einführung ungerechter Gesetzgebungen stellt
moralisch korrekte Menschen oft vor schwierige Gewissensprobleme, was die
Mitwirkung im Verhältnis zur gebührenden Geltendmachung des eigenen Rechtes
betrifft, nicht zur Teilnahme an sittlich schlechten Handlungen gezwungen zu
sein. Manchmal sind die Entscheidungen, die nötig erscheinen, schmerzlich und
können sogar das Opfer einer renommierten beruflichen Stellung oder den Verzicht
auf berechtigte Aufstiegs- und Karriereaussichten erfordern. In anderen Fällen
kann sich herausstellen, daß die Durchführung von an sich indifferenten oder
sogar positiven Handlungen, die in den Artikeln von insgesamt ungerechten
Gesetzgebungen vorgesehen sind, den Schutz bedrohter Menschenleben erlaubt.
Andererseits darf man jedoch mit Recht befürchten, daß die Bereitschaft zur
Durchführung solcher Handlungen nicht nur zu einem Stein des Anstoßes wird und
dem Nachlassen des notwendigen Widerstandes gegen Anschläge gegen das Leben
Vorschub leistet, sondern unmerklich dazu verleitet, immer mehr einer
permissiven Logik nachzugeben.
Zur Erhellung dieses schwierigen sittlichen Problems muß an die allgemeinen
Grundsätze über die Mitwirkung an schlechten Handlungen erinnert werden. Wie
alle Menschen guten Willens sind die Christen aufgerufen, aus ernster
Gewissenspflicht nicht an jenen Praktiken formell mitzuwirken, die, obgleich von
der staatlichen Gesetzgebung zugelassen, im Gegensatz zum Gesetz Gottes stehen.
Denn unter sittlichem Gesichtspunkt ist es niemals erlaubt, formell am Bösen
mitzuwirken. Solcher Art ist die Mitwirkung dann, wenn die durchgeführte
Handlung entweder auf Grund ihres Wesens oder wegen der Form, die sie in einem
konkreten Rahmen annimmt, als direkte Beteiligung an einer gegen das unschuldige
Menschenleben gerichteten Tat oder als Billigung der unmoralischen Absicht des
Haupttäters bezeichnet werden muß. Diese Mitwirkung kann niemals gerechtfertigt
werden, weder durch Berufung auf die Achtung der Freiheit des anderen, noch
dadurch, daß man sich auf die Tatsache stützt, daß das staatliche Gesetz diese
Mitwirkung vorsehe und fordere: denn für die Handlungen, die ein jeder
persönlich vornimmt, gibt es eine sittliche Verantwortlichkeit, der sich niemand
entziehen kann und nach der Gott selber einen jeden richten wird (vgl. Röm 2,6;
14,12).
Die Beteiligung am Begehen eines Unrechts zu verweigern, ist nicht nur eine
moralische Verpflichtung, sondern auch ein menschliches Grundrecht. Wenn es
nicht so wäre, würde der Mensch gezwungen sein, eine mit seiner Würde an sich
unvereinbare Handlung durchzuführen, und auf diese Weise würde seine Freiheit,
deren glaubwürdiger Sinn und deren Ziel auf der Hinordnung zum Wahren und Guten
beruhen, radikal gefährdet sein. Es handelt sich also um ein wesentliches Recht,
das eben als solches vom staatlichen Gesetz selbst vorgesehen und geschützt
werden müßte. In diesem Sinne müßte für die Ärzte, das Pflegepersonal und die
verantwortlichen Träger von Krankenhäusern, Kliniken und Pflegeheimen die
Möglichkeit sichergestellt sein, die Beteiligung an der Phase der Beratung,
Vorbereitung und Durchführung solcher Handlungen gegen das Leben zu verweigern.
Wer zum Mittel des Einspruchs aus Gewissensgründen greift, muß nicht nur vor
Strafmaßnahmen, sondern auch vor jeglichem Schaden auf gesetzlicher,
disziplinarischer, wirtschaftlicher und beruflicher Ebene geschützt sein.
"Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst"
(Lk 10,27): "fördere" das
Leben
75. Die Gebote Gottes lehren uns den Weg des Lebens. Die
negativen sittlichen Vorschriften, also jene, die die Wahl einer bestimmten
Handlung für sittlich unannehmbar erklären, haben einen absoluten Wert für die
menschliche Freiheit: sie gelten ausnahmslos immer und überall. Sie weisen
darauf hin, daß die Wahl bestimmter Verhaltensweisen mit der Liebe zu Gott und
mit der Würde des nach seinem Bild geschaffenen Menschen radikal unvereinbar
ist: eine solche Wahl kann daher keinesfalls durch die dahinterstehende gute
Absicht und die sich ergebenden guten Folgen aufgewogen werden; sie steht in
unversöhnlichem Gegensatz zu der Gemeinschaft zwischen den Menschen, sie
widerspricht der Grundentscheidung, sein Leben auf Gott hinzuordnen.(99)
Schon in diesem Sinne haben die negativen sittlichen Vorschriften eine
äußerst wichtige positive Funktion: das "Nein", das sie bedingungslos fordern,
nennt die unüberschreitbare Grenze, unter die der freie Mensch nicht gehen darf,
und zugleich gibt es das Minimum an, das er respektieren und von dem er ausgehen
muß, um unzählige "Ja" auszusprechen, die in der Lage sind, immer mehr den
Gesamthorizont des Guten zu erfassen (vgl. Mt 5,48). Die Gebote, insbesondere
die negativen sittlichen Vorschriften, sind der Anfang und die erste notwendige
Etappe des Weges zur Freiheit: "Die erste Freiheit - schreibt der hl. Augustinus
- besteht im Freisein von Verbrechen..., als da sind Mord, Ehebruch, Unzucht,
Diebstahl, Betrug, Gotteslästerung usw. Wenn einer mit diesen Vergehen nichts zu
tun hat (und kein Christ darf mit ihnen zu tun haben), beginnt er sein Haupt zur
Freiheit zu erheben, aber das ist erst der Anfang der Freiheit, nicht die
vollkommene Freiheit".(100)
76. Das Gebot "du sollst nicht töten" bestimmt also den
Ausgangspunkt für einen Weg in wahrer Freiheit, der uns dahin führt, das Leben
aktiv zu fördern und bestimmte Haltungen und Verhaltensweisen im Dienst am Leben
zu entwickeln: dadurch erfüllen wir unsere Verantwortlichkeit gegenüber den
Menschen, die sich uns anvertraut haben, und bringen in den Taten und in der
Wahrheit Gott unsere Dankbarkeit für das große Geschenk des Lebens zum Ausdruck
(vgl. Ps 139 [138],13-14).
Der Schöpfer hat das Leben des Menschen seiner verantwortlichen Fürsorge
anvertraut, nicht damit er willkürlich darüber verfüge, sondern damit er es mit
Weisheit bewahre und in liebevoller Treue verwalte. Der Gott des Bundes hat
entsprechend dem Gesetz der Gegenseitigkeit von Geben und Empfangen, von
Selbsthingabe und Annahme des anderen das Leben eines jeden Menschen dem anderen
Menschen, seinem Bruder, anvertraut. Als die Zeit erfüllt war, hat der Sohn
Gottes dadurch, daß er Mensch wurde und sein Leben für den Menschen hingab,
gezeigt, welche Höhe und Tiefe dieses Gesetz der Gegenseitigkeit erreichen kann.
Durch das Geschenk seines Geistes verleiht Christus dem Gesetz der
Gegenseitigkeit, dem Anvertrauen des Menschen an den Menschen neue Inhalte und
Bedeutungen. Der Geist, der Baumeister von Gemeinschaft in Liebe ist, stellt
zwischen den Menschen eine neue Brüderlichkeit und Solidarität her, einen echten
Abglanz des der heiligsten Dreifaltigkeit eigenen Geheimnisses von gegenseitiger
Hingabe und Annahme. Der Geist selbst wird zum neuen Gesetz, das den Gläubigen
die Kraft gibt und ihre Verantwortlichkeit dazu anspornt, durch Teilhabe an der
Liebe Jesu Christi selbst und nach ihrer Maßgabe gegenseitig die Selbsthingabe
und die Annahme des anderen zu leben.
77. Von diesem neuen Gesetz wird auch das Gebot "du sollst
nicht töten" beseelt und geformt. Für den Christen schließt es letzten Endes das
Pflichtgebot ein, den Ansprüchen und Dimensionen der Liebe Gottes in Jesus
Christus gemäß das Leben jedes Bruders zu achten, zu lieben und zu fördern: "Er
hat sein Leben für uns hingegeben. So müssen auch wir für die Brüder das Leben
hingeben" (1 Joh 3,16).
Das Gebot "du sollst nicht töten" verpflichtet jeden Menschen auch in seinen
positivsten Inhalten, nämlich Achtung, Liebe und Förderung des menschlichen
Lebens. Es läßt sich in der Tat als ein ununterdrückbares Echo des
ursprünglichen Bundes Gottes, des Schöpfers, mit dem Menschen im sittlichen
Bewußtsein eines jeden Menschen vernehmen; es kann von allen im Licht der
Vernunft erkannt und dank des geheimnisvollen Wirkens des Geistes wahrgenommen
werden, der, da er weht, wo er will (vgl. Joh 3,8), jeden in dieser Welt
lebenden Menschen erreicht und miteinbezieht.
Es ist also ein Liebesdienst, den wir verpflichtet sind unserem Nächsten zu
leisten, damit seinem Leben immer, vor allem aber, wenn es am schwächsten oder
bedroht ist, Schutz und Förderung zuteil werde. Es ist nicht nur persönliche,
sondern soziale Fürsorge, die wir alle dadurch ausüben müssen, daß wir die
bedingungslose Achtung vor dem menschlichen Leben zum tragenden Fundament einer
erneuerten Gesellschaft machen.
Es wird von uns verlangt, das Leben jedes Mannes und jeder Frau zu lieben und
zu ehren und mit Standhaftigkeit und Mut daran zu arbeiten, daß in unserer Zeit,
die allzu viele Zeichen des Todes aufweist, endlich eine neue Kultur des Lebens
als Frucht der Kultur der Wahrheit und der Liebe entstehen möge.
IV. Kapitel
Das habt ihr mir getan
Für eine neue Kultur des menschlichen Lebens
"Ihr aber seid ein Volk, das Gottes besonderes Eigentum wurde, damit es seine
großen Taten verkünde" (1 Petr 2,9): das Volk des Lebens und für das Leben
78. Die Kirche hat das Evangelium als Ankündigung und
Quelle von Freude und Heil empfangen. Sie hat es als Geschenk von Jesus
empfangen, der vom Vater gesandt wurde, "damit Er den Armen eine gute Nachricht
bringe" (Lk 4,18). Sie hat es durch die Apostel empfangen, die von Ihm in die
ganze Welt ausgesandt wurden (vgl. Mk 16,15; Mt 28,19-20). Die aus diesem
Einsatz für die Verkündigung des Evangeliums entstandene Kirche vernimmt in sich
selbst jeden Tag das mahnende Wort des Apostels: "Weh mir, wenn ich das
Evangelium nicht verkünde" (1 Kor 9,16). "Evangelisieren ist - schrieb Paul VI.
- in der Tat die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste
Identität. Sie ist da, um zu evangelisieren".(101)
Evangelisierung ist eine globale und dynamische Aktion, die die Kirche in
ihrer Teilhabe an der prophetischen, priesterlichen und königlichen Sendung des
Herrn Jesus einbezieht. Sie ist daher untrennbar mit den Dimensionen der
Verkündigung, der Feier und des Dienstes der Nächstenliebe verbunden. Sie ist
ein zutiefst kirchliches Tun, das alle heranzieht, die auf verschiedenste Weise
für das Evangelium tätig sind, einen jeden nach seinen Gaben und seinem Amt.
Das gilt auch für die Verkündigung des Evangeliums vom Leben, eines
wesentlichen Bestandteils des Evangeliums, das Jesus Christus ist. Wir stehen im
Dienst dieses Evangeliums, getragen von dem Bewußtsein, daß wir es als Geschenk
empfangen haben und ausgesandt sind, es der ganzen Menschheit "bis an die
Grenzen der Erde" (Apg 1,8) zu verkünden. Darum hegen wir das demütige und
dankbare Bewußtsein, das Volk des Lebens und für das Leben zu sein, und treten
so vor allen auf.
79. Wir sind das Volk des Lebens, weil Gott uns in seiner
unentgeltlichen Liebe das Evangelium vom Leben geschenkt hat und wir von diesem
Evangelium verwandelt und gerettet worden sind. Wir sind vom "Urheber des
Lebens" (Apg 3,15) um den Preis seines kostbaren Blutes erkauft (vgl. 1 Kor
6,20; 7,23; 1 Petr 1,19) und durch die Taufe in Ihn eingegliedert worden (vgl.
Röm 6,4-5; Kol 2,12) wie Zweige, die aus dem einen Stamm Lebenssaft und
Fruchtbarkeit ziehen (vgl. Joh 15,5). Innerlich erneuert durch die Gnade des
Geistes, der "Herr ist und lebendig macht", sind wir zu einem Volk für das Leben
geworden und sind aufgerufen, uns auch so zu verhalten.
Wir sind gesandt: im Dienst des Lebens zu stehen, ist für uns nicht
Prahlerei, sondern eine Verpflichtung, die aus dem Bewußtsein entsteht, "ein
Volk" zu sein, "das Gottes besonderes Eigentum wurde, damit es seine großen
Taten verkünde" (1 Petr 2,9). Auf unserem Weg führt und trägt uns das Gesetz der
Liebe: es ist die Liebe, deren Quelle und Vorbild der menschgewordene Gottessohn
ist, der "durch seinen Tod der Welt das Leben geschenkt hat".(102)
Wir sind als Volk gesandt. Die Verpflichtung zum Dienst am Leben lastet auf
allen und auf jedem einzelnen. Es handelt sich um eine "kirchliche"
Verantwortlichkeit im eigentlichen Sinn, die das aufeinander abgestimmte
hochherzige Handeln aller Mitglieder und aller Gruppierungen der christlichen
Gemeinde erfordert. Die gemeinschaftliche Aufgabe hebt jedoch die Verantwortung
des einzelnen Menschen, an den das Gebot des Herrn, für jeden Menschen "zum
Nächsten zu werden", gerichtet ist: "Dann geh und handle genauso!" (Lk 10, 37),
weder auf noch verringert sie diese.
Wir spüren alle miteinander die Verpflichtung, das Evangelium vom Leben zu
verkünden, es in der Liturgie und in unserem gesamten Dasein zu feiern, ihm mit
verschiedenen Initiativen und Strukturen zu dienen, die seine Unterstützung und
Förderung zum Ziele haben.
"Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch" (1 Joh 1,3):
das Evangelium vom Leben verkünden
80. "Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir
mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefaßt haben,
... das Wort des Lebens..., das verkünden wir auch euch, damit auch ihr
Gemeinschaft mit uns habt" (1 Joh 1,1.3). Jesus ist das einzige Evangelium: wir
haben nichts anderes zu sagen und zu bezeugen.
Die Verkündigung Jesu ist die Verkündigung des Lebens. Denn Er ist "das Wort
des Lebens" (1 Joh 1,1). In Ihm "wurde das Leben offenbart" (1 Joh 1,2); ja, Er
ist selber "das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbart wurde" (ebd.).
Dank der Gabe des Geistes wurde dieses Leben dem Menschen mitgeteilt. Wenn es
auf das Leben in Fülle, auf das "ewige Leben", hingeordnet ist, gewinnt auch das
"irdische Leben" seinen vollen Sinn.
Wenn wir von diesem Evangelium vom Leben erleuchtet werden, empfinden wir das
Bedürfnis, es in dem überraschend Neuen, das es kennzeichnet, zu verkünden und
zu bezeugen: da es sich mit Jesus selbst, dem Überbringer alles Neuen(103)
und Sieger über das "Alter", das aus der Sünde stammt und zum Tod führt,(104)
gleichsetzt, übersteigt dieses Evangelium jede menschliche Erwartung und macht
offenbar, zu welchen erhabenen Höhen sich die Würde der Person durch die Gnade
zu erheben vermag. Der hl. Gregor von Nyssa stellt folgende Betrachtung darüber
an: "Der Mensch, der unter den Lebewesen nichts zählt, der Staub, Gras,
Vergänglichkeit ist, wird, sobald vom Gott des Universums an Kindes Statt
angenommen, zum Vertrauten dieses Gottes, dessen Vollkommenheit und Größe
niemand sehen, hören und begreifen kann. Mit welchem Wort, Gedanken oder
Aufschwung des Geistes wird man je vermögen, den Überfluß dieser Gnade zu
preisen? Der Mensch übersteigt seine Natur: vom Sterblichen wird er zum
Unsterblichen, vom Vergänglichen zum Unvergänglichen, vom Vorübergehenden zum
Ewigen, er wird vom Menschen zu Gott".(105)
Die Dankbarkeit und Freude angesichts der unermeßlichen Würde des Menschen
spornt uns an, alle an dieser Botschaft teilhaben zu lassen: "Was wir gesehen
und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit
uns habt" (1 Joh 1,3). Man muß das Evangelium vom Leben zum Herzen jedes Mannes
und jeder Frau gelangen lassen und es in die verborgensten Winkel der ganzen
Gesellschaft einführen.
81. Es geht darum, zunächst die Mitte dieses Evangeliums zu
verkünden. Das bedeutet Verkündigung eines lebendigen und nahen Gottes, der uns
in eine tiefe Verbindung mit sich ruft und uns öffnet für die sichere Hoffnung
auf das ewige Leben; es bedeutet Geltendmachung des untrennbaren Zusammenhangs,
der zwischen der menschlichen Person, ihrem Leben und ihrer Leiblichkeit
besteht; es bedeutet Darstellung des menschlichen Lebens als Leben der
Beziehung, als Gottesgeschenk, als Frucht und Zeichen seiner Liebe; es bedeutet
Verkündigung der außergewöhnlichen Beziehung Jesu zu jedem Menschen, der es
ermöglicht, in jedem menschlichen Antlitz das Antlitz Christi zu erkennen; es
bedeutet Aufzeigen der "aufrichtigen Selbsthingabe" als Aufgabe und Ort voller
Verwirklichung der eigenen Freiheit.
Gleichzeitig gilt es sämtliche Konsequenzen aufzuzeigen, die sich aus diesem
Evangelium ergeben und die man wie folgt zusammenfassen kann: das menschliche
Leben, ein wertvolles Geschenk Gottes, ist heilig und unantastbar und daher sind
insbesondere die vorsätzliche Abtreibung und die Euthanasie absolut unannehmbar;
das Leben des Menschen darf nicht nur nicht ausgelöscht, sondern es muß mit
aller liebevollen Aufmerksamkeit geschützt werden; das Leben findet seinen Sinn
in der empfangenen und geschenkten Liebe, in deren Blickfeld Sexualität und
menschliche Fortpflanzung volle Wahrheit erlangen; in dieser Liebe haben auch
das Leiden und der Tod einen Sinn und können, wenngleich das Geheimnis, das sie
umfängt, weiterbesteht, zu Heilsereignissen werden; die Achtung vor dem Leben
erfordert, daß Wissenschaft und Technik stets auf den Menschen und seine
ganzheitliche Entwicklung hingeordnet werden; die ganze Gesellschaft muß die
Würde jeder menschlichen Person in jedem Augenblick und in jeder Lage ihres
Lebens achten, verteidigen und fördern.
82. Um wahrhaftig ein Volk im Dienst am Leben zu sein,
müssen wir von der ersten Verkündigung des Evangeliums an und später in der
Katechese und in den verschiedenen Verkündigungsformen, im persönlichen Gespräch
und in jeder erzieherischen Tätigkeit mit Standhaftigkeit und Mut diese Inhalte
vorlegen. Den Erziehern, Lehrern, Katecheten und Theologen obliegt die Aufgabe,
die anthropologischen Gründe hervorzuheben, auf die sich die Achtung vor jedem
Menschenleben gründet und stützt. Während wir das eigenartig Neue des
Evangeliums vom Leben zum Strahlen bringen, werden wir auf diese Weise allen
helfen können, auch im Licht der Vernunft und der Erfahrung zu entdecken, daß
die christliche Botschaft den Menschen und die Bedeutung seines Seins und seiner
Existenz voll erhellt; wir werden wertvolle Punkte für Begegnung und Dialog
auch mit den Nichtglaubenden finden, sind wir doch alle miteinander
verpflichtet, eine neue Kultur des Lebens erstehen zu lassen.
Während wir von den widersprüchlichsten Stimmen umgeben sind und viele die
gesunde Lehre über das Leben des Menschen verwerfen, spüren wir, daß die
inständige Bitte des Paulus an Timotheus auch an uns gerichtet ist: "Verkünde
das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht,
tadle, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung" (2 Tim 4,2). Diese
Ermahnung muß besonders im Herzen derer kräftigen Widerhall finden, die in der
Kirche auf verschiedene Weise an ihrer Sendung als "Lehrerin" der Wahrheit am
unmittelbarsten teilhaben. Sie soll vor allem bei uns Bischöfen Widerhall
finden: wir sind als erste dazu angehalten, unermüdliche Verkünder des
Evangeliums vom Leben zu sein; uns ist auch die Aufgabe anvertraut, über die
zuverlässige und getreue Weitergabe der in dieser Enzyklika neu vorgelegten
Lehre zu wachen und die geeignetsten Maßnahmen zu ergreifen, damit die Gläubigen
vor jeder Lehre, die ihr widerspricht, geschützt werden. Besondere
Aufmerksamkeit müssen wir darauf legen, daß an den theologischen Fakultäten, in
den Priesterseminaren und in den verschiedenen katholischen Institutionen die
Kenntnis der gesunden Lehre verbreitet, erklärt und vertieft wird.(106)
Die Ermahnung des Paulus möge von allen Theologen, von den Seelsorgern und von
allen anderen vernommen werden, die Aufgaben der Lehre, Katechese und
Gewissensbildung wahrnehmen: mögen sie im Bewußtsein der ihnen zukommenden Rolle
niemals die schwerwiegende Verantwortung auf sich nehmen, die Wahrheit und ihren
eigenen Auftrag dadurch zu verraten, daß sie persönliche Ideen vortragen, die im
Gegensatz zum Evangelium vom Leben stehen, wie es das Lehramt getreu vor- und
auslegt.
Bei der Verkündigung dieses Evangeliums dürfen wir nicht Feindseligkeit und
Unpopularität fürchten, wenn wir jeden Kompromiß und jede Zweideutigkeit
ablehnen, die uns der Denkweise dieser Welt angleichen würde (vgl. Röm 12,2).
Wir sollen in der Welt, aber nicht von der Welt sein (vgl. Joh 15,19; 17,16) mit
der Kraft, die uns von Christus kommt, der durch seinen Tod und seine
Auferstehung die Welt besiegt hat (vgl. Joh 16,33).
"Ich danke dir, daß du mich so wunderbar gestaltet hast"
(Ps 139 [138],14):
das Evangelium vom Leben feiern
83. Da wir als "Volk für das Leben" in die Welt gesandt
sind, soll unsere Verkündigung auch zu einer echten Feier des Evangeliums vom
Leben werden. Ja, durch die beschwörende Kraft ihrer Gesten, Symbole und Riten
wird diese Feier zum wertvollen und bedeutsamen Ort für die Weitergabe der
Schönheit und Größe dieses Evangeliums.
Dazu ist es vor allem dringend notwendig, in uns und in den anderen eine
kontemplative Sicht zu pflegen.(107)
Diese entsteht aus dem Glauben an den Gott des Lebens, der jeden Menschen
geschaffen und wunderbar gestaltet hat (vgl. Ps 139 [138],14). Es ist die Sicht
dessen, der das Leben dadurch in seiner Tiefe sieht, daß er dessen Dimensionen
der Unentgeltlichkeit, der Schönheit, der Herausforderung zu Freiheit und
Verantwortlichkeit erfaßt. Es ist die Sicht dessen, der sich nicht anmaßt, der
Wirklichkeit habhaft zu werden, sondern sie als ein Geschenk annimmt und dabei
in jedem Ding den Widerschein des Schöpfers und in jedem Menschen sein
lebendiges Abbild entdeckt (vgl. Gen 1,27; Ps 8,6). Diese Sicht kapituliert
nicht mutlos angesichts derer, die sich in Krankheit, in Leid, am Rande der
Gesellschaft und an der Schwelle des Todes befinden; sondern sie läßt sich von
allen diesen Situationen befragen, um nach einem Sinn zu suchen, und beginnt
gerade unter diesen Gegebenheiten, auf dem Antlitz jedes Menschen einen Aufruf
zu Gegenüberstellung, zu Dialog, zu Solidarität zu entdecken.
Es ist an der Zeit, daß alle diese Sicht übernehmen und so wieder fähig
werden, mit dem von ehrfürchtigem Staunen erfüllten Herzen jeden Menschen zu
ehren und zu achten, wie uns Paul VI. in einer seiner ersten
Weihnachtsbotschaften einlud zu tun.(108)
Beseelt von dieser kontemplativen Sicht, kann das neue Volk der Erlösten gar
nicht anders als in Freudes-, Lobes- und Dankeshymnen auszubrechen über das
unschätzbare Geschenk des Lebens, über das Geheimnis der Berufung jedes
Menschen, in Christus am Gnadenleben und an einer Existenz unendlicher
Gemeinschaft mit Gott, dem Schöpfer und Vater, teilzuhaben.
84. Das Evangelium vom Leben feiern heißt, den Gott des
Lebens, den Gott, der das Leben schenkt, feiern: "Wir müssen das ewige Leben
feiern, von dem jedes andere Leben herrührt. Von ihm empfängt jedes Wesen, das
in irgendeiner Weise am Leben teilhat, proportional zu seinen Fähigkeiten das
Leben. Dieses göttliche Leben, das über jedem Leben steht, belebt und bewahrt
das Leben. Jedes Leben und jede Lebensregung haben ihren Ursprung in diesem
Leben, das jedes Leben und jeden Lebensursprung übersteigt. Ihm verdanken die
Seelen ihre Unvergänglichkeit, sowie dank ihm alle Tiere und Pflanzen leben, die
das schwächste Echo des Lebens empfangen. Den Menschen, Wesen, die aus Geist
und Materie bestehen, schenkt das (göttliche) Leben das Leben. Wenn es dann
geschieht, daß wir es verlassen müssen, dann verwandelt uns das Leben wegen
seiner überströmenden Liebe zum Menschen und ruft uns zu sich. Nicht nur das: es
verheißt uns, uns, Seelen und Körper, in das vollkommene Leben, in die
Unsterblichkeit zu geleiten. Es ist zu wenig, wenn man sagt, dieses Leben ist
lebendig: es ist Lebensursprung, einzige Lebensursache und Lebensquelle. Jedes
Lebewesen muß es betrachten und preisen: es ist Leben, das in Leben
überströmt."(109)
Wie der Psalmist, so loben und preisen auch wir im persönlichen und
gemeinschaftlichen täglichen Gebet Gott, unseren Vater, der uns im Mutterschoß
gewoben und uns gesehen und geliebt hat, als wir noch ohne Gestalt waren (vgl.
Ps 139 [138],13.15-16), und mit unbezähmbarer Freude rufen wir aus: "Ich danke
dir, daß du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine
Werke" (Ps 139 [138],14). Ja, "dieses sterbliche Leben ist trotz seiner Mühen,
seiner dunklen Geheimnisse, seiner Leiden, seiner unabwendbaren Hinfälligkeit
eine sehr schöne Sache, ein immer originelles und ergreifendes Wunder, ein
Ereignis, würdig mit Freude und Lobpreis besungen zu werden".(110)
Mehr noch, der Mensch und sein Leben erscheinen uns nicht nur als eines der
größten Wunderwerke der Schöpfung: Gott hat dem Menschen eine beinahe göttliche
Würde verliehen (vgl. Ps 8,6-7). In jedem Kind, das geboren wird, und in jedem
Menschen, der lebt oder der stirbt, erkennen wir das Abbild der Herrlichkeit
Gottes: diese Herrlichkeit feiern wir in jedem Menschen, der Zeichen des
lebendigen Gottes, Ikone Jesu Christi ist.
Wir sind aufgerufen, Staunen und Dankbarkeit über das als Geschenk empfangene
Leben zum Ausdruck zu bringen und das Evangelium vom Leben nicht nur im
persönlichen und gemeinschaftlichen Gebet, sondern vor allem in den Feiern des
liturgischen Jahres anzunehmen, zu genießen und mitzuteilen. Hier muß im
besonderen an die Sakramente als wirksame Zeichen für die Gegenwart und das
Heilswirken des Herrn Jesus in der christlichen Existenz erinnert werden: sie
machen die Menschen dadurch zu Teilhabern am göttlichen Leben, daß sie ihnen die
nötige geistliche Kraft sicherstellen, um in ihrer vollen Wahrheit die Bedeutung
des Lebens, des Leidens und des Sterbens zu realisieren. Dank einer echten
Wiederentdeckung des Sinnes der Riten und dank ihrer angemessenen Bewertung
werden die liturgischen Feiern, vor allem jene sakramentalen Charakters, immer
mehr in der Lage sein, die volle Wahrheit über die Geburt, das Leben, das Leiden
und den Tod auszudrücken und so dazu verhelfen, diese Wirklichkeit als Teilhabe
am Ostermysterium des gestorbenen und auferstandenen Christus zu erleben.
85. Bei der Feier des Evangeliums vom Leben muß man auch
die Gesten und die Symbole zu würdigen und zu schätzen wissen, an denen die
verschiedenen kulturellen und volkstümlichen Traditionen und Bräuche so reich
sind. Es handelt sich um Gelegenheiten und Formen der Begegnung, mit denen in
den verschiedenen Ländern und Kulturen die Freude über ein neugeborenes Leben,
die Achtung und die Verteidigung jedes menschlichen Lebens, die Sorge für den
Kranken oder Notleidenden, die Nähe zum Alten oder Sterbenden, die Teilnahme am
Schmerz des Trauernden, die Hoffnung und die Sehnsucht nach Unsterblichkeit zum
Ausdruck gebracht werden.
Aus dieser Sicht greife ich auch die von den Kardinälen im Konsistorium von
1991 gebotene Anregung auf und schlage vor, man möge in den verschiedenen
Nationen jedes Jahr einen Tag für das Leben feiern, wie er bereits auf
Initiative einiger Bischofskonferenzen begangen wird. Dieser Tag muß unter der
aktiven Beteiligung aller Mitglieder der Ortskirche vorbereitet und gefeiert
werden. Sein wesentliches Ziel ist es, in den Gewissen, in den Familien, in der
Kirche und in der zivilen Gesellschaft das Erkennen des Sinnes und Wertes zu
wecken, den das menschliche Leben zu jedem Zeitpunkt und unter jeder Bedingung
hat; in das Zentrum der Aufmerksamkeit soll dabei besonders das schwerwiegende
Problem von Abtreibung und Euthanasie gerückt werden, ohne jedoch die anderen
Augenblicke und Aspekte des Lebens zu übergehen, die je nachdem, was die
geschichtliche Entwicklung nahelegt, jeweils aufmerksame Beachtung verdienen.
86. In der Logik des gottgefälligen geistlichen Kultes
(vgl. Röm 12,1) soll sich die Feier des Evangeliums vom Leben vor allem in dem
in Liebe zu den anderen und in Selbsthingabe gelebten Alltagsdasein vollziehen.
Auf diese Weise wird unsere ganze Existenz zur glaubwürdigen und
verantwortungsbewußten Aufnahme des Geschenkes des Lebens und zu einem
aufrichtigen, dankbaren Lobpreis an Gott, der uns dieses Geschenk gemacht hat.
Das geschieht bereits in vielen, vielen Akten eines oft schlichten und
verborgenen Sichverschenkens, die von Männern und Frauen, Kindern und
Erwachsenen, Jungen und Alten, Gesunden und Kranken vollbracht werden.
In diesem an Menschlichkeit und Liebe reichen Rahmen entstehen auch die
heroischen Taten. Sie sind die feierlichste Verherrlichung des Evangeliums vom
Leben, weil sie es mit totaler Selbsthingabe verkünden; sie sind die leuchtende
Offenbarung des höchsten Grades von Liebe, der darin besteht, daß einer sein
Leben für den geliebten Menschen hingibt (vgl. Joh 15,13); sie sind die Teilhabe
am Geheimnis des Kreuzes, an dem Jesus offenbar macht, welchen Wert für Ihn das
Leben jedes Menschen hat und wie es sich in der aufrichtigen Selbsthingabe voll
verwirklicht. Jenseits aufsehenerregender Taten gibt es den Heroismus im Alltag,
der aus kleinen und großen Gesten des Teilens besteht, die eine echte Kultur des
Lebens fördern. Unter diesen Gesten verdient die in ethisch annehmbaren Formen
durchgeführte Organspende besondere Wertschätzung, um Kranken, die bisweilen
jeder Hoffnung beraubt sind, die Möglichkeit der Gesundheit oder sogar des
Lebens anzubieten.
Zu diesem Heroismus im Alltag gehört das stille, aber um so fruchtbarere und
beredtere Zeugnis "aller mutigen Mütter, die sich vorbehaltlos ihrer Familie
widmen, die unter Schmerzen ihre Kinder zur Welt bringen und dann bereit sind,
jede Mühe und jedes Opfer auf sich zu nehmen, um ihnen das Beste weiterzugeben,
was sie in sich tragen".(111)
Wenn sie ihre Sendung leben, "finden diese heroischen Mütter dabei in ihrer
Umgebung nicht immer Unterstützung. Ja, die Vorbilder der Zivilisation, wie sie
häufig von den Massenmedien vorgestellt und verbreitet werden, begünstigen nicht
die Mutterschaft. Im Namen des Fortschritts und der Moderne werden die Werte der
Treue, der Keuschheit und des Opfers heute als überholt hingestellt, und doch
haben sich in diesen Werten ganze Scharen von christlichen Gattinnen und Müttern
ausgezeichnet und tun es weiter... Wir danken euch, heroische Mütter, für eure
unbesiegbare Liebe! Wir danken euch für euer unerschrockenes Vertrauen auf Gott
und seine Liebe. Wir danken euch für das Opfer eures Lebens... Im Ostergeheimnis
erstattet euch Christus das Geschenk zurück, das ihr Ihm gemacht habt. Denn Er
hat die Macht, euch das Leben zurückzugeben, das ihr Ihm als Opfer dargebracht
habt".(112)
"Meine Brüder, was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen
die Werke?" (Jak 2,14): dem Evangelium vom Leben dienen
87. Kraft der Teilhabe an der königlichen Sendung Christi
müssen sich die Unterstützung und Förderung des menschlichen Lebens durch den
Dienst der Nächstenliebe verwirklichen, der im persönlichen Zeugnis, in den
verschiedenen Formen des freiwilligen Einsatzes, im sozialen Handeln und im
politischen Engagement zum Ausdruck kommt. Das ist zur Stunde eine besonders
dringende Forderung, da sich die "Kultur des Todes" so mächtig der "Kultur des
Lebens" widersetzt und bisweilen die Oberhand zu gewinnen scheint. Davor liegt
jedoch noch eine Forderung, die aus dem Glauben entsteht, "der in der Liebe
wirksam ist" (Gal 5,6), wie uns der Jakobusbrief ermahnt: "Meine Brüder, was
nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa
der Glaube ihn retten? Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung ist
und ohne das tägliche Brot und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden,
wärmt und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen -
was nützt das? So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke
vorzuweisen hat" (2,14-17).
Beim Dienst der Nächstenliebe muß uns eine Haltung beseelen und kennzeichnen:
wir müssen uns des anderen als Person annehmen, die von Gott unserer
Verantwortung anvertraut worden ist. Als Jünger Jesu sind wir berufen, uns zum
Nächsten jedes Menschen zu machen (vgl. Lk 10,29-37) und dabei dem Ärmsten,
Einsamsten und Bedürftigsten besonderen Vorzug zu gewähren. Dadurch, daß wir dem
Hungernden, dem Dürstenden, dem Fremden, dem Nackten, dem Kranken, dem
Gefangenen - wie auch dem ungeborenen Kind, dem alten Menschen in seinem Leiden
oder unmittelbar vor seinem Tod - helfen, dürfen wir Jesus dienen, wie Er selber
gesagt hat: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr
mir getan" (Mt 25,40). Daher müssen wir uns von dem immer noch aktuellen Wort
des hl. Johannes Chrysostomus angesprochen und beurteilt fühlen: "Willst du dem
Leib Christi Ehre erweisen? Vernachlässige ihn nicht, wenn er nackt ist. Ehre
ihn nicht hier im Tempel mit Seidenstoffen, um ihn dann draußen, wo er unter
Kälte und Nacktheit leidet, zu lassen".(113)
Der Dienst der Liebe gegenüber dem Leben muß zutiefst einheitlich sein: er
darf keine Einseitigkeiten und Diskriminierungen dulden, denn das menschliche
Leben ist in jeder Phase und in jeder Situation heilig und unverletzlich; es ist
ein unteilbares Gut. Es geht also darum, sich des ganzen Lebens und des Lebens
aller "anzunehmen". Ja, noch tiefgründiger: es gilt, bis an die eigentlichen
Wurzeln des Lebens und der Liebe zu gehen.
Ausgehend von einer tiefen Liebe zu jedem Mann und jeder Frau hat sich im
Laufe der Jahrhunderte eine außergewöhnliche Geschichte der Liebe entwickelt,
die in das kirchliche und staatliche Leben zahlreiche Strukturen für den Dienst
am Leben eingeführt hat, die bei jedem unvoreingenommenen Beobachter Bewunderung
hervorrufen. Es ist eine Geschichte, die mit erneuertem Verantwortungsgefühl
jede christliche Gemeinde durch ein vielfältiges pastorales und soziales Handeln
weiterschreiben muß. In diesem Sinne müssen ausreichende und wirksame Formen der
Begleitung des sich entfaltenden Lebens in die Tat umgesetzt werden, wobei es
darum geht, jenen Müttern besonders nahe zu sein, die sich auch ohne
Unterstützung durch den Vater nicht scheuen, ihr Kind zur Welt zu bringen und zu
erziehen. Gleiche Fürsorge muß dem Leben am Rande der Gesellschaft oder im
Leiden, besonders in seiner Schlußphase, erwiesen werden.
88. Das alles erfordert eine geduldige und mutige
Erziehungsarbeit, die alle und jeden einzelnen dazu anhalten soll, die Last der
anderen zu tragen (vgl. Gal 6,2); es verlangt besonders unter der Jugend eine
ständige Förderung von Berufungen zum Dienst; es schließt die Durchführung
konkreter, fester und vom Evangelium angeregter Vorhaben und Initiativen ein.
Vielfältig sind die Mittel, die mit Kompetenz und ernsthaftem Einsatz
abgeschätzt werden müssen. Im Hinblick auf den Ursprung des Lebens gilt es, die
Zentren für die natürlichen Methoden der Fruchtbarkeitsregelung als eine
wirksame Hilfe für die verantwortliche Elternschaft zu fördern, wobei jeder
Mensch, vom Kind angefangen, um seiner selbst willen anerkannt und geachtet und
jede Entscheidung vom Kriterium der aufrichtigen Selbsthingabe angeregt und
geleitet wird. Auch die Ehe- und Familienberater leisten durch ihre spezifische
Tätigkeit der Beratung und Vorbeugung, die sie im Licht einer der christlichen
Auffassung vom Menschen, vom Paar und von der Sexualität entsprechenden
Anthropologie ausüben, einen wertvollen Dienst, um den Sinn der Liebe und des
Lebens wiederzuentdecken und jede Familie in ihrer Sendung als "Heiligtum des
Lebens" zu unterstützen und zu begleiten. In den Dienst am sich entfaltenden
Leben stellen sich auch die Zentren für Lebenshilfe und die Häuser oder Zentren
zur Aufnahme des Lebens. Dank ihrer Arbeit gewinnen viele unverheiratete Mütter
und in Schwierigkeiten geratene Paare wieder Sinn und Überzeugungen und finden
Beistand und Hilfe, um Unbehagen und Ängste bei der Annahme eines sich
entfaltenden oder gerade zur Welt gekommenen Lebens zu überwinden.
Angesichts des Lebens in elendem, herabgekommenem Zustand, in der Situation
der Entgleisung, in Krankheit und am Rande der Gesellschaft sind andere
Instrumente - wie die Gemeinschaften zur Wiederherstellung von
Drogenabhängigen, die Wohngemeinschaften für die Minderjährigen oder die
Geisteskranken, die Zentren zur Behandlung und Aufnahme von AIDS-Kranken, die
Solidaritätsgemeinschaften vor allem für die Behinderten - beredter Ausdruck
dessen, was sich die Liebe auszudenken vermag, um einem jeden neuen Grund zur
Hoffnung und konkrete Lebensmöglichkeiten zu geben.
Wenn sich dann das irdische Dasein seinem Ende zuneigt, ist es wiederum die
Liebe, die die geeignetsten Bedingungen ausfindig macht, damit alte Menschen,
besonders wenn sie sich nicht mehr selbst versorgen können, und die sogenannten
Kranken im Endstadium sich einer wirklich menschlichen Fürsorge erfreuen und
Antworten erhalten können, die ihren Bedürfnissen, insbesondere ihrer Angst und
Einsamkeit angemessen sind. Unersetzlich ist in diesen Fällen die Rolle der
Familien; aber diese können in den sozialen Strukturen der Fürsorge und - falls
notwendig - bei der Anwendung der palliativen Behandlungsmethoden große Hilfe
finden, wenn sie sich geeigneter Gesundheits- und Sozialdienste bedienen, die
sowohl in den öffentlichen Krankenhäusern, Kliniken und Pflegeheimen als auch zu
Hause tätig sind.
Neu nachgedacht werden muß über die Rolle der Krankenhäuser, der Kliniken und
der Pflegeheime: ihre wahre Identität ist nicht einfach jene von Strukturen, in
denen man sich der Kranken und Sterbenden annimmt, sondern vor allem die
Identität einer Umgebung, in welcher das Leiden, der Schmerz und der Tod in
ihrer menschlichen und spezifisch christlichen Bedeutung erkannt und gedeutet
werden. In besonderer Weise als klar und wirksam erweisen muß sich diese
Identität in den Instituten, die von Ordensleuten abhängig oder jedenfalls an
die Kirche gebunden sind.
89. Diese Strukturen und Orte des Dienstes am Leben und
alle anderen Initiativen zu Hilfe und Solidarität, die die jeweiligen
Situationen wachrufen können, müssen von Personen belebt werden, die auf
hochherzige Weise verfügbar und sich zutiefst dessen bewußt sind, wie
entscheidend das Evangelium vom Leben für das Wohl des einzelnen und der
Gesellschaft ist.
Von besonderer Art ist die den im Gesundheitswesen Tätigen anvertraute
Verantwortung: der Ärzte, Apotheker, Krankenschwestern und Krankenpfleger, der
Seelsorger, Ordensleute, Verwalter und der freiwilligen Helfer. Ihr Beruf macht
sie zu Hütern und Dienern des menschlichen Lebens. In dem heutigen kulturellen
und sozialen Umfeld, in dem die Wissenschaft und die ärztliche Kunst Gefahr
laufen, die ihnen eigene ethische Dimension zu verlieren, können sie bisweilen
stark versucht sein, zu Urhebern der Manipulation des Lebens oder gar zu
Todesvollstreckern zu werden. Angesichts dieser Versuchung ist ihre
Verantwortung heute enorm gewachsen und findet ihre tiefste Inspiration und
stärkste Stütze gerade in der dem Ärzteberuf innewohnenden, unumgänglichen
ethischen Dimension, wie schon der alte und immer noch aktuelle hippokratische
Eid erkannte, demgemäß von jedem Arzt verlangt wird, sich zur absoluten Achtung
vor dem menschlichen Leben und seiner Heiligkeit zu verpflichten.
Die absolute Achtung jedes unschuldigen Menschenlebens erfordert auch die
Ausübung des Einspruchs aus Gewissensgründen gegen vorsätzliche Abtreibung und
Euthanasie. "Sterben lassen" darf niemals als eine medizinische Behandlung
angesehen werden, auch dann nicht, wenn man nur die Absicht hätte, damit einer
Bitte des Patienten nachzukommen: es ist vielmehr die Verneinung des ärztlichen
Berufes, der sich als leidenschaftliches und hartnäckiges "Ja" zum Leben
qualifiziert. Auch die biomedizinische Forschung, ein faszinierendes und neue
große Wohltaten für die Menschheit verheißendes Gebiet, muß immer die
Durchführung von Experimenten, Forschungen bzw. Anwendungen ablehnen, die
infolge der Mißachtung der unverletzlichen Würde des Menschen nicht mehr im
Dienst der Menschen stehen und zu Realitäten werden, die sie, obwohl sie ihnen
zu helfen scheinen, tatsächlich unterdrücken.
90. Zu einer besonderen Rolle berufen sind die Personen,
die sich im Freiwilligendienst engagieren: sie leisten einen wertvollen Beitrag
im Dienst am Leben, wenn sie berufliche Fähigkeit und hochherzige,
unentgeltliche Liebe zu verbinden verstehen. Das Evangelium vom Leben spornt
sie an, die Gefühle einfacher Menschenliebe auf die Höhe der Christusliebe
emporzuheben; jeden Tag inmitten von Ermüdung und Überdruß das Bewußtsein von
der Würde jedes Menschen zurückzugewinnen; die Bedürfnisse der Menschen
ausfindig zu machen und dabei, wenn nötig, dort neue Wege einzuschlagen, wo die
Not am dringendsten ist und Beachtung und Hilfe am schwächsten sind.
Der hartnäckige Realismus der Liebe erfordert, daß dem Evangelium vom Leben
auch durch Formen sozialen Handelns und politischen Engagements, durch die
Verteidigung und Förderung des Wertes des Lebens in unseren immer komplexeren
und pluralistischeren Gesellschaften gedient wird. Einzelne, Familien, Gruppen,
Gemeinschaften haben, und sei es auch in je verschiedener Weise, eine
Verantwortung im sozialen Handeln und in der Erarbeitung kultureller,
wirtschaftlicher, politischer und gesetzgeberischer Vorhaben, die unter Achtung
aller und nach der Logik des demokratischen Zusammenlebens zum Aufbau einer
Gesellschaft beitragen sollen, in der die Würde jedes Menschen anerkannt und
geschützt und das Leben aller verteidigt und gefördert wird.
Diese Aufgabe lastet im besonderen auf den Verantwortlichen für die
Staatsangelegenheiten. Da sie dazu bestellt sind, dem Menschen und dem
Gemeinwohl zu dienen, haben sie die Pflicht, vor allem im Bereich der von der
Gesetzgebung getroffenen Verfügungen mutige Entscheidungen zugunsten des Lebens
zu treffen. In einer demokratischen Regierungsform, in der auf Grund der
Zustimmung vieler die Gesetze verabschiedet und die Entscheidungen gefällt
werden, kann sich im Gewissen der einzelnen, die mit Autorität ausgestattet
sind, der Sinn für die persönliche Verantwortung abschwächen. Aber niemand kann
auf sie je verzichten, vor allem dann nicht, wenn er ein Gesetzgebungs- oder
Entscheidungsmandat innehat, das ihn ruft, sich vor Gott, vor dem eigenen
Gewissen und vor der Gesamtgesellschaft über Entscheidungen, die eventuell dem
wirklichen Gemeinwohl entgegenstehen, zu verantworten. Wenn die Gesetze auch
nicht das einzige Mittel sind, um das menschliche Leben zu verteidigen, so
spielen sie doch eine sehr wichtige und manchmal entscheidende Rolle bei der
Förderung einer Denkweise und einer Gewohnheit. Ich wiederhole noch einmal, daß
eine Vorschrift, die das natürliche Recht auf Leben eines Unschuldigen
verletzt, unrecht ist und als solche keinen Gesetzeswert haben kann. Deshalb
erneuere ich mit Nachdruck meinen Appell an alle Politiker, keine Gesetze zu
erlassen, die durch Mißachtung der Würde der Person das bürgerliche
Zusammenleben selber an der Wurzel bedrohen.
Die Kirche weiß, daß es im Rahmen pluralistischer Demokratien wegen des
Vorhandenseins starker kultureller Strömungen mit verschiedenem Ansatz schwierig
ist, einen wirksamen gesetzlichen Schutz des Lebens in die Tat umzusetzen. Doch
veranlaßt von der Gewißheit, daß die sittliche Wahrheit im Inneren jedes
Gewissens ein Echo haben muß, ermutigt sie die Politiker, angefangen bei jenen,
die Christen sind, nicht zu resignieren und jene Entscheidungen zu treffen, die
unter Berücksichtigung der konkreten Möglichkeiten zur Wiederherstellung einer
gerechten Ordnung bei der Geltendmachung und Förderung des Wertes des Lebens
führen sollen. Im Hinblick darauf muß unterstrichen werden, daß es mit der
Aufhebung der ungerechten Gesetze nicht getan ist. Man wird die Ursachen
beseitigen müssen, die den Angriffen gegen das Leben Vorschub leisten, indem man
vor allem für Familie und Mutterschaft die gebührende Unterstützung
sicherstellt: die Familienpolitik muß Grundlage und Motor jeder Sozialpolitik
sein. Es gilt daher, soziale und gesetzgeberische Initiativen in Gang zu setzen,
die imstande sind, bei der Entscheidung bezüglich der Elternschaft Bedingungen
echter Freiheit zu garantieren; außerdem ist es notwendig, die Arbeitspolitik,
die Städtebaupolitik, die Wohnungsbau- und Dienstleistungspolitik neu zu
ordnen, damit die Arbeitszeiten und der Zeitplan der Familie aufeinander
abgestimmt werden können und die Betreuung der Kinder und der alten Menschen
tatsächlich möglich wird.
91. Ein wichtiges Kapitel der Politik für das Leben stellt
heute die Problematik des Bevölkerungswachstums dar. Die staatlichen Behörden
haben gewiß die Verantwortung, mit Initiativen "auf das Bevölkerungswachstum
einzuwirken";(114) aber
solche Initiativen müssen immer die vorrangige und unveräußerliche
Verantwortlichkeit der Ehegatten und der Familien voraussetzen und respektieren
und dürfen nicht Methoden anwenden, die die Person und ihre Grundrechte
mißachten, angefangen bei dem Recht jedes unschuldigen menschlichen Geschöpfes
auf Leben. Es ist daher sittlich unannehmbar, daß man wegen der Geburtenregelung
zur Anwendung von Mitteln wie Empfängnisverhütung, Sterilisation und Abtreibung
ermutigt, ja sie sogar auferlegt.
Es gibt sehr wohl andere Wege, um das Problem des Bevölkerungswachstums zu
lösen: die Regierungen und die verschiedenen internationalen Einrichtungen
müssen vor allem die Schaffung wirtschaftlicher, sozialer,
medizinisch-sanitärer und kultureller Verhältnisse anstreben, die es den
Eheleuten erlauben, ihre die Fortpflanzung betreffenden Entscheidungen in voller
Freiheit und mit wirklicher Verantwortung zu treffen; sodann müssen sie sich "um
die Vermehrung der Mittel und die gerechtere Verteilung des Reichtums kümmern,
so daß alle gleichmäßig an den Gütern der Schöpfung beteiligt werden. Es muß
nach Lösungen auf Weltebene gesucht werden durch Einrichtung einer glaubwürdigen
Wirtschaftsgemeinschaft und Güterverteilung sowohl auf internationaler wie auf
nationaler Ebene".(115)
Das ist der einzige Weg, der nicht nur die Würde der Person und der Familien,
sondern auch das authentische Kulturerbe der Völker achtet.
Der Dienst am Evangelium vom Leben ist daher umfassend und vielschichtig. Er
erscheint uns zunehmend als wertvoller und geeigneter Rahmen für eine
tatkräftige Zusammenarbeit mit den Brüdern der anderen christlichen Kirchen und
Gemeinschaften, und zwar auf der Linie jenes Ökumenismus der Werke, zu dem das
II. Vatikanische Konzil maßgebend ermutigt hat.(116)
Außerdem erscheint er als willkommener Raum für den Dialog und die
Zusammenarbeit mit den Anhängern anderer Religionen und mit allen Menschen guten
Willens: niemand besitzt das Monopol auf den Schutz und die Förderung des
Lebens, sondern sie sind Aufgabe und Verantwortung aller. Es ist eine schwierige
Herausforderung, die vor dem nahen dritten Jahrtausend vor uns liegt: allein die
einträchtige Zusammenarbeit aller, die an den Wert des Lebens glauben, wird eine
Niederlage der Zivilisation von unvorhersehbaren Ausmaßen vermeiden können.
"Kinder sind eine Gabe des Herrn, die Frucht des Leibes ist sein Geschenk"
(Ps 127 [126],3): die Familie "Heiligtum des Lebens"
92. Innerhalb des "Volkes des Lebens und für das Leben"
kommt es entscheidend auf die Verantwortlichkeit der Familie an: eine
Verantwortlichkeit, die dem der Familie eigenen Wesen - nämlich auf die Ehe
gegründete Lebens- und Liebesgemeinschaft zu sein - und ihrer Sendung, "die
Liebe zu hüten, zu offenbaren und mitzuteilen"(117)
entspringt. Es geht um die Liebe Gottes selbst, dessen Mitwirkende und
gleichsam Interpreten seiner Liebe die Eltern sind, wenn sie dem Plan des
Vaters entsprechend das Leben weitergeben und erziehen.(118)
Die Liebe wird somit zu unentgeltlichem Dienst, zu Aufnahme, zum Geschenk: in
der Familie wird ein jeder anerkannt, geachtet und geehrt, weil er Person ist,
und wenn einer es nötig hat, wird ihm intensivere und aufmerksamere Fürsorge
zuteil.
Die Familie wird in die gesamte Lebensspanne ihrer Mitglieder hineingezogen,
von der Geburt bis zum Tod. Sie ist wahrlich "das Heiligtum des Lebens..., der
Ort, an dem das Leben, Gabe Gottes, in angemessener Weise angenommen und gegen
die vielfältigen Angriffe, denen es ausgesetzt ist, geschützt wird und wo es
sich entsprechend den Forderungen eines echten menschlichen Wachstums entfalten
kann".(119)
Darum ist die Rolle der Familie beim Aufbau der Kultur des Lebens entscheidend
und unersetzlich.
Als Hauskirche ist die Familie aufgerufen, das Evangelium vom Leben zu
verkünden, zu feiern und ihm zu dienen. Dies ist vor allem Aufgabe der Eheleute,
die berufen sind, das Leben weiterzugeben auf der Grundlage eines immer wieder
erneuerten Bewußtseins vom Sinn der Zeugung als bevorzugtem Ereignis, in dem
offenbar wird, daß das menschliche Leben ein Geschenk ist, um seinerseits
weitergeschenkt zu werden. Bei der Zeugung eines neuen Lebens werden die Eltern
gewahr, daß ihr Kind, "wenn es Frucht ihrer gegenseitigen Schenkung aus Liebe
ist, seinerseits ein Geschenk für beide ist: eine Gabe, die der Gabe
entspringt".(120)
Vor allem durch die Erziehung der Kinder erfüllt die Familie ihre Sendung,
das Evangelium vom Leben zu verkünden. Durch das Wort und das Beispiel in den
täglichen Beziehungen und Entscheidungen und durch konkrete Gesten und Zeichen
führen die Eltern ihre Kinder in die echte Freiheit ein, die sich in der
aufrichtigen Selbsthingabe verwirklicht, und bilden in ihnen die Achtung vor dem
anderen, den Gerechtigkeitssinn, die herzliche Aufnahme, den Dialog, den
großzügigen Dienst, die Solidarität und jeden anderen Wert aus, der helfen soll,
das Leben als ein Geschenk zu leben. Die Erziehungsarbeit der christlichen
Eltern muß zum Dienst am Glauben der Kinder und zu ihnen angebotener Hilfe
werden, damit sie die von Gott empfangene Berufung erfüllen können. Es gehört
zum Erziehungsauftrag der Eltern, die Kinder durch Zeugnis den wahren Sinn des
Leidens und Sterbens zu lehren: das wird ihnen gelingen, wenn sie jedes Leiden
in ihrer Umgebung beachten und wenn sie noch vorher für die Entwicklung von
Haltungen sorgen wie Nähe, Fürsorge, Anteilnahme gegenüber Kranken und Alten im
Familienkreis.
93. Des weiteren feiert die Familie das Evangelium vom
Leben durch das tägliche Gebet, das persönliche und das Gebet in der Familie:
mit ihm lobt sie den Herrn und dankt Ihm für die Gabe des Lebens und fleht um
Licht und Kraft, um mit schwierigen Situationen und Leiden fertigzuwerden, ohne
die Hoffnung zu verlieren. Aber die Feier, die jeder anderen Gebets- und
Kultform erst Sinn gibt, ist diejenige, die sich im alltäglichen Dasein der
Familie ausdrückt, wenn es denn ein Dasein ist, das von Liebe und
Sichverschenken bestimmt wird.
Die Feier wird so zu einem Dienst am Evangelium vom Leben, der sich durch die
innerhalb und außerhalb der Familie als zuvorkommende, wachsame und herzliche
Aufmerksamkeit in den kleinen und anspruchslosen Handlungen des Alltags erlebte
Solidarität ausdrückt. Einen besonders bedeutsamen Ausdruck findet die
Solidarität zwischen den Familien in der Bereitschaft, von ihren Eltern
verlassene oder in schlimmen, elenden Verhältnissen lebende Kinder zu adoptieren
oder sich ihrer anzunehmen. Die wahre Elternliebe kann über die Bande des
Fleisches und Blutes hinausgehen und Kinder anderer Familien aufnehmen, indem
ihnen geboten wird, was für ihr Leben und ihre Entfaltung nötig ist. Unter den
Adoptionsmöglichkeiten verdient auch die Adoption aus der Ferne Beachtung; ihr
ist in den Fällen der Vorzug zu geben, in denen die große Armut der Familie der
einzige Grund dafür ist, daß ein Kind im Stich gelassen wird. Durch diesen
Adoptionstyp werden den Eltern die nötigen Mittel bereitgestellt, damit sie ihre
Kinder erhalten und erziehen können, ohne sie ihrer natürlichen Umgebung
entwurzeln zu müssen.
Die Solidarität, die als "feste und beständige Entschlossenheit, sich für das
Gemeinwohl einzusetzen"(121)
verstanden wird, muß auch durch Formen sozialer und politischer Beteiligung in
die Tat umgesetzt werden. Infolgedessen ist der Dienst am Evangelium vom Leben
damit verbunden, daß sich die Familien besonders durch aktive Mitgliedschaft in
eigenen Familienverbänden darum bemühen, daß die Gesetze und Einrichtungen des
Staates auf keinen Fall das Recht auf Leben von der Empfängnis bis zum
natürlichen Tod verletzen, sondern es schützen und fördern.
94. Ein Sonderplatz muß den alten Menschen eingeräumt
werden. Während in einigen Kulturen der Mensch vorgerückten Alters mit einer
wichtigen aktiven Rolle in die Familie eingebunden bleibt, wird hingegen in
anderen Kulturen der alte Mensch als eine unnütze Last empfunden und sich selbst
überlassen: in einem solchen Umfeld kann leichter die Versuchung zum Rückgriff
auf die Euthanasie auftauchen.
Die Abschiebung oder gar Ablehnung der alten Menschen ist unerträglich. Ihre
Anwesenheit in der Familie oder wenigstens die Nähe der Familie zu ihnen, wenn
es wegen beengter Wohnverhältnisse oder aus anderen Gründen keine realen
Alternativen zum Krankenhaus oder Altenheim geben sollte, sind von grundlegender
Bedeutung, um ein Klima gegenseitigen Austausches und bereichernder
Kommunikation zwischen den verschiedenen Altersgruppen herzustellen. Es ist
deshalb sehr wichtig, daß man eine Art "Vertrag" zwischen den Generationen
beibehält bzw. dort, wo er verloren gegangen ist, wiederherstellt, so daß die
alten Eltern, wenn sie am Ende ihres Weges angekommen sind, bei den Kindern die
Aufnahme und die Solidarität finden können, die sie ihnen ihrerseits
entgegengebracht haben, als diese dem Leben entgegengingen: das fordert der
Gehorsam gegen das göttliche Gebot, Vater und Mutter zu ehren (vgl. Ex 20, 12;
Lev 19,3). Aber das ist nicht alles. Der alte Mensch ist nicht nur als Objekt
der Aufmerksamkeit, der Nähe und des Dienstes zu betrachten. Auch er hat einen
wertvollen Beitrag zum Evangelium vom Leben zu leisten. Dank des im Laufe der
Jahre erworbenen reichen Erfahrungsschatzes kann und muß er einer sein, der
Weisheit weitergibt sowie Zeugnis von Hoffnung und Liebe ablegt.
Auch wenn es stimmt, daß "die Zukunft der Menschheit über die Familie
geht",(122)
muß man zugeben, daß die heutigen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen
Bedingungen die Aufgabe der Familie, dem Leben zu dienen, oft erschweren und
mühsam gestalten. Damit sie ihre Berufung als "Heiligtum des Lebens", als Zelle
einer Gesellschaft, die das Leben liebt und aufnimmt, verwirklichen kann, ist
es dringend nötig, daß die Familie selbst Hilfe und Unterstützung erfährt. Die
Gesellschaften und die Staaten müssen ihr alle jene, auch wirtschaftliche Hilfe
sicherstellen, die die Familien brauchen, damit sie ihren Problemen auf humanere
Weise nachkommen können. Die Kirche ihrerseits muß unermüdlich eine
Familienpastoral fördern, die jede Familie anzuspornen vermag, mit Freude und
Mut ihre Sendung gegenüber dem Evangelium vom Leben wiederzuentdecken und zu
leben.
"Lebt als Kinder des Lichts!"
(Eph 5,8): um eine kulturelle Wende
herbeizuführen
95. "Lebt als Kinder des Lichts... Prüft, was dem Herrn
gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis" (Eph 5,8.10-11).
Im heutigen gesellschaftlichen Kontext, der von einem dramatischen Kampf
zwischen der "Kultur des Lebens" und der "Kultur des Todes" gekennzeichnet ist,
muß man einen starken kritischen Geist zum Reifen bringen, der die wahren Werte
und die echten Erfordernisse zu erkennen in der Lage ist.
Es bedarf dringend einer allgemeinen Mobilisierung der Gewissen und einer
gemeinsamen sittlichen Anstrengung, um eine große Strategie zugunsten des Lebens
in die Tat umzusetzen. Wir müssen alle zusammen eine neue Kultur des Lebens
aufbauen: neu, weil sie in der Lage sein muß, die heute neu anstehenden Probleme
in bezug auf das Leben des Menschen aufzugreifen und zu lösen; neu, weil sie
eben mit stärkerer und tätiger Überzeugung von seiten aller Christen aufgebaut
werden muß; neu, weil sie in der Lage sein muß, zu einer ernsthaften und mutigen
kulturellen Gegenüberstellung mit allen anzuregen. Die Dringlichkeit dieser
kulturellen Wende hängt mit der historischen Situation zusammen, in der wir uns
befinden, aber sie wurzelt vor allem im Evangelisierungsauftrag, der wesenhaft
zur Kirche gehört. Denn das Evangelium hat zum Ziel, "die Menschheit von innen
her umzuwandeln, sie zu erneuern";(123)
es ist wie die Hefe, die den ganzen Teig durchsäuert (vgl. Mt 13,33), und als
solches dazu bestimmt, alle Kulturen zu durchdringen und sie von innen her zu
beleben,(124) damit sie die ganze Wahrheit über den Menschen und über sein
Leben zum Ausdruck bringen.
Beginnen muß man bei der Erneuerung der Kultur des Lebens innerhalb der
christlichen Gemeinden selbst. Allzu oft verfallen die Gläubigen, sogar jene,
die aktiv am kirchlichen Leben teilnehmen, auf eine Art Trennung zwischen dem
christlichen Glauben und seinen sittlichen Forderungen in bezug auf das Leben,
was schließlich zum moralischen Subjektivismus und zu manchen unannehmbaren
Verhaltensweisen führt. Wir müssen uns also mit großer Klarheit und mutig
fragen, welche Kultur des Lebens heutzutage unter den einzelnen Christen, in den
Familien, den Gruppen und den Gemeinden unserer Diözesen verbreitet ist. Mit
derselben Klarheit und Entschiedenheit müssen wir feststellen, welche Schritte
wir vorzunehmen aufgerufen sind, um dem Leben der Fülle seiner Wahrheit
entsprechend zu dienen. Zugleich müssen wir mit allen, auch mit den
Nichtglaubenden, an den Stätten des Denkens und geistigen Schaffens ebenso wie
in den verschiedenen Berufsbereichen und dort, wo sich täglich das Leben eines
jeden abspielt, eine ernsthafte und gründliche Auseinandersetzung über die
Grundprobleme des menschlichen Lebens anstellen.
96. Der erste und grundlegende Schritt für die
Verwirklichung dieser kulturellen Wende besteht in der Bildung des sittlichen
Gewissens hinsichtlich des unermeßlichen und unverletzlichen Wertes jedes
Menschenlebens. Von größter Bedeutung ist die Wiederentdeckung des untrennbaren
Zusammenhanges zwischen Leben und Freiheit. Das sind voneinander untrennbare
Güter: wo das eine verletzt wird, wird zum Schluß auch das andere verletzt. Es
gibt keine wahre Freiheit, wo das Leben nicht aufgenommen und geliebt wird; und
Leben im Vollsinn gibt es nur in der Freiheit. Diese beiden Wirklichkeiten haben
außerdem eine angestammte Sonderbeziehung, die sie unlösbar verbindet: die
Berufung zur Liebe. Diese Liebe als aufrichtige Selbsthingabe(125)
ist der eigentlichste Sinn des Lebens und der Freiheit der Person.
Nicht minder entscheidend bei der Gewissensbildung ist die Wiederentdeckung
des Zusammenhanges, der zwischen Freiheit und Wahrheit besteht. Wie ich
wiederholt hervorgehoben habe, macht es die Entwurzelung der Freiheit von der
objektiven Wahrheit unmöglich, die Rechte der Person auf einer festen rationalen
Basis zu begründen, und schafft die Vorbedingungen dafür, daß sich in der
Gesellschaft die unlenkbare Willkür einzelner oder der beschämende
Totalitarismus der staatlichen Macht durchsetzen.(126)
Es kommt also wesentlich darauf an, daß der Mensch die urgegebene
Augenfälligkeit seines Zustandes als Geschöpf anerkennt, das von Gott das Sein
und das Leben als Gabe und Aufgabe empfängt: nur wenn er diese seine angeborene
Abhängigkeit im Sein annimmt, kann der Mensch voll sein Leben und seine Freiheit
verwirklichen und zugleich zutiefst das Leben und die Freiheit jedes anderen
Menschen achten. Hier vor allem erweist sich, daß "im Mittelpunkt jeder Kultur
die Haltung steht, die der Mensch dem größten Geheimnis gegenüber einnimmt: dem
Geheimnis Gottes".(127)
Wenn Gott geleugnet wird und man lebt, als ob Er nicht existierte oder wenn man
sich nicht an seine Gebote hält, wird man am Ende auch leicht die Würde der
menschlichen Person und die Unantastbarkeit ihres Lebens leugnen oder
kompromittieren.
97. In engem Zusammenhang mit der Gewissensbildung steht
die Erziehungsarbeit, die dem Menschen hilft, immer mehr Mensch zu sein, die ihn
immer tiefer in die Wahrheit einführt, ihn zu einer wachsenden Achtung vor dem
Leben anleitet und ihn für die rechten zwischenmenschlichen Beziehungen
heranbildet.
Besonders notwendig ist es, zum Wert des Lebens von seinen Ursprüngen an zu
erziehen. Es ist eine Illusion zu meinen, man könne eine echte Kultur des
menschlichen Lebens aufbauen, wenn man den jungen Menschen nicht hilft, die
Sexualität, die Liebe und das ganze Sein in ihrer wahren Bedeutung und in ihrer
tiefen Wechselbeziehung zu begreifen und zu leben. Die Geschlechtlichkeit, ein
Reichtum der ganzen Person, "zeigt ihre tiefste Bedeutung darin, daß sie die
Person zur Hingabe ihrer selbst in der Liebe führt".(128)
Die Banalisierung der Sexualität gehört zu den hauptsächlichen Faktoren, in
denen die Verachtung des vorgeburtlichen Lebens ihren Ursprung hat: nur eine
echte Liebe vermag das Leben zu hüten. Man kann also nicht umhin, vor allem den
Heranwachsenden und Jugendlichen die authentische Erziehung zur Sexualität und
zur Liebe anzubieten, eine Erziehung, die die Erziehung zur Keuschheit als
Tugend beinhaltet, die die Reife der Person fördert und sie befähigt, die
"bräutliche" Bedeutung des Körpers zu achten.
Das Werk der Erziehung zum Leben schließt die Formung der Eheleute im
Hinblick auf die verantwortliche Zeugung der Nachkommenschaft ein. Diese
erfordert in ihrer wahren Bedeutung, daß sich die Ehegatten dem Ruf des Herrn
fügen und als treue Interpreten seines Planes handeln: das ist der Fall, wenn
die Familie sich großherzig neuem Leben öffnet und auch dann in einer Haltung
der Offenheit für das Leben und des Dienstes an ihm bleibt, wenn die Ehepartner
aus ernstzunehmenden Gründen und unter Achtung des Moralgesetzes entscheiden,
vorläufig oder für unbestimmte Zeit eine neue Geburt zu vermeiden. Das
Moralgesetz verpflichtet sie in jedem Fall, die Neigungen des Instinkts und der
Leidenschaften zu beherrschen und die ihrer Person eingeschriebenen biologischen
Gesetze zu beachten. Im Dienst der Verantwortlichkeit bei der Zeugung erlaubt
gerade diese Beachtung die Anwendung der natürlichen Methoden der
Fruchtbarkeitsregelung: sie werden vom wissenschaftlichen Standpunkt her immer
besser erklärt und bieten konkrete Möglichkeiten für Entscheidungen an, die mit
den sittlichen Werten im Einklang stehen.
Eine gewissenhafte Betrachtung der erzielten Ergebnisse müßte noch zu sehr
verbreitete Vorurteile fallen lassen und die Gatten sowie das im Gesundheits-
und im Sozialdienst tätige Personal von der Wichtigkeit einer diesbezüglich
angemessenen Aufklärung überzeugen. Die Kirche ist denjenigen dankbar, die sich
unter persönlichen Opfern und mit oft verkannter Hingabe für die Erforschung und
Verbreitung solcher Methoden einsetzen und gleichzeitig eine Erziehung zu den
sittlichen Werten fördern, die deren Anwendung voraussetzt.
Die Erziehungsarbeit muß auch das Leiden und den Tod in Betracht ziehen.
Tatsächlich gehören sie ja zur menschlichen Erfahrung, und es ist vergeblich und
darüber hinaus abwegig zu versuchen, sie einer Zensur zu unterwerfen oder zu
verdrängen. Hingegen soll jedem geholfen werden, ihr tiefes Geheimnis in der
konkreten und harten Wirklichkeit zu erfassen. Auch der Schmerz und das Leiden
haben einen Sinn und einen Wert, wenn sie in enger Verbindung mit der
empfangenen und verschenkten Liebe gelebt werden. In dieser Perspektive wollte
ich, daß man jedes Jahr den Welttag der Kranken begehe, wobei ich "den Heilswert
der Aufopferung des Leidens" betonte, "das, in Vereinigung mit Christus
ertragen, zum eigentlichen Wesen der Erlösung gehört".(129)
Im übrigen ist sogar der Tod alles andere als ein Abenteuer ohne Hoffnung: er
ist das Tor des Lebens, das sich zur Ewigkeit hin auftut, und für alle, die ihn
bewußt in Christus leben, ist er Erfahrung der Teilhabe am Geheimnis von Tod und
Auferstehung.
98. Zusammenfassend können wir sagen, daß die hier
herbeigewünschte kulturelle Wende von allen den Mut verlangt, einen neuen
Lebensstil zu entfalten, der sich darin ausdrückt, daß den konkreten
Entscheidungen - auf persönlicher, familiärer, gesellschaftlicher und
internationaler Ebene - die rechte Werteskala zugrunde gelegt wird: der Vorrang
des Seins vor dem Haben,(130)
der Person vor den Dingen.(131)
Dieser erneuerte Lebensstil schließt auch ein, daß wir uns ändern von der
Gleichgültigkeit zur Anteilnahme für den anderen und von der Ablehnung zu seiner
Aufnahme: die anderen sind nicht Konkurrenten, vor denen wir uns verteidigen
müssen, sondern Brüder und Schwestern, mit denen wir solidarisch sein sollen;
sie müssen um ihrer selbst willen geliebt werden; sie bereichern uns durch ihre
Gegenwart.
Bei der Mobilisierung für eine neue Kultur des Lebens darf sich niemand
ausgeschlossen fühlen: alle haben eine wichtige Rolle zu erfüllen. Neben der
Aufgabe der Familien ist jene der Lehrer und der Erzieher besonders wertvoll. Es
wird sehr von ihnen abhängen, ob die auf eine echte Freiheit vorbereiteten
jungen Leute imstande sein werden, echte Ideale vom Leben in sich zu bewahren
und um sich herum zu verbreiten und in der Achtung vor jedem und im Dienst an
jedem Menschen in Familie und Gesellschaft zu wachsen.
Auch die Intellektuellen können viel für den Aufbau einer neuen Kultur des
menschlichen Lebens tun. Eine besondere Aufgabe obliegt den katholischen
Intellektuellen, die aufgerufen sind, aktiv präsent zu sein an den bevorzugten
Stätten des kulturellen Schaffens, in der Welt der Schule und der Universität,
in den Kreisen der wissenschaftlichen und technischen Forschung, an den Orten
des künstlerischen Schaffens und der humanistischen Reflexion. Sie sollen ihren
Geist und ihr Handeln aus den klaren lebenspendenden Säften des Evangeliums
nähren und sich engagieren im Dienst einer neuen Kultur des Lebens, durch die
Erstellung ernsthafter, gut dokumentierter Beiträge, die wegen ihres Wertes das
Ansehen und das Interesse aller auf sich zu ziehen vermögen. Gerade aus dieser
Sicht habe ich die Päpstliche Akademie für das Leben mit der Aufgabe
eingerichtet, "zu studieren, zu informieren und zu bilden über die Hauptprobleme
der Biomedizin und des Rechts, die im Zusammenhang mit der Förderung und der
Verteidigung des Lebens stehen, vor allem in der direkten Beziehung, die sie mit
der christlichen Moral und den Anweisungen des Lehramtes der Kirche haben".(132) Ein
Beitrag spezifischer Art wird auch von den Universitäten, im besonderen von den
katholischen, und von den Zentren, Instituten und Komitees für Bioethik kommen
müssen.
Groß und schwer ist die Verantwortung der in den Massenmedien Tätigen, die
aufgerufen sind, sich dafür einzusetzen, daß die mit so großer Wirksamkeit
weitergegebenen Botschaften zur Kultur des Lebens beitragen mögen. Sie müssen
also erhabene und vornehme Lebensbeispiele präsentieren und den positiven und
mitunter heroischen Zeugnissen von der Liebe zum Menschen Raum verschaffen; mit
großem Respekt die Werte der Sexualität und der Liebe vorstellen, ohne sich über
das zu verbreiten, was die Würde des Menschen entstellt und herabsetzt. Beim
Lesen der Wirklichkeit müssen sie sich weigern etwas herauszustellen, was
Gefühle oder Haltungen der Gleichgültigkeit, Verachtung oder Ablehnung gegenüber
dem Leben wecken oder wachsen lassen kann. In gewissenhafter Treue zur Wahrheit
der Tatsachen sind sie aufgerufen, die Freiheit der Information, die Achtung vor
jeder Person und einen tiefen Sinn für Humanität miteinander zu verbinden.
99. Bei der kulturellen Wende zugunsten des Lebens haben
die Frauen einen einzigartigen und vielleicht entscheidenden Denk- und
Handlungsspielraum: sie sind es, die einen "neuen Feminismus" fördern müssen,
der, ohne in die Versuchung zu verfallen, "Männlichkeits"-Vorbildern
nachzujagen, durch den Einsatz zur Überwindung jeder Form von Diskriminierung,
Gewalt und Ausbeutung den echten weiblichen Geist in allen Ausdrucksformen des
bürgerlichen Zusammenlebens zu erkennen und zu bekunden versteht.
Indem ich die Worte der Schlußbotschaft des II. Vatikanischen Konzils
aufgreife, richte auch ich an die Frauen die dringende Aufforderung: Versöhnt
die Menschen mit dem Leben!"(133)
Ihr seid berufen, den Sinn der echten Liebe zu bezeugen, jener Selbsthingabe und
jener Aufnahme des anderen, die sich zwar auf besondere Weise in der ehelichen
Beziehung verwirklichen, die aber die Seele jeder anderen zwischenmenschlichen
Beziehung sein sollen. Die Erfahrung der Mutterschaft begünstigt in euch eine
scharfe Sensibilität für den anderen Menschen und überträgt euch zugleich eine
besondere Aufgabe: "Die Mutterschaft enthält eine besondere Gemeinschaft mit dem
Geheimnis des Lebens, das im Schoß der Frau heranreift... Diese einmalige Weise
des Kontaktes mit dem neuen Menschen, der Gestalt annimmt, schafft seinerseits
eine derartige Einstellung zum Menschen - nicht nur zum eigenen Kind, sondern
zum Menschen als solchem -, daß dadurch die ganze Persönlichkeit der Frau tief
geprägt wird".(134) Denn die
Mutter nimmt einen anderen Menschen auf und trägt ihn in sich, gibt ihm die
Möglichkeit, in ihr heranzuwachsen, macht ihm Platz und achtet ihn zugleich in
seinem Anderssein. So nimmt die Frau wahr und lehrt, daß die menschlichen
Beziehungen glaubwürdig sind, wenn sie sich der Aufnahme des anderen Menschen
öffnen, der um der Würde willen anerkannt und geliebt wird, die ihm aus der
Tatsache seines Personseins und nicht aus anderen Faktoren, wie Nützlichkeit,
Kraft, Intelligenz, Schönheit, Gesundheit, zukommt. Das ist der fundamentale
Beitrag, den sich die Kirche und die Menschheit von den Frauen erwarten. Und es
ist die unersetzliche Voraussetzung für eine echte kulturelle Wende.
Einen besonderen Gedanken möchte ich euch, den Frauen, vorbehalten, die sich
für eine Abtreibung entschieden haben. Die Kirche weiß, wie viele Bedingtheiten
auf eure Entscheidung Einfluß genommen haben können, und sie bezweifelt nicht,
daß es sich in vielen Fällen um eine leidvolle, vielleicht dramatische
Entscheidung gehandelt hat. Die Wunde in eurem Herzen ist wahrscheinlich noch
nicht vernarbt. Was geschehen ist, war und bleibt in der Tat zutiefst unrecht.
Laßt euch jedoch nicht von Mutlosigkeit ergreifen, und gebt die Hoffnung nicht
auf. Sucht vielmehr das Geschehene zu verstehen und interpretiert es in seiner
Wahrheit. Falls ihr es noch nicht getan habt, öffnet euch voll Demut und
Vertrauen der Reue: der Vater allen Erbarmens wartet auf euch, um euch im
Sakrament der Versöhnung seine Vergebung und seinen Frieden anzubieten. Ihr
werdet merken, daß nichts verloren ist, und werdet auch euer Kind um Vergebung
bitten können, das jetzt im Herrn lebt. Mit Hilfe des Rates und der Nähe
befreundeter und zuständiger Menschen werdet ihr mit eurem erlittenen Zeugnis
unter den beredtesten Verfechterinnen des Rechtes aller auf Leben sein können.
Durch euren Einsatz für das Leben, der eventuell von der Geburt neuer Geschöpfe
gekrönt und mit der Aufnahme und Aufmerksamkeit gegenüber dem ausgeübt wird, der
der Nähe am meisten bedarf, werdet ihr eine neue Betrachtungsweise des
menschlichen Lebens schaffen.
100. Bei dieser großen Anstrengung für eine neue Kultur
des Lebens werden wir von dem Vertrauen derer unterstützt und angeregt, die
wissen, daß das Evangelium vom Leben wie das Reich Gottes wächst und seine
reichen Früchte bringt (vgl. Mt 4,26-29). Sicherlich besteht ein enormes
Mißverhältnis zwischen den zahllosen und mächtigen Mitteln, mit denen die Kräfte
ausgestattet sind, die zur Unterstützung der "Kultur des Todes" am Werk sind,
und jenen, über die die Förderer einer "Kultur des Lebens und der Liebe"
verfügen. Doch wissen wir, daß wir auf die Hilfe Gottes vertrauen dürfen, für
den nichts unmöglich ist (vgl. Mt 19,26).
Mit dieser Gewißheit im Herzen und bewegt von der betrübten Sorge um das
Schicksal jedes Mannes und jeder Frau, wiederhole ich heute für alle, was ich
den Familien gesagt habe, die sich unter den sie bedrohenden Gefahren in ihren
schwierigen Aufgaben engagieren:(135)
es bedarf dringend eines großangelegten Gebetes für das Leben, das die ganze
Welt durchdringen soll. Mit außerordentlichen Initiativen und im gewohnten Gebet
möge von jeder christlichen Gemeinde, von jeder Gruppe oder Vereinigung, von
jeder Familie und vom Herzen jedes Gläubigen ein leidenschaftliches, inständiges
Bittgebet zu Gott, dem Schöpfer und Freund des Lebens, emporsteigen. Jesus
selber hat uns durch sein Beispiel gezeigt, daß Gebet und Fasten die
hauptsächlichen und wirksamsten Waffen gegen die Kräfte des Bösen sind (vgl. Mt
4,1-11), und hat seine Jünger gelehrt, daß manche Dämonen sich nur auf diese
Weise austreiben lassen (vgl. Mk 9,29). Finden wir also wieder die Demut und den
Mut zum Beten und
Fasten, um zu erreichen, daß die Kraft, die vom Himmel kommt, die Mauern aus
Betrug und Lüge zum Einsturz bringt, die die perverse Natur lebensfeindlicher
Verhaltensweisen und Gesetze vor den Blicken vieler unserer Brüder und
Schwestern verbergen, und ihre Herzen für die Vorschläge und Absichten öffnet,
die sich an der Zivilisation des Lebens und der Liebe inspirieren.
"Wir schreiben dies, damit unsere Freude vollkommen ist"
(1 Joh 1,4): das
Evangelium vom Leben ist für die Gesellschaft der Menschen
101. "Wir schreiben dies, damit unsere Freude vollkommen
ist" (1 Joh 1,4). Die Offenbarung des Evangeliums vom Leben ist uns als Gut
gegeben, das allen mitgeteilt werden soll: damit alle Menschen mit uns und mit
der Dreifaltigkeit Gemeinschaft haben (vgl. 1 Joh 1,3). Unsere Freude könnte gar
nicht vollkommen sein, wenn wir dieses Evangelium den anderen nicht mitteilten,
sondern es nur für uns behielten.
Das Evangelium vom Leben ist nicht ausschließlich für die Gläubigen da: es
ist für alle da. Die Frage des Lebens und seiner Verteidigung und Förderung ist
nicht alleiniges Vorrecht der Christen. Auch wenn es vom Glauben
außerordentliches Licht und Kraft empfängt, gehört es jedem menschlichen
Gewissen, das sich nach der Wahrheit sehnt und um das Schicksal der Menschheit
bedacht und besorgt ist. Es gibt im Leben sicherlich einen heiligen und
religiösen Wert, aber er betrifft keineswegs nur die Gläubigen: es geht in der
Tat um einen Wert, den jeder Mensch auch im Lichte der Vernunft erfassen kann
und der deshalb notwendigerweise alle betrifft.
Unser Handeln als "Volk des Lebens und für das Leben" verlangt daher, richtig
ausgelegt und mit Sympathie aufgenommen zu werden. Wenn die Kirche die
unbedingte Achtung vor dem Recht auf Leben jedes unschuldigen Menschen - von der
Empfängnis bis zu seinem natürlichen Tod - zu einer der Säulen erklärt, auf die
sich jede bürgerliche Gesellschaft stützt, "will sie lediglich einen humanen
Staat fördern. Einen Staat, der die Verteidigung der Grundrechte der
menschlichen Person, besonders der schwächsten, als ihre vorrangige Pflicht
anerkennt".(136)
Das Evangelium vom Leben ist für die Gesellschaft der Menschen da. Für das
Leben eintreten heißt zur Erneuerung der Gesellschaft durch den Aufbau des
Gemeinwohls beitragen. Denn ohne Anerkennung und Schutz des Rechtes auf Leben,
auf dem alle anderen unveräußerlichen Rechte des Menschen beruhen und sich
entwickeln, läßt sich das Gemeinwohl unmöglich aufbauen. Noch kann eine
Gesellschaft gesicherte Grundlagen haben, die - während sie Werte wie Würde der
Person, Gerechtigkeit und Frieden geltend macht - sich von Grund auf
widerspricht, wenn sie die verschiedensten Formen von Mißachtung und Verletzung
des menschlichen Lebens akzeptiert oder duldet, vor allem, wenn es sich um
schwaches oder ausgegrenztes Leben handelt. Nur die Achtung vor dem Leben kann
die wertvollsten und notwendigsten Güter der Gesellschaft, wie die Demokratie
und den Frieden, stützen und garantieren.
Es kann in der Tat keine echte Demokratie geben, wenn nicht die Würde jeder
Person anerkannt wird und seine Rechte nicht respektiert werden.
Und es kann auch keinen wahren Frieden geben, wenn man nicht das Leben
verteidigt und fördert. Daran erinnerte Paul VI.: "Jedes Vergehen gegen das
Leben ist ein Attentat auf den Frieden, besonders wenn dabei die Sitten des
Volkes verletzt werden [...]. Wo aber die Menschenrechte wirklich ernst genommen
und öffentlich anerkannt und verteidigt werden, dort kann der Friede zu einer
Atmosphäre werden, in der sich das soziale Zusammenleben glücklich und
wirkungsvoll entwickelt".(137)
Das "Volk des Lebens" freut sich, seinen Einsatz mit vielen anderen teilen zu
können, so daß das "Volk für das Leben" immer zahlreicher wird und die neue
Kultur der Liebe und Solidarität wachsen kann zum wahren Wohl der Gesellschaft
der Menschen.
Schluß
102. Am Ende dieser Enzyklika kehrt der Blick
unwillkürlich zum Herrn Jesus zurück, "der uns als Kind geboren worden ist"
(vgl. Jes 9,5), um in ihm "das Leben" zu betrachten, "das offenbart wurde" (1
Joh 1,2). Im Geheimnis dieser Geburt vollzieht sich die Begegnung Gottes mit
dem Menschen und beginnt der Weg des Gottessohnes auf Erden, ein Weg, der im
Verschenken seines Lebens am Kreuz seinen Höhepunkt erreichen wird: mit seinem
Tod wir Er den Tod besiegen und für die ganze Menschheit zum Prinzip neuen
Lebens werden.
Maria, die Jungfrau und Mutter, war es, die "das Leben" im Namen aller und
zum Heil aller empfing. Sie steht also in engster persönlicher Beziehung zum
Evangelium vom Leben. Die Zustimmung Mariens bei der Verkündigung und ihre
Mutterschaft stehen am Ursprung des Geheimnisses des Lebens, das den Menschen zu
schenken Christus gekommen ist (vgl. Joh 10,10). Durch ihre Aufnahme und ihre
bereitwillige Fürsorge um das Leben des fleischgewordenen Wortes ist das Leben
des Menschen der Verdammnis des endgültigen und ewigen Todes entzogen worden.
Darum ist Maria "Mutter aller, die zum Leben wiedergeboren werden, genauso
wie die Kirche, deren Vorbild sie ist. Sie ist Mutter jenes Lebens, von dem
alle leben. Dadurch, daß sie das Leben gebar, hat sie jene zu neuem Leben
erweckt, die von diesem Leben leben sollten".(138)
Bei der Betrachtung der Mutterschaft Mariens entdeckt die Kirche den Sinn
ihrer eigenen Mutterschaft und die Art, wie sie diese zum Ausdruck zu bringen
berufen ist. Gleichzeitig enthüllt die Muttererfahrung der Kirche die
tiefgründigste Sicht, um die Erfahrung Mariens als unvergleichliches Vorbild für
die Aufnahme und Pflege des Lebens zu begreifen.
"Es erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne
bekleidet" (Offb 12,1): die Mutterschaft Mariens und der Kirche
103. Die gegenseitige Beziehung zwischen dem Geheimnis der
Kirche und Maria drückt sich deutlich im "großen Zeichen" aus, wie es in der
Offenbarung beschrieben ist: "Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine
Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von
zwölf Sternen auf ihrem Haupt" (12,1). In diesem Zeichen erkennt die Kirche ein
Bild ihres Geheimnisses: auch wenn sie in die Geschichte eingetaucht ist, ist
sie sich zugleich bewußt, daß sie diese übersteigt, insofern sie auf Erden den
"Keim und Anfang" des Reiches Gottes darstellt.(139)
Dieses Geheimnis sieht die Kirche voll und beispielhaft in Maria verwirklicht.
Sie ist die glorreiche Frau, in der der Plan Gottes mit größter Vollkommenheit
ausgeführt werden konnte.
Die "mit der Sonne bekleidete Frau" - berichtet das Buch der Offenbarung -
"war schwanger" (12,2). Die Kirche ist sich voll dessen bewußt, daß sie den
Retter der Welt, den Herrn Christus, in sich trägt und berufen ist, ihn der Welt
zu schenken, indem sie die Menschen wieder zum Leben Gottes selbst erweckt. Sie
kann jedoch nicht vergessen, daß diese ihre Sendung nur durch die Mutterschaft
Mariens möglich geworden ist, die den empfangen und zur Welt gebracht hat, der
"Gott von Gott", "wahrer Gott vom wahren Gott" ist. Maria ist wahrhaft
Gottesmutter, die Theotokos, in deren Mutterschaft die von Gott jeder Frau
eingeschriebene Berufung zur Mutterschaft auf die höchste Stufe erhoben wurde.
So wird Maria zum Vorbild für die Kirche, dazu berufen, die "neue Eva", Mutter
der Glaubenden, Mutter der "Lebenden" zu sein (vgl. Gen 3,20).
Die geistige Mutterschaft der Kirche - auch dessen ist sich die Kirche bewußt
- verwirklicht sich nur inmitten der Schmerzen und "Geburtswehen" (Offb 12,2),
d.h. in der ewigen Auseinandersetzung mit den Kräften des Bösen, die die Welt
auch weiterhin überziehen und im Widerstand gegen Christus das Herz der Menschen
markieren: "In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und
das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt"
(Joh, 1,4-5).
Wie die Kirche, so mußte auch Maria ihre Mutterschaft im Zeichen des Leidens
leben: "Dieser ... wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen
die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir selbst aber wird ein Schwert
durch die Seele dringen" (Lk 2,34-35). In den Worten, die am Beginn des
Erdendaseins des Erlösers Simeon an Maria richtet, ist jene Ablehnung gegenüber
Jesus und mit Ihm gegenüber Maria bildlich zusammengefaßt, die auf dem
Kalvarienberg ihren Höhepunkt erreichen wird. "Bei dem Kreuz Jesu" (Joh 19,25)
hat Maria teil an dem Sichverschenken ihres Sohnes: sie bietet Jesus dar, sie
schenkt ihn, sie bringt ihn endgültig für uns zur Welt. Das "Ja" vom Tag der
Verkündigung gelangt am Tag des Kreuzes zur vollen Reife, als für Maria die Zeit
kommt, jeden Menschen, der zum Jünger geworden ist, als Sohn aufzunehmen und
zur Welt zu bringen, indem sie die erlösende Liebe des Sohnes über ihn ausgießt:
"Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu
seiner Mutter: ,Frau, siehe, dein Sohn!'" (Joh 19,26).
"Der Drache stand vor der Frau...; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es
geboren war" (Offb 12,4): das von den Mächten des Bösen bedrohte Leben
104. Im Buch der Offenbarung wird das "große Zeichen" der
"Frau" (12,1) von "einem anderen Zeichen am Himmel" begleitet: "einem Drachen,
groß und feuerrot" (12,3), der Satan verkörpert, die verderbenbringende Macht in
Person, und zugleich alle Kräfte des Bösen, die in der Geschichte am Werk sind
und sich der Sendung der Kirche widersetzen.
Auch darin erleuchtet Maria die Gemeinschaft der Glaubenden: die
Feindseligkeit der Kräfte des Bösen ist tatsächlich ein heimlicher Widerstand,
der sich, ehe er die Jünger Jesu trifft, gegen seine Mutter richtet. Um das
Leben des Sohnes vor denen zu retten, die ihn als eine gefährliche Bedrohung
fürchten, muß Maria mit Josef und dem Kind nach Ägypten fliehen (vgl. Mt
2,13-15).
Maria hilft so der Kirche, sich bewußt zu werden, daß das Leben immer im
Mittelpunkt eines großen Kampfes zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und
Finsternis steht. Das Kind, das, "sobald es geboren war" (Offb 12,4), will der
Drache verschlingen; es ist die Gestalt Christi, den Maria, "als die Zeit
erfüllt war" (Gal 4,4), zur Welt bringt und den die Kirche beständig den
Menschen der verschiedenen Epochen der Geschichte anbieten muß. Aber es ist in
gewisser Weise auch die Gestalt jedes Menschen, jedes Kindes, besonders jedes
schwachen und bedrohten Geschöpfes, denn - wie uns das Konzil erinnert - "der
Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen
vereinigt".(140) Gerade
im "Fleisch" jedes Menschen offenbart sich Christus weiter und tritt in
Gemeinschaft mit uns, so daß die Ablehnung des Lebens des Menschen in ihren
verschiedenen Formen tatsächlich eine Ablehnung Christi ist. Das ist die
faszinierende und zugleich anspruchsvolle Wahrheit, die uns Christus offenbart
und die seine Kirche unermüdlich vorstellt: "Wer ein solches Kind um
meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf" (Mt 18,5; "Amen, ich sage euch: Was
ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt
25,40).
"Der Tod wird nicht mehr sein"
(Offb 21,4): die Herrlichkeit der Auferstehung
105. Die Verkündigung des Engels an Maria ist in die
beruhigenden Worte eingeschlossen: "Fürchte dich nicht, Maria" und "Für Gott ist
nichts unmöglich" (Lk 1,30.37). In Wahrheit ist die ganze Existenz der Jungfrau
und Mutter eingehüllt von der Gewißheit, daß Gott ihr nahe ist und sie begleitet
mit seinem sorgenden Wohlwollen. Das gilt auch für die Kirche, die "einen
Zufluchtsort" (Offb 12,6) in der Wüste findet, dem Ort der Prüfung, aber auch
der Offenbarung der Liebe Gottes zu seinem Volk (vgl. Hos 2,16). Maria ist das
lebendige Wort des Trostes für die Kirche in ihrem Kampf gegen den Tod. Indem
sie uns auf den Sohn verweist, versichert sie uns, daß in Ihm die Kräfte des
Todes bereits besiegt sind: "Tod und Leben, die kämpften unbegreiflichen
Zweikampf; des Lebens Fürst, der starb, herrscht nun lebend".(141)
Das geschlachtete Lamm lebt mit den Zeichen der Passion in der Herrlichkeit
der Auferstehung. Es allein beherrscht das ganze Geschehen der Geschichte: es
öffnet deren "Siegel" (vgl. Offb 5,1-10) und macht in der Zeit und über sie
hinaus die Macht des Lebens über den Tod geltend. Im "neuen Jerusalem", d.h. in
der neuen Welt, auf die die Geschichte der Menschen gerichtet ist, wird "der Tod
nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war,
ist vergangen" (Offb 21,4).
Und während wir als pilgerndes Volk, als Volk des Lebens und für das Leben,
vertrauensvoll auf "einen neuen Himmel und eine neue Erde" (Offb 21,1) zugehen,
wenden wir den Blick auf sie, die für uns "Zeichen der sicheren Hoffnung und des
Trostes"(142) ist.
O Maria, Morgenröte der neuen Welt, Mutter der Lebendigen, Dir
vertrauen wir die Sache des Lebens an: o Mutter, blicke auf die grenzenlose
Zahl von Kindern, denen verwehrt wird, geboren zu werden, von Armen, die
es schwer haben zu leben, von Männern und Frauen, die Opfer unmenschlicher
Gewalt wurden, von Alten und Kranken, die aus Gleichgültigkeit oder
angeblichem Mitleid getötet wurden. Bewirke, daß alle, die an deinen Sohn
glauben, den Menschen unserer Zeit mit Freimut und Liebe das
Evangelium vom Leben verkünden können. Vermittle ihnen die Gnade, es
anzunehmen als je neues Geschenk, die Freude, es über ihr ganzes Dasein
hinweg in Dankbarkeit zu feiern, und den Mut, es mit mühseliger Ausdauer
zu bezeugen, um zusammen mit allen Menschen guten Willens die
Zivilisation der Wahrheit und der Liebe zu errichten, zum Lob und zur
Herrlichkeit Gottes, des Schöpfers und Freundes des Lebens.
Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 25. März 1995, dem Hochfest der
Verkündigung des Herrn, im siebzehnten Jahr meines Pontifikats.
Anmerkungen
1) Tatsächlich findet sich der Ausdruck
"Evangelium vom Leben" als solcher nicht in der Heiligen Schrift. Er entspricht
jedoch einem wesentlichen Aspekt der biblischen Botschaft. 2) Pastoralkonstitution über die
Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 22. 3) Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor
Hominis (4. März 1979), Nr. 10: AAS 71 (1979), 275. 4) Vgl. ebd., Nr. 14: a.a.O., 285. 5) Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 27.
6) Vgl. Brief an alle Brüder im Bischofsamt
über "das Evangelium vom Leben" (19. Mai 1991): Insegnamenti XIV/1 (1991),
1293-1296. 7) Ebd., a.a.O.,
1294. 8) Brief
an die Familien Gratissimam sane (2. Februar 1994), Nr. 4: AAS 86 (1994),
871. 9) Johannes Paul II., Enzyklika
Centesimus annus (1. Mai 1991), Nr. 39: AAS 83 (1991), 842. 10) Nr. 2259. 11) Vgl. Hl.
Ambrosius, De Noe, 26, 94-96: CSEL 32, 480-481. 12) Vgl. Katechismus der katholischen Kirche Nr.
1867 und 2268. 13) De Cain et Abel,
II, 10, 38: CSEL 32, 408. 14) Vgl.
Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die Achtung vor dem
beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung Donum Vitae: AAS
80 (1988), 70-102. 15) Ansprache
während der Gebetswache zum VIII. Weltjugendtag (14. August 1993), II, 3: AAS 86
(1994), 419. 16) Johannes Paul II.,
Ansprache an die Teilnehmer am Studienkongreß über "Das Recht auf Leben und
Europa" (18. Dezember 1987): Insegnamenti X/3 (1987), 1446-1447. 17) Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 36.
18) Vgl. ebd.,
Nr. 16. 19) Vgl. Hl. Gregor der
Grosse, Moralia in Job, 13, 23: CCL 143 A, 683. 20) Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor Hominis
(4. März 1979), Nr. 10: AAS 71 (1979), 274. 21) II. Vatikanischs Konzil, Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 50.
22) Dogmatische
Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, Nr. 4.
23) "Gloria Dei vivens homo": Gegen die
Häresien, IV, 20,7: SCh 100/2, 648-649. 24)
II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution über die
Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 12. 25) Confessiones, I, 1: CCL 27, 1. 26) Hexaemeron, VI, 75-76: CSEL 32, 260-261. 27) "Vita autem hominis visio Dei": Gegen die
Häresien, IV, 20,7: SCh 100/2, 648-649. 28)
Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), Nr. 38: AAS 83
(1991), 840-841. 29) Johannes Paul
II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 34: AAS 80
(1988), 560. 30) Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 50.
31) Brief
an die Familien Gratissimam sane (2. Februar 1994), Nr. 9: AAS 86 (1994),
878; vgl. Pius XII., Enzyklika Humani generis (12. August 1950): AAS 42 (1950),
574. 32) "Animas enim a Deo
immediate creari catholica fides nos retinere iubet": Pius XII., Enzyklika
Humani generis (12. August 1950): AAS 42 (1950), 575. 33) II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 50; vgl.
Johannes Paul II., Apostol. Schreiben Familiaris consortio (22. November 1981),
Nr. 28: AAS 74 (1982), 114. 34)
Predigten, II, 1: CCSG 3, 39. 35)
Siehe zum Beispiel die Psalmen 22 [21],10-11; 71 [70],6; 139 [138],13-14.
36) Expositio Evangelii secundum Lucam, II,
22-23: CCL 14, 40-41. 37) Hl.
Ignatius von Antiochien, Brief an die Epheser, 7, 2; Patres Apostolici, F.X.
Funk, II, 82. 38) De hominis
opificio, 4: PG 44, 136. 39) Vgl.
Hl. Johannes Damascenus, De fide orthodoxa, 2, 12: PG 94, 920, zitiert in Hl.
Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I-II, Prol. 40) Paul VI., Enzyklika Humanae vitae (25. Juli
1968), Nr. 13: AAS 60 (1968), 489. 41) KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Instruktion über die Achtung
vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung Donum
vitae (22. Februar 1987), Einleitung, Nr. 5: AAS 80 (1988), 76-77; vgl.
Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 2258. 42) Didach‚, I, 1; II, 1-2; V, 1 und 3: Patres apostolici, ed. F. X.
Funk, I, 2-3, 6-9, 14-17; vgl. Brief des Pseudo-Barnabas, XIX, 5: ebd., I,
90-93. 43) Vgl. Katechismus der
katholischen Kirche, Nr. 2263-2269; vgl. auch Katechismus des Konzils von Trient
III, Par. 327-332. 44) Katechismus
der katholischen Kirche, Nr. 2265. 45) Vgl. Hl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 64, a. 7;
Hl. Alfons von Liguori, Theologia moralis, 1. III, tr. 4, c. 1, dub. 3.
46) Katechismus der katholischen Kirche,
Nr. 2266. 47) Vgl. ebd.
48) Nr. 2267. 49) II. Vat. Konzil, Dogmatische
Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 12. 50) Vgl. Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 27.
51) Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische
Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 25. 52) Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung
über die Euthanasie Iura et bona (5. Mai 1980), II: AAS
72 (1980), 546. 53) Johannes Paul
II., Enzyklika
Veritatis splendor (6. August 1993), Nr. 96: AAS 85 (1993), 1209.
54) Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 51: "Abortus
necnon infanticidium nefanda sunt crimina". 55) Vgl. Johannes Paul II., Apostol. Schreiben Mulieris dignitatem
(15. August 1988), Nr. 14: AAS 80 (1988), 1686. 56) Nr. 21: AAS 86 (1994), 920. 57) Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung
zur vorsätzlichen Abtreibung Quaestio de abortu procurato (18. November 1974),
Nr. 12-13: AAS 66 (1974), 738. 58)
Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die Achtung vor dem
beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung Donum vitae (22.
Februar 1987), I, Nr. 1: AAS 80 (1988), 78-79. 59) Ebd., a.a.O., 79. 60)
So der Prophet Jeremia: "Das Wort des Herrn erging an mich: Noch ehe ich dich im
Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß
hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich
bestimmt" (1,4-5). Der Psalmist wiederum wendet sich folgendermaßen an den
Herrn: "Vom Mutterleib an stütze ich mich auf dich, vom Mutterschoß an bist du
mein Beschützer" (Ps 71 [70], 6; vgl. Jes 46, 3; Ijob 10,8-12; Ps 22 [21],
10-11). Auch der Evangelist Lukas unterstreicht - in der wunderbaren Episode von
der Begegnung der beiden Mütter, Elisabet und Maria, und der beiden noch im
Mutterschoß verborgenen Söhne, Johannes des Täufers und Jesu (vgl. 1, 39-45) -,
daß das Kind die Ankunft des Jesuskindes bemerkt und vor Freude
frohlockt. 61) Vgl. Erklärung zur
vorsätzlichen Abtreibung Quaestio de abortu procurato (18. November 1974): AAS
66 (1974), 740-747. 62) "Du sollst
ein Kind weder abtreiben noch ein Neugeborenes töten": V, 2, Patres Apostolici,
ed. F.X. Funk, I, 17. 63)
Bittschrift für die Christen, Nr. 35: PG 6, 969. 64) Apologeticum, IX, 8: CSEL 69, 24.
65) Vgl. Enzyklika Casti connubii (31.
Dezember 1930), II: AAS 22 (1930), 562-592. 66) Ansprache an die Medizinisch-Biologische Vereinigung vom hl. Lukas
(12. November 1944): Discorsi e Radiomessaggi; VI (1944-1945), 191; vgl. auch
Ansprache an den Katholischen Hebammenverband Italiens (29. Oktober 1951),
838. 67) Enzyklika Mater et Magistra
(15. Mai 1961), Nr. 3: AAS 53 (1961), 447. 68) Pastoralkonstitution über die
Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 51. 69) Vgl. can. 2350, Par. 1. 70)
Codex des kanonischen Rechtes, can. 1398; vgl. auch Codex des kanonischen
Rechtes der Ostkirchen, can. 1450 Par. 2. 71) Vgl. ebd., can. 1329; ebenso Codex des kanonischen Rechtes der
Ostkirchen, can. 1417. 72) Vgl.
Ansprache an die Vereinigung katholischer Juristen Italiens (9. Dezember 1972):
AAS 64 (1972), 777; Enzyklika Humanae vitae (25. Juli 1968), Nr. 14: AAS 60
(1968), 490. 73) Vgl. II. Vat.
Konzil, Dogmatische
Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 25. 74) Kongregation für die Glaubenslehre;
Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die
Würde der Fortpflanzung Donum vitae (22. Februar 1987), I, 3: AAS 80 (1988),
80. 75) Vgl. Charta der Rechte der
Familie (22. Oktober 1983), Art. 4b: Tipografia Poliglotta Vaticana,
1983. 76) Kongregation für die
Glaubenslehre, Erklärung über die Euthanasie Iura et bona (5. Mai 1980), II: AAS
72 (1980), 546. 77) Ebd., IV,
a.a.O., 551. 78) Vgl. ebd.
79) Ansprache an eine internationale Gruppe
von Ärzten (24. Februar 1957), III: AAS 49 (1957), 147; vgl. Kongregation für
die Glaubenslehre, Erklärung über die Euthanasie Iura et bona, III: AAS 72
(1980), 547-548. 80) Pius XII.,
Ansprache an eine internationale Gruppe von Ärzten (24. Februar 1957), III: AAS
49 (1957), 145. 81) Vgl. Pius XII.,
Ansprache an die internationale Gruppe von Ärzten (24. Februar 1957): AAS 49
(1957), 129-147; KONGREGATION DES HL. OFFIZIUMS, Decretum de directa insontium
occisione (2. Dezember 1940): AAS 32 (1940), 553-554; Paul VI. Botschaft im
französichen Fernsehen: "Jedes Leben ist heilig" (27. Januar 1972): Insegnamenti
IX (1971), 57-58; Ansprache an das Internationale Chirurgenkollegium (1. Juni
1972): AAS 64 (1972), 432-436; II. VAT. KONZIL, Pastoralkonstitution über die
Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 27. 82) Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische
Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 25. 83) Vgl. Hl. Augustinus, De Civitate Dei I, 20:
CCL 47, 22; Hl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 6, a. 5.
84) Vgl. Kongregation für die
Glaubenslehre, Erklärung über die Euthanasie Iura et bona (5. Mai 1980), I: AAS
72 (1980), 545; Katechismus der katholischen Kirche Nr. 2281-2283. 85) Epistula 204, 5: CSEL 57, 320. 86) Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 18.
87) Vgl. Johannes Paul II., Apostol.
Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), Nr. 14-24: AAS 76 (1984),
214-234. 88) Vgl. Johannes Paul
II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), Nr. 46: AAS 83 (1991), 850; Pius
XII., Weihnachtsbotschaft im Rundfunk (24. Dezember 1944): AAS 37 (1945),
10-20. 89) Vgl. Johannes Paul II.,
Enzyklika
Veritatis splendor (6. August 1993), Nr. 97 u. 99:
AAS 85 (1993), 1209-1211. 90)
Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die Achtung vor dem
beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung Donum vitae (22.
Februar 1987), III: AAS 80 (1988), 98. 91)
Vgl. II. Vat. Konzil, Erklärung
über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae, Nr. 7. 92) Vgl. Hl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I-II, q. 96, a.
2. 93) Vgl. II. Vat. Konzil, Erklärung über die
Religionsfreiheit, Dignitatis humanae, Nr. 7. 94) Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris
(11. April 1963), II: AAS 55 (1963), 273-274; das darin enthaltene Zitat ist
entnommen aus: Pius XII., Radiobotschaft zu Pfingsten 1941 (1. Juni 1941): AAS
33 (1941), 200. Zu diesem Argument nimmt die Enzyklika in der Fußnote Bezug auf:
Pius XI., Enzyklika Mit brennender Sorge (14. März 1937): AAS 29 (1937), 159;
Enzyklika Divini Redemptoris (19. März 1937), III: AAS 29 (1937), 79; Pius XII.,
Rundfunkbotschaft zu Weihnachten (24. Dezember 1942): AAS 35 (1943),
9-24. 95) Johannes XXIII., Enzyklika
Pacem in terris (11. April 1963), a.a.O., 271. 96) Summa Theologiae, I-II, q. 93, a. 3, ad 2. 97) Ebd., I-II, q. 95, a. 2. Der Aquinate zitiert
den hl. Augustinus: "Non videtur esse lex, quae iusta non fuerit" ("Ein Gesetz,
das nicht gerecht ist, wird nicht als Gesetz wahrgenommen werden"), De libero
arbitrio, I, 5, 11: PL 32, 1227. 98)
Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur vorsätzlichen Abtreibung (18.
November 1974), Nr. 22: AAS 66 (1974), 744. 99) Vgl. Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 1753-1755; Johannes
Paul II., Enzyklika Veritatis splendor (6. August 1993), Nr. 81-82: AAS 85
(1993), 1198-1199. 100) In Iohannis
Evangelium Tractatus, 41, 10: CCL 36, 363. Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika
Veritatis splendor (6. August 1993), Nr. 13: AAS 85 (1993), 1144. 101) Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii
nuntiandi (8. Dezember 1975), Nr. 14: AAS 68 (1976), 13. 102) Vgl. Römisches Meßbuch, Gebet des Priesters vor der
Kommunion. 103) Vgl. Hl. Irenäus:
"Omnem novitatem attulit, semetipsum afferens, qui fuerat annuntiatus": Gegen
die Häresien IV, 34, 1: SCh 100/2, 846-847. 104) Vgl. Hl. Thomas von Aquin: "Peccator inveterascit, recedens a
novitate Christi": In Psalmos Davidis lectura, 6,5. 105) De beatitudinibus, Oratio VII: PG 44,
1280. 106) Vgl. Johannes Paul II.,
Enzyklika
Veritatis splendor (6. August 1993), Nr. 116: AAS 85 (1993), 1224.
107) Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika
Centesimus annus (1. Mai 1991), Nr. 37: AAS 83 (1991), 840. 108) Vgl. Weihnachtsbotschaft von 1967: AAS 60 (1968), 40.
109) Pseudo-Dionysius Areopagita, Die
Namen Gottes, 6, 1-3: PG 3, 856-857. 110)
Paul VI., Pensiero alla morte (Gedanke an den Tod), Istituto Paolo VI, Brescia
1988, S. 24. 111) Johannes Paul
II., Predigt bei der Seligsprechung von Isidor Bakanja, Elisabeth Canori Mora
und Gianna Beretta Molla (24. April 1994): "L'Osservatore Romano", 25.-26. April
1994, S. 5. 112) Ebd. 113) Kommentar zum Evangelium des Matthäus, L, 3:
PG 58, 508. 114) Katechismus der
katholischen Kirche, Nr. 2372. 115)
Johannes Paul II., Ansprache zur Eröffnung der 4. Vollversammlung der
lateinamerikanischen Bischöfe in Santo Domingo (12. Oktober 1992), Nr. 15: AAS
85 (1993), 819. 116) Vgl. Dekret
über den Ökumenismus Unitatis redintegratio, 12; Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 90.
117) Johannes Paul II., Apostol. Schreiben
Familiaris consortio (22. November 1981), Nr. 17: AAS 74 (1982), 100.
118) Vgl. II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 50.
119) Johannes Paul II., Enzyklika
Centesimus annus (1. Mai 1991), Nr. 39: AAS 83 (1991), 842. 120) Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer am 7. Symposion
der europäischen Bischöfe über das Thema "Heutige Haltungen gegenüber Geburt und
Tod: eine Herausforderung für die Evangelisierung" (17. Oktober 1989), Nr. 5:
Insegnamenti XII, 2 (1989), 945. Eben als Geschenk Gottes werden die Kinder von
der biblischen Überlieferung hingestellt (vgl. Ps 127 [126],3), als Zeichen
seines Segens auf dem Mann, der auf seinen Wegen wandelt (vgl. Ps 128
[127],3-4). 121) Johannes Paul II.,
Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 38: AAS 80 (1988),
565-566. 122) Johannes Paul II.,
Apostol. Schreiben Familiaris consortio (22. November 1981), Nr. 85: AAS 74
(1982), 188. 123) Paul VI.,
Apostol. Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), Nr. 18: AAS 68
(1976), 17. 124) Vgl. ebd., Nr. 20,
a.a.O., 18. 125) Vgl. II. Vat.
Konzil, Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 24.
126) Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika
Centesimus annus (1. Mai 1991), Nr. 17: AAS 83 (1991), 814; Enzyklika
Veritatis splendor (6. August 1993), Nr. 95-101: AAS 85 (1993),
1208-1213. 127) Johannes Paul II.,
Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), Nr. 24: AAS 83 (1991), 822.
128) Johannes Paul II., Apostol. Schreiben
Familiaris consortio (22. November 1981), Nr. 37: AAS 74 (1982), 128.
129) Schreiben zur Einrichtung des
Welttages der Kranken (13. Mai 1992), Nr. 2: Insegnamenti XV, 1 (1992),
1410. 130) Vgl. II. Vat. Konzil,
Pastoralkonstitution über die
Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 35; Paul VI., Enzyklika
Populorum progressio (26. März 1967), Nr. 15: AAS 59 (1967), 265. 131) Vgl. Johannes Paul II., Brief
an die Familien Gratissimam sane (2. Februar 1994), Nr. 13: AAS 86 (1994),
892. 132) Johannes Paul II., Motu
Proprio Vitae mysterium (11. Februar 1994), Nr. 4: AAS 86 (1994),
386-387. 133) Botschaften des
Konzils an die Menschheit (8. Dezember 1965): an die Frauen. 134) Johannes Paul II., Apostol. Schreiben Mulieris dignitatem (15.
August 1988), Nr. 18: AAS 80 (1988), 1696. 135) Vgl. Johannes Paul II., Brief
an die Familien Gratissimam sane (2. Februar 1994), Nr. 5: AAS 86 (1994),
872. 136) Johannes Paul II.,
Ansprache an die Teilnehmer am Studienkongreß über "Das Recht auf Leben und
Europa" (18. Dezember 1987): Insegnamenti X, 3 (1987), 1446. 137) Paul VI., Botschaft zum Weltfriedenstag
1977: AAS 68 (1976), 711-712. 138)
B. Guerricus D'Igny, In Assumptione B. Mariae, Sermo I, 2: PL 185, 188.
139) II. Vat. Konzil, Dogmatische
Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 5. 140) Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 22.
141) Missale Romanum, Sequenz zum
Ostersonntag. 142) II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über
die Kirche Lumen Gentium, Nr. 68.
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