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Motu proprio
Apostolisches
Schreiben
SUMMORUM PONTIFICUM
VON PAPST BENEDIKT XVI.
ALS MOTU PROPRIO ERLASSEN
SUMMORUM PONTIFICUM
über den Gebrauch
der Römischen Liturgie in der Gestalt
vor der Reform von
1970
Die Sorge der Päpste ist es bis zur heutigen
Zeit stets gewesen, daß die Kirche Christi der
Göttlichen Majestät einen würdigen Kult darbringt,
„zum Lob und Ruhm Seines Namens“ und „zum Segen
für Seine ganze heilige Kirche“.
Seit unvordenklicher Zeit wie auch in Zukunft
gilt es den Grundsatz zu wahren, „demzufolge
jede Teilkirche mit der Gesamtkirche nicht nur
hinsichtlich der Glaubenslehre und der sakramentalen
Zeichen übereinstimmen muß, sondern auch hinsichtlich
der universal von der apostolischen und ununterbrochenen
Überlieferung empfangenen Gebräuche, die einzuhalten
sind, nicht nur um Irrtümer zu vermeiden, sondern
auch damit der Glaube unversehrt weitergegeben
wird; denn das Gesetz des Betens (lex orandi)
der Kirche entspricht ihrem Gesetz des Glaubens
(lex credendi).“[1]
Unter den Päpsten, die eine solche
gebotene Sorge walten ließen, ragt der Name
des hl. Gregor des Großen heraus; dieser sorgte
dafür, daß sowohl der katholische Glaube als
auch die Schätze des Kultes und der Kultur,
welche die Römer der vorangegangenen Jahrhunderte
angesammelt hatten, den jungen Völkern Europas
übermittelt wurden. Er ordnete an, daß die Form
der heiligen Liturgie – sowohl des Meßopfers
als auch des Officium Divinum – festgelegt und
bewahrt werden sollte, wie sie in Rom gefeierte
wurde. Auch förderte er sehr die Mönche und
Nonnen, die nach der Regel des hl. Benedikt
lebten und überall zusammen mit der Verkündigung
des Evangeliums auch jenen äußerst heilsamen
Satz der Regel durch ihr Leben veranschaulichten,
daß „dem Gottesdienst nichts vorzuziehen“ sei
(Kap. 43). Auf solche Weise befruchtete die
heilige Liturgie nach römischem Brauch nicht
nur den Glauben und die Frömmigkeit, sondern
auch die Kultur vieler Völker. Es steht fraglos
fest, daß die lateinische Liturgie der Kirche
mit ihren verschiedenen Formen in allen Jahrhunderten
der christlichen Zeit sehr viele Heilige im
geistlichen Leben angespornt und so viele Völker
in der Tugend der Gottesverehrung gestärkt und
deren Frömmigkeit befruchtet hat.
Daß aber die heilige Liturgie diese Aufgabe
noch wirksamer erfüllte, darauf haben verschiedene
weitere Päpste im Verlauf der Jahrhunderte besondere
Sorgfalt verwandt; unter ihnen ragt der heilige
Pius V. heraus, der mit großem seelsorglichen
Eifer auf Veranlassung des Konzils von Trient
den ganzen Kult der Kirche erneuerte, die Herausgabe
verbesserter und „nach der Norm der Väter reformierter“
liturgischer Bücher besorgte und sie der lateinischen
Kirche zum Gebrauch übergab.
Unter den liturgischen Büchern des Römischen
Ritus ragt das Römische Meßbuch deutlich heraus;
es ist in der Stadt Rom entstanden und hat in
den nachfolgenden Jahrhunderten schrittweise
Formen angenommen, die große Ähnlichkeit haben
mit der in den letzten Generationen geltenden.
„Dasselbe Ziel verfolgten die Päpste im Lauf
der folgenden Jahrhunderte, indem sie sich um
die Erneuerung oder die Festlegung der liturgischen
Riten und Bücher bemühten und schließlich am
Beginn dieses Jahrhunderts eine allgemeine Reform
in Angriff nahmen“[2].
So hielten es nun Unsere Vorgänger Clemens VIII.,
Urban VIII., der hl. Pius X.[3],
Benedikt XV., Pius XII. und der sel. Johannes
XXIII.
In jüngerer Zeit brachte dann das Zweite Vatikanische
Konzil den Wunsch zum Ausdruck, daß die gebotene
Achtsamkeit und Ehrfurcht gegenüber dem Gottesdienst
wieder erneuert und den Erfordernissen unserer
Zeit angepaßt werden sollte. Von diesem Wunsch
geleitet hat Unser Vorgänger Papst Paul VI.
die reformierten und zum Teil erneuerten liturgischen
Bücher im Jahr 1970 für die lateinische Kirche
approbiert; überall auf der Erde in eine Vielzahl
von Volkssprachen übersetzt, wurden sie von
den Bischöfen sowie von den Priestern und Gläubigen
bereitwillig angenommen. Johannes Paul II. rekognoszierte
die dritte Editio typica des Römischen Meßbuchs.
So haben die Päpste daran gearbeitet, daß „dieses
‚liturgische Gebäude‘ […] in seiner Würde und
Harmonie neu“ erstrahlte.[4]
Andererseits hingen in manchen
Gegenden nicht wenige Gläubige den früheren
liturgischen Formen, die ihre Kultur und ihren
Geist so grundlegend geprägt hatten, mit derart
großer Liebe und Empfindung an und tun dies
weiterhin, daß Papst Johannes Paul II., geleitet
von der Hirtensorge für diese Gläubigen, im
Jahr 1984 mit dem besonderen Indult „Quattuor
abhinc annos“, das die Kongregation für den
Gottesdienst entworfen hatte, die Möglichkeit
zum Gebrauch des Römischen Meßbuchs zugestand,
das von Johannes XXIII. im Jahr 1962 herausgegebenen
worden war; im Jahr 1988 forderte Johannes Paul
II. indes die Bischöfe mit dem als Motu Proprio
erlassenen Apostolischen Schreiben „Ecclesia
Dei“ auf, eine solche Möglichkeit weitherzig
und großzügig zum Wohl aller Gläubigen, die
darum bitten, einzuräumen.
Nachdem die inständigen Bitten dieser Gläubigen
schon von Unserem Vorgänger Johannes Paul II.
über längere Zeit hin abgewogen worden sind
und Wir auch die Kardinäle in dem am 23. März
2006 abgehaltenen Konsistorium angehört haben,
nachdem alles reiflich abgewogen worden ist,
nach Anrufung des Heiligen Geistes und fest
vertrauend auf die Hilfe Gottes, BESCHLIESSEN
WIR mit dem vorliegenden Apostolischen Schreiben
folgendes:
Art. 1. Das von Paul VI. promulgierte Römische
Meßbuch ist die ordentliche Ausdrucksform der
„Lex orandi“ der katholischen Kirche des lateinischen
Ritus. Das vom hl. Pius V. promulgierte und
vom sel. Johannes XXIII. neu herausgegebene
Römische Meßbuch hat hingegen als außerordentliche
Ausdrucksform derselben „Lex orandi“ der Kirche
zu gelten, und aufgrund seines verehrungswürdigen
und alten Gebrauchs soll es sich der gebotenen
Ehre erfreuen. Diese zwei Ausdrucksformen der
„Lex orandi“ der Kirche werden aber keineswegs
zu einer Spaltung der „Lex credendi“ der Kirche
führen; denn sie sind zwei Anwendungsformen
des einen Römischen Ritus.
Demgemäß ist es erlaubt, das Meßopfer nach der
vom sel. Johannes XXIII. im Jahr 1962 promulgierten
und niemals abgeschafften Editio typica des
Römischen Meßbuchs als außerordentliche Form
der Liturgie der Kirche zu feiern. Die von den
vorangegangenen Dokumenten „Quattuor abhinc
annos“ und „Ecclesia Dei“ für den Gebrauch dieses
Meßbuchs aufgestellten Bedingungen aber werden
wie folgt ersetzt:
Art. 2. In Messen, die ohne Volk gefeiert werden,
kann jeder katholische Priester des lateinischen
Ritus – sei er Weltpriester oder Ordenspriester
– entweder das vom sel. Papst Johannes XXIII.
im Jahr 1962 herausgegebene Römische Meßbuch
gebrauchen oder das von Papst Paul VI. im Jahr
1970 promulgierte, und zwar an jedem Tag mit
Ausnahme des Triduum Sacrum. Für eine solche
Feier nach dem einen oder dem anderen Meßbuch
benötigt der Priester keine Erlaubnis, weder
vom Apostolischen Stuhl noch von seinem Ordinarius.
Art. 3. Wenn Gemeinschaften der Institute des
geweihten Lebens und der Gesellschaften des
apostolischen Lebens – seien sie päpstlichen
oder diözesanen Rechts – es wünschen, bei der
Konvents- bzw. „Kommunitäts“-Messe im eigenen
Oratorium die Feier der heiligen Messe nach
der Ausgabe des Römischen Meßbuchs zu halten,
die im Jahr 1962 promulgiert wurde, ist ihnen
dies erlaubt. Wenn eine einzelne Gemeinschaft
oder ein ganzes Institut bzw. eine ganze Gesellschaft
solche Feiern oft, für gewöhnlich oder ständig
begehen will, ist es Sache der höheren Oberen,
nach der Norm des Rechts und gemäß der Gesetze
und Partikularstatuten zu entscheiden.
Art. 4. Zu den Feiern der heiligen Messe, von
denen oben in Art. 2 gehandelt wurde, können
entsprechend dem Recht auch Christgläubige zugelassen
werden, die aus eigenem Antrieb darum bitten.
Art. 5 § 1. In Pfarreien, wo eine Gruppe von
Gläubigen, die der früheren liturgischen Tradition
anhängen, dauerhaft existiert, hat der Pfarrer
deren Bitten, die heilige Messe nach dem im
Jahr 1962 herausgegebenen Römischen Meßbuch
zu feiern, bereitwillig aufzunehmen. Er selbst
hat darauf zu achten, daß das Wohl dieser Gläubigen
harmonisch in Einklang gebracht wird mit der
ordentlichen Hirtensorge für die Pfarrei, unter
der Leitung des Bischofs nach der Norm des Canon
392, wobei Zwietracht zu vermeiden und die Einheit
der ganzen Kirche zu fördern ist.
§ 2. Die Feier nach dem Meßbuch des sel. Johannes
XXIII. kann an den Werktagen stattfinden; an
Sonntagen und Festen kann indes ebenfalls eine
Feier dieser Art stattfinden.
§ 3. Gläubigen oder Priestern, die darum bitten,
hat der Pfarrer auch zu besonderen Gelegenheiten
Feiern in dieser außerordentlichen Form zu gestatten,
so z. B. bei Trauungen, bei Begräbnisfeiern
oder bei Feiern zu bestimmten Anlässen, wie
etwa Wallfahrten.
§ 4. Priester, die das Meßbuch des sel. Johannes
XXIII. gebrauchen, müssen geeignet und dürfen
nicht von Rechts wegen gehindert sein.
§ 5. In Kirchen, die weder Pfarr- noch Konventskirchen
sind, ist es Sache des Kirchenrektors, eine
Erlaubnis bezüglich des oben Genannten zu erteilen.
Art. 6. In Messen, die nach dem Meßbuch des
sel. Johannes XXIII. zusammen mit dem Volk gefeiert
werden, können die Lesungen auch in der Volkssprache
verkündet werden, unter Gebrauch der vom Apostolischen
Stuhl rekognoszierten Ausgaben.
Art. 7. Wo irgendeine Gruppe von Laien durch
den Pfarrer nicht erhalten sollte, worum sie
nach Art. 5 § 1 bittet, hat sie den Diözesanbischof
davon in Kenntnis zu setzen. Der Bischof wird
nachdrücklich ersucht, ihrem Wunsch zu entsprechen.
Wenn er für eine Feier dieser Art nicht sorgen
kann, ist die Sache der Päpstlichen Kommission
„Ecclesia Dei“ mitzuteilen.
Art. 8. Ein Bischof, der für Bitten dieser Art
seitens der christgläubigen Laien Sorge tragen
möchte, aber aus verschiedenen Gründen daran
gehindert wird, kann die Sache der Päpstlichen
Kommission „Ecclesia Dei“ berichten, die ihm
Rat und Hilfe geben wird.
Art. 9 § 1. Der Pfarrer kann – nachdem er alles
wohl abgewogen hat – auch die Erlaubnis geben,
daß bei der Spendung der Sakramente der Taufe,
der Ehe, der Buße und der Krankensalbung das
ältere Rituale verwendet wird, wenn das Heil
der Seelen dies nahelegt.
§ 2. Den Bischöfen ist ferner die Befugnis gegeben,
das Sakrament der Firmung nach dem alten Pontificale
Romanum zu feiern, wenn das Heil der Seelen
dies nahelegt.
§ 3. Die geweihten Kleriker haben das Recht,
auch das Römische Brevier zu gebrauchen, das
vom sel. Johannes XXIII. im Jahr 1962 promulgiert
wurde.
Art. 10. Der Ortsordinarius hat das Recht, wenn
er es für angebracht hält, eine Personalpfarrei
nach Norm des Canon 518 für die Feiern nach
der älteren Form des Römischen Ritus zu errichten
oder einen Rektor bzw. Kaplan zu ernennen, entsprechend
dem Recht.
Art. 11. Die Päpstliche Kommission „Ecclesia
Dei“, die von Johannes Paul II. im Jahr 1988
errichtet wurde, erfüllt weiterhin ihre Aufgabe.[5]
Diese Kommission soll die Form,
die Amtsaufgaben und die Handlungsnormen erhalten,
mit denen der Papst sie ausstatten will.
Art. 12. Dieselbe Kommission wird über die Befugnisse
hinaus, derer sie sich bereits erfreut, die
Autorität des Heiligen Stuhles ausüben, indem
sie über die Beachtung und Anwendung dieser
Anordnungen wacht.
Alles aber, was von Uns durch dieses als Motu
Proprio erlassene Apostolische Schreiben beschlossen
wurde, ist – so bestimmen Wir – gültig und rechtskräftig
und vom 14. September dieses Jahres, dem Fest
der Kreuzerhöhung, an zu befolgen, ungeachtet
jeder anderen gegenteiligen Anordnung.
Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 7. Juli,
im Jahr des Herrn 2007, dem dritten Jahr Unseres
Pontifikats.
Benedictus PP. XVI
[1] Institutio generalis Missalis Romani, Editio
tertia, 2002, Nr. 397.
[2] Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben
Vicesimus quintus annus vom 4. Dezember 1988,
Nr. 3: AAS 81 (1989) 899.
[3] Ebd.
[4] Hl. Papst Pius X., Apostolisches Schreiben
„Motu Proprio“ Abhinc duos annos vom 23. Oktober
1913: AAS 5 (1913) 449-450; vgl. Papst Johannes
Paul II., Apostolisches Schreiben Vicesimus
quintus annus, Nr. 3: AAS 81 (1989) 899.
[5] Vgl. Papst Johannes Paul II., Apostolisches
Schreiben „Motu Proprio“ Ecclesia Dei adflicta
vom 2. Juli 1988, Nr. 6: AAS 80 (1988) 1498.
Brief des Heiligen
Vaters PAPST BENEDIKT XVI. an die Bischöfe anlässlich
der Publikation des Apostolischen Schreibens
Motu proprio SUMMORUM PONTIFICUM
über die römische Liturgie in ihrer Gestalt
vor der 1970 durchgeführten Reform
Liebe Brüder im Bischofsamt,
hoffnungsvoll und mit großem Vertrauen lege
ich den Text eines neuen als Motu proprio erlassenen
Apostolischen Schreibens über den Gebrauch der
römischen Liturgie in ihrer Gestalt vor der
1970 durchgeführten Reform in Eure Hände, die
Hände der Hirten. Das Dokument ist Frucht langen
Nachdenkens, vielfacher Beratungen und des Gebetes.
Nachrichten und Beurteilungen, die ohne ausreichende
Kenntnis vorgenommen wurden, haben in nicht
geringem Maße Verwirrung gestiftet. Es gibt
sehr unterschiedliche Reaktionen, die von freudiger
Aufnahme bis zu harter Opposition reichen und
die sich auf ein Vorhaben beziehen, dessen Inhalt
in Wirklich- keit nicht bekannt war.
Dem Dokument standen näherhin zwei Befürchtungen
entgegen, auf die ich in diesem Brief etwas
näher eingehen möchte.
An erster Stelle steht die Furcht, hier werde
die Autorität des II. Vatikanischen Konzils
angetastet und eine seiner wesentlichen Entscheidungen
– die liturgische Reform – in Frage gestellt.
Diese Befürchtung ist unbegründet. Dazu ist
zunächst zu sagen, dass selbstverständlich das
von Papst Paul VI. veröffentlichte und dann
in zwei weiteren Auflagen von Johannes Paul
II. neu herausgegebene Missale die normale Form
– die Forma ordinaria – der Liturgie der heiligen
Eucharistie ist und bleibt. Die letzte dem Konzil
vorausgehende Fassung des Missale Romanum, die
unter der Autorität von Papst Johannes XXIII.
1962 veröffentlicht und während des Konzils
benützt wurde, kann demgegenüber als Forma extraordinaria
der liturgischen Feier Verwendung finden. Es
ist nicht angebracht, von diesen beiden Fassungen
des Römischen Messbuchs als von „zwei Riten“
zu sprechen. Es handelt sich vielmehr um einen
zweifachen Usus ein und desselben Ritus.
Was nun die Verwendung des Messbuchs von 1962
als Forma extraordinaria der Messliturgie angeht,
so möchte ich darauf aufmerksam machen, dass
dieses Missale nie rechtlich abrogiert wurde
und insofern im Prinzip immer zugelassen blieb.
Im Augenblick der Einführung des neuen Messbuchs
schien es nicht notwendig, eigene Normen für
den möglichen Gebrauch des bisherigen Missale
zu erlassen. Man ging wohl davon aus, dass es
sich um wenige Einzelfälle handeln würde, die
fallweise am jeweiligen Ort zu lösen seien.
Dann zeigte sich aber bald, dass vor allem in
Ländern, in denen die Liturgische Bewegung vielen
Menschen eine bedeutende liturgische Bildung
und eine tiefe innere Vertrautheit mit der bisherigen
Form der liturgischen Feier geschenkt hatte,
nicht wenige stark an diesem ihnen von Kindheit
auf liebgewordenen Gebrauch des Römischen Ritus
hingen. Wir wissen alle, dass in der von Erzbischof
Lefèbvre angeführten Bewegung das Stehen zum
alten Missale zum äußeren Kennzeichen wurde;
die Gründe für die sich hier anbahnende Spaltung
reichten freilich viel tiefer. Viele Menschen,
die klar die Verbindlichkeit des II. Vaticanums
annahmen und treu zum Papst und zu den Bischöfen
standen, sehnten sich doch auch nach der ihnen
vertrauten Gestalt der heiligen Liturgie, zumal
das neue Missale vielerorts nicht seiner Ordnung
getreu gefeiert, sondern geradezu
als eine Ermächtigung oder
gar als Verpflichtung zur „Kreativität“
aufgefasst wurde, die oft zu kaum erträglichen
Entstellungen der Liturgie führte. Ich spreche
aus Erfahrung, da ich diese Phase in all ihren
Erwartungen und Verwirrungen miterlebt habe.
Und ich habe gesehen, wie tief Menschen, die
ganz im Glauben der Kirche verwurzelt waren,
durch die eigenmächtigen Entstellungen der Liturgie
verletzt wurden.
So sah sich Papst Johannes Paul II. veranlasst,
mit dem Motu proprio Ecclesia Dei vom 2. Juli
1988 eine Rahmennorm für den Gebrauch des Missale
von 1962 zu erlassen, die freilich keine Einzelbestimmungen
enthielt, sondern grundsätzlich an den Großmut
der Bischöfe gegenüber den „gerechtfertigten
Wünschen“ derjenigen Gläubigen appellierte,
die um diesen Usus des Römischen Ritus baten.
Der Papst hatte damals besonders auch der „Priester-Bruderschaft
des heiligen Pius X.“ helfen wollen, wieder
die volle Einheit mit dem Nachfolger Petri zu
finden, und hatte so eine immer schmerzlicher
empfundene Wunde in der Kirche zu heilen versucht.
Diese Versöhnung ist bislang leider nicht geglückt,
aber eine Reihe von Gemeinschaften machten dankbar
von den Möglichkeiten dieses Motu proprio Gebrauch.
Schwierig blieb dagegen die Frage der Verwendung
des Missale von 1962 außerhalb dieser Gruppierungen,
wofür genaue rechtliche Formen fehlten, zumal
die Bischöfe dabei häufig fürchteten, die Autorität
des Konzils werde hier in Frage gestellt.
Hatte man unmittelbar nach
dem Ende des II. Vaticanums
annehmen können, das Verlangen
nach dem Usus von 1962 beschränke sich
auf die ältere Generation, die damit aufgewachsen
war, so hat sich inzwischen gezeigt, dass junge
Menschen diese liturgische Form entdecken, sich
von ihr angezogen fühlen und hier eine ihnen
besonders gemäße Form der Begegnung mit
dem Mysterium der heiligen Eucharistie
finden. So ist ein Bedarf nach klarer rechtlicher
Regelung entstanden, der beim Motu proprio von
1988 noch nicht sichtbar war; diese Normen beabsichtigen,
gerade auch die Bischöfe davon zu entlasten,
immer wieder neu abwägen zu müssen, wie auf
die verschiedenen Situationen zu antworten sei.
Als zweites wurde in den Diskussionen über das
erwartete Motu proprio die Befürchtung geäußert,
eine erweiterte Möglichkeit zum Gebrauch des
Missale von 1962 werde zu Unruhen oder gar zu
Spaltungen in den Gemeinden führen. Auch diese
Sorge scheint mir nicht wirklich begründet zu
sein. Der Gebrauch des alten Missale setzt ein
gewisses Maß an liturgischer Bildung und auch
einen Zugang zur lateinischen Sprache voraus;
das eine wie das andere ist nicht gerade häufig
anzutreffen. Schon von diesen konkreten Voraussetzungen
her ist es klar, dass das neue Messbuch nicht
nur von der rechtlichen Normierung, sondern
auch von der tatsächlichen Situation der gläubigen
Gemeinden her ganz von selbst die Forma ordinaria
des Römischen Ritus bleibt.
Es ist wahr, dass es nicht an Übertreibungen
und hin und wieder an gesellschaftlichen Aspekten
fehlt, die in ungebührender Wei- se mit der
Haltung jener Gläubigen in Zusammenhang stehen,
die sich der alten lateinischen liturgischen
Tradition verbunden wissen. Eure Liebe und pastorale
Klugheit wird Anreiz und Leitbild für eine Vervollkommnung
sein. Im Übrigen können sich beide Formen des
Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten:
Das alte Messbuch kann und soll neue Heilige
und einige der neuen Präfationen aufnehmen.
Die Kommission Ecclesia Dei wird im Kontakt
mit den verschiedenen Institutionen die sich
dem usus antiquior widmen, die praktischen Möglichkeiten
prüfen. In der Feier der Messe nach dem Missale
Pauls VI. kann stärker, als bisher weithin der
Fall ist, jene Sakralität erscheinen, die viele
Menschen zum alten Usus hinzieht. Die sicherste
Gewähr dafür, dass das Missale Pauls VI. die
Gemeinden eint und von ihnen geliebt wird, besteht
im ehrfürchtigen Vollzug seiner Vorgaben, der
seinen spirituellen Reichtum und seine theologische
Tiefe sichtbar werden lässt.
Damit bin ich bei dem positiven Grund angelangt,
der mich veranlasst hat, mit diesem Motu proprio
dasjenige von 1988 fort- zuschreiben. Es geht
um eine innere Versöhnung in der Kirche. In
der Rückschau auf die Spaltungen, die den Leib
Christi im Lauf der Jahrhunderte verwundet haben,
entsteht immer wieder der Eindruck, dass in
den kritischen Momenten, in denen sich die Spaltung
anbahnte, vonseiten der Verantwortlichen in
der Kirche nicht genug getan worden ist, um
Versöhnung und Einheit zu erhalten oder neu
zu gewinnen; dass Versäumnisse in der Kirche
mit schuld daran sind, dass Spaltungen sich
verfestigen konnten. Diese Rückschau legt uns
heute eine Verpflichtung auf, alle Anstrengungen
zu unternehmen, um all denen das Verbleiben
in der Einheit oder das neue Finden zu ihr zu
er- möglichen, die wirklich Sehnsucht nach Einheit
tragen. Mir kommt da ein Wort
aus dem zweiten Korintherbrief
in den Sinn, wo Paulus den Korinthern
sagt: „Unser Mund hat sich für euch aufgetan,
Korinther, unser Herz ist weit geworden. In
uns ist es nicht zu eng für euch; eng ist es
in eurem Herzen. Lasst doch als Antwort darauf
… auch euer Herz weit aufgehen!“ (2 Kor 6,11–13).
Paulus sagt das in anderem Zusammenhang, aber
sein Anruf kann und soll uns gerade auch in
dieser Sache berühren. Machen wir unser Herz
weit auf, und lassen wir all dem Raum, wozu
der Glaube selbst Raum bietet.
Es gibt keinen Widerspruch zwischen der einen
und der anderen Ausgabe des Missale Romanum.
In der Liturgiegeschichte gibt es Wachstum und
Fortschritt, aber keinen Bruch. Was früheren
Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig
und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten
oder gar schädlich sein. Es tut uns allen gut,
die Reichtümer zu wahren, die im Glauben und
Beten der Kirche gewachsen sind und ihnen ihren
rechten Ort zu geben. Um die volle communio
zu leben, können die Priester, die den Gemeinschaften
des alten Usus zugehören, selbstverständlich
die Zelebration nach den neuen liturgischen
Büchern im Prinzip nicht ausschließen. Ein völliger
Ausschluss wäre nämlich nicht in Übereinstimmung
mit der Anerkennung des Wertes und der Heiligkeit
des Ritus in seiner erneuerten Form.
Abschließend, liebe Mitbrüder, liegt mir daran
zu betonen, dass diese neuen Bestimmungen in
keiner Weise Eure Autorität und Verantwortlichkeit
schmälern, weder hinsichtlich der Liturgie noch
was die Seelsorge an Euren Gläubigen anbelangt.
In der Tat steht jedem Bischof das Recht zu,
in der eigenen Diözese die Liturgie zu ordnen
(vgl. Sacrosanctum Concilium, Nr. 22:
„Sacrae Liturgiae moderatio ab Ecclesiae auctoritate
unice pendet quae quidem est apud Apostolicam
Sedem et, ad normam iuris, apud Episcopum“).
Nichts wird folglich der Autorität des Bischofs
weggenommen, dessen Aufgabe in jedem Fall jene
bleibt, darüber zu wachen, dass alles friedlich
und sachlich geschieht. Sollten Probleme auftreten,
die der Pfarrer nicht zu lösen imstande ist,
kann der Ordinarius immer eingreifen, jedoch
in völliger Übereinstimmung mit den im Motu
proprio festgelegten neuen Bestimmungen.
Außerdem lade ich Euch, liebe Mitbrüder, hiermit
ein, drei Jahre nach dem Inkrafttreten des Motu
proprio dem Heiligen Stuhl über Eure Erfahrungen
Bericht zu erstatten. Wenn dann wirklich ernsthafte
Schwierigkeiten aufgetreten sein sollten, können
Wege gesucht werden, um Abhilfe zu schaffen.
Liebe Brüder, dankbar und zuversichtlich vertraue
ich Eurem Hirtenherzen diese Seiten und die
Bestimmungen des Motu proprio an. Seien wir
stets eingedenk der Worte des Apostels Paulus,
die er an die Ältesten von Ephesus gerichtet
hat: „Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde,
in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt
hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes
sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen
Sohnes erworben hat“ (Apg 20,28).
Der mächtigen Fürsprache Mariens, der Mutter
der Kirche, vertraue ich diese neuen Bestimmungen
an und erteile Euch, liebe Mitbrüder, den Pfarrern
in Euren Diözesen und allen Priestern, die Eure
Mitarbeiter sind, sowie allen Euren Gläubigen
von Herzen meinen Apostolischen Segen.
Gegeben zu Sankt Peter, am 7. Juli 2007
PAPST BENEDIKT XVI.
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