Extasen der Seherkinder
DIE
KINDER IM NORMALZUSTAND
Aus nächster Nähe und sehr lange Zeit habe
ich die vier Seherinnen in ihrem Normalzustand beobachtet,
und ich besitze zahlreiche und interessante Dias und Filme.
Ich habe daraus den formellen Schluß gezogen, daß es sich
nicht um kleine kränkliche Mädchen handelt, die mit
irgendeinem abnormalen Symptom behaftet sind. Ich sage das
in aller Einfachheit, wobei ich den Leser auf die
verschiedenen Ärzte verweise, die an Ort und Stelle und
unparteiisch ihre Aufgabe erfüllt haben.
Ich kann davon sprechen auf Grund einer
genauen Kenntnis des Verhaltens der Seherinnen daheim, bei
der Ernte, auf den Almen, im Dorf, während ihrer Spiele, auf
dem Schulweg, in der Kirche und anderswo. Mein Fotoapparat
oder mein Blick sind ihnen überallhin gefolgt und haben sie
oft überrascht.
Sie spielten, sprangen, hüpften, lachten wie
die übrigen Mädchen des Dorfes. Sie liebten harmlose Scherze
über alles, besonders Conchita, die in diesem Punkt ihrer
Mutter in ihren Jugendjahren glich. Zwei Dinge unterschieden
sie jedoch wirklich von den ändern: ihre Sammlung in der
Kirche, auch wenn sie ebenso schnell beteten wie die ganze
Bevölkerung, und eine erstaunliche Bescheidenheit. Sie
trugen Röcke wie die übrigen Mädchen gleichen Alters, aber
sie setzten sich immer mit einer Zurückhaltung hin, die
einem auffiel. Man hat ihnen nie den geringsten Mangel an
Feingefühl bezüglich der weiblichen Reinheit vorwerfen
können. Auf diesem Gebiet ging ihre Zurückhaltung bis zum
Extrem. Durch die Jungfrau selbst waren sie zu einer solchen
Tugend erzogen worden. Man muß sich nur die Ekstasen in
Erinnerung rufen, um zu sehen, wie sie in Lagen, die für
unvorbereitete Zeugen überraschend waren, sehr darauf
bedacht waren, ihre Kleider in Ordnung zu halten.
Die Beachtung und sogar die Bevorzugung, die
man ihren drei Gefährtinnen und besonders Conchita, die sie
so sehr liebte, entgegenbrachte, scheinen Mari-Cruz sehr
geschadet zu haben. Sie verursachten in ihr einen Komplex
von Minderwertigkeit und Frustration, der noch andauert. Die
Geschenke waren für die ändern und besonders für Conchita
bestimmt, die sie dennoch sehr liebte. Bildeten sie nicht
beide zusammen ein Duo seit dem Beginn der Erscheinungen?
Warum verhielten sich die Besucher immer so
gegenüber Mari-Cruz? Weil sie weniger Erscheinungen hatte
als die ändern? Weil sie vom 12. September 1962 an keine
mehr hatte, wie sie es zu gewissen Stunden auch heute noch
zugibt? Oder noch aus ändern Gründen? Das wird man später
einmal erfahren.
Auf jeden Fall wiederhole ich ohne Zögern: Im
Alltagsleben waren die Seherinnen einfach, gehorsam,
hilfsbereit — besonders Mari- Cruz, die es geblieben ist —
arbeitsam, demütig, rein; würdig, als Beispiel zu dienen.
Wenn sie Fehler angenommen haben, die sie ursprünglich nicht
hatten, dann sind die Besucher dafür verantwortlich; das ist
meine Überzeugung.

DER
ÄUSSERE EINDRUCK DER EKSTASEN
Ich habe zahlreichen Ekstasen beigewohnt.
Zweihundert oder mehr. Es erlebten sie alle vier Seherinnen
zusammen oder gleichzeitig nur drei, zwei oder eine allein.
Der Gang in der Ekstase war normal oder geschah in voller
Geschwindigkeit. Sie gingen vorwärts oder rückwärts durch
das Dorf, auch durch alle Sträßchen, oft durch die ”Calleja”,
die zu den Kiefern hinaufführt, bis zu ihnen hinauf oder
wieder zurück.
Ich weise hier auf das große Erstaunen all
jener hin, die Zeugen dieses Abstieges von den Kiefern
waren: Sie wählten nie den guten Weg.
Bekanntlich gibt es gar keinen guten Weg für
diesen Abstieg. Trotzdem sind die einen besser als die
ändern, obwohl alle schlecht sind. Die kleinen Hirten und
ihre Schafe kennen sie gut.
Die Seherinnen gingen an Stellen hinunter,
die weder Mensch noch Tier benutzt hätten. Kein Mensch guten
Willens kann behaupten, daß man diese Abstiege auf
natürliche Weise erklären kann, besonders wenn sie rückwärts
erfolgten und sogar auf den Knien und rückwärts, besonders
wenn man ihre — sagen wir unbequeme — Haltung bedenkt:
aufrecht und den Kopf nach hinten gebeugt, die Augen auf die
Erscheinung gerichtet.
Wer kann diese "abnormale”, vollkommen
wirkliche, kontrollier bare und auch gebührend kontrollierte
Tatsache in Zweifel ziehen?
Wenn dieser Gegner guten Glaubens existiert,
dann schlage ich ihm vor, dasselbe im Gelände zu
wiederholen, auf gleiche Art, unter den gleichen
Bedingungen, und besonders bei dunkler Nacht, im Schnee oder
auf Glatteis. Und nicht nur einmal, sondern fast täglich wie
zur Zeit der Erscheinungen.
Im Verlauf der Ekstasen habe ich die Kinder
überall mit der Erscheinung sprechen hören. Mit leiser,
vertraulicher Stimme, aber verständlich. Diese Gespräche
waren vollkommen in dem Sinn, daß man sich vollkommen
darüber Rechenschaft geben konnte, daß sie auf die Fragen
der Jungfrau oder des Engels antworteten oder daß sie selber
Fragen stellten. Im letzteren Fall — die Mädchen hatten nie
Angst, U. L. Frau vom Berge Karmel oder Sankt Michael zu
mißbrauchen — hörten sie mit lebhaftester Aufmerksamkeit auf
die geliebten Stimmen.
Es war für alle klar, daß es sich um einen vollkommen
geordneten Dialog handelte, der den Gesprächspartnern des
Himmels und der Erde zusagte.
Von seiten der Seherinnen waren die Themen sehr verschieden.
Sie sprachen von allem, wenn sie an der Reihe waren. Von den
Dingen, die sie getan hatten, bis zu dem, was sie sagen
gehört hatten. Sie erzählten, was im Dorf, daheim, auf den
Feldern und den Almen passierte. Sie baten um Heilungen,
Bekehrungen, Wunder, "damit die Leute uns glauben”, wie man
sie sagen hörte. Sie vertrauten der Jungfrau Briefe an, die
von Anwesenden geschrieben waren, und übergaben ihnen mit
lebhafter Stimme öffentlich oder privat Ihre Antworten.
Manchmal mußte man ziemlich lange warten, bis sie von U. L.
Frau vom Karmel die Erlaubnis erhielten zu wiederholen, was
sie bei Gelegenheit der gestellten Fragen gehört hatten.
Ich habe gesehen, wie die Mädchen der
Erscheinung Rosenkränze, Kruzifixe, Medaillen, Skapuliere,
Bildchen zum Küssen gereicht haben.
Im Hause Conchitas sah ich eines Tages, wie Loli den Ehering
einer Dame an den Ringfinger ihrer rechten Hand steckte. Wie
gewohnt hatte sie ihn vorher auf Bitten der Dame den Lippen
der Jungfrau dargeboten. Dann sah ich, wie sie, aufmerksam
gemacht durch die Heilige Jungfrau, den Ring von dieser Hand
wieder abzog und an den Ringfinger der ändern Hand steckte.
Die Anwesenden glaubten zuerst an ein Mißverständnis des
Kindes. Aber das war nicht der Fall. Voll Bewunderung und
Freudentränen vergießend, erklärte die betreffende Dame: Die
Jungfrau weiß genau, daß in der Gegend von Valencia, aus der
ich stamme, der Ehering im Gegensatz zur Gewohnheit im
übrigen Spanien an der linken Hand getragen wird.
Loli ging noch weiter: Sie sagte dieser Frau den Namen ihres
Gatten, den sie überhaupt nicht gekannt hatte, bevor sie ihn
aus dem Mund deijenigen hörte, die ihn ihr geoffenbart
hatte.
Das ist im Hause Conchitas und nicht bei Loli
in meiner Gegenwart am 12. September 1961 geschehen.
Der Eintritt in die Ekstase geschah immer auf
die gleiche Art. Der Kopf wurde brüsk nach hinten gebeugt
und nahm seine normale Stellung erst nach dem Weggang der
Erscheinung wieder ein. Sie fielen sofort auf die Knie. Es
lag eine solche Gewalt in ihrem Sturz auf den Boden oder auf
spitze oder flache Steine, daß die Kniescheiben krachten,
wie wenn sie gebrochen wären. Das Herz der Anwesenden und
besonders der Mütter der Seherinnen preßte sich zusammen.
Sie traten also in die Ekstase ein, wie wenn sie vom Blitz
getroffen worden wären. Der Ausdruck ist nicht zu stark.
Wenn sie aus der Ekstase heraustraten — was ebenso plötzlich
geschah, gab es weder steife Hälse noch Hexenschuß noch
Brüche, nicht die geringste Müdigkeit. Sie lächelten der
Umgebung lieblich zu.
Die Unterhaltung mit der Erscheinung begann
an Ort und Stelle oder unterwegs. Wenn sie zuhause von der
Ekstase überrascht wurden, dann begaben sie sich fast immer
ins Dorf. Sie bewegten sich durch die Sträßchen, gingen um
die Kirche herum zum Friedhof, stiegen zu den Kiefern
hinauf, klopften jederzeit an die Türen der Einwohner,
grüßten dort etwaige Kranke, aber auch die Gesunden, knieten
vor den Bildern der Verstorbenen nieder und beteten für sie.
Die Ekstase erfaßte sie überall: daheim,
unter dem Vorbau der Kirche, auf dem Dorfplatz, bei den
Kiefern oder bei einer ändern Seherin. Das gleiche galt auch
für ihre Rückkehr in den Normalzustand.
Die Ekstase dauerte von fünf Mnuten bis zu
einer oder mehreren Stunden. Eine sogar sieben Stunden.
Man hat sich immer über die Leichtigkeit
gewundert, mit der eines der Mädchen in der Ekstase eine
ihrer ebenfalls in Ekstase gefallenen Kameradinnen ohne die
geringste Anstrengung in die Höhe hob. Sie tat es mit einer
Hand bis über ihre Schultern hinaus, damit sie die Jungfrau
küssen konnte, wenn diese sich weiter oben als gewöhnlich
befand. Nach dieser Erfahrung haben wir festgestellt, daß
sie im Normalzustand einander kaum bis zur halben Höhe
emporheben konnten, und das nur mit großer Mühe und mit
beiden Händen.
Wenn sie sich als ganze Gruppe fortbewegten,
hatten sie den Eindruck, daß die ändern weitergingen, aber
jede glaubte, selber still zu stehen, ohne am gemeinsamen
Marsch teilzunehmen.
War jede von ihnen in Ekstase, dann sahen sie
sich gegenseitig, auch wenn sie nicht am gleichen Ort waren.
Wenn zwei der Seherinnen während ihrer Ekstase von
verschiedenen Orten herkamen, brachten sie gegenseitig ihre
Freude zum Ausdruck, faßten sich am Arm, um den Weg
gemeinsam weiterzugehen. Bei ändern Gelegenheiten setzte
jede nach der Begegnung ihren eigenen Weg fort.
Man sah zuweilen eine Gruppe von Leuten, die
eine einzige Seherin begleiteten und hinter ihr beteten,
während eine andere Gruppe es im Gefolge einer ändern
Seherin ebenso hielt.
Während der Ekstasen beteten sie den
Rosenkranz sehr langsam und andächtig. Man hat diese
ergreifenden Gebete auf Tonband aufnehmen können, und jene,
die Gelegenheit hatten, sie zu hören, sind davon überrascht
und tief beeindruckt gewesen.
Sie beteten diese Rosenkränze auf dem Weg zu
den Kiefern oder zum Friedhof, wenn sie um die Kirche
herumgingen, die Häuser besuchten oder durch die Sträßchen
eilten.
Wenn eine der Kleinen während der Ekstasen
einen Schuh oder eine Sandale verlor, mußte eine der drei
ändern sie ihr wieder anziehen, ob sie in Ekstase war oder
nicht. Wenn jemand von uns das zu tun versuchte, zog das
Kind den Schuh auf der Stelle wieder aus.
Anfänglich fanden die Ekstasen beim ”cuadro”
(beim "Viereck”) statt, auf dem Sträßchen, das zu den
Kiefern führt.
Man hat diesen Ort deshalb so genannt, weil
die jungen Leute des Dorfes ihn in Form eines Vierecks
abgrenzten, indem sie dort Baumstämme hinlegten, um die
Seherinnen vor der Menge etwas abzuschirmen.
Diese ekstatischen Gänge nahmen am 8. August
1961 ihren Anfang. Nach den Angaben von Pater Royo-Marin O.
P., der sie miterlebte, schienen die Kleinen Flügel an den
Füßen zu haben, wenn sie sich zur Kirche hinwandten.
Am Anfang machten Ärzte und Priester
zahlreiche Versuche, um festzustellen, ob die Kinder
wirklich in Ekstase waren, ob sie gegen Schmerz,
Brandwunden, Stiche usw. empfindlich waren. Es ist ihnen nie
gelungen, den Kindern irgendein Anzeichen einer Schmerzempfindung zu entlocken. Um Mißbräuche zu vermeiden, haben
die jungen Leute sie später umstellt und mit ihren Armen
verteidigt. Wie Ceferino, Lolis Vater, sagte: ”Was die
Versuche angeht, so genügt das jetzt.”
In der Ekstase enthüllten sie auch die Namen
von einigen Anwesenden. Sie kannten und verrieten auch die
genaue Zahl der Priester, die im Augenblick im Dorf anwesend
waren. Eines Tages offenbarten sie, daß es einen mehr gebe
als man gerade sah. Der Betreffende gestand es und gab zu,
sich für diesen Anlaß zivil gekleidet zu haben. Auch meinen
eigenen Vor- und Familiennamen hat Loli eines Tages
bekanntgegeben, wobei sie noch beifügte, daß meine Pfarrei
der Gottesmutter geweiht sei.
Ändern Leuten erzählte sie Tatsachen aus
ihrem Leben, wobei auch Gewissensgeheimnisse nicht
ausgelassen wurden.
Das Ende der Ekstasen verlief im allgemeinen
auf folgende Art. Wie man es aus ihren Gesten erkennen
konnte — die Seherinnen erzählten es nachher — küßte sie die
Jungfrau auf beide Wangen. Dann machten sie ihr
außerordentliches Kreuzzeichen. Sie neigten das Haupt ein
wenig und kehrten mit einem freundlichen Lächeln in den
Normalzustand zurück. Keine ungewöhnliche Äußerung, keine
seltsame Geste. Sofort antworteten sie ruhig und immer
lächelnd auf die Fragen der Leute, die sie umringten.
Wie lange auch die Ekstase dauerte — und ich
habe schon erwähnt, daß es einige sehr lange gab —, die
Mädchen hatten immer den Eindruck, daß sie nur einen ganz
kurzen Moment gedauert hatte, ”un poquitin”, wie sie es
wiederholt ausdrückten. Am Schluß hörte man sie zur Jungfrau
sagen:
— "Geh noch nicht fort, bleib noch ’un
poquitin mas’, ein wenig länger!”
Manchmal ging Conchita noch weiter (ich habe
das nur bei ihr beobachtet). Sie machte absichtlich
schlechte Kreuzzeichen und fing lächelnd mehrmals an.
Schließlich machte sie es gut, und die Jungfrau verließ sie.
Es ist wirklich wahr, was Pater Luis Andreu
vor dem Sterben wiederholte:
— Wir haben eine sehr gute Mutter im Himmel,
wir brauchen vor der Übematur keine Angst zu haben; die
Kinder haben uns beigebracht, wie wir uns bei Ihr zu
verhalten haben; bringen wir Ihr darum ein kindliches
Vertrauen entgegen.
Das Ende der Ekstasen war sehr schön. Auch
wenn man es gesehen hat, kann man es nicht genau
beschreiben.

DIE NATUR
DER EKSTASEN
Ich besitze einige Briefe Conchitas, die auf
die Frage anspielen, die ich durch sie der Jungfrau
bezüglich der Natur der Ekstasen von Garabandal stellen
ließ.
Sie verstand absolut nichts von dieser Frage,
und das war auch mein dringendster Wunsch. Wir werden sehen,
daß das nicht nur bei ihr der Fall war. Ich versuche, mich
klarer auszudrücken.
Die Terminologie, die ich benutzte, habe ich
selber erfunden und mir wenig aus den klassischen
Bezeichnungen gemacht. Ich wollte einfach, daß Sie mir
helfe, die Probleme zu lösen, die ich mir selber gestellt
hatte, mit einem Wortschatz, den ich mir aus der
persönlichen Sicht der Dinge zurechtgelegt hatte. Weder
Conchita noch sonst jemand konnte sich darin zurechtfinden.
Ich sagte Conchita diese einzigen Worte:
— "Frage die Jungfrau, ob das 'vollkommen’ oder
'unvollkommen’ ist.”
— ”Was wollen Sie damit sagen?”, antwortete sie.
— ”Einfach das, was diese Worte bedeuten.”
Ohne dem Urteil der Kirche in dieser Frage
vorgreifen zu wollen, bin ich der Ansicht, daß
übernatürliche Ekstasen göttlicher Ordnung in Garabandal
stattgefunden haben. Als ich damals mit Conchita sprach,
habe ich jedoch die Worte "vollkommen” und "unvollkommen”
gebraucht, ohne schon auf die Frage der Übematürlichkeit
göttlicher Ordnung bei den Ereignissen einzugehen.
Zudem glaubte ich zu jener Zeit, daß die
Ekstase, die ich "vollkommen” nannte, im ekstatischen
Menschen schmerzhafte Spuren hinterlassen müsse.
Ich selbst betrachtete also jene Ekstase als
"unvollkommen”, die mit oder ohne totale Ausschaltung der
Sinne stattfand und die in beiden Fällen keinerlei Spuren
von Müdigkeit oder Krankheit im Organismus der Kinder
zurückließ.
Nun war es gerade diese "Unvollkommenheit”,
die ich — nach dem Vokabular, das ich mir selber gezimmert
hatte — feststellte. Im Auftrag der Jungfrau mußte Conchita
mir demnach antworten ”es ist unvollkommen”.
Und wirklich:
Vor allem dauerten die Ekstasen eine Stunde,
manchmal mehrere. Es ist offensichtlich, daß die von den
Seherinnen eingenommenen Haltungen auch von kräftigen
Menschen während einer ähnlichen Dauer nicht eingehalten
werden konnten. Wie war das möglich bei sicher gesunden,
aber noch so jungen Kindern? Um so mehr, als sie am Ende der
Ekstasen außerordentlich frisch und sichtlich lebhafter als
vorher waren. Weit entfernt davon, geschwächt zu sein,
machten sie sich wieder an die Arbeit, wie wenn nichts
geschehen wäre.
Obwohl ihr Schlaf gelegentlich sehr tief war,
schliefen sie indessen sehr wenig. Weil gewisse Ekstasen
sehr lange dauerten oder sich oft wiederholten, weil sie in
der Mehrzahl nachts stattfanden; weil die Kinder, um die
Jungfrau zu sehen, und auch aus Opfergeist, in der Küche
blieben, vollkommen angekleidet und an die Mauer gelehnt,
etwas schlummerten; weil jene, die nicht in Ekstase war,
sogar nachts die ändern aufsuchte, die es waren.
Zweitens sah man bei gewissen Gelegenheiten
ihre Augendeckel zwinkern, während man das meistens nicht
beobachten konnte. Ihre Hände waren gewöhnlich vollkommen
steif. Bei ändern Gelegenheiten konnte man ihre Finger noch
spielen lassen, bevor sie plötzlich steif wurden. Die
Fußgelenke und die Füße hatten immer ihre normale Bewegung.
Was ihre Hände und ihr Gesicht betrifft, so waren sie
manchmal warm, manchmal nicht.
Wegen meiner persönlichen Auffassung der
Dinge und meiner etwas komischen Terminologie gaben mir die
beiden beschriebenen Beobachtungen viel zu denken und
machten mich etwas verwirrt.
Ich will es anders ausdrücken. Statt mit den Ausdrücken "vollkommen”
und "unvollkommen” könnte man die gleiche Frage auch anders
stellen: Waren die Ekstasen Dur oder Moll in der
übernatürlichen Ordnung, wenn man so sagen darf? Unnötig zu
sagen, daß ”für mich” Dur dem "vollkommen” von vorher
entsprach und bei den Ekstatikern schmerzhafte Wirkungen und
Spuren von Müdigkeit und von Krankheiten zurücklassen mußte
(was man nie feststellen konnte).
Eines Tages schrieb mir Conchita: ”Die
Jungfrau hat mir geantwortet, daß Sie es mir bezüglich
Vollkommen’ und 'unvollkommen’ später sagen werde.”
Ein weiterer Brief folgte: "Letzthin hat mir
die Jungfrau, ohne daß ich Sie darüber befragte, gesagt, daß
bezüglich Vollkommen’ und 'unvollkommen’ es Vollkommen’
sei.”
Ich habe bewußt geschrieben: ”Ohne daß
Conchita dieses Mal eine Frage stellte, hat sie die Antwort
bekommen.”
Jetzt bin ich wieder zurück in Garabandal, in
ihrer Küche, vor ihrer Mutter Aniceta. Ich denke nochmals
über die Rücksichtnahme U. L. Frau nach, die mir von sich
aus geantwortet hat und fange das Gespräch an:
— Nun, Conchita, die Jungfrau hat dir sicher
gesagt, daß es "vollkommen” war?
— Ja, bezüglich der Frage nach "vollkommen”
und "unvollkommen” hat die Jungfrau gesagt, daß es
"vollkommen” war.
— Gut, Conchita. Aber diese Antwort macht
meinen Plan total unbrauchbar.
Aniceta mischte sich sofort ein:
— Conchita, habe ich dir nicht befohlen, du sollst
"unvollkommen” sagen?
Und die Antwort des zwölfeinhalbjährigen
Mädchens:
— Ich weiß wirklich nicht, warum er auf diese Frage nach
'Vollkommen” und "unvollkommen” zurückkommt. Ich weiß nur,
daß die Jungfrau mir gesagt hat 'Vollkommen”.
Mir blieb nur noch, in aller Stille meine
Auffassung der Dinge und die phantasiereiche Terminologie zu
ändern und die Lektion in mystischer Theologie anzunehmen,
welche die Jungfrau mir erteilte. Ich mußte auch die
absolute Ehrlichkeit und beispielhafte Festigkeit Conchitas bewundern, die ohne etwas weder von meinem
Gedankengang noch von meiner Wortwahl zu verstehen, die
treue Botschafterin der Gottesmutter vom Berge Karmel zu
einer Zeit geblieben war, wo sie nicht darauf gefaßt war und
trotz ihrer Mutter Aniceta.
Ich habe weiter oben gesagt, daß die Kleinen
angekleidet in der Küche schliefen, um den Besuch der
Gottesmutter nicht zu verpassen. Nachdem Sie ihnen gesagt
hatte, Sie würde nachts kommen, wußten sie genau, daß Sie
ihren Schlaf respektieren würde, wenn sie im Bett wären. Nun
wünschten sie heiß, die Jungfrau zu sehen.
Sie wußten auch, daß die Jungfrau wollte —
nachdem Sie ihnen gesagt hatte, daß Sie nachts kommen würde
—, daß sie trotzdem ihren Eltern gehorchten, wenn diese
ihnen befahlen, sich schlafen zu legen.
In zahlreichen Fällen war Mari-Cruz
verpflichtet zu wählen, da ihre Eltern, wie man erzählt, sie
zu Bett schickten oder sie daran hinderten, mit den drei
ändern hinauszugehen. Sie entschied sich für den Gehorsam
ihrem Vater oder ihrer Mutter gegenüber, man weiß es nicht.
Wenn sie so handelte, gehorchte sie auch der Jungfrau.
Es bleibt die Frage, ob die Jungfrau darin
gegenüber den ihrigen hat Strenge walten lassen oder nicht?

EINIGE
EKSTASEN UNTER ANDEREN
1. Jacinta gibt die
Zahl der anwesenden Priester bekannt.
Unter den Leuten, die mit uns nach Garabandal heraufgekommen
waren, befand sich auch ein Feldgeistlicher der Luftwaffe.
Er trug nur seine Abzeichen als Hauptmann und bat die
anwesenden Priester, den Mädchen nicht zu sagen, daß er auch
Priester war. Sein Wunsch wurde aufs genaueste respektiert.
Am Abend fiel Jacinta in Ekstase, und Don
Valentin ließ sie wie gewohnt fragen, wieviel Priester hier
anwesend seien. Das Kind nannte die genaue Zahl der Priester
in Soutane und fügte hinzu: ”Und einer von jenen, die
fliegen. So heißt er ... ”
Als dieser Feldgeistliche um vier Uhr morgens zu uns
zurückkehrte, konnte er es sich nicht versagen, mir seine
Überraschung und Ergriffenheit zum Ausdruck zu bringen.
2. Conchita und das Foto mit der
Widmung.
An einem Septembertag 1961 befand ich mich im Dorf im Laden
der Primitiva Gonzalez.
Durch das Fenster zur Straße entdeckte ich
Conchita mit einer Gruppe. Ich ging auf sie zu und bat
Conchita, in die Küche zu kommen, sobald sie mit diesen
Besuchern fertig sei. Sie kam bald.
In der Hand hielt ich fünf oder sechs
Fotografien, die ich bei meiner ersten Reise nach Garabandal
am vergangenen 22. August aufgenommen hatte.
— Conchita, kennst du diese Kinder?
— Ja, antwortete sie verschmitzt, das sind
Kinder von Cosio!. . .
— Da es Bilder von dir sind, kannst du sie
behalten. Und weil sich Mari-Cruz auch auf einem Foto
befindet, kannst du ihr auch eins geben.
— Vielen Dank.
Dann wurde sie plötzlich nervös und entfernte
sich mit den Worten:
— Ich muß gehen. Und sie verschwand.
(Ich muß zugeben, daß ich damals noch nichts
von den "Anrufen” wußte).
Nun kam es mir plötzlich in den Sinn, daß
eine der Aufnahmen eine Widmung trug und für einen Priester
aus Burgos bestimmt war, der mich am 22. August 1961 nach
Garabandal begleitet hatte.
Ich fragte Primitivas Tochter, ob ich nicht
ein Kind auf die Suche nach Conchita schicken und sie bitten
könnte, das Bild mit der Widmung gegen eine andere Aufnahme
auszutauschen. Aber Conchita war schon in Ekstase. Und der
Mutter war auch der Versuch gelungen, ihr meine fünf oder
sechs Fotos aus der Hand zu nehmen bis auf eins, das
Conchita während der ganzen Dauer der Ekstase in der Hand
behielt.
Als ich erfuhr, daß Conchita in Ekstase war,
ging ich ihr entgegen, um einige Aufnahmen zu machen. Es war
abends halb sechs Uhr. Da mein Apparat über kein Blitzlicht
verfugte, besaß ich noch keine Aufnahme von den Ekstasen,
weil diese bisher bei meinen Besuchen im Dorf immer nachts
eingetreten waren. Ich machte einige Aufnahmen, und als der
Film zu Ende war, suchte ich, um ihn zu wechseln, einen
dunklen Ort auf. Kurz darauf war die Seherin in den
Normalzustand zurückgekehrt.
Jemand näherte sich mir:
— Conchita sucht Sie, die Jungfrau hat ihr
einen Auftrag für Sie übergeben.
— Wo ist sie?
Man konnte mir keine Antwort geben.
Ich begab mich zu ihrem Haus und sah sie von
einigen meiner Pfarrangehörigen umgeben, die mich an diesem
Tag begleitet hatten. Sie ließ diese Gruppe sofort stehen
und kam auf mich zu.
— Herr Pfarrer, die Jungfrau hat mir gesagt,
daß ich Ihnen dieses Foto zurückgeben solle, da Sie es mir
irrtümlicherweise gegeben haben.
Ich blieb mit offenem Munde stehen und wußte
im Moment nicht, was ich sagen sollte. Dann faßte ich mich:
— Das stimmt. Ich wollte es dir gerade auch sagen.
Ich schenkte ihr eine ähnliche Aufnahme, aber
ohne Widmung, und Conchita kehrte zur Gruppe zurück, die sie
eben verlassen hatte.
3. Loli fotografiert
die Jungfrau.
Hier folgt die Geschichte einer Fotografie, deren Augenzeuge
ich ebenfalls gewesen bin. Man erlaube mir, sie in allen
Einzelheiten zu erzählen, denn ohne deren genaue Kenntnis
könnten einige Leser verwirrt werden.
Am 12. September 1961 wohnte ich von
Mitternacht bis morgens vier Uhr einer sehr langen Ekstase
von Jacinta und Loli in Conchitas Haus bei.
Wie wir schon wissen, waren unter den
Anwesenden zahlreiche Männer und Frauen, die den Kindern
schon vor der Ankunft der Jungfrau Andachtsgegenstände
aushändigten, damit sie diese im geeigneten Augenblick Ihren
Lippen zum Kusse darboten. Ich selber hatte ihnen das
anvertraut, was ich gerade in den Händen hatte. Ich kann mir
jetzt noch nicht erklären, wie ich während Jacintas und
Lolis Ekstase dazu kam, Conchita meinen Fotoapparat zu
übergeben.
(Wir müssen bedenken, daß Conchita nicht in
Ekstase war und man mit den ekstatischen Seherinnen nur
durch Vermittlung einer von ihnen, die sich nicht in Ekstase
befand, in Verbindung treten konnte.)
Loli erhielt den Apparat, ohne daß Conchita
ihr sagte, um was es sich handelte.
Ohne zu zögern, setzte sich Loli den Apparat
sofort vor die Augen, und man hörte:
— Ich werde dich fotografieren.
Darauf folgte eine enttäuschte Überlegung:
— Komischer Apparat! Ich sehe dich nicht.
Und im gleichen Moment, wie wenn sie von der
Erscheinung darauf aufmerksam gemacht worden wäre:
— Ah, ich muß einen Knopf ziehen?
(Die Kamera steckte tatsächlich in ihrem Etui)
Sie suchte mit den Fingern den Druckknopf und
öffnete das Etui.
— Jetzt sehe ich dich gut.
Es wurde einem klar, daß sie nochmals
Anweisungen erhielt.
— Ah, ich muß einen ändern Knopf betätigen?
(Mein Apparat war ein Taschenkodak mit einer Klappe, die man
zuerst herausziehen mußte, bevor man fotografieren konnte).
Wir sahen zu, wie Loli den zweiten Knopf
suchte, den ßalg herausklappte und den Apparat wieder in der
Höhe der Augen ansetzte.
Das geschah alles ganz ruhig ohne Eile. Loli
hatte nicht aufgehört, ihren Blick auf die Erscheinung zu
richten, ihr Blick hatte sich nie um diese Handgriffe
gekümmert. Es war offensichtlich, daß sie in ihren
Handlungen geheimnisvollen Erklärungen folgte.
Sie sprach weiter:
— Ah, ich muß den Film nachdrehen.
Ihre Finger finden rechts unten am Apparat
den Filmtransporthebel und bewerkstelligten das
Weiterdrehen, natürlich ohne zu ahnen — denn von sich aus
verstand sie ja vom Fotografieren absolut nichts —, daß ohne
diesen Handgriff die Möglichkeit bestand, zwei Bilder auf
dem gleichen Filmabschnitt aufzunehmen.
Darauf folgte die Anweisung, den Verschluß zu
spannen, um Aufnahmen machen zu können. Sie führte es aus,
aber nicht sofort. Man sah gut, daß sie etwas Zeit brauchte,
um all diese Handgriffe richtig zu machen.
Sie hatte auch nicht vergessen, den Verschluß
auszulösen und begann nun mit der Wiederholung dieser
Handlungen, um noch zwei weitere Aufnahmen zu machen. Dieses
Mal ging alles sehr leicht und scheinbar ohne neue
Anweisungen. Loli handelte rasch, wie wenn sie den Apparat
kennen würde, so wie jemand, dem diese Handgriffe bestens
bekannt sind.
Ich kümmerte mich nicht besonders um die von
Loli gemachten Aufnahmen und sandte den Film erst einige
Zeit später zum Entwickeln. Wie es auf den ersten Blick
klar war, dachte ich, daß da kein positives Resultat zu
erwarten sei. Und das aus zwei für mich entscheidenden
Gründen: erstens hatte Loli im Innern von Conchitas Haus
ohne Blitzlicht fotografiert, mit einem gewöhnlichen Film,
im armseligen Licht der Küchenlampe und zweitens mit einem
Apparat, der nur dazu diente, natürlich sichtbare Dinge und
Personen aufzunehmen.
Nachdem ich den Film zurückerhalten hatte,
sandte ich Loli das Resultat in einem Brief und schrieb
scherzend dazu: ”Da du die Bildchen selbst aufgenommen hast,
frage die Jungfrau beim nächsten Wiedersehen, warum sie
nicht besser gelungen sind, denn ich sehe nichts darauf.”
Drei Monate später gestand mir Loli, daß es
ihr nicht in den Sinn gekommen sei, die Erscheinung
bezüglich dieser Fotos zu befragen. Schließlich tat sie es
dann doch und erzählte mir darüber folgendes:
— Die Jungfrau hat mir versichert, daß Sie
gut aufgenommen war, und Sie hat mir gezeigt, wo Sie sich
auf dem Bild befand. Auf meine Frage, warum man Sie nicht
besser sehe, hat Sie mir geantwortet:
— Auch wenn das Bild vollkommen gelungen
wäre, würde man es doch nicht glauben.
Ich kenne jemand, der später im Zusammenhang
mit diesen Fotos eine Erfahrung machte. Die betreffende
Person schob in einen Haufen von Bildern auch jene, die man
für gewöhnlich ”die Fotos der Jungfrau” nannte. Loli wußte
offensichtlich nichts davon. Sie fiel in Ekstase, und als
sie aus all den Gegenständen, die die Anwesenden auf den
Tisch gelegt hatten, die Bildchen herausnahm, fing sie an,
diese der Jungfrau zum Kusse hinzuhalten.
Als sie, ohne es zu wissen, zum ”Foto der
Jungfrau” kam, sah man sie einen Moment innehalten. Dann
sprach sie:
— Ah, das ist das Foto, auf dem Du Dich befindest.
Meines Erachtens hat diese Fotogeschichte
eine besondere Bedeutung technischer Art, könnte man sagen.
Vor diesem Ereignis in Conchitas Küche war
Loli absolut unfähig, einen Fotoapparat zu bedienen, und
besonders den meinen. Acht Tage, nachdem ihr in der Küche
die Handgriffe so glänzend gelungen waren, war sie im
Normalzustand vollkommen unfähig, dasselbe nochmals zu
wiederholen. In Anwesenheit ihres Vaters Ceferino habe ich
das bei ihr daheim selber geprüft, indem ich ihr meinen
Apparat in die Hände legte. Sie konnte damit weniger als
nichts anfangen.
Eine Erfahrung technischer Art? Ja. Und auf
die Anweisungen der Jungfrau hin . . .
Die Kleine, — sie war zwölf und ein halbes
Jahr alt—, hat genau das getan, was notwendig war. Zuerst
mit der nötigen Zeit, um die empfangenen Anweisungen
auszuführen. Dann aber hat sie mit der Schnelligkeit eines
Berufsfotografen gehandelt. Fünf Handgriffe im ganzen: den
Apparat aus der Hülle herausnehmen, den Film nachstellen,
den Balg herausziehen, den Auslöser herunterdrücken,
auslösen.
Warum habe ich in jener Nacht Conchita meinen
Apparat übergeben, damit sie ihn an Loli weiterreiche? Ich
weiß es jetzt noch nicht, ich habe das bereits gesagt.
Dagegen erinnere ich mich noch, wie wenn es gestern gewesen
wäre, daß Loli mich in jener Nacht den Anwesenden bekannt
machte. Zuerst sagte sie meinen Vornamen, darauf meinen
ersten Namen, dann den zweiten mit dem Hinweis, daß er aus
drei Wörtern bestehe. Sie fügte sogar bei, daß meine
Pfarrkirche Maria geweiht sei.
All das stimmte ganz genau. Aber in diesem
September 1961 konnte Loli über mich nicht aus natürlichem
Wissen sprechen.
4. Conchita und das Glas
Milch.
Eines Tages saß Conchita gerade beim
Abendessen auf ihrem kleinen Hocker neben dem etwas erhöhten
Herd, wo ihr gewohnter Platz war.
Plötzlich kam Loli in Ekstase und sagte ihr:
— Conchita, die Jungfrau sagt, du sollst dein Essen schnell
beenden, denn Sie wird dich besuchen.
Conchita beeilt sich ein wenig, und während
sie ihr Glas Milch hochhebt, fällt sie zum Erstaunen aller
in Ekstase, das Glas Milch in der Hand. Sie geht langsam von
ihrem erhöhten Platz hinunter, und von der Schwelle der
Haustür an beginnt sie schnell gegen die Kirche zu eilen, wo
sie vor der Tür plötzlich stillsteht. Dort gelingt es, ihr
das Glas aus der Hand zu nehmen. Allgemeine Überraschung:
sie hat nicht einen Tropfen Milch verloren.
Ich wohnte dieser Ekstase in der Küche bei,
verließ aber das Haus nicht, um dem Kind bis zur Kirche zu
folgen.
5. Loli öffnet meine Hand
mit Gewalt.
Ab August 1961 begannen die Mädchen, ein
Kruzifix bei sich zu tragen.
Beim ersten Anruf holten sie es daheim und
versteckten es in ihren Kleidern. Beim dritten Anruf, wenn
die Ekstase ganz nahe bevorstand, nahmen sie es in die Hand.
Nach Beginn der Ekstase bestand ihre erste Handlung darin,
es der Jungfrau zum Kusse hinzuhalten. Manchmal küßten auch
sie es, und dann hielten sie es den Anwesenden hin, nicht
immer allen. Manchmal machten sie selber über den einen oder
anderen das Kreuzzeichen.
Wir befinden uns in Conchitas Küche, und Loli
ist dort in Ekstase. Durch das offene Fester bietet sie den
Leuten, die sich außerhalb Anicetas Haus aufhalten, das
Kruzifix zum Kusse dar. Die Eigentümerin des Kreuzes, eine
Dame, hielt sich mit uns in der Küche auf. Für sie — man
kann das sicher verstehen — bedeutete dieses Kreuz eine
wirkliche Reliquie, und sie hatte große Angst, es zu
verlieren.
— Mein Kreuz, mein Kreuz, wiederholte sie wie
ein verwöhntes Kind.
Conchita, die nicht in Ekstase war, ärgerte
sich:
— Was für eine freche Frau. Man soll ihr das Kreuz für immer
zurückgeben. Sie ging auf Loli zu und nahm es ihr sorgfältig
aus den Händen.
Endlich zufrieden, entfernte sich die Dame
mit ihrem Schatz.
— Loli blieb ohne Kruzifix, die Hände auf der Brust
gefaltet, dem offenen Fenster zugewandt, vor den Leuten, die
sie von außen her betrachteten.
Einige Augenblicke später hörte man sie
sagen:
— Conchita, die Jungfrau läßt dir sagen, du sollst das Kreuz
des Pfarrers erbitten.
In diesem Moment war ich der einzige in der
Küche anwesende Priester. Ich stand bei der Tür, die Hände
in den Taschen.
Ich reagierte sofort innerlich und formulierte im stillen
meine innere Reaktion:
— Loli, wenn du es nicht selbst von mir
verlangst, gebe ich es dir n iclit. Ich verlange diesen
Beweis von dir. Ich erwarte ihn.
Es scheint mir nützlich, noch einige Details
hinzuzufügen, um das besser zu verstehen, was folgen sollte.
Ich war nicht gewohnt, ein Kreuz bei mir zu tragen. Wie
zufällig hatte ich eines in der rechten Tasche meiner
Soutane, und ich hielt es fest umklammert. Man würde ja bald
sehen, was geschehen wird. Aufjeden Fall würde ich so lange
wie nötig warten, während ich aus einer gewissen Entfernung
auf Loli schaute, die uns allen den Rücken zukehrte.
Hatte Conchita die Frage Lolis nicht gehört
oder nicht verstanden? Vielleicht, denn sie bat mich um
nichts.
Dann drehte sich Loli, immer noch in Ekstase,
um 180 Grad herum, kam auf mich zu und blieb vor mir stehen.
Mit einer überraschenden Bewegung des rechten Armes, mit
einer erstaunlichen Geschmeidigkeit und unglaublich flink
steckte sie die rechte Hand in die rechte Tasche meiner
Soutane. Sie erreichte meine rechte Hand, die das Kruzifix
fest umklammerte, öffnete sie gegen meinen Willen, ließ sie
in meiner Tasche und nahm das Kreuz anmutig aus seinem
Versteck.
Eine andere wichtige Einzelheit: Die Öffnung
dieser Tasche erlaubt mir noch zu betonen, daß so, wie die
Hand in diese gesteckt war, keine menschliche Möglichkeit
bestand, eine weitere, auch noch so kleine Hand in sie
hineinzustecken.
Beim Überdenken dieser Szene glaube ich, daß
die Filmkunst noch nie etwas aufgenommen hat, was mit der
übermenschlichen Schönheit von Lolis Gesten bei dieser
Gelegenheit verglichen werden könnte. Diese Schönheit, die
übermenschliche Kraft des Kindes, meine geöffnete Hand und
das verschwundene Kreuz bewegten mich derart, daß ich ihr
meine Niederlage zugab und sagte:
— Nimm es, nimm es, dieser Beweis genügt mir!
Eine letzte Bemerkung.
Die Hände der Seherinnen hatten gelegentlich nicht mehr ihre
gewohnte Temperatur. Als Loli auf diese natürlich
unerklärliche Art ihre Hand in meine Tasche steckte, war die
Temperatur normal. |